Corona-Seuche: Gedenke des Todes – und bleib gesund

Die Corona-Seuche dauert an. Bald sitzen wir einen Monat zu Hause. Die einen verängstigt, andere heiter. Wir berichten aus dem Mikrowelt. Sagen: «Stay safe, stay healthy.»

Tag 23 der bundesrätlichen Kontakt- und Ausgehregel für ü65. Uns allen gehts gut. Alois Birbaumer, mein Freund und meistkontaktierter Corona-Gesprächspartner, ist wohlauf. Meine Freundinnen, Freunde sind, soweit ich weiss, gesund. Noch kenne ich niemanden, der wegen Covid-19 unpässlich wäre, geschweige denn, ins Spital eingeliefert werden musste.

Ich höre von leeren Betten in Spitälern, von (noch) unbenutzten Notkliniken und lese von den unterschiedlichsten Firmen, die nun Beatmungsgeräte herstellen. Schwerter zu Pflugscharen etwa? Aus den News erfahre ich, wie viele Tonnen Luftfracht bei uns gelandet seien. Jetzt sind also die Masken da, die Schutzkleidungen, die Handschuhe, das Desinfektionsmittel. Doch wie lange reichen die, wenn die «Explosion» eintritt?

Ich lese Schockgeschichten. Einem lungentransplantierten Arbeitskollegen hustete ein Rüpel mitten ins Gesicht. Just in dem Moment als Peter dabei war, sich die Maske über Mund und Nase zu ziehen. Der Spinner soll geschrien haben: «So, in zwei Wochen weisst du dann, wie es sich anfühlt.» Unfassbar. Transplantierte müssen ihr Immunsystem unterdrücken und gehören zur höchsten Risikogruppe. «Peter, ich drück die Daumen. Blib gsund.»

Corona-Massnahmen verhindern Geschäftstätigkeit

Die einen sind für Lockerungen, die anderen strikt dagegen. Wem nun vertrauen? Eine liebe Freundin scheint hin- und hergerissen. Die rigorosen Massnahmen verunmöglichen eine normale Geschäftstätigkeit. Ihr Dienstleistungsbetrieb im Gesundheitswesen funktioniert auf Sparflamme. Die Mitarbeitenden sind als Kurzarbeiterinnen gemeldet. Der Unternehmerin selbst brechen die Einkünfte weg. Das beschäftigt einen des Nachts. Und tagsüber gehts ihr wie vielen. Es nerven der Ehemann im Homeoffice und die Kinder im Homeschooling. «Wäre ich nicht zu Hause, würden sie jetzt, in den Ferien, den ganzen Tag gamen.»

Eine Lockerung der Massnahmen tut not, sagt sie. Und schon sind wir bei der Masken-Diskussion. Wann nützen sie wem, was? Wer soll sie tragen? Wenn wir alle Masken überziehen sollen, gibts dann genug? Verordnet der Bund keine Tragpflicht, weil er die Masken nicht beschaffen kann oder beschaffen will? Da lügt doch jemand, sagt sie und vertritt damit die Meinung vieler.

Corona-Seuche. Leere Autobahn A1, Grauholz Bern
So leer hat unser Fotograf die A1 beim Grauholz in Bern noch nie gesehen. (Foto: Ueli Hiltpold)

Wer ein kleines Geschäft führt, erlebt grosse Ängste

Ein sorgenvolles Telefongespräch führte mein Freund Alois Birbaumer mit Eva Ternay, Besitzerin eines Coiffeur-Geschäfts in Luzern. Alois schildert mir das Gespräch.

Natürlich, sage die Coiffeuse, müssten wir Personen mit hohem Risiko schützen sowie uns selbst. Dasselbe gelte ebenso für die Wirtschaft. Die KMU seien wohl am meisten von diesen Massnahmen betroffen. Die Geschäftsinhaber würden die Fixkosten weiterhin tragen, trotz Schliessung. Doch das Thema Miete befinde sich in einer Grauzone. Ihr Vermieter würde hart bleiben. Für Lohnkosten und Firmenkredite existierten bereits gute Massnahmen. Nähme jemand aber einen Kredit auf, drohe eine noch grössere Verschuldung. Da hülfen Fristverlängerungen wenig. Bezahlen müssten sie schlussendlich trotzdem, so oder so.

