«Diesseitig bin ich gar nicht fassbar.
Denn ich wohne grad so gut bei den Toten,
wie bei den Ungeborenen.
Etwas näher dem Herzen der Schöpfung als üblich.
Und noch lange nicht nahe genug.»
Inschrift auf dem Grabstein des Malers Paul Klee
auf dem Schosshalden-Friedhof in Bern
Ich wusste, es ist ein Wagnis, die eigene Urne zu töpfern. Mir war bewusst, ich würde anecken. Wie damals, als ich vor surrender TV-Kamera in der «Praxis für angewandte Vergänglichkeit in einen Sarg stieg und Alice Hofer den Deckel zu machte. «Du schpinnsch», sagten die einen. «Gahts no», die anderen. «So cool», war ebenfalls eine der Reaktionen und viele fragten mich, «warum machst du so Zeug mit?»
Nun, ich machte es nicht einfach mit, ich inszenierte diese Szene. Und ich werde weitere solche Szenen inszenieren.
Meine Urne bauen, eine logische Konsequenz
Die eigene Urne zu töpfern, war keine Inszenierung. Es war mir ein Bedürfnis. Logisch. Seit bald zwei Jahren beschäftige ich mich tagtäglich mit dem Sterben. Schreibe über den Tod, den letzten Lebensabschnitt. Recherchiere zum Thema Trauer, traurig sein. Rede übers Abschiednehmen. Und nahm selbst Abschied. Ich verabschiedete eine liebe Freundin in der Kirche. Weinte vorne beim Taufstein. In der Hand das Manuskript meiner Rede.
Und gestern, am 29. Juni 2017 fuhr ich im Zug nach Münsingen um bei Regula Kaeser-Bonanomi im Keramikatelier meine Urne abzuholen. Nachdenklich, aber in freudiger Erwartung.
Im Atelier der Keramikerin kehrt die Freude zurück. Regula Kaeser-Bonanomi strahlt voller Fröhlichkeit und Lebensfreude. Schalk blitzt in ihren Augen. Das Atelier ist aufgeräumt und fürs Ritual hergerichtet. Eine flache Trommel steht da, eine Kerze brennt und in einem Schälchen liegen einige Aschestückchen.
Mit verbundenen Augen Knochen zählen
Ich setze mich bequem hin, stelle die Füsse bewusst auf den Boden und halte den Rücken gerade. Die Hände liegen in meinem Schoss. Der Geist ist wach. Ich harre der Dinge, die da kommen werden.
Regula Kaeser-Bonanomi reicht mir ein weisses Tuch. «Ich möchte, dass du dir die Augen verbindest», sagt sie. «Oder ist das ein Problem für dich?» Ich schüttle den Kopf. «Ich weiss von einigen Ritualen, wo die Schüler sich ihre Augen verbinden.» Sie nickt: «Und du musst Geduld haben, es dauert einige Zeit.»
Ich verknote das Tuch hinter meinem Kopf. Kontrolliere, ob ich nichts sehe, nicht schummeln kann. Dann lehne mich zurück, lege die Hände offen in den Schoss, versuche, meinen Atem zu kontrollieren und die Gedanken zuzulassen, die da kommen wollen. Mit einem Stück Holz berührt Regula die Klangschale. Ich lausche dem leise schwindenden Ton nach. Bilder tauchen auf und verlieren sich wieder.
Regula geht aus dem Raum und kehrt bald darauf zurück. Ein dumpfes, tiefes Brummen ertönt oder ists ein leises, düsteres Rauschen? Wie wenn der Wind tief drinnen in der Erde durch ein Höhlensystem wabert? Dann klackert es leise und tönern. Ich schmunzle, weil ich weiss, Regula entlockt diese mystischen Geräusche meiner Urne. Sie bläst, sie haucht hinein, bewegt den Deckel in der Öffnung.
Tönerne Hände halten die Urne
Der Gedanke gefällt mir, dass sie mir meine «letzte Wohnung» bringt. Bald darauf halte ich sie in den Händen, meine Urne. Ich sehe sie nicht, spüre sie. Etwas rau fühlt sie sich an. Schwarz wird sie sein, das weiss ich und rot der Deckel. Ich berühre mit den Fingern die tönernen Hände. Sie halten, symbolisch, die Urne fest.
