Wenn Valentin Manhart mit seiner Nikon D750 unterwegs ist, sucht er ungewöhnliche Orte auf, irgendwo in der Einsamkeit. Er wartet auf das passende Spiel des Lichts, der Wolken, bevor er auf den Auslöser seiner Kamera drückt. Der Himmel ist eher bedeckt. das Licht ungewöhnlich, gespenstisch. Etwa auf den Färöer-Inseln, auf der schottischen Isle of Skye, am Fuss des Skogafoss in Island, auf den Lofoten, neben dem Preikestolen in Süd-Norwegen oder am Seebensee in den Flumserbergen.
Wenn Valentin Manhart wir sagt, dann meint er sich und seinen Cousin Roman Flepp, 22. Der eine wohnt in Disentis GR, der andere in Walenstadt SG. Ihre Mütter sind Zwillingsschwestern. Daher der Instagram-Name: TwinTheWorld.
«Ich suche nach Orten ohne Alltagstrott»
Aber warum solch einsame, schier unwirtliche Plätze? Der junge Mann lächelt, sagt: «Was uns antreibt ist eine grosse Portion Entdeckergeist. Neugierde gehört zur Suche nach unentdeckten Orten. Nach Orten, wo es möglich ist, dem Dichtestress zu entkommen, der Zivilisation. Wir suchen Orte auf, wo kein Alltagstrott mehr möglich ist.»
Über 1000 spektakuläre Bilder ins Netz gestellt
Vier Jahre ist es nun her, seit das Duo die ersten Bilder auf Instagram veröffentlichte. Inzwischen präsentierten die beiden Studenten ihren rund 180 000 Followern über tausend Beiträge.
Naturbelassene Orte sind es. Landschaften, wo einem nichts anderes übrigbleibt, als sich eins zu fühlen mit der Natur. «Gleichzeitig sind es Plätze, wo mir meine Winzigkeit bewusst wird. Als kleiner Mensch fühle ich mich dann. Winzig inmitten eines weiten Landes, unter einem unendlich grossen Himmel.»
«Uns fasziniert die ungezähmte Natur»
Valentin schweigt kurz. «Deshalb fotografieren wir oft im Norden. Uns fasziniert die raue, die ungezähmte Natur. Die Natur mit ihren Gewalten, mit ihren Phänomenen.» Er zeigt mir ein gespenstisch anmutendes Bild. «Das Nordlicht. Etwas Grossartiges. Ich erinnere mich, wie wir die Kameras aufgebaut hatten und sie fast nicht bedienen konnten, so ergriffen waren wir. Danach redeten Roman und ich lange über dieses Gänsehaut-Erlebnis. Es war etwas Göttliches und gleichzeitig etwas Normales. Eine Erscheinung, die die Menschen in Nordnorwegen seit Jahrtausenden erleben.»
Ein Klick im richtigen Moment, kann Adrenalin freisetzen
Wir schweigen, betrachten die Bilder. Was geht in einem Menschen vor, der solche Fotos realisiert. Momentaufnahmen von zauberhafter Schönheit? Ich frage Valentin: «Berührt dich dieser Augenblick ebenfalls?» Er nickt: «Ja, es ist eine intensive Beschäftigung mit dem Moment. Das beginnt zu Hause, bei der Recherche. Ist der Moment da, erlebe ich ihn in den verschiedensten Facetten. Geht die Sonne genau dann unter, wenn die Wolken perfekt am Himmel stehen, kann das bei mir durchaus einen Adrenalinkick auslösen. Und dann wird mir klar, ich bin ein Teil dieser Szene und mache diese Bilder. Ich gehöre zu dieser Natur. Ich trage ihr Sorge, so wie ich zu mir Sorge trage.»
«Bei unserer Arbeit ist viel Konzentration gefragt»
Es sind also eigentliche Schlüsselmomente, von denen Valentin weiss, «sie sind, die fotogensten Situationen des Tages. In so einem Moment wollen wir möglichst viel einfangen. Wollen den Augenblick und unsere Gefühle möglichst perfekt abbilden.»