Corona-Seuche: Eva Ternay, Besitzerin Coiffeur-Geschäft,  Luzern
Eva Ternay ist Besitzerin eines Coiffeur-Geschäfts in Luzern. Bleibt der Salon geschlossen, folgen bald Existenxängste.

Auf Alois‘ Frage, wie Eva die Arbeit des Bundesrates und des BAG beurteile, habe sie gesagt, die würden ihre Arbeit gut machen. Doch sie hätten zu spät reagiert. Sie seien nicht genügend auf einen Ausnahmezustand vorbereitet gewesen, einen Ausnahmezustand, wie es ihn noch nie gegeben habe. Keine Masken und wenig Testmaterial stünden zur Verfügung. Das Material müsse sie nachträglich beschaffen. Bezüglich «à fond perdu» herrsche nach wie vor Uneinigkeit.

Grundsätzlich sei sie in der jetzigen Situation gegen Empfehlungen. Sie fordere klare Vorschriften.

Nach sechs Wochen Lockdown müsse sie die Möglichkeit haben, wieder zu starten. Sie sei vorbereitet, habe Gesichtsmasken, Infrarotlampe und Desinfektionsmittel bereits angeschafft. Denn mit einer Kurzarbeitsentschädigung von 3300 Franken könne sie ihre Fixkosten niemals decken. Mit ihren liquiden Mitteln könne sie die kritische Zeit überbrücken, sofern sie nur kurz sei. Danach müsse sie ihr Erspartes aufbrauchen und eventuell noch ihr Freizügigkeitskonto auflösen. Und dann? «Wovon solle ich leben, wenn ich in wenigen Jahren pensioniert werde», habe sie ihn gefragt.

Alois Birbaumer sagt zu mir: «Auf meine Frage, wie es ihr denn jetzt gehe, antwortet sie klar: ‹Ich habe keine Depression. Das Problem kommt, wenn der Lockdown wieder verlängert werden sollte. Schliesslich laufen die privaten Fixkosten weiter, auch ohne Einkommen. Dann werden sicher Existenzängste auftreten›.» Deshalb hofft Eva auf finanzielle Hilfe. Sie spricht von einem Fallschirm.

Corona-Seuche. Einsame Frau auf Bänkli. Lesend.
Einsame Leserin. Wo sind sie geblieben, die Kunden, Kundinnen, die Spazierenden, die Gehetzten, die Bummler. Sie sind zu Hause. Halten sich an die Regeln. (Foto: Ueli Hiltpold)

Helfen Contact-Tracing und Thermal-Scanning?

Existenzängste plagen Alois‘ Bruder in Singapur nicht. Er lebt seit Jahrzehnten in Südostasien und verkauft seit 22 Jahren Kaffeemaschinen, vorwiegend von JURA. Seine 30 Mitarbeitenden beraten, verkaufen und reparieren.

Corona-Seuche. Albert Birbaumer in Singapur
Alois Birbaumers Bruder Albert in seiner Heimat. Singapur. (Foto: zVg)

In Singapur erfolgte der Lockdown am Dienstag, 7. April. Mit Epidemien hat der Stadtstaat Erfahrung. Kaum war Covid-19 ausgebrochen, verbreitete die Regierung klare Hinweise, wie sich die Menschen in dieser besonderen Situation verhalten sollen. Mit Contact-Tracing konnten die Behörden exakt eruieren, wer wen, wann getroffen hat. Bestand Verdacht auf Ansteckung, erfolgte eine Isolation der Kontaktpersonen.

Mit regelmässigem Thermal-Scanning, also Fiebermessen, versuchen Gesundheitsteams mögliche Patienten, Patientinnen zu erfassen. Nach dem Lockdown war in der Millionen-City alles geschlossen, ausser Geschäften, die lebensnotwendige Dinge verkaufen. Das hiess, zu Hause bleiben, ausser für Einkäufe sowie notwendige Erledigungen. Essen, was eine der wichtigsten Beschäftigung ist für Singapurer, wird praktisch ohne Veränderung weitergeführt. Märkte, Restaurants und Hawker Centers sind zwar offen, aber das Essen muss weggetragen oder nach Hause angeliefert werden. Das sei eigentlich nichts Neues, sagt Albert Birbaumer, da ohnehin niemand zu Hause koche – ausser ihm.

