Peter R. Schwegler ist ein fröhlicher Mann. Einer der das Leben geniesst. Einer der viel arbeitet, vernetzt denkt und deshalb eine Menge Leute kennt. Peter ist ein Mann der gerne isst und trinkt. Einer der lachen kann, bis Bauch und Schnauz wackeln. Ein begnadeter Erzähler ist er, ein leidenschaftlicher Sammler. Sein kleines Haus mitten in Erlenbach, «im schönsten Dorf am Zürichsee», gleicht einem Museum. Wer einen Augenschein nehmen kann, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. An den Wänden hängen die unterschiedlichsten Bilder, in den Räumen stehen ungewöhnliche Objekte, die die Blicke auf sich ziehen. «Fantastisch, einfach wunderschön» stammelt der Autor hingerissen.
Eine schöne Welt also? Nicht nur. Wer Peter in die Augen schaut hinter der markanten Brille, dem fällt auf, dass das linke Auge fast geschlossen ist. Warum? «Es war ein Sonntag im Mai 2016. Ich wachte auf und merkte, etwas stimmt nicht. So hielt ich die rechte Hand vors eine Auge, dann vors andere und merkte, links sehe ich wie durch ein Bierglas. Rechts ist alles ok.» Der selbstständige Unternehmer hält kurz inne und sagt dann: «Das linke Auge war immer das Schlechtere. Also fragte ich mich, was söll de Chabis?»
Etwas verunsichert wartete Peter bis es zehn Uhr war, dann telefonierte er «einer lieben Freundin, die Ophthalmologin ist». Der Augenheilkundlerin schilderte er die Situation, sagte ihr, dass etwas komisch sei. Sie bekräftigte diese Meinung und kurz darauf erhielt der 60jährige einen Termin für den Dienstagmorgen in der Augenklinik des Universitätsspitals Zürich. Peter R. Schwegler lächelt, sagt: «Ich hoffte, die geben mir eine Crème oder verpassen mir eine Spritze und dann ist wieder alles normal.»
Krebsdiagnose: «Sie leiden an einem aggressiven Subtyp»
Dem war nicht so. «Statt zwei Stunden verbrachte ich den ganzen Tag in der Klinik. Abends um sieben Uhr eröffnete mir dann Dr. Marc Stahel, Oberarzt, zwei Dinge. Er sagte: «Sie haben ein Ader-Haut-Melanom. Das Auge muss raschmöglichst raus. Zudem sind wir nicht sicher, ob der Tumor schon das umliegende Gewebe erobert hat. Und, lieber Herr Schwegler, zusätzlich leiden Sie an einem aggressiven Subtyp.»
Upps. Das sass. «Ich schätze diese Direktheit sehr», sagt Peter R. Schwegler erstaunlich gelassen. «Selbst bin ich ebenfalls direkt und pragmatisch, ja auf eine Art sogar fatalistisch.»
Medizinische Themen sind Peter R. Schweglers Alltag. Lange Jahre führte er eine, auf Medizin spezialisierte PR-Agentur. Heute betätigt er sich als Unternehmer und Berater. Aus diesem Grund hat er auch eine grosse Affinität zur Protonentherapie. «Ich dachte, das könnte eine alternative Therapieform sein, dank der mein Augenlicht gerettet werden könnte.»
«Das Auge ist nicht zu retten. Es muss raus!»
Peter R. Schwegler schickte die Unterlagen über einen gemeinsamen Freund Prof. Eugen B. Hug, dem international renommierten Experten für Ionentherapie am Neustädter Krebsbehandlungs- und Forschungszentrum in Wien. Der Bescheid aus Österreich war ernüchternd. Er fiel so aus, wie es Peter bereits vermutet hatte. «Das Auge ist nicht zu retten. Es muss möglichst schnell raus!»
So sei es.
