Das Wichtigste in Kürze
- Bei Personen mit Demenz ist die Frage der Urteilsfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung eines Testaments ausschlaggebend dafür, ob dieses gültig ist.
- Zu Lebzeiten kann die Urteilsfähigkeit durch medizinische Tests überprüft werden. Das Vorliegen einer Hirnleistungsstörung bedeutet nicht automatisch die Verfügungsunfähigkeit.
- Hat jemand bereits ein Testament verfasst, so kann man ihn oder sie befragen, ob er oder sie den Inhalt versteht und beabsichtigt. Nur dann ist das Testament gültig. Andernfalls ist es im Erbgang anfechtbar oder (seltener) sogar nichtig.
- Die Frage der Verfügungsfähigkeit ist noch schwieriger zu beantworten, wenn die verfügende Person bereits verstorben ist. Dann müssen Fachpersonen anhand der Krankengeschichte die Urteilsfähigkeit im massgeblichen Zeitpunkt rekonstruieren.
- Deshalb kann es für Personen mit Demenz sinnvoll sein, ein Testament nicht eigenhändig zu verfassen, sondern frühzeitig einen Notar zur öffentlichen Beurkundung zu konsultieren. Dadurch ist eine bessere Absicherung gewährleistet.
Wie wird die Gültigkeit eines Testaments bei Demenz überprüft?
Es gibt verschiedene Gründe, warum ein Testament ungültig sein kann. Im Fall einer Erblasserin, die vor dem Ableben an Demenz erkrankt war, steht oft die Frage nach der Verfügungsfähigkeit im Vordergrund. Das wichtigste Kriterium, das über Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung entscheidet, ist die Urteilsfähigkeit (das andere, weniger problematische, ist die Volljährigkeit). Die Urteilsfähigkeit besteht aus den Fähigkeiten einer Person, Bedeutung und Konsequenzen ihres Handelns zu erkennen und gemäss dieser Einsicht nach freiem Willen und unbeeinflusst zu handeln.
Das ist kein absoluter, objektiver Massstab. Vielmehr beurteilt sich die Urteilsfähigkeit nach der geistigen Leistungsfähigkeit der verfügenden Person und den Umständen im Einzelfall. In den Worten des schweizerischen Bundesgerichts:
Bei gesunden Personen wird die Urteilsfähigkeit aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung vermutet. Bei Patientinnen oder Patienten mit einer Demenzerkrankung ist die Lage allerdings nicht so eindeutig. Der Krankheitsverlauf, der häufig einen kontinuierlichen Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit mit sich bringt, erschwert die Bestimmung der Urteilsfähigkeit. In solchen Fällen ist es oft schwierig, herauszufinden, ob eine Person im Zeitpunkt der Testamentserstellung urteilsfähig war oder nicht. Der Rückgang der kognitiven Fähigkeiten verläuft auch nicht rein linear. Betroffene Personen haben manchmal bessere, dann wieder schlechtere Tage. So kann die Verfügungsfähigkeit auch von der Tagesverfassung des Testators oder der Testatorin abhängen.
Die Überprüfung der Urteilsfähigkeit zu Lebzeiten
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, ein Testament zu errichten. Eine davon ist die öffentliche Beurkundung durch einen Notar bzw. eine Notarin. Zu deren beruflichen Sorgfaltspflichten gehört auch, die Verfügungsfähigkeit von Personen, deren letzten Willen sie beurkunden, zu überprüfen. Wenn beispielsweise die verfügende Person sich mehrfach selbst widerspricht oder keine klaren Aussagen machen kann, sind Notarinnen und Notare zur Abklärung verpflichtet. Bekommen sie dabei Zweifel an der Urteilsfähigkeit, so können sie die Beurkundung vorläufig verweigern und ein Sachverständigengutachten einholen. Dieses wird in der Regel durch Ärzte oder Psychologen anhand von standardisierten Tests erstellt.