Seit Dienstag sei der Showroom und alle seine Läden in den Einkaufszentren geschlossen, sagte Albert Birbaumer, 10 308 Kilometer entfernt von seinem Bruder in Luzern. Müsse irgendwo ein Gerät repariert werden, brauche er eine Spezialbewilligung. IT-mässig halte er das Geschäft mit den edlen Kaffeemaschinen seit einigen Jahren auf Topniveau mit Cloud betriebenem System, sagt Alois. Das komme ihm jetzt zu Gute. Sein Online-Shop laufe tipptopp. Die Mitarbeitenden würden im Homeoffice arbeiten. Bruder Albert rechne mit wirtschaftlichen Einbussen, ebenso mit erschwerten Lieferungen von Ersatzteilen oder neuen Maschinen aus der Schweiz.

Auf Alois‘ Bemerkung, sie hätten schliesslich wegen SARS schon einige Erfahrung mit Lockdown, meinte Albert, im Jahr 2003 habe er geschäftlich praktisch nichts gespürt. Sicher habe es einige Probleme in Hongkong, Taiwan geben. Die Folgen der Finanzkrise 2008 seien viel schlimmer gewesen, da sei es zu einem totalen Stillstand gekommen, mit enormen wirtschaftlichen Folgen.

Singapurer schätzen die Essens-Lieferdienste

Albert Birbaumer versichert seinem Bruder Alois, er glaube, der Staat kümmere sich wahrhaftig um das Wohl der Singapurer, die ja am Ende die treibende Kraft der Wirtschaft seien. Das Gesundheitswesen hätte wichtige Massnahmen getroffen, eine Ausstellungshalle sei bereits in ein Spital umgebaut worden. Wirtschaftlich werde den Bewohnerinnen und Bewohnern geholfen. Alle Bürger erhielten je 600 Singapur Dollar, ca. 400 Franken. Unternehmer, also KMUs, könnten, sofern ihr Betrieb geschlossen werden musste, bis zu 75 Prozent der Löhne aufgrund der letzten Steuererklärung einfordern. Selbstständigerwerbende, die jetzt arbeitslos sind, erhielten bis zu sechs Monate Unterstützung.

Alois fragte seinen Bruder, wie er sich fühle unter diesen rigorosen Regeln sowie der Androhung von Gefängnis und hohen Geldstrafen. Albert sage, natürlich betreibe der Staat gerade jetzt massive Kontrollen. 6000 Arbeitslose aus der Flugindustrie und Hotelgewerbe seien zu Schnüfflern ausgebildet worden. Sie kontrollierten etwa das Einhalten des Abstandes. Kontrollierten ebenso, ob die Leute nur zum Einkaufen ausser Hause seien. Das schütze nicht nur ihn, das schützt alle.

Auch in Singapur wird Pizza ins Haus geliefert

Müsse jemand isoliert werden, erfolge das in Hotels. Jeder, ob Bürger oder Ausländer, würde bei Krankheitsverdacht aufgenommen und dann, wenn das Covid-19 nachgewiesen worden sei, während 14 Tagen isoliert. Falls nötig, wird der Patient, die Patientinnen ins Spital verlegt. Der Staat übernehme alle Kosten, bezahle das Essen. «Apropos selber kochen», sagt Alois und lacht, «das Valentino, Alberts liebstes italienisches Restaurant, hat einen perfekten Hauslieferdienst.»

Zum Abschied habe Alois seinem Bruder das bei uns tagtäglich gebrauchte «Blib gsond» gesagt und der habe geantwortet: «Stay safe, stay healthy.» So heisst die Grussformel im Stadtstaat.

Corona-Seuche. Gespräch vor Kirche
Schwatzen vor der Kirchtür. Maskiert mit grossem Abstand. Vorbildlich und auf eine Art traurig. (Foto: Ueli Hiltpold)

Danke Alain Berset, Daniel Koch und Co.

