Für Therese Junker und ihr grosses freiwilliges Engagement gelten die «vier M». Die Mittsechzigerin lacht und sagt: «Man muss Menschen mögen – muss gerne kommunizieren». Zwanzig Jahre leitete sie als Geschäftsführerin die Schweizerische Herzstiftung, «deren Entwicklung ich massgeblich gestalten und vorantreiben konnte. Es war eine intensive und zugleich erfüllende Zeit, die meinen Macherqualitäten entgegenkam.»
Mittlerweile ist Therese Junker pensioniert und engagiert sich in der Freiwilligenarbeit. Sie betreut Flüchtlinge im Auftrag des SRK. Darüber wollen wir reden am grossen Stubentisch im lichtdurchfluteten Haus oberhalb von Kehrsatz BE. Fasziniert bleibt mein Blick hängen an Kunstobjekten, Bildern, gekonnt arrangiertem Nippes, unzähligen Büchern, üppig grünen Zimmerpflanzen und einem Korb voller Früchte.
Wird eine «Macherin» pensioniert, kann sie nicht von hundertfünfzig auf null runterfahren. Therese Junker nickt. Sie habe sich damals zwar gefreut, endlich einiges aufzuholen und zu pflegen, was zu kurz gekommen sei. «Sport und Bewegung in der Natur beispielsweise oder Kulturelles, Kontakte mit Bekannten», sagt sie und fügt an: «Mich aber nur meinem eigenen Vergnügen hinzugeben hätte mich nicht befriedigt. Deshalb habe ich mir überlegt, was gibt es aktuell für gesellschaftliche Probleme, die mich interessieren? Und wo und wem könnten meine Kompetenzen nützlich sein?»
In den Ferien Arabischkenntnisse angeeignet
Es seien die Ausländerthematik und die Migration, die in Umfragen zu den Sorgen der Bevölkerung auf den vorderen Rängen figurieren. In einem Flyer der Gemeinde Kehrsatz sei von geplanten Integrationsmassnahmen die Rede gewesen. «Da habe ich der zuständigen Gemeinderätin und der Gemeindeschreiberin meine Unterstützung angeboten. Kommunikation generell und deshalb ebenso die interkulturelle Kommunikation liegen mir am Herzen», sagt Therese Junker, «und im Projektmanagement verfüge ich über reichlich Erfahrung. Die Damen engagierten mich deshalb als ehrenamtlich tätige Koordinatorin für das Projekt ‹Schlüsselpersonen Integration›.»
Zur selben Zeit bewarb sich Therese Junker beim Schweizerischen Roten Kreuz, wo ihr das Resettlement-Programm* des UNHCR für syrische Flüchtlinge ein geeignetes Tätigkeitsgebiet schien. «Mit meinem Mann hatte ich früher ferienhalber vor allem Ägypten, ebenso Syrien, Jordanien, Marokko und Tunesien bereist. Klar hat es mich sehr berührt, als der verheerende Krieg in Syrien ausbrach. Als Hunderttausende ums Leben kamen und etwa dreizehn Millionen unschuldige Menschen in die Flucht getrieben wurden.»
Im Mai 2017, nach dem Besuch von zwei Seminaren für SRK-Freiwillige, wurde ihr eine syrische Familie im Programm «Eins zu Eins» zugeteilt. «Ich denke, ich kann mit meinen bescheidenen Arabischkenntnissen schnell Nähe und Vertrauen schaffen. Dazu gesellt sich mein Wissen um die Traditionen und Mentalität der Menschen aus arabischen Kulturen.» Sie schweigt kurz, sagt dann: «Es hilft einfach, wenn man weiss, wie Menschen ‹ticken›».
Entscheidend seien, wie eingangs erwähnt, die vier M, sagt Therese Junker. «Man muss Menschen mögen. Muss sie respektieren und motivieren können, muss verlässlich sein.» Sie lächelt und fährt fort: «Zweifellos kommen mir vor allem mein Alter und meine Lebenserfahrung zugute. Das erlaubt mir, mit verschiedensten Problemen umzugehen und oft Lösungen zu finden.»
«Ich weiss nicht, wie Krieg ist»
Das schwere Schicksal dieser Flüchtlinge habe ihr vor allem gezeigt, wie unglaublich privilegiert sie sei, sagt Therese Junker. «Mein Leben verlief harmonisch und glücklich. Ich kann die Verluste, das Leid und die Sorgen der Geflüchteten nicht aus eigener Erfahrung nachfühlen.» Sie legt eine Pause ein. «Ich weiss nicht, wie Krieg ist. Weiss nicht, was es bedeutet, Angehörige zu verlieren. Weiss nicht, was es heisst, im Gefängnis der Folter ausgesetzt zu sein, Hab und Gut zu verlieren, seine Stadt, sein Dorf in Trümmern zu sehen.»