Dr. Stahel von der Augenklinik am Zürcher Universitätsspital setzte die Operation auf den Dienstagmorgen an. Eine Woche nach der Diagnose. Was geht einem da durch den Kopf?«Scheisse», sagt Peter R. Schwegler. «Scheisse. Aber zum Glück ist die Krankheit jetzt ausgebrochen. Ich hatte keine Leidensgeschichte, der Krebs manifestierte sich über Nacht. Ja und weil ich, wie gesagt, ein Fatalist bin, dachte ich, ein Auge hab ich ja noch.» Er lacht sein befreiendes Lachen, der Schnauz wackelt. «Der liebe Gott studierte schon etwas bei der Arbeit. Er machte mir zwei Augen und er platzierte sie vorne, so schaue ich also nach vorne und nicht nach hinten.»
Mozarts Zauberflöte spendete Kraft
Die Vorbereitungszeit am Dienstagmorgen im Spital empfand der Patient als sehr intensiv. «Ich hörte Mozarts Zauberflöte. Die geht mir sehr nahe. Musik und Text geben mir Kraft. Diese Arien, diese Lieder. Wunderschön.»
Und dann wurde er in den Operationssaal gerollt. Der Chirurg holte das Auge raus. «Ich empfand starke Schmerzen. Dagegen verabreichte man mir Morphium.» Er hält kurz inne und flucht dann. «Es war mühsam! Ich kam aus dem Rhythmus, war vier Tage im Spital, und sah danach aus wie ein Vollmitglied des Zombie-Clubs. Oder noch besser, wie ein Member der Piratenpartei.» Er lacht. Der Schnauz wackelt.
Schwegler durfte nach einigen Tagen heim, war aber abhängig von Dritten. «Ich lag viel rum. Zum Glück habe ich liebe Freundinnen und Freunde. Sie halfen mir, kochten für mich, kauften ein. Das war irrsinnig, dank dieser persönlichen Beziehungen war ich wunderbar aufgehoben.»
Nachdenken über das Leben, den Tod
Wer so alleine und rekonvaleszent zuhause liegt, hat viel Zeit über das Leben nachzudenken. Über den Tod und das Sterben. Über Wünsche. Ängste. «Ich überlegte mir, wie zufrieden ich wäre, wenn das Leben enden, wenn ich jetzt sterben würde.» Peter R. Schwegler sagt, er hätte es nicht so schlecht gehabt, hätte ein gutes Leben verbracht, mit Hochs und Tiefs. «Ich denke positiv», sagt er. «Und bin überzeugt, der Mensch kann jedes Hindernis überwinden.» Das gilt nicht nur für die Gesundheit, sondern ebenfalls für sein aktuelles Projekt.
«Ich bin mit Partnern dabei etwas Nachhaltiges zu schaffen im Bereich Medizin, Prophylaxe, Versorgung. Zusammen mit der ETH Zürich, tüfteln wir an einem Wasserversorgungs-System für die Dritte Welt. Die Menschen sollen Wasser ohne Schwermetall und arsenhaltige Verbindungen trinken können.» Die Zusammenarbeit mit Hilfswerken und Regierungen ist aufgegleist und funktioniert bereits im Bereich Malariaprophylaxe. «Ich bin sicher, dass ich das in den nächsten drei Jahren schaffe.»
Aufgegleist hat Peter R. Schwegler ebenfalls das Glück in der Liebe. «Ich lernte vor nicht allzulanger Zeit meine zukünftige Frau kennen. Arissa und ich werden vermutlich heiraten. Wir verstehen uns extrem gut. Logisch möchte ich noch lange mit ihr zusammen sein.»
«Heute kenne ich, die wirklichen Probleme»
Eine nachdenkliche Stimmung entsteht. Der grosse Mann stützt den Kopf in die Hände. Sagt dann: «Es tönt paradox aber eine solch erlebte Situation macht einen stärker und Alltagsprobleme verlieren an Bedeutung. Kein Dach haben über dem Kopf, Hunger und Durst leiden, das sind wirkliche Probleme. Viele Menschen haben dieses Bewusstsein verloren. Bei genauer Betrachtung sollten sie erkennen, dass ihre so genannten Probleme eigentlich gar keine wirklichen Probleme sind.»