Den Behörden vertraue ich nach wie vor. Wenn ich Daniel Koch reden sehe oder höre, dünkt mich, der Mann gibt alles. Hoffentlich klappt er nicht zusammen. Und Alain Berset, sagt er sei seit Wochen nicht mehr zu Hause gewesen. Wow, wie ist denn das? Ich ziehe den Hut und bedanken mich höflich. Bei allen, die jetzt so viel leisten.

Allerdings habe ich Verständnis für jene die motzen, die zweifeln, die es besser wissen als ich. Gings nach mir, würde ich raschmöglichst gewisse Möglichkeiten schaffen, um etwa Gartencenter und Baumärkte zu öffnen. Den Menschen eine Chance geben, sich «sinnvoll» zu betätigen. Ein wohl bestellter Garten, ein sauberes Haus, ein vollendetes «Bauwerk» stärkt die Seele. Macht alle verbleibenden Einschränkungen erträglicher.

Corona-Seuche: Palliativmediziner Dr. Roland Kunz, Chefarzt Geriatrie im Zürcher Waidspital.
Palliativmediziner Dr. Roland Kunz, Chefarzt Geriatrie im Zürcher Waidspital. (Foto: Bruno Torricelli)

Denn es ist eine dunkle Zeit. Ein Radio-Interview mit Roland Kunz, Chefarzt Geriatrie im Zürcher Waidspital interessiert mich. Es geht um hochbetagte Kranke. Der Palliativmediziner sagt, es würde nur einer von fünf die Zeit auf der Intensivstation überleben. Besser wäre, wie etwa von der Stadtzürcher Regierung gefordert, wenn Hochbetagte in den Pflegeheimen informiert würden, wie es um ihre Chancen stünde. Roland Kunz sagt: «Wir wissen, alte Menschen wollen im Heim bleiben. Die meisten möchten in vertrauter Umgebung sterben. Und deshalb dort gepflegt werden. Das ist möglich.» Es gäbe keine spezifischen Massnahmen gegen Covid-19. Die Kranken brauchten Unterstützung beim Atmen. Angst und Schmerzen würden Medikamente lindern können. Wichtig sei eine intensive und nahe Begleitung. In der Regel machten das Pflegende zusammen mit den Angehörigen. Aber gerade die dürften derzeit nicht ins Spital, das erschwere die Situation, sagt der renommierte Palliativmediziner, Geriater. Und so kann es in der Corona-Zeit passieren, dass jemand seine Lebens-Symphonie ganz alleine beenden muss.

Roland Kunz erwähnte das Wort «Memento mori». Gedenke des Todes. Diese lateinischen Worte tauchten in einem meiner ersten Blog-Beiträgen auf. Im Interview mit dem so genannten Millieu-Anwalt Valentin Landmann.

Corona-Seuche. Alois Birbaumer mit Bild
Archivbild: Alois Birbaumer mit dem Totentanzbild von Egon Schiele. Er sagt: «Leute, die sich intensiv mit dem Tod beschäftigen, sind heitere Menschen». (Foto: Daniela Friedli)

Gedenke des Todes. Erfreue dich an seinem Tanz

Alois Birbaumer wird ganz kribblig bei diesen Worten. «Memento mori ist der Grundton beim Totentanz. Und der Totentanz ist eines meiner Lieblingsthemen. Im Mittelalter war der Sensenmann allgegenwärtig. Die Lebenserwartung deutlich geringer. Die Gründe sind verschiedene. Sicher war damals die Arbeit schon ab jungen Jahren viel härter. Und die damaligen Katastrophen konnte niemand kontrollieren. Es tobten Kriege, wüteten Unwetter und drohten Krankheiten. Hygienische Missstände waren die Regel. Hunger, Seuchen und Pest die Folgen. So hatte das Leben nicht nur im religiösen Bereich, sondern ebenso im profanen Denken eine andere Bedeutung. Das irdische Dasein wurde beinahe zur Übergangsphase bis zum Leben nach dem Tod.

Wo der wahre Ursprung der Totentanz-Darstellung liegt, ist zum Teil umstritten. Eines ist sicher: Die Künstler versuchten, die Betrachter der Totentänze an die Endlichkeit des Menschen zu erinnern. Ihre Totentänze waren an Mauern von Franziskaner- und Dominikanerklöstern zu sehen, an Wänden von Kirchhöfen, Kapellen und Beinhäusern. Später tauchten sie an Kirchen und öffentlichen Plätzen auf, an Pfarr- und Rathäusern, in der Nähe eines Gottesackers.