Sie könne helfen, das Leben dieser Menschen im Hier und Jetzt ein bisschen leichter zu machen, ihnen Sicherheit zu geben, ihnen zu vermitteln, dass sich bei uns kein solcher Krieg ereignet. «Die Menschen konnten zwar flüchten», sagt Therese Junker, «die traumatischen Erlebnisse bleiben präsent.» Dazu komme, dass Angehörige, Vater, Mutter, Brüder und Schwestern vielleicht verwundet oder krank in Syrien, im Libanon, in der Türkei oder in Jordanien zurückgeblieben seien, wo sie meistens unter schwierigsten Verhältnissen leben würden.
«Die Angehörigen und ihre Probleme sind bei unseren Geflüchteten omnipräsent. Ihre Not ist sicht- und hörbar wegen der ständigen Kontakte über Internet und Smartphone», sagt Therese Junker und seufzt. «Ich stelle mir jeweils vor, was ich fühlen würde, wenn es sich um meine Nächsten handelte. Wenn meine Angehörigen in einem Lager lebten und – mit der jetzigen Inflation in Syrien sowie im Libanon – sogar hungern müssten.»
«Als Optimistin baue ich auf eine bessere Zukunft»
«Geflüchtete leben sogar im Paradies Schweiz in Sorge, das begreife ich in solchen Momenten. Ich könnte ebenso wenig glücklich sein», sagt Therese Junker und hebt den Arm. «Ich werde wütend, wenn ich an Machthaber wie Assad, Putin sowie andere Herrscher und die Terrormilizen denke. Unverständlich, dass die USA und Europa zuschauen, die Schergen gewähren lassen.» Sie hätten dieses religiös tolerante Volk, das sich lediglich ein bisschen mehr Freiheit wünschte, in einen grausamen Krieg gestürzt. Hätten eine jahrtausendealte Kultur zerstört, um ihre Macht zu erhalten oder auszubauen.
«Ich hoffe, diese Despoten werden eines Tages für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen und bestraft.» Therese Junker schweigt kurz und betont dann voller Zuversicht: «Als unverbesserliche Optimistin glaube ich, trotz der momentan beängstigenden Entwicklungen in vielen autokratisch regierten Ländern, an eine bessere Zukunft, hoffe auf die Überwindung von Krieg und ein friedliches Zusammenleben.»
Therese Junker kennt die Bedürfnisse Geflüchteter. Das war mit ein Grund, weshalb sie im Dezember 2019 die Gründung des Vereins Syrien-Schweiz initiiert hat. Zusammen mit einem hier lebenden Syrer präsidiert sie diesen Verein. Er soll für Syrerinnen und Syrer ein lebendiger Ort der Begegnung und Solidarität sein, wo sie Wissen und Erfahrungen austauschen können. «Kulturelle Veranstaltungen sollen zudem Vernetzung und interkulturelle Kommunikation der syrischen Zugewanderten mit Menschen der Mehrheitsbevölkerung in der Schweiz fördern», sagt Therese Junker. «Damit wollen wir beitragen zu einem verständnisvollen sowie friedlichen Zusammenleben. Pandemiebedingt steckt der Verein noch in der Aufbauphase. Aufgrund behördlicher Versammlungsbeschränkungen konnten wir bisher keine Aktivitäten durchführen.»
Zentral sind die Gespräche mit den Menschen
Ich bitte Therese Junker, aus ihrem Alltag zu erzählen. Sie sagt: «Ich helfe den Flüchtlingsfamilien in allen Bereichen. Dazu gehören etwa die Beratung in Bezug auf Schule, Kindergarten und Kita. Ebenso kläre ich Fragen im Zusammenhang mit Behörden.» Sie unterstütze die Menschen in administrativen Angelegenheiten, helfe bei der Wohnungssuche und habe einem ihrer «Zöglinge» eine Lehrstelle vermittelt. «Das Spektrum meiner Tätigkeit ist enorm breit und vielfältig», sagt Therese Junker. «In unseren Gesprächen versuche ich natürlich, ihnen die Schweiz und unsere Kultur näherzubringen. Regelmässig mache ich Ausflüge mit Familien und zeige ihnen Möglichkeiten auf, wie sie ihre Freizeit sinnvoll gestalten können.»