Dann beginnt Regula leise zu sprechen. Sie ruft den kleinen Zeh am linken Fuss auf, erzählt, dass er drei Knochen habe und schlägt die Trommel drei Mal. Dann spricht sie weiter. Jedes Körperteil bekommt seinen Platz in der Aufzählung. Für jeden Knochen, den die Keramikerin nun erwähnt, schlägt sie die Trommel. Über 200 Mal lausche ich dem dumpfen Klang. Folge der Reise durch meinen Körper und bin mir zum Schluss bewusst: Jeder dieser Trommelschläge ertönte für einen meiner Knochen. Und alle diese Knochen werden dereinst bei ungefähr 1200 Grad in einem Krematorium verbrannt. Meine Urne hat diese Erfahrung schon hinter sich. Sie erhielt Farbe und Festigkeit ebenfalls bei gut 1200 Grad – im Brennofen der Keramikerin.
Jetzt darf ich die Augenbinde abnehmen und mein Werk betrachten. Ein unbeschreibliches Gefühl. Mich schauderts. Meine letzte Wohnung ist geformt, nun sind es Gedanken, die sie füllen. In dieser Urne ist Platz für meine sterblichen Überreste. Was soll einmal mit ihnen geschehen? Bleiben Sie drin? Leert man sie aus? Ich habe mich noch nicht festgelegt.
Was geschieht mit meiner Asche? Ich weiss es (noch) nicht
Wir lachen uns an, Regula und ich. Sprechen über die Gefühle, die entstanden sind. Schweigen. Wir sprechen über die alchemistische Kraft des Feuers. Seine reinigende Wirkung.
Der Gedanken ans Krematorium ist weit weg. Viel näher ist das Leben. Ich wickle meine Urne in Tücher, verpacke sie sorgfältig im Rollkoffer und reise zurück. Tauche ein ins pralle Leben auf den Bahnhöfen und in den Städten. Ich ziehe meinen Rollkoffer durch Menschenmengen, fahre nach Hause. Gespannt, was alles geschieht, wenn die Urne nun Teil meines Lebens wird und mich regelmässig an die Endlichkeit meines Daseins erinnert.
Text: Martin Schuppli/Fotos: Daniela Friedli
Seelenklang und Urne bauen: Kurse bei Regula Kaeser-Bonanomi
Für Menschen, die sich der Endlichkeit des Körpers & der Unendlichkeit der Seele zuwenden wollen.
Wir werden das sinnliche Leben feiern – trauern – und Seele sein …Wir werden singen – klingen – summen – lauschen – schauen – sehen – sichtbar machen – konkret werden – und eine Urne aus Ton bauen …
Ritualleitung: Regula Kaeser-Bonanomi, Keramikerin und Schamanin gemeinsam mit Beatrice Neidhart, Musiktherapeutin und Improvisationsmusikerin
• Sa, 20. Oktober 2018: gemeinsames Ritual mit Ton und Tönen
• Sa, 24. November 2018: gemeinsames Ritual mit Ton und Tönen
Dazwischen zwei- bis viermal Urne bauen
Die Kurse finden im Keramikatelier von Regula Kaeser-Bonanomi statt.
Höheweg 5, 3110 Münsingen BE
www.keramikerin.ch | kaeser-bonanomi@bluewin.ch
Tel. 031 721 52 43
Kursbeschrieb herunterladen
Weitere Beiträge über die Arbeit der Keramikerin Regula Kaeser-Bonanomi
7. April 2017: Kreislauf des Lebens: Asche wird Erde – für die Urne
28. Januar 2017: Im Lebenszyklus ist der Tod eingebettet
6 Antworten auf „DeinAdieu-Autor töpferte seine Urne“
Lieber Martin Schuppli als du mir gesagt hast: «Ich töpfere mir meine Urne.» Dachte ich: «Cool, der Martin getraut sich was.» Und soll ich dir was verraten? Ich mache es dir nach. Ich töpfere mir meine eigene Urne.
Lieben Dank für den tollen Beitrag.
Du machst das gut. Aber ich warne dich. Die Reaktionen im Umfeld sind nicht zu unterschätzen.
Das kann ich mir vorstellen. Für Mann und Kinder ist es ok. Die anderen sollten mir egal sein,oder?
das sehe ich auch so, liebe Christine.
Super idee , muen ich au mache .
Ich werde mir meine eigene Urne ebenfalls töpfern. Feue mich darauf. Danke lieber Martin Schuppli für deine Inspiration.