Lea Hofer: «Nachts auf dem Friedhof hab ich Schiss»

Kann ein Trauerautomat Menschen unterstützen, die traurig sind? Offensichtlich ja. Auf dem Friedhof Sihlfeld in Zürich sind die Trauerobjekte von Lea Hofer begehrt. DeinAdieu sprach mit der Designerin.

Neu war die Situation nicht für mich. Hunderte von Interviewpartnern traf ich in den vergangenen 40 Journalistenjahren zum Gespräch, die wenigsten kannte ich vorher. Die heutige «Hauptperson» ist mir ebenso unbekannt. Mit Fotograf Paolo Foschini treffe ich Lea Hofer, 25. Sie entwickelte und realisierte das Projekt Trauerautomat auf dem Zürcher Friedhof Sihlfeld. 

Ein Sommermorgen ists. Wir stehen auf dem Kiesplatz vor dem Friedhof Forum, gucken uns die Veranstaltungs-Affichen an und studieren das Angebot im umgebauten Selecta-Automaten. Spannend, was ich da beziehen könnte. Etwa ein Seifenblasen-Set, Papiernastücher, Grabkerze, Kritzel-Karten, Olivenbaum-Zweige, Teebeutel, Rosenquarz, Trauertagebuch, Vergissmeinnicht-Samen. «Sogar eine Musikdose kannst du kaufen», sage ich zu Paolo. Hinter uns lacht eine junge Frau. Sagt: «Sie ist das beliebteste Produkt zusammen mit dem Seifenblasendösli.» 

Lea Hofers Automat mit dem poetischen Inhalt entstand als Abschlussarbeit ihres Designstudiums an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK. Lea Hofer, mittlerweile Bachelor of Arts in Produktdesign, belegte das Modul «New Death» bei Professorin Bitten Stetter. 

Lea Hofer, Seifenblasen
Seifenblasen steigen in den Himmel. Für einen kurzen Moment schimmern sie in den schönsten Farben, bevor sie sich mit einem unhörbaren «Plopp» verabschieden. (Foto: Paolo Foschini)

Berührungsängste überwinden: Trauerautomat hilft

Die junge Frau setzte sich während eines Jahres intensiv auseinander mit dem Thema Leben und Sterben. Sie kontaktierte Bestattungsämter, spazierte durch Friedhöfe, besuchte Sterbehospize, redete mit vielen Menschen. «Diese Begegnungen, diese Erlebnisse berührten mich sehr, und ich spürte rasch: Damit kann ich nicht gut umgehen.» Sie bemerkte «als Gestalterin stosse ich in einen Bereich vor, der mir Angst macht.» Es war eine Art Berührungsangst mit dem Thema Leben und Sterben. Mit Tod und Trauer. Dieses beklemmende Gefühl faszinierte die Kunstpädagogikstudentin. «Ich stiess an eine Grenze. Das forderte mich heraus. Ich wollte einen Zugang finden.» 

Sie sei sich damals «nicht so sehr» bewusst gewesen, wie endlich unser Dasein ist. «Erst als ich mich getraute, in das Themenfeld einzutauchen, befasste ich mich ebenfalls mit meiner eigenen, selbstbestimmten Lebensphase.»

Es folgte eine sehr intensive Auseinandersetzung. Lea Hofer beschäftigte sich intensiv mit einem Thema, das sie negativ berührte. Lange sei sie blockiert gewesen, habe nicht gewusst, wo ansetzen. «Ich war überfordert.» Zu welchem Ergebnis ihre Arbeit führen würde, wusste die in Zürich lebende Ostschweizerin nicht. «Erst glaubte ich einen Trendreport zu machen. Also klassische Trendforschung zu betreiben. Meinte, am Schluss gäbe es eine Broschüre mit Zukunftsszenarien.»

Trauerautomat auf Hollandreise entwickelt

Eine Reise nach Holland brachte Lea Hofer Gewissheit, auf welchen Punkt sie fokussieren wollte. «In den Niederlanden besuchte ich Bestattungsmessen, führte spannende Gespräche und bemerkte, wie die Menschen das Sterben anders kommunizieren, offener damit umgehen. Noch in derselben Woche entwarf ich den Trauerautomaten.» 