«Redet Schriftdeutsch»
Ganz zentral seien die Gespräche mit den Familien, damit sie die deutsche Sprache anwenden könnten. «Sie ist der Schlüssel zur Integration und stellt für die Menschen aus diesem Kulturkreis eine recht hohe Hürde dar», sagt Therese Junker. «Und weil wir in der Schweiz ‹Schwyzerdütsch› reden, haben sie es noch schwerer, uns zu verstehen.» Sie motiviere die Erwachsenen, indem sie ihnen immer wieder versichere, sie würden in einigen Jahren gut Deutsch sprechen, lesen und schreiben können.» Und von den Mitmenschen wünschte sie sich: «Sprecht Schriftdeutsch, wenn ihr merkt, euer Gegenüber kann euch nicht gut verstehen».
Berufliche Integration der Frauen ist sehr wichtig
Das Engagement sei ein Teil ihres dritten Lebensabschnitts. «Ich stehe auf der Sonnenseite, und jetzt ist Zeit, etwas zurückzugeben, anderen zu helfen.» Als Schülerin habe sie unter anderem die Idee gehabt, Entwicklungshelferin zu werden. «Es erfüllt mich mit Freude, wenn ich sehe, wie meine ‹Zöglinge› Fortschritte machen und bald beruflich Fuss fassen können.» Ein besonderes Anliegen ist Therese Junker die berufliche Integration der Frauen: «Den Haushalt besorgen, Kinder gebären und erziehen sollte nicht ihr einziger Lebensinhalt sein.»
«Das Schicksal war mir bisher gut gesinnt», sagt Therese Junker. «Ich hatte eine glückliche Kindheit und kann auf eine erfolgreiche berufliche Karriere zurückblicken. Dazu führe ich eine glückliche Ehe mit meinem lieben Mann. Meine Eltern habe ich nicht vorzeitig verloren, zu meiner Schwester und ihrer Familie habe ich einen engen Kontakt. Zudem pflegen wir einen ziemlich grossen Freundes- und Bekanntenkreis.»
Drei Unfälle überlebt
Dreimal wäre sie in Lebensgefahr geraten, zufällig – und habe jedes Mal überlebt, erzählt Therese Junker. Als Kind sei sie im Thunersee fast ertrunken, später auf ihrer Reise durch Südamerika habe sie in Bolivien einen Bus verpasst. Erschreckt schaut sie mich an und sagt: «Der stürzte ab in den Anden.» Sie legt eine Pause ein und schilderte den dritten Vorfall. Da sei sie bei einem Skitag in Frankreich auf der letzten Abfahrt in eine Gletscherspalte gefallen und von den Leuten des Pistendiensts gerettet worden. «Es war wohl meine Bestimmung, diese Unfälle zu überleben, damit ich noch weitere Aufgaben erfüllen kann», sagt Therese Junker.
Was ist noch wichtig in der dritten Lebensphase?
Sie fühle sich gesund und fit, sagt meine Gesprächspartnerin. Dennoch merke sie, wie sie sich der Endlichkeit des Lebens bewusster werde. «Die Eltern sind gestorben, einige Freunde und Bekannte erkrankten oder starben plötzlich und unerwartet. Das stimmt nachdenklich. Ich frage mich, was mir wirklich wichtig ist, was ich noch erleben und tun möchte in den nächsten Jahren. Zehn Wünsche habe ich auf einer Liste notiert.»
Und das «Letzte Büro», haben Sie das gemacht? Fiese Frage von einem, der oft darüber redet, selbst aber heillos im Rückstand ist. Therese Junker nickt. Sagt: «Ich weiss, was ich alles noch regeln sollte. Etwa den Vorsorgeauftrag, die Patientenverfügung, das Testament, sowie die Frage Organspende ja oder nein. Schliesslich soll die Verantwortung nicht allein auf meinen Angehörigen lasten.» Sie lächelt. Sagt, es fehle ihr im Moment ein Impuls, um sich mit der administrativen Erledigung dieser wichtigen Fragen zu beschäftigen.
Wichtige Fragen. Wie wahr. Wir reden über Leben und Sterben. Therese Junker erklärt, sie hätte ihre Eltern und Schwiegereltern sterben sehen. Ihr würden weder Tod noch Sterben Angst machen. Nein, sie fürchte eher die damit verbundenen Krankheiten, der Verlust von Kontrolle, Selbstständigkeit und Lebensqualität. «Das sind Themen, die einen im hohen Alter beschäftigten», sagt sie. «Sterben bedeutet schwach werden, loslassen müssen. Es entsteht eine Abhängigkeit, und es können Schmerzen auftreten.»
«Meine Furcht vor dem Sterben hält sich in Grenzen»
Einfach einschlafen, wenn das Herz nicht mehr will, so definiert Therese Junker, die langjährige Geschäftsführerin der Schweizerischen Herzstiftung den Wunschtod der meisten Zeitgenossen. Sie sagt: «Zum Glück ist unsere Medizin nicht nur fortschrittlich in der Behandlung von Krankheiten und der Verlängerung des Lebens, sondern ebenso in der Erleichterung des Sterbens.» Sie denke dabei an wirksame Schmerztherapien und die gut funktionierende Palliativmedizin. «Darauf vertraue ich, und deshalb hält sich meine Furcht in Grenzen.»