Die Chance, dass der Subtyp seines Krebses Metastasen bilde, sei hoch, sagt Schwegler. «Bei jedem Dritten macht er das und dann sind die Überlebenschancen klein.» Er bleibt erstaunlich cool. «Medizinthemen sind mir sehr vertraut», sagt er. «Ich kenne die Folgen der meisten Erkrankungen. Deshalb machte ich eine Patientenverfügung, meldete mich an bei Exit.»
Das Damoklesschwert der Metastasen ist allgegenwärtig. Entstehen sie, merkt der Betroffene das nicht. Peter R. Schwegler muss alle halb Jahre ein CT machen lassen. Seine Leber sei gefährdet, sagt er immer noch gelassen. «Ich mache das Beste draus und verfolge meine Ziele. Ich lebe, geniesse jede Minute. Arissa ist orientiert, meine erwachsenen Kinder wissen von meiner Erkrankung, die Freunde, Freundinnen sind eingeweiht.»
Totgesagte leben länger
Dann erzählt Peter R. Schwegler von Anita Moorjani und ihrem Buch «Heilung im Licht». Sie habe bei einer Nahtoderfahrung gemerkt, der Tod ist kein Ort, sondern ein Zustand. «Ich verschlang das Buch und ich sagte Okay zu dem was nun passiert. Wenn ich sterbe, gehe ich ins Licht. Ich las vieles, dass mich zum Denken anregte. Anita Moorjani ist ein positiver Mensch. Ich bin überzeugt, mit einer positiven Einstellung lebe ich noch lange.» Dann lacht er laut und sagt: «Wie heisst es doch: Totgesagte leben länger.»
Wieder kommen wir auf den Tumor zu sprechen. Schwegler sagt, er hätte Glück im Unglück gehabt. «Der Tumor wuchs nicht, wucherte nicht ins umliegende Gewebe. So musste ich keine Bestrahlung machen, keine Chemo über mich ergehen lassen.» Er, der sich mit Krebs und mögliche Therapien auseinandergesetzt hat, ist «gegenüber den heute verfügbaren Krebsmedikamenten sehr kritisch eingestellt. Ich bin ganz klar der Meinung, dass auch wenn die Entwicklung eines Medikamentes hunderte von Millionen Dollar kostet, der therapeutische Nutzen bei Verfügbarkeit kritisch hinterfragt werden muss. Zudem sollte seitens der Gesellschaft, der Ärzteschaft aber auch seitens der Patienten die Kosten/Nutzen-Frage ins Zentrum gestellt werden.»
Keine Angst vor halbjährlicher Untersuchung
In einem Monat ist wieder Zeit, das halbjährliche CT zu machen. «Kommt dann die Angst?», will der Autor wissen. «Nein, nein», sagt Peter R. Schwegler abwiegelnd. «Das nehme ich ganz cool. Ich gehe aus Prinzip nicht mit einem Gefühl von Angst ins Spital. Bis jetzt waren die Ergebnisse jeweils tipptopp. Keine Anzeichen einer Veränderung. Ich habe eine wunderbare Leber. Der kann nicht mal der Alkohol was anhaben.»
Es wird kurz etwas still. Wir hören Bruce Springsteen zu. Ein Konzertmitschnitt aus New York City. Die E-Streetband spielt «Jungleland» mit Clarence Clemens grossartigem Saxophonspiel. «Ich sah viele Patienten, Patientinnen im Endstadium. War oft auf der Onkologie. Ich kannte viele Tumorpatienten, die nun gegangen sind. Wenns fertig ist, ist fertig. Schluss. Aus die Maus.» Sagts und lacht. Der Schnauz wackelt.
Text: Martin Schuppli | Fotos: Bruno Torricelli
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Eine Antwort auf „Peter R. Schwegler kann trotz Krebsdiagnose lachen“
Der Mann hat wirklich Humor. Ich wünsche ihm, dass er den Krebs besiegt