Der unentgeltliche Erbverzicht
Mit einem Erbverzicht gibt jemand, der am Nachlass eines Erblassers gesetzlich berechtigt wäre, zu dessen Lebzeiten – ganz oder teilweise – seinen Erbanspruch ab. Wichtig ist der Erbverzicht vor allem dort, wo es um Pflichtteile geht. Diese sind besonders geschützt. Der Erblasser kann einen Erben jederzeit und einseitig im Testament «auf den Pflichtteil» und damit auf das gesetzliche Minimum setzen (dazu im Speziellen für Kinder hier). Sein Pflichtteil kann ihm hingegen nur unter strengen Voraussetzungen vorenthalten werden. Dies ist in den Fällen der Enterbung oder der Erbunwürdigkeit möglich.
Stimmt der (Pflichtteils-)Erbe hingegen einem Verzicht auf seinen Erbanteil zu, so ist dieses Rechtsgeschäft für alle beteiligten Parteien verbindlich. Parteien sind in der Regel der Verzichtende und die Erblasserin. Ein Erbverzicht ist nur im Rahmen eines (negativen) Erbvertrags zulässig und muss dessen Formvorschriften einhalten. Das bedeutet, dass der Erbverzichtsvertrag in jedem Fall in Anwesenheit von zwei Zeugen nach Massgabe des kantonalen Rechts öffentlich zu beurkunden ist. Die Erklärungen der Parteien müssen gleichzeitig erfolgen. Wer nicht von Todes wegen verfügt, darf sich vor dem Notar vertreten lassen. Wird das Beurkundungserfordernis missachtet, ist der Erbverzicht ungültig bzw. anfechtbar.
Die Aufhebung oder Abänderung eines Erbverzichtsvertrags ist grundsätzlich nur mit der Zustimmung aller Parteien möglich. Für Änderungen gelten dieselben Formerfordernisse wie für die erstmalige Errichtung. Daneben sind die allgemeinen Regeln des Obligationenrechts über die Anfechtung von Verträgen aufgrund von Uneinigkeit, fehlender Handlungsfähigkeit, Rechts- oder Sittenwidrigkeit, Übervorteilung oder Willensmängeln sinngemäss anwendbar.
In seiner Grundform ist der Erbverzicht vollständig und unentgeltlich. Der Verzichtende fällt nach dem Tod des Erblassers bzw. nach der Eröffnung des Erbgangs als Erbe ausser Betracht. Er wird so behandelt, wie wenn er bereits vorverstorben wäre. Soweit der Vertrag nichts anderes bestimmt, gilt der Erbverzicht auch für die Nachkommen des Verzichtenden.
Auf ein Erbrecht verzichten
Umgekehrt ist es möglich, zugunsten bestimmter Personen auf ein Erbrecht zu verzichten. So ist es möglich, diese anstatt dem Verzichtenden zu berechtigen. Diese Dritten haben dann einen (klagbaren) Erbanspruch gemäss der Vereinbarung. Erwerben sie die Erbschaft nicht, wird der Verzicht als hinfällig betrachtet und der Anspruch des Verzichtenden lebt wieder auf. Nennt der Erbverzichtsvertrag keine Begünstigten, so erweitert sich die verfügbare Quote beim Erblasser im Umfang des Erbanteils, auf den verzichtet wurde.
Ein einfaches Beispiel zur Veranschaulichung:
Der Ehemann schliesst mit seiner Frau einen gegenseitigen Erbverzichtsvertrag ab. In diesem wird statt des jeweils Verzichtenden die gemeinsame Tochter als Alleinerbin eingesetzt.
In diesem Fall scheidet der überlebende Ehegatte aus dem Erbgang aus, wird nicht Erbe und kann auch seinen Pflichtteil nicht geltend machen. Die Tochter erhält den gesamten Nachlass alleine.
