Hört ein Rockmusikfan von zwei Senioren, die jeden Samstag vier Stunden mit ihrer «Heart Rock Band» proben, sowie im In- und Ausland auftreten, dann klingt eine besondere Saite an. Ich war elektrisiert und vereinbarte umgehend ein Date mit Edith und Frank Koch aus Altenrhein SG.
Als wir vor dem Haus parken, höre ich bereits jemanden reden. Um die Ecke biegt Frank, der Drummer. Ein fröhlicher Mann mit markantem Schnauz. Die Lederweste passt zum «Rocker», die goldene Taschenuhr zum «Monsieur». Wir drücken uns die Hände. Er bittet Fotograf Paolo Foschini und mich, einzutreten.
Unter der Haustür erwartet uns Edith, die Bassistin. Sie lächelt, begrüsst uns. Die kleine Hündin Gioja schnuppert an meinen Knöcheln, riecht wohl Bilbo. Wir reden über Hunde und unsere Leidenschaft – die Rockmusik.
Die Zeppelin-Fans sind in die Jahre gekommen
Obwohl uns gute 16 Jahre trennen, zählen wir uns zur selben Generation. Es ist also die gleiche Art Musik, die uns durchs Leben begleitet. Wir schwärmen von Led Zeppelin, von Deep Purple, Status Quo, Jimmy Hendrix und Co. Frank stellt eine Bluetooth-Boxe auf den Tisch und tippt auf dem Smartphone rum. Und schon höre ich original «Heart Rock»-Sound. Es tönt gut.
Die Zeit des Musikmachens begann für die Kochs 1997. Frank, selbstständiger Transportunternehmer, war damals 58 Jahre alt. Seine Frau Edith 54. «Ich erinnere mich noch gut an das Treffen mit einem uns bekannten Unternehmer. Er fuhr regelmässig für uns», sagt Frank. «An einem Blueskonzert trafen wir uns scheinbar zufällig. Ihm muss mein Fusswippen gefallen haben. Er sagte: ‹Du hast ein gutes Rhythmusgefühl. Wir suchen einen Drummer.› Ich war erstaunt.»
Falsche Grifftechnick – ein Anfängerfehler
Noch mehr staunte Frank, als der Kollege ihm an Weihnachten ein Schlagzeug in die Stube stellte. Da kam einiges ins Rollen. Edith begann, mit dem Elektrobass zu üben. Für die kleine Band sollte sie einen Gitarren-Boogie spielen. «Ich probierte es», sagt sie und lacht. «Als Anfängerin eignete ich mir eine falsche Grifftechnik an. Das Zusammenspiel kam aus verschiedenen Gründen nicht richtig zustande. Und so beendeten wir die Kontakte.»
Dank Fusswippen zum Schlagzeuggeschenk
Und so trommelte Frank einsam vor sich hin. Nun war Edith die treibende Kraft. Sie sagte zu Frank: «Wir sollten mit Sigi Saller in Kontakt treten.» Der ehemalige Bandleader und Komponist sowie Arrangeur hat ein eigenes Tonstudio in der Garage. Edith und Frank schrieben einen Brief nach Salez SG.
Wochen später besuchte Sigi das «Heart Rock»-Duo. «Wir üben jeweils am Samstag in einer Halle von Stadler-Bahntechnik. Die gehörte einst zu unserem Transportunternehmen», sagt Frank.
Dem erfahrenen Musiker aus dem Rheintal gefiel das Zusammenspiel mit den Heart-Rockern aus Altenrhein. Die Chemie stimmte auf Anhieb. Zum Trio stiess schlussendlich noch der Keyboarder, ein Musiklehrer, – und dann ging die Post ab. «Wir spielten Songs aus den 60er- und 70er-Jahren. Traten auf im In- und Ausland. Begeisterten mit unserer Musik die Fans bei kleineren und grösseren Auftritten.» Edith lacht, als ich Frank nach Groupies frage. «Die gab es bestimmt», sagt sie und erzählt von Auftritten, die bis morgens um vier dauerten. «Immer wieder klatschten uns die Leute raus auf die Bühne. Die Zugaben dauerten eine gefühlte Ewigkeit. Morgens um vier schmerzten mir die Beine, sie schwollen an, trotz Stützstrümpfen.» Wir lachen herzhaft.
Derzeit befindet sich die Band, zusammen sind sie 306 Jahre alt, in einer Art «Winterschlaf». Der eine liegt mit Leistenproblemen im Spital, beim anderen wollen die Stimmbänder nicht mehr so, wie sich das eine Rockröhre vorstellt. «Zudem dauert es wohl nicht mehr lange, bis wir keinen Übungsraum mehr haben», sagt Frank. «Stadler Rail baut in St. Margrethen, und hier werden einige Hallen abgebrochen. Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Mal schauen.» Und Edith sagt: «Aufzuhören mit dem Musikmachen tät mir sehr weh. Bevor es soweit ist, finden wir bestimmt eine für uns praktikable Lösung. Davon bin ich überzeugt.»
