Herr Lyssy, wie würden Sie gerne sterben?
Rolf Lyssy: Wenn der Zeitpunkt käme – das kann noch lange gehen, ich habe nichts dagegen 120 zu werden – dann so wie mein Vater.
Wie starb er?
Er sass am Samstagnachmittag in der Stube auf dem Feuilleton und trank mit seiner Lebensgefährtin Tee. Dann fragte er sie, was es an diesem Abend im Fernsehen gebe. Sie schaute im Heftlein nach, und als sie es ihm sagen wollte, war er bereits gestorben. Ich finde das grossartig.
Was ist daran grossartig?
Es ist wunderbar für den Betroffenen. Einfach ein Sekundenherzschlag. Das wäre eine gute Variante zu sterben. Alles, was mit Leiden oder Schmerzen zu tun hat, will ich nicht. Aber ich weiss ja, dass einem geholfen werden kann, in einer würdenvollen Art abzutreten.
Sterbehilfe – werden Sie diese beantragen?
Ich weiss es nicht. Ich will es auch nicht wissen. Sterbehilfe ist für mich eine Option, nicht mehr und nicht weniger. Wenn es so weit kommt, dass es ein Thema wird, setze ich mich damit auseinander.
Aber Sie sind seit 22 Jahren «Exit»-Mitglied. Eben drehten Sie ihre aktuellen Werbespots
Die Geschäftsleitung von Exit fragte mich an, und ich habe zugesagt. Es ist ja auch mein Beruf.
Nur das?
Ich finde es natürlich auch wichtig, dass sich die Leute mit dem Thema auseinandersetzen. In einer aufgeklärten und zivilisierten Gesellschaft gehört es dazu.
Um Sterbehilfe und Demenz geht es auch in Ihrem neusten Film «Die letzte Pointe». Was gab Ihnen den Anstoss dazu?
Sterbehilfe an sich hat mich immer interessiert. Die Demenz floss ein, weil ich eine Komödie machen wollte. Und Demenz hat bessere Voraussetzungen, um komödiantische Elemente einzubringen.
Wieso machen Sie eine Komödie über so was Ernstes wie Sterbehilfe und Demenz?
Es gibt bereits genug Dramen darüber. Ich wollte die Themen so erzählen, dass die Leute sie aufnehmen und nicht von sich stossen. Das ist wichtig, denn Tod und Demenz sind zwei Sujets, die jeden irgendwann betreffen. Ohne Ausnahme.
Demenz betrifft wirklich alle?
Alle haben diese Ängste ab einem gewissen Alter – auch ich. Wenn man etwas vergisst oder verwechselt, fragt man sich bereits, ob es anfängt mit dem Gedächtnisverlust. Die Kontrolle über das Gehirn zu verlieren ist etwas vom Schlimmsten, das es gibt. Ich weiss, wovon ich spreche.
Von der Depression, die Sie 1998 erlebten?
Ja. Mein Gehirn funktionierte nicht mehr. Es war zwar nicht Demenz, aber ich habe verstanden, was mit dem Menschen passiert, wenn seine Gedanken sich verselbstständigen. Depression ist eine sehr schwere Krankheit. Man kann sogar bereit sein, sich umzubringen.
Waren Sie während Ihrer Depression dazu bereit?
Ich war während sechs Monaten krank und hatte jeden Tag Suizidfantasien. Ich dachte täglich, dass ich es nicht mehr aushalte. Erschiessen, vergiften, vom Haus runterspringen …
Was hinderte Sie schliesslich daran?
Ich wollte es meinem Sohn, meinen Familienangehörigen und Freunden nicht antun. Nur das hinderte mich daran. Es war wie der letzte Widerstand, um diesen Wünschen nachzugeben. Zum Glück. Ich habe so einige Freunde und Berufskollegen verloren.
Das gibt zu denken. Ist der Filmerberuf so schlimm?
Es ist sehr nachdenklich, ja. Aber Menschen bestehen nicht nur aus ihren Berufen. Sie haben sehr viele Facetten. Die einen werden mit allen fertig, die anderen eben nicht. Es ist immer die eigene Biografie, die auch die Depression prägt. Natürlich gleichen sich die Symptome.
Welche Symptome hatten Sie?
Bei mir hat es im Kopf nur gedreht. Es war furchtbar. Ich konnte kaum zwei Sätze schreiben. Ich konnte keine Musik hören und keine Zeitungen lesen. Ich war so besetzt von dem, was mich da kontrolliert hat, dass es mich wehrlos machte. Ich liess mich so weit absinken, bis es nicht mehr ging.
Aber Sie konnten genesen.
Ich hatte einfach Glück. Ich war während drei Monaten in einer Klinik und bin dann aus verschiedensten Gründen gesund geworden. Wie, weiss ich selber nicht genau.
Jetzt sind Sie 81 und unheimlich fit …
Legastheniker sagen, ich sei 18!
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Fühlen Sie sich auch wie 18?
Ich weiss natürlich, dass ich nicht mehr 18 bin. In mir sieht es aber manchmal aus wie bei jemandem unter 40.
Mit 81 ist aber doch der Grossteil des Lebens vorbei. Machen Sie sich oft Gedanken über Ihr Lebensende?
Ich denke jetzt nicht, dass ich morgen sterbe – noch lange nicht! Ich freue mich am Leben und danke dem Schicksal, dass ich vor 19 Jahren diese Depression überwinden konnte. Das war wie eine Neugeburt. Das Sterben begleitete mich aber immer durchs Leben. Irgendwann ist man dann selber an der Reihe. Aber daran will ich nicht denken.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Nein. Der kommt dann, wann er kommt. Und wenn es mir so ergeht wie meinem Vater, dann muss ich erst recht keine Angst haben. Denn bis ich merke, dass ich tot bin, bin ich schon tot.
Wieso möchten Sie dann nicht an Ihr Lebensende denken?
Das bremst einen. Was man nicht weiss, macht einen nicht heiss. Ich orientiere mich am Leben und all dem, was mit dem Leben zu tun hat. Sterben kann ich dann später.
Über die Bestattung machten Sie sich auch noch keine Gedanken?
Ich muss nicht bestattet werden. Ich werde verbrannt, und dann kann man meine Aschen irgendwo in einen See streuen.
Wieso in einen See?
Ich bin ein Fisch im Sternzeichen. Ich gehöre ins Wasser.
Sie wissen sicher, was nach dem Tod folgt.
Nichts. Es ist einfach fertig.
Interview: Nuria Peon, Bilder: Bruno Torricelli
Diese Reportage entstand in Zusammenarbeit mit Journalismusstudenten der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW).
Rolf Lyssy sprach mit Nuria Peón auch über sein langjähriges Filmschaffen, die Dreharbeiten zum Film «Die letzte Pointe» und die Zusammenarbeit mit seinem Sohn. Gesprächsausschnitt
Hilfe für Menschen mit Depressionen
VASK Informationen, Beratung und Selbsthilfeangebote für Angehörige
Dachverband der Vereinigung von Angehörigen Psychisch Kranker
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SGAD – Schweizerische Gesellschaft für Angst & Depression
Geschäftsstelle
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2 Antworten auf „Rolf Lyssy: «Ich muss nicht bestattet werden»“
Leider führt der Link ins Leere?
Eine kurze Panne. Wir entschuldigen uns. Jetzt klappt wieder alles.