Fabian Bürgi: «Angst vor dem Tod? Sicher nicht.»

Eine spezielle Maturaarbeit solls werden. Fabian Bürgi porträtiert Menschen, mit denen er über das Tabu-Thema Sterben sprechen will. Dafür reiste er extra nach Walenstadt.

Manchmal geschehen Dinge, die wir nicht planten und von denen wir nichts wussten. Dann und wann schreibt das Leben ganz spontan spannende Geschichten. Diese beginnt mit einem E-Mail: 

Sehr geehrter Herr Schuppli,

Mein Name ist Fabian Bürgi, und ich realisiere im Rahmen meiner Maturaarbeit an der Kantonsschule Wettingen verschiedene Film-Portraits über Menschen, die sich intensiv mit dem Thema Sterben auseinandersetzen.

Warum interessiert mich das Thema Sterben? In meiner noch jungen Vergangenheit konnte ich mich aufgrund relativ vieler Todesfälle in der Familie mit dem Tod und dem damit verbundenen Abschiednehmen befassen. Im letzten Sommer konnte ich meinen Grossvater sehr nahe bis zu seinem Tod begleiten, was für mich sehr berührend und lehrreich war.

Wieso ein Film-Portrait? Meine Leidenschaft ist die Produktion von Filmen. Mit diesem Film will ich die Tiefgründigkeit und die Emotionen visuell und akustisch teilen und der ganzen Thematik nochmals eine andere Intensität geben.

Weshalb wende ich mich an Sie? Im Rahmen meiner Recherchen, und im Gespräch mit Dr. Markus Minder bin ich auf Ihren Namen gestossen. Da Sie sich auf dem Blog DeinAdieu.ch sehr intensiv mit dem Sterben auseinandersetzen, würde ich mich sehr freuen, nicht nur den Blog, sondern ebenso den Menschen hinter dieser Homepage kennen zu lernen. Mein Ziel ist, drei bis fünf Personen zu porträtieren und damit eine sehr interessante Zusammenstellung verschiedener Perspektiven entstehen zu lassen. Sie könnten eines dieser Portraits werden.

Machen Sie mit?

Fabian Bürgi
Filmemacher Fabian Bürgi
Fabian Bürgi erklärt, wie er seinen Film gestalten will und wer wie ich porträtiert werden soll. Cindy Studer-Seiler, ref. Pfarrerin in der Kirchgemeinde Kelleramt, Dr. Markus Minder, Palliativmediziner und Geriater im Spital Affoltern sowie Olaf Schulz, Pflegefachmann bei Palliaviva. (Foto: Paolo Foschini)

Vor der Kamera im Mittelpunkt

Klar wollte ich eines dieser Portraits werden. Wer wie ich andere Menschen porträtiert, sollte sich nicht scheuen, selbst einmal im Mittelpunkt zu stehen. 

Ich schrieb zurück, wir telefonierten, und am Donnerstag, 8. August empfing ich einen grossen, schlanken jungen Mann im Schwatzgeschäft. Fabian Bürgi, Maturand aus dem aargauischen Arni. Geboren am Freitag, 1. September 2000. Im Zug angereist, mit erstaunlich viel Equipment bepackt. Einen zehnminütigen Film will er realisieren. Ich soll ihm von mir erzählen. Von meinem Verhältnis zu Gevatter Tod, von meinen Gesprächen über Leben und Sterben. Wie DeinAdieu entstand, soll ich ihm berichten. 

Nach zwei Stunden «fiel die letzte Klappe». Das Ergebnis sollte mich tief berühren. Den Link zum Film finden Sie in der Infobox. 

Nun komme ich zum Zug. Fabian erzählt mir, wie die Idee zu seinem Film entstand. Erstaunen habe sie ausgelöst. Der junge Mann will sich intensiv mit dem Leben und dem Sterben auseinandersetzen. «Ich wusste, es sollte ein Film werden.» Er lächelt. Sagt: «Mit dieser Idee hatte ich die Kolleginnen, Kollegen in meiner Klasse ganz schön vor den Kopf gestossen.»

Filmemacher Fabian Bürgi
Nach dem Interview filmt Fabian Bürgi Details. Seine Professionalität ist hoch. Der junge Filmer ist perfekt ausgerüstet und hat sich akribisch vorbereitet. (Foto: Paolo Foschini)

«Grossvater freute sich über meine Fotos»

Er habe gerne ernste Themen, sagt Fabian. Mit seinen Kurzfilmen wolle er etwas aussagen. Die Ideenfindung sei entstanden im Gespräch mit der Mutter, einer Hausärztin. «Bei uns ist das Sterben kein Tabu-Thema».

Tod und Trauer, Sterben und Krankheit sind für den 19-Jährigen keine Unwörter. Gar oft hat der Sensemann in Fabians Umfeld Menschen aus dem Leben geführt. «Mein Grossvater litt an Bauchspeicheldrüsen- und Prostatakrebs.» Am 7. August vergangenen Jahres sei er aus den Tessinferien zurückgekehrt und zwei Tage später, am Donnerstag 9. August, gestorben. «Wir sassen diese Tage an seinem Bett, die SterbeSpitex schaute vorbei. Grossvater grüsste sie. Einen Tag vorher redete er ganz viel. Zeigte grosse Freude daran, dass ich viel fotografieren würde. Ich hatte jeden Tag ein spezielles Bild geschossen, und Grossvater freute sich darüber.»