Dabei ist hohe Konzentration gefragt. «Wir suchen verschiedene Perspektiven, halten nach passenden Objekten für den Vordergrund Ausschau, beobachten, wie sich der Moment verändert. Manchmal heisst es Geduld haben. Dann atme ich bewusst ein und aus, sauge die Stimmung auf, damit ich sie besser abbilden kann. Ich weiss, dann bin ich mehr als der kalte Betrachter. Ich bilde ab, was ich erlebe. Dann wird mir klar, die Bilder wirken.»
«Mir wird immer wieder klar, wie endlich das Leben ist»
Valentin geniesst diese Augenblicke. «Und ich weiss, sie können Ehrfurcht erregen oder gar Angst machen. Ich spürte schon oft Gänsehaut und hatte das Gefühl, etwas Unbekanntem ausgeliefert zu sein.» Er macht eine Atempause. «Das passiert vor allem, wenn ich alleine unterwegs bin. Dann lasse ich Gedanken zu, die mir klar machen, wie endlich unser Dasein ist.»
Nach getaner Arbeit, schweigend zurück wandern
In diesen, nennen wir sie magische Momente, kehre Ruhe ein, sagt Valentin. Etwa, wenn die Sonne untergegangen sei, wenn es dämmere. «Dann machen wir uns auf den Rückweg, meist schweigend, lassen die Umgebung auf uns einwirken. Und manchmal entstehen genau dann, die besten Diskussionen über das Leben.»
«Und wie ist das», frage ich «geniesst du so eine Aussicht, wie auf dem Bild aus Island, wo jemand am Fuss eines gewaltigen Wasserfalls steht?»
Eins mit der Natur am Fuss des Wasserfalls
Valentin lächelt. «Ja der Skogafoss. Da fühlte ich mich als Teil der Natur, als Teil der Welt. Da bin ich kein Fremdkörper, ich bin eines unter unzähligen Lebewesen. Ich erinnere mich gut an eine Wanderung aus einer entlegenen Schlucht in Island, da machte ich nach einer langen Wanderung ein Nickerchen. Wartete auf besseres Licht, lauschte dem Wind, hörten den Vögeln zu. Damals wurde mir ganz klar bewusst, wie vergänglich wir sind.»
Manchmal könne es an solch einsamen Ort ungemütlich werden. «Als wir auf den Färöern zum Felsentor wanderten, griffen uns Vögel an, obwohl wir ihre Brutgebiete weiträumig umgingen. Uns blieb nichts anderes übrig, als die verbliebenen zwei Kilometer rennend zurückzulegen.»
Was geschieht nach dem Tod?
Wie von den meisten meiner Gesprächspartner will ich von Valentin ebenfalls wissen, ob er glaube, wir würden dereinst wiederkommen. «Nein, dieses Gefühl habe ich nicht», sagt er und schüttelt den Kopf. «Wobei mir klar ist, an etwas zu glauben, tut gut. Ich lasse es also einmal offen. Entscheiden müssten wir wohl je nach Lebenslage.»
Wir schweigen beide. Dann sagt Valentin: «Wenn ich meine Erlebnisse und die dabei empfundenen Gefühle in diese Gedanken mit einfliessen lasse, denke ich, nach dem Tod kann meine Geschichte ja nicht einfach fertig sein. Ich kann mir also keinen Reim machen.»
Heute Nacht friedlich sterben? Ein grässlicher Gedanke
Was würde der junge, topfitte Mann sagen, wenn er wüsste, er würde heute Nacht still und schmerzlos sterben? Valentin Manhart denkt nach. «Für viele wäre das wohl ein Traum. Für mich aber die schlimmste Sache überhaupt. Ich sah ja noch nicht viel von der Welt. Und Abschied nehmen könnte ich ebenfalls nicht. Grässlich, würde ich so früh aus dem Leben gerissen. Grässlich.»
Und wie ist das mit der Seele? «Nun», sagt Valentin, «ich denke, sie stirbt mit dem Körper. Die beiden sind verknüpft, und das Hirn steuert das Ganze.»
Immer ein Auge für Wetter, Wolken und Licht
Wir verabschieden uns. Das Wetter ist bedeckt und Wolkenspiele sorgen über dem See für spektakuläre Stimmungen. «Ich mach glaub einen Umweg, gehe hinunter ins Seezdelta.» Sagts, schnürt die Wanderschuhe und stapft hinüber durch den Wingert zum Schattenbach.
Text: Martin Schuppli, Fotos: ©Valentin Manhart, TwinTheWorld.ch