Die Prüfung der Urteilsfähigkeit erfolgt in zwei Schritten:
- Liegt eine Hirnleistungsstörung vor? (medizinische Frage)
- Ist die Urteilsfähigkeit in Bezug auf das vorliegende Rechtsgeschäft bzw. die konkrete Situation gegeben? (rechtliche Frage)
Wichtig ist dabei anzumerken, dass sich die Urteilsfähigkeit nie mit absoluter Sicherheit bejahen oder verneinen lässt. Ein Expertengutachten gibt lediglich eine fundierte Einschätzung anhand anerkannter wissenschaftlicher Verfahren wider. Bestehen Zweifel an der Zuverlässigkeit, so können auch weitere Gutachten eingeholt werden. Die Urkundsperson (oder das Gericht) wird sich auf diese stützen, um unter Würdigung der Einzelfallumstände über die Verfügungsfähigkeit zu entscheiden.
Die Überprüfung eines Testaments zu Lebzeiten
Liegt bereits ein Testament vor, so kann die Urteilsfähigkeit in Bezug auf dieses anhand konkreter Schritte überprüft werden. Zuerst wird die intellektuelle Komponente geprüft («Versteht der/die Verfügende das Testament und seine Folgen?»), anschliessend die voluntative Komponente («Entspricht es seinem/ihrem Willen?»).
- Zunächst ist zu hinterfragen, ob die verfügende Person den Sachverhalt und den Inhalt ihres Testaments versteht und in eigenen Worten wiedergeben kann. Dazu lässt man sie das Testament lesen oder liest es vor und bittet sie darum, zu beschreiben, was der Text aussagt.
- Der nächste Prüfungsschritt untersucht, ob sich der Inhalt der letztwilligen Verfügung mit den Wertvorstellungen und Absichten deckt. Die Frage «Entspricht das dem, was Sie wollen?» ist ein möglicher Ausgangspunkt. Sie ist aber nicht unbedingt zielführend, da Personen mit Demenz mitunter anfällig für Manipulation sind. Deshalb sollten ergänzend Informationen von (mehreren) Angehörigen und aus dem Lebenslauf oder weiteren Unterlagen der verfügenden Person eingeholt werden. Decken sich diese mit den Inhalten des Testaments, so entspricht es wohl den Wertvorstellungen und dem Willlen des Verfassers bzw. der Verfasserin.
- Ist weiterhin unklar, ob die verfügende Person das Testament versteht und seine Folgen beabsichtigt, so kann man sie ersuchen, ihre Sicht der Konsequenzen darzulegen. Weiter soll die Person Alternativen benennen und die Inhalte mit anderen Formulierungen ausdrücken. Die Fragestellung sollte dabei aber nicht zu kompliziert sein, da sonst das Ergebnis verfälscht würde. Man könnte zum Beispiel fragen: «Wer würde erben, wenn Sie Ihre Cousine nicht im Testament erwähnen?».
Wie kann ein Testament nach dem Ableben überprüft werden?
Schwieriger gestaltet sich die Überprüfung, ob ein Erblasser im Errichtungszeitpunkt des Testaments verfügungsfähig war, wenn er bereits verstorben ist. Der Grund dafür ist ebenso einfach wie logisch: Man kann die Person nicht mehr dazu befragen, wie sie ein Testament versteht und ob sie dessen Folgen tatsächlich herbeiführen möchte. Dieses Problem stellt sich vielfach dann, wenn eine Person mit Demenz kurze Zeit vor ihrem Ableben noch ein eigenhändiges Testament verfasst (und dabei die Formvorschriften eingehalten) hat.
Nicht selten kommt es dann im Erbgang zu Uneinigkeiten zwischen den Erbinnen und Erben (oder Vermächtnisnehmern), unter denen manche von der umstrittenen Verfügung profitieren, während andere dadurch benachteiligt werden. In solchen Fällen ist es umso wichtiger, Einsicht in die Akten der Verstorbenen zu nehmen und anhand dieser die Krankheitsgeschichte zu rekonstruieren. Beauftragen die Erben oder das Gericht eine Fachperson mit der Erstellung eines Gutachtens post mortem, so ist dies eine noch grössere Herausforderung als zu Lebzeiten. In der Regel wird sich die Fachperson auf dokumentierte Umstände und Tatsachen rund um den Errichtungszeitpunkt der letztwilligen Verfügung stützen, um auf den Geisteszustand des Verfassers bzw. der Verfasserin rückzuschliessen. Auch hier gilt: Je einfacher der Inhalt des Testaments und je übersichtlicher die Familien- und Vermögensverhältnisse, desto eher kann die Urteilsfähigkeit und damit die Gültigkeit bejaht werden.
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