Memento mori. Details dazu habe ich bereits in einem Blog über Totentanz beschrieben.

Die Covid-19 Seuche bringt vielen den Tod näher, vor allem älteren Personen, ebenfalls Polymorbiden, also Vielfacherkrankten. Die Geschichte der drei Edelmänner und der drei Toten bringt das verbal sowie bildlich auf den Punkt.

Versuchen wir auf die Bedeutung von Totentanz und Pest (oder Covid-19) genauer einzugehen. Bei einzelnen Totentänzen können wir einen direkten Zusammenhang zur Seuche aufzeigen. Der Grossbasler Totentanz von Konrad Wirtz erinnert etwa an die Pestzeit von April bis November 1439. Bereits 1424 wurde der Totentanz des Cimetière des Innocents in Paris vollendet, angefertigt nach einem Bilderbogen-Totentanz von Johan Le Fèvre, der selbst am Schwarzen Tod erkrankte. Die Lübecker Bildfolge, ein Totentanz von Bernt Notke aus dem Jahr 1463, warnte vor einer drohenden Pestwelle. Als Basis verwendete der Künstler den Schwarzen Tod.

Corona-Seuche: Friedhof in Steffisburg BE
Friedhof in Steffisburg BE. Neue Gräber entstehen, Menschen werden beerdigt. Im kleinen Kreis. Irgendwie bedrückend. (Foto: Ueli Hiltpold)

Der Schwarze Tod reiste einst über die Seidenstrasse

Die Pandemie zwischen 1346 und 1353, der Schwarze Tod, kommt mir vor wie eine Metapher von Covid-19. Ursache war das Bakterium Yersinia pestis. Es hatte seinen Ursprung in Zentralasien und gelangte über die so genannte. Seidenstrasse nach Europa, wo bis zu 50 Millionen Menschen starben, fast 50 Prozent der Einwohner. Bei dieser fürchterlichen Pandemie hatte der Erreger aus China seinen Ursprung ebenfalls in wildlebenden Tieren und übertrug sich dann auf Ratten.

Leider sind uns viele bedeutende Totentänze nicht mehr erhalten geblieben. Sie machten dem Leben Platz. Hoffen wir, dass das Bild des Covid-19 Totentanzes erhalten bleibt, wenigstens als memento mori. Gedenke des Todes.

Ja und zum Schluss kann ich es nicht lassen, folgendes zu sagen: «Leute, die sich intensiv mit dem Tod beschäftigen, sind heitere Menschen». Das sagte Karl Josef Steininger, Gründungsmitglied der europäischen Totentanzvereinigung. Ein Satz, dem ich absolut zustimmen kann. Ein Satz, der mir vielleicht eine Erklärung des besonderen Totentanzes liefert, der Tarantella, des Tanzens bis zum Tod. In diesem Sinne «Bliebet deheim, bliebet gsond und verlieret den Humor nicht. Tanzet.»

Corona-Seuche: Social-Distancing auf dem Hunde-Spaziergang
Social Distancing auf dem Hundewaggel. Die Fellnasen kümmern sich nicht um Abstände. Da wird geschnuppert. Gut gibts Auszugleinen. (Foto: Ueli Hiltpold)

Mit heiterem Gemüt die Corona Krise aushalten

Gesund bleiben. Tanzen. Des Todes gedenken. Mit heiterem Gemüt durchs Leben gehen. Solidarisch handeln. Rücksichtsvoll. Gelassen. Geduldig – und demütig.

Ups. Was habe ich mir da auf die To-Do-Liste geschrieben? Ich, der ich ein selbstbestimmtes Leben führen möchte. Jetzt heisst es, vernünftig bleiben. Dem Quäntchen Angst Raum geben. Ängste spielten in meinem Leben jahrelang eine grössere, bedrohlichere Rolle. Ich weiss, damit umzugehen. Meine To-Do-Liste (s. oben) hilft mir.