Der ehemalige Selecta-Automat ist eine technische Angelegenheit. Jemand wählt ein Objekt, wirft Geld hinein und dann «spuckt» die Maschine das «Trauer-Dings» aus. Diese Objekte schneidert, faltet, näht, gestaltet, verpackt die Erfinderin selbst. Ich frage: Ist diese regelmässige Herausforderung mittlerweile ein aufwändiges Hobby unter dem Motto, die Geister, die ich rief …»

Lea lacht. Etwas verhalten vielleicht. «Ich arbeite zurzeit in einem 100-Prozent-Pensum. Den Automaten instand halten kostet mich Freizeit. Ich arbeite am Feierabend an den Objekten, und am Morgen, bevor ich zur Arbeit gehe, fülle ich ihn auf. Manchmal sogar in der Nacht. Aber dann muss jemand mitkommen.» Sie lacht. Sagt: «Es bitzeli hab ich schon Angst auf dem Friedhof.» Das «Automatengeschäft» sei mit viel Arbeit verbunden, und die mache ihr Freude. Denn in Zusammenhang mit dem Automaten begegne sie den unterschiedlichsten Leuten und würde tolle Gespräche führen. Der Automat wird rege genutzt und Lea Hofer über die unterschiedlichsten Kanäle kontaktiert.

Lea Hofer, Designerin Trauerautomat
Lea Hofer sagt, «Ich wüsste gerne warum Musikdosen, Seifenblasen und Olivenzweige die beliebtesten Objekte im Trauerautomaten sind.» (Foto: Paolo Foschini)

Mit Strassenkreide Trauer sichtbar machen

Während ihrer Recherchearbeit beschäftigte sich die junge Frau mit den unterschiedlichsten Trauerobjekten. Sie sprach mit Trauerbegleitern, Theologen, mit Angestellten im Friedhof- und Bestattungsamt sowie mit Trauernden. 

«Mit ‹Zeit›, ‹Raum› und ‹Kollektivität› legte ich die Themenkreise fest und definierte, übersetzt zwanzig Objekte. Eines davon ist die Grabkerze.» Warum, frage ich die Künstlerin. «Wir alle verstehen sie.» Ihr Lieblingsobjekt? «Die Strassenkreide. Damit könnten wir unsere Trauer im Stadtraum sichtbar machen.» Und wie sieht sie aus, die Hitparade der beliebtesten Objekte? Die ersten Plätze belegen Musikdosen, Seifenblasen, Olivenzweige. Lea Hofer sagt, «ich wüsste gerne warum.» 

In den 50er/60er-Jahren, als ich ein Kind war, bewegten sich im kleinen Dorf jeweils kürzere oder längere Trauerzüge zum Friedhof. Ich erinnere mich an Ross und Wagen, an schwarzgekleidete Menschen, an Hüte und Kopftücher. An volle Restaurantsäle mit Menschen beim Trauermahl. Lea Hofer, 40 Jahre später geboren, sah das noch nie. In einem Interview stellte sie fest, in unserer Gesellschaft würde der Tod tabuisiert und die Trauer anonymisiert. 

Lea Hofer, Designerin Trauerautomat
«Mit meiner Arbeit möchte ich einen Zugang zur Trauer schaffen», sagt Lea Hofer. (Foto: Paolo Foschini)

Grossvaters traditionelle Bestattung beeindruckte

Auf die Frage, warum das so sei, sagte sie. «Ich glaube, das hat stark mit der Säkularisierung der Gesellschaft zu tun. Mein Grossvater wurde vor zwei Wochen beerdigt. Er war sehr katholisch. Deswegen gab es eine traditionelle Erdbestattung mit Prozession, Pfarrer und Ministranten. Es war wunderschön und hat mich sehr berührt.» Da habe sie aber eine Ausnahme erlebt, sagte ihr der Bestatter nach der Feier. Oft würden sie die Asche alleine bestatten oder nur mit wenigen Angehörigen.»