Der entgeltliche Erbverzicht (Erbauskauf)
Der entgeltliche Erbverzicht ist im Austausch für eine Gegenleistung möglich. Da die Gegenleistung für den Verzicht des Erbberechtigten häufig in einer Geldsumme oder zumindest in einer geldwerten Leistung besteht, spricht man auch vom «Erbauskauf». Für den Erbauskauf gelten dieselben formellen und inhaltlichen Anforderungen wie für den unentgeltlichen Erbvertrag. Zusätzlich ist die Gegenleistung des Erblassers an den Verzichtenden als wesentlicher Vertragspunkt öffentlich zu beurkunden.
Verpflichtet sich der Erblasser zu einer lebzeitigen Leistung im Austausch für den Erbverzicht, so muss er das Versprochene auch erfüllen. Mit anderen Worten: Lautet der vertragliche Anspruch des Verzichtenden auf eine Geldsumme, muss der Erblasser diese auch zum vereinbarten Termin bezahlen. Tut er dies nicht, so hat der Vertragspartner ein Rücktrittsrecht nach den allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts über die Erfüllungsmängel (Verzug, Schlechterfüllung, Nichterfüllung).
Ein einfaches Beispiel zur Veranschaulichung:
Der Vater schliesst mit seinem Sohn einen Erbauskaufvertrag ab, in welchem Letzterer auf sein Erbe verzichtet und dafür CHF 100‘000 in bar bis zum Jahresende erhält.
Kriegt der Sohn rechtzeitig das Geld, geht seine Erbenstellung im Fall des Ablebens des Vaters unter. Wird er bei Fälligkeit seiner vertraglichen Forderung nach Mahnung und ggf. Nachfristansetzung nicht ausgezahlt, kann er vom Vertrag zurücktreten.
Da keine Ersatzerben benannt sind, wird durch den Verzicht des Sohnes sein Pflichtteil frei. Der Vater kann über seinen Nachlass wieder letztwillig in weiterem Umfang verfügen, ohne dass eine Herabsetzung droht.
Abgrenzung zu Erbvorempfang und Ausschlagung
Neben diesen Varianten stehen weitere erbrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung. Genau genommen stellen sie aber keinen Erbverzicht dar.
Zum einen gibt es den sogenannten Erbvorempfang oder Erbvorbezug. Dabei handelt es sich um eine lebzeitige Zuwendung der Erblasserin an einen Erben. Der Hauptunterschied zur Schenkung ist, dass der Erbvorempfang auf den Erbanteil anzurechnen ist, den der Vorempfänger nach dem Tod der Erblasserin erhalten wird. Der Empfänger eines Erbvorbezugs verzichtet also nicht auf seine Erbenstellung, der Erbvorbezug unterliegt aber der Ausgleichungspflicht. Grund dafür kann eine entsprechende Anordnung des Erblassers oder eine gesetzliche Vermutung bei Zuwendungen an dessen Nachkommen sein. Bei der Ausrichtung eines Erbvorbezugs ist es nicht nötig, die Vorschriften über den Erbvertrag zu beachten. Eine saubere Dokumentation ist allerdings aus Beweisgründen im Streitfall unerlässlich.
Zum anderen ist der Erbverzicht zu unterscheiden von der Ausschlagung einer Erbschaft. Die Ausschlagung steht den Erben erst nach der Eröffnung des Erbgangs während einer bestimmten Zeit zur Verfügung. Man kann sich dadurch rückwirkend von der Erbenstellung (einschliesslich der Haftbarkeit für Erbschaftsschulden) befreien. Beim (vollständigen) Erbverzicht hingegen ist die Erbenstellung schon vor der Eröffnung des Erbgangs nicht gegeben.
Die Ausschlagung ist eine einseitige Willenserklärung gegenüber der für den Erbgang zuständigen kantonalen Behörde. Alternativ zur Ausschlagung kann der Erbberechtigte die Erbschaft vorbehaltlos bzw. unter öffentlichem Inventar annehmen oder die amtliche Liquidation verlangen. Bei diesen Optionen steht typischerweise die Haftungsbeschränkung der Erbinnen und Erben im Vordergrund.