Was ist es, das mir ganz konkret Angst macht? Das Einkaufen. Tauche ich mal kurz in einem Laden auf, überlege ich beim Griff ins Bananen-Gestell, welche Luft ich denn einatme? Das Covid-19-Virus, las ich, (über)lebe bekanntlich bestens in einer Aerosolwolke. Dagegen könnte ich mich mit den Masken schützen, die ich aus Jux vor Jahren in Hongkong postete. Damals lachten mich Bekannte aus, wenn ich davon erzählte. Und noch vor vier Wochen sagte jemand: «Die nützen doch nichts». Es sei billige China-Seich.

Corona-Seuche: DeinAdieu-Autor Martin Schuppli mit Maske
Corona-Seuche: DeinAdieu-Autor Martin Schuppli mit Maske. Bemerken Sie mein strahlendes Lachen? Fällt Ihnen auf, welch heiterer Mensch ich bin? (Foto: Martin Schuppli)

Soll ich mit der Hongkong-Maske in die Migros?

Von wegen Ramsch. Die weissen Dinger hätte ich verkaufen können. Gemach. Ich verschenkte einige. 16 habe ich noch.

Aber, soll ich jetzt mit der Hongkong-Maske in die Migros? Dann könnten ja alle denken, ich sei krank. Ansteckend. Ein Aussätziger. Huch. Als ob mich das je interessiert hätte. Ich trage meist meine schrecklichen Zehenschuhe, binde mir auch mal ein Piratentuch um oder schlüpfe in rote Schuhe. Und jetzt noch eine Maske umbinden? Das schaff ich glaub nicht. Nicht, bevor der Bundesrat eine Tragpflicht verordnet.

In das Chörlein der Lauten könnte ich ebenfalls einstimmen und schreien, wer alles was falsch machte. Ich lasse ab von diesem Mitschreien. A, weil ich an der Situation nichts ändern kann. B, weil ich es nicht besser weiss als Berset & Co, weil ich keinen Sinn darin sehe, jemanden anzuklagen.

Sie spüren es sicher, die lauten Populisten schafften es zeitlebens nicht, mich für sich einzunehmen. Im Gegenteil. Und das liess ich mein Umfeld in all den Jahren wissen.

Und jetzt passierts. Am Tag 26 der Corona-Seuche lese ich, Frau Martullo-Blocher habe 600 000 Schutzmasken gekauft, einfliegen lassen und finanziert. Die Masken seien nicht für die Arbeitnehmenden der Ems-Gruppe gedacht. Nein, Frau Martullo-Blocher importierte sie für die Coiffeusen und Coiffeure in der Schweiz. Diese könnten die Masken für 90 Rappen pro Stück bestellen. Bravo. Da ziehe ich den Hut. Bedanke mich höflich bei der Macherin aus Meilen ZH. Und frage, wo sind die Nachmacher?

Corona-Seuche: DeinAdieu-Fotograf Ueli Hiltpold.
DeinAdieu-Fotograf Ueli Hiltpold. Die Folgen und Umstände der Corona-Seuche machen ihn zeitweise wütend. Sehr sogar. Und darüber kann er lachen. (Foto: Ueli Hiltpold)

Wann dürfen wir wieder Fototermine vereinbaren?

So werde ich mich, wenns denn dem ü65-Schreiber erlaubt ist, mit Maske bei Anita auf den Stuhl setzen und besprechen, wie das nun mit Waschen und Schneiden sei. Ein tröstlicher Gedanke. Und Ueli und ich können wieder Fototermine abmachen.

Dann also heissts für mich: Gesund bleiben. Tanzen. Des Todes gedenken. Mit heiterem Gemüt durchs Leben gehen. Solidarisch handeln. Rücksichtsvoll. Gelassen. Geduldig – und demütig.

«Stay safe, stay healthy.»