Sterben wollte der Alte dann alleine. Fabian: «Er wusste, wir hatten ihn gern. Grosspapi ging, als er ungefähr 20 Minuten alleine war.» Rückblickend sagt Fabian: Diese Tage an seinem Bett halfen mir und Mama sehr, Abschied zu nehmen.» Er hält kurz inne, legt die Finger aneinander und sagt: «Grosspapi bedeutete mir sehr viel.»

Seine Frau, die Grossmutter, lernte Fabian nie kennen. Sie starb, als Fabians Mutter Corina 13 Jahre alt war. Und als Fabian gut vier Jahre alt war, kam seine Schwester mit Trisomie 13 tot zur Welt. «Das waren unglaublich traurige Tage.» Der junge Mann hält kurz inne und beginnt zu strahlen: «Es verging kein Jahr, da gebar meine Mutter einen putzmunteren Sohn. Meinen Bruder Andreas.» Fabian schaut mich an, sagt: «Freud und Leid liegen nahe zusammen.» Ich nicke. Sage: Leben und Sterben halt. 

Filmemacher Fabian Bürgi
«Es verging kein Jahr, da gebar meine Mutter nach der toten Tochter einen putzmunteren Sohn. Andreas.» Fabian lacht, strahlt: «Freud und Leid liegen so nahe zusammen.» (Foto: Paolo Foschini)

«In der ‹Villa› spielte ich stundenlang Klavier»

Verlust und Trauer gabs ebenfalls auf Vater Raphaels Seite. 2010 sei sein Bruder, Fabians Onkel, an Krebs gestorben. Und zwar in der Palliativstation des Spitals Affoltern, in der Villa Sonnenberg. Sie war kurz vorher eröffnet worden. «Onkel Stephan verbrachte dort seine letzte Nacht und verstarb dann friedlich, schmerzfrei», sagt Fabian. «Er war ein Kämpfer, der allen anderen helfen wollte, nur sich selbst nicht.» Im Aufenthaltsraum der Villa entdeckte Fabian das Klavier. «Ich spielte fast den ganzen Tag und wusste, oben liegt mein verstorbener Onkel.» Der damals zehnjährige Bub hatte keine Noten dabei. «Ich spiele ungern ohne. Damals wars egal, ich hatte viel geübt für einen Wettbewerb.» 

Fabians Grossmutter, die Mutter des krebskranken Onkels, starb im Oktober 2010. «Sie hatte einen Hirntumor und wir erlebten ihren Zerfall. Das war tragisch.» Die Krebserkrankung von Onkel Stephan und der Hirntumor der Grossmutter wurde beide Mitte 2009 innerhalb einer Woche diagnostiziert. «Unser Familienleben war komplett auf den Kopf gestellt.»

Filmemacher Fabian Bürgi
Fabian Bürgi: «Ich glaube nicht an eine Wiedergeburt. Wir haben ein Leben und sollten es jetzt geniessen, sollten versuchen glücklich zu leben.» (Foto: Paolo Foschini)

Fabian Bürgi: «Vielleicht landen wir im Himmel»

«Stell dir vor, ich lernte Schreiben», sagt Fabian, «als wir den Tod meiner Schwester bekanntmachten. Ich schrieb ihren Namen auf Karte um Karte.» Er schaut mich an. Lächelt. Sagt: «Ich erinnere mich noch, wie ich in diesen Tagen bei ihr sass und mit ihr redete.»

So verwundert es nicht, wenn einem Fabian zu verstehen gibt, er habe keine Angst vor dem Tod. «Sicher nicht. Fertig ist fertig», sagt er. Angst habe er vielleicht vor einer Krankheit, vor Schmerzen, vor dem eigentlichen Sterbeprozess. Vielleicht.» Er zuckt die Schultern.

Was denkst du, wohin gehts, frage ich. Fabian zuckt die Schultern, sagt: «Keine Ahnung. Vielleicht in den Himmel.» Er legt eine Pause ein. Guckt hinaus auf den Lindenplatz. «Mir ist es eigentlich egal. Ich glaube nicht an eine Wiedergeburt. Wir haben ein Leben und sollten es jetzt geniessen, sollten versuchen, glücklich zu leben. Mit der Geburt haben wir ein Geschenk bekommen, und mit dem Tod geben wir es Gott zurück.»

Text: Martin Schuppli, Fotos: Paolo Foschini

Filmemacher Fabian Bürgi
Enkel und Grossvater? Nein. Filmer Fabian Bürgi und Autor Martin Schuppli. 46 Jahre Unterschied. Und trotzdem hatten wir uns was zu sagen. In kurzer Zeit wuchsen Achtung und Sympathie. (Foto: Paolo Foschini)

Infobox:

Filmporträts sind online

Die Maturarbeit von Fabian Bürgi ist online.

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