Die junge Frau sagt, sie glaube zudem, der Tod werde anonymisiert, weil er unangenehm sei und wir den Bezug dazu verloren hätten. «Schau mal auf Social Media», sagt Lea Hofer. «Da stirbt niemand. Alle bleiben sie jung. Sogar Kim Kardashians Mutter, Kris Jenner, sieht mit 63 Jahren aus wie einst mit 40. Wir trauern solidarisch, wenn eine Berühmtheit stirbt, wie etwa Karl Lagerfeld. Privat verschweigen wir einen Todesfall. Wir sprechen nicht darüber, verdrängen den Tod, weil wir ja spätestens nach drei Tagen wieder funktionieren müssen in unserer Arbeitswelt.»

Schämen wir uns der Tränen?

Und die stillen Abschiedsfeiern finden statt, sage ich, weil wir uns der Tränen schämen. Weil wir nicht mit der Trauer umgehen können. Lea Hofer nickt. «Ich denke, ja.» 

Und wie handhabst du es, wenn du jemandem begegnest, der in grosser Trauer ist? Wechselst du die Strassenseite? Wohl kaum. Lea Hofer schüttelt den Kopf: «Ich kann mich erinnern, wie ich mich vor einigen Jahren in so einer Situation total unwohl fühlte und nicht wusste, wie ich darauf reagieren sollte. Mit meiner Arbeit möchte ich da einen Zugang schaffen und sagen: Hey, schreibt der Angehörigen doch einen Brief, schenkt ihr Zeit, besucht euch, redet.»

Das kollektive Trauern in den Sozialen Medien sage ihr irgendwie nichts. «Ich finde diese digitalen Friedhöfe irre und beobachte immer gerne dieses ‹public mourning›, also dieses öffentliche Trauern, beim Ableben von bekannten Personen.» 

Wie ist das mit der Selbstbestimmung in der letzten Lebensphase? Ein Thema für dich? Ein Thema für junge Leute, die, statistisch gesehen, das Leben noch vor sich haben? «Ja», sagt Lea Hofer, «ich finde es sehr wichtig, möchte dereinst selbstbestimmt Sterben. Aber ich glaube es ist kaum ein Thema für junge Menschen.

Lea Hofer sagt, sie glaube, der Tod werde anonymisiert, weil er unangenehm sei und wir den Bezug dazu verloren hätten. (Foto: Paolo Foschini)

«Ich lebe sehr minimalistisch. Im Hier und Jetzt»

Machten Sie für sich eine Werteanamnese, schrieben Sie eine Patientenverfügung? Erstellten Sie einen Vorsorgeauftrag? Liegt gar ein Testament in Ihrer Nachttischschublade? Lea Hofer: «Gar nicht.» Sie schüttelt den Kopf. «Ich mache einen Bogen darum. Lebe sehr minimalistisch, im Hier und Jetzt. Geniesse jeden Tag. Die Empfänger, Empfängerinnen der wenigen Objekte, die ich zu verschenken habe, sind notiert, die Notizen hinterlegt.»

Leben und Sterben sollte ein Thema sein wie Essen und Trinken, sage ich. Was meinst du? «Dieser Meinung bin ich ebenfalls. Wir sollten mit Leben und Sterben endlich wieder einen gesunden Umgang finden in unserer Gesellschaft.»

Text: Martin Schuppli, Fotos: Paolo Foschini

Infobox

Friedhof Forum,
Aemtlerstrasse 149, 8003 Zürich
Tel. 044 412 55 68

friedhofforum@zuerich.ch |  www.stadt-zuerich.ch/friedhofforum

Öffnungszeiten Friedhof Forum
Dienstag bis Donnerstag: 12.30 bis 16.30 Uhr

Power-Mischung für Seifenblasen

2,5 dl lauwarmes Wasser
4 EL Geschirrspülmittel
2 bis 4 Tropfen Pflanzenöl

Wasser und Geschirrspülmittel in einen Topf leeren, umrühren, fünf Minuten ziehen lassen, dann einige Tropfen Pflanzenöl hinzufügen. 

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