Selbstbestimmung zum Lebensende
Und doch sind die Altersbeschwerden nicht wegzureden. Frank musste bereits einmal wegen eines Hirnschlages pausieren, zudem verlor er nach einem Augen-Infarkt einen Teil seiner Sehkraft. Und Edith zwangen die Folgen eines Sturzes zur monatelangen Untätigkeit.
Altersbeschwerden sind also nichts Ungewöhnliches. Sie veranlassten das «Rock Heart»-Ehepaar, über die Selbstbestimmung in der letzten Lebensphase nachzudenken. «Wir erstellten alle nötigen Dokumente», sagt Frank. «Schrieben ein Testament sowie eine Vorsorgeverfügung. Zudem informierten wir uns über Patientenverfügung resp. Patientenvollmacht.» Edith Koch nickt: «Wir wollten uns absichern, wollten alles klären. Unsere beiden Kinder wissen, was wir wollen.» Das alles machten die Kochs bereits vor fünf, sechs Jahren. «Nach den Schlaganfall dachte ich, ich würde den Löffel abgeben», sagt Frank. «Und deshalb überarbeiten wir all unsere Dokument regelmässig.»
Wissen Sie, welche Werte Ihnen wichtig sind?
Wer sich intensiv mit der Selbstbestimmung in der letzten Lebensphase auseinandersetzt, denkt zwangsläufig darüber nach, was denn die entscheidenden Werte sind, für die es sich zu leben und allenfalls zu leiden lohnt. Solche Gedanken machte ich mir ebenfalls, bevor ich meine Patientenverfügung, resp. meine Patientenvollmacht ausfüllte. Wer sich interessiert, was denn genau eine Werteanamnese ist, finden darüber zwei Videos auf DeinAdieu.ch.
Die selbstbestimmte Lebensphase will vorbereitet sein
Und wie sehen das die Kochs? Ich frage sie: «Fürchtet ihr euch vor dem Tod, vor dem Sterben?» «Nein», sagen beide praktisch gleichzeitig. «Überhaupt nicht.» Frank zieht seine goldene Taschenuhr aus der linken Gilet-Tasche, lässt den Deckel aufklappen, stupft seine Frau und sagt lachend: «Gäll, unsere Uhr ist noch nicht abgelaufen.»
Wir lachen. Einmal mehr. Ich frage: «Was denkt ihr, wohin führt dereinst die letzte Reise?» Edith schüttelt den Kopf: «Keine Ahnung. Wir lassen uns überraschen, nehmen alles an, was kommt. So lebten wir immer. Es ist uns wichtig, keine Baustellen zu hinterlassen.» Und Frank doppelt nach, sagt: «Der Abschied ist etwas Alltägliches. Ich fuhr gefühlte Millionen von Kilometern auf den Strassen. Mit kleinen und grossen Fahrzeugen. Uns war schon damals bewusst, einmal könnte es die letzte Fahrt gewesen sein.»
Unerklärlich, was nach dem Sterben geschieht
Auf die Frage ob sie an die Seelenwanderung glauben würden, sagt Edith: «Ja, die Seele muss rauskönnen. Was dann geschieht, ist für uns unerklärlich.»
Und was machts mit den beiden, wenn sie wüssten, sie würden heute Nacht sterben, friedlich, ohne Schmerzen und ohne Angst? Edith Koch: «Nun, ich würde ganz normal weiterleben.» Und Ehemann Frank sagt: «Ich nehme es so, wie es auf mich zukommt. Mich plagt nichts mehr. Alles ist geregelt.»
Zum Schluss nimmt mich wunder, was denn das letzte Musikstück wäre, dass ihr hören möchtet? Edith sagt: «Ich möchte noch einmal einen wohligen Schauer erleben bei Jeff Becks ‹People Get Ready›, gesungen von Rod Stewart.» Frank strahlt, legt den Arm um seine Frau und sagt: «Wir sind bereits 56 Jahre verheiratet.» Dann beginnt er zu singen: «All You Need Is Love.»
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Text: Martin Schuppli, Fotos: Paolo Foschini
DeinAdieu berichtete in verschiedenen Ratgeber- und Blog-Beiträgen über die unterschiedlichsten Aspekte zum Thema Selbstbestimmung am Lebensende. Vorsorge | Testament | Patientenverfügung