Therese Junker schaut mich an, stützt ihre Arme aufs Geländer der Galerie. Wir blicken beide auf die Maschendrahtfrauen. «Ausserdem hat die Sterbeforschung Interessantes zutage gebracht», sagt Therese Junker. «Wir Menschen sterben, wie wir gelebt haben.» ein Strahlen legt sich über ihr Gesicht. «Ein gutes und erfülltes Leben ist sozusagen die Vorübung auf ein gutes Sterben.»
Sterben heute Nacht?, frage ich. Therese Junker schüttelt den Kopf: «Zu früh, adieu zu sagen.» Sie schaut mich an: «Meine Zeit ist noch nicht gekommen. Für mich gibt es noch so einiges zu tun.»
Text: Martin Schuppli, Fotos: Ueli Hiltpold
* Das Resettlement-Programm des UNHCR mit der Schweiz
Im Jahr 2013 beschloss der Bundesrat, aufgrund der humanitären Krise in Syrien, besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aufzunehmen. In Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) wurden bis Anfang 2020, basierend auf mehreren ad-hoc Bundesratsbeschlüssen, rund 4300 Flüchtlinge in der Schweiz neuangesiedelt.
Über einen dieser Flüchtlinge, Hussein Darwish, und seine Familie berichtete DeinAdieu im Blog.
Das SRK ist Kunde von DeinAdieu. Das Profil
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe ist Partner von DeinAdieu. Das Profil
Verein Syrien-Schweiz.
Kontakt: Therese.junker@bluewin.ch
So funktioniert das «Chäsitzer-Schlüsselpersonen»-Angebot
Beim Kehrsatzer Angebot «Schlüsselpersonen Integration» geht es primär darum, herauszufinden, wo Migrantinnen und Migranten der Schuh drückt, welche Alltagsthemen sie beschäftigen, welche Sorgen und Ängste sie plagen. Wir haben uns bei diesem Projekt auf die in der Gemeinde wohnhaften Migrantinnen, Migranten aus denjenigen Herkunftsländern konzentriert, die einen zahlenmässig hohen Anteil der Migrationspopulation ausmachen und/oder kulturell bedingt einen hohen Förderbedarf haben.
In einer ersten Phase haben wir drei Schlüsselpersonen für Migrantinnen und Migranten aus Eritrea, zwei für Somalia und je eine Person für Kosovo und Syrien rekrutiert und ausgebildet. Durch eine enge Zusammenarbeit und Vernetzung mit der Schule und den Fachstellen der Regelstrukturen in der Gemeinde wie der öffentlichen Verwaltung, den Gesundheits- und Sozialdiensten konnte das Projekt in den Jahren 2018 und 2019 gut implementiert werden, sodass sich die Nachfrage nach Beratungen durch Schlüsselpersonen sehr erfreulich entwickelte.
55 Migrantinnen und Migranten der Zielgruppen wurden im Jahr 2019 erreicht und beraten. Die Bilanz ist positiv und das Projekt gut unterwegs. Die Personen, welche die Dienstleistung genutzt haben, beurteilten sie durchwegs als sinnvoll und hilfreich.
Schlüsselpersonen sind nicht das Wundermittel einer erfolgreichen kommunalen Integrationspolitik, bilden aber ein wirksames Element im Massnahmenpaket. Sie können für neu zugezogene Migrantinnen und Migranten Brücken der Verständigung bauen, wichtige Vermittlungsaufgaben erfüllen und dazu beitragen, dass für die Integration wertvolle Angebote in der Gemeinde bei den Migrationszielgruppen bekannt sind und von diesen vermehrt genutzt werden. Die gut integrierten, berufstätigen Schlüsselpersonen geben zudem ein Vorbild ab und zeigen den Migrantinnen, Migranten, dass sie es ebenfalls schaffen können, dereinst ein selbständiges Leben zu führen. (Therese Junker)
2 Antworten auf „Therese Junker betreut Flüchtlinge, weil sie Menschen gernhat“
Therese Junker hat uns eine gute und schöne Vorstellung von den Schweizern vermittelt, sie war eine wichtige Stütze für uns während unserer Integrationszeit und durch Sie möchte ich ihr sehr danken und allen danken, die mich unterstützt haben, und ich danke auch der Schweiz, die sie als meine betrachtet hat zweites Land
https://www.siria-svizzera.ch/
Für alle Interessierten ein Verein für alle Syrer und Schweizer, um unsere Kultur vorzustellen. Sie können uns über diesen Link beitreten