Text: Martin Schuppli und Alois Birbaumer
Fotos: Ueli Hiltpold, Bruno Torricelli, Daniela Friedli

Memento mori
Memento mori ist ein lateinischer Ausspruch, der sich mit «Denke daran, dass du stirbst» oder ganz allgemein mit «Gedenke des Todes» übersetzen lässt. Der Ausspruch gilt als Vanitas-Symbol. Vanitas beschreibt die christliche, jüdische Vorstellung, dass sämtliches Leben auf der Erde vergänglich ist. Solche Vanitas-Motive zeigen und erinnern daran, dass der Mensch keine Gewalt über das Leben hat. In der Kunst finden sich häufig Sanduhren oder Totenschädel, die verdeutlichen, dass alles Leben irgendwann vergangen sein wird. Darüber hinaus gibt es Sinnsprüche, die dieses Thema aufgreifen, wie etwa «memento mori» oder «carpe diem».

Europäische Totentanz-Vereinigung
Dr. Uli Wunderlich, D-96052 Bamberg
www.totentanz-online.de

Literatur zum Thema Tod, Totentanz, sowie zu «Tod und Mädchen» im Totentanz
Aries Philippe: «Geschichte des Todes». Carl Hanser Verlag München Wien, 1980, ISBN 3-423-04407-1

Condrau Gion: «Der Mensch und sein Tod. certa moriendi condicio». Benziger Verlag 1984, ISBN 3 545 25057 1

Bataille Georges: «Der heilige Eros». Ullstein, 1974. ISBN 9783548030791

Totentanz
Künstle Karl: «Die Legende der drei Lebenden und der drei Toten und der Totentanz». Aischenes Verlag, 2015, ISBN 978-3-7387-3399-0

Bergmann Uta: «Kirchbühl bei Sempach». Schweizerische Kunstführer GSK 1992, ISBN 3-85782-504-9

Schwab Winfried: «Der Luzerner Totentanz des Jakob von Wil und seine graphischen Vorlagen». Zeitschrift. Der Geschichtsfreund: Mitteilungen des Historischen Vereins Zentralschweiz, 2005

Brülisauer Josef u.a.: «Die Spreuerbrücke in Luzern: ein barocker Totentanz von europäischer Bedeutung». Raeber Verlag 1996, ISBN 3-7239-0090-9

Messmer Kurt: «‹Gwüss ist der Tod, ungwüss sein Zeit›. Der Totentanz in der Zentralschweiz». Wallimann Druck und Verlag AG, Beromünster 2014

«Ein Basler Totentanz von 1791, gezeichnet von einem Kinde, Jeremias Burckhardt». Herausgegeben von F. Stierli und E. Birkhäuser & Cie., Basel, 1943 in einer Auflage von 500 Stück.

Tod und Mädchen
Krois Jasmin: «Der Tod und das Mädchen – Analyse ausgewählter Aspekte des Phänomens Totentanz zwischen Spätmittelalter und Neuzeit». GRIN Verlag, 2007, ISBN 978-3-638-81874-2

Kaiser Gert: «Der Tod und die schönen Frauen. Ein elementares Motiv der europäischen Kultur». Campus Verlag, 1995, ISBN 3-593-35361-6

Sörries Reiner: «Auf Tod komm raus, Aus den Beständen des Museums für Sepulkralkultur». 2012, ISBN 978-3-924447-50-2

Wohlthat Martina: «Der Tod führt den Reigen an». Verdis Requiem am Opernhaus Zürich, nzz 05.12.2016

Guck-Nigrelli Anja: Das Mädchen und der Tod. Psychoanalytische Überlegungen zur Dialektik der Musik in Verdis La Traviata. S.61 in Der Tod und das Mädchen. Musikwissenschaft und Psychoanalyse im Gespräch. Psychosozial-Verlag 2011, ISBN 978-3-8379-2146-5

Leikert Sebastian (HG): «Der Tod und das Mädchen». Musikwissenschaft und Psychoanalyse im Gespräch. Psychosozial-Verlag 2011, ISBN 978-3-8379-2146-5

Irion Claudia: «Der Tod und das Mädchen» – Franz Schubert und das Streichquartett. GRIN Verlag, 2007, ISBN 978-3-638-93445-9

Dorfmann Ariel: Der Tod und das Mädchen. Fischer Taschenbuch Verlag, 2009, ISBN 978-3-596-11426-9

Bültmann Rüdiger: Das Zitat als dramaturgischer Schlüssel – Über Roman Polanskis «Der Tod und das Mädchen». GRIN Verlag, 2004, ISBN 978-3-638-79005-5

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