Etwas Gutes tun. An andere denken. Marlies und Georges Bertschmann aus Zürich erzählen, warum sie verschiedene Hilfswerke in ihren Testamenten bedacht haben.
Es sind zwei fröhliche Menschen, Marlies und Georges Bertschmann. Wir, alle geimpft, begrüssen uns mit Ellbogenkontakt. Die Wohnung am Stadtrand von Zürich ist hell und gemütlich eingerichtet. Dem Sturm sei es zu verdanken, dass sie jetzt bis zum nahen Schulhaus sehen könnten, sagt Marlies Bertschmann, eine rüstige Seniorin, der ich die fast achtzig nicht gegeben hätte.
Sie lächelt. Bewegt sich leichtfüssig durch die Wohnung, serviert Kaffee und Kuchen. Ihr Mann nickt, als ich ihn frage, ob er die Bilder an der Wand gemalt habe. «Ich begann damit vor bald 50 Jahren. Meine Tante zeigte mir einige handwerkliche Kniffs, den Rest brachte ich mir selber bei. Hier im Keller habe ich mir ein Atelier eingerichtet.»
Ein Leben lang auf der Landstrasse unterwegs
Er verwende ausschliesslich Ölfarben, male auf Leinwand, sagt der langjährige Lastwagen-Chauffeur, der einen kreativen und handwerklichen Beruf erlernt hat. «Ich machte eine Lehre als Kunst- und Bauschlosser. Danach wechselte ich auf die Landstrasse und gab das Steuer 25 Jahre lang nicht mehr aus der Hand.» Nach seiner Frühpensionierung mit 62 Jahren fuhr Georges einige Zeit für die Organisation «Nez Rouge».
Aufgewachsen ist Georges Bertschmann in Basel. «Ich kam 1941 zur Welt und war ein Einzelkind», erzählt er. «Das hat Vorteile – und Nachteile. Du musst allein abwaschen, bist oft auf dich selbst gestellt – und erst noch an allem schuld.» Er lacht, wie er es noch einige Male tun wird.
Dann will er wissen, für welchen Klub mein Herz schlage? Für den FCZ, seit 60 Jahren, antworte ich. Und wir reden über Fussball, über Leidenschaft und den Umgang mit Niederlagen. Marlies Bertschmann sagt: «Mich stört das, wenn die Fans randalieren, Zeugs kaputtschlagen. Das geht doch nicht.» Ihr Mann schüttelt den Kopf. Sagt: «Wenn Basel verloren hatte, liessen wir den Kopf hängen und gingen nach Hause. Wir haben nie was zerstört.»
Seit 30 Jahren glücklich verheiratet
Marlies Bertschmann kennt ihr Quartier seit bald 80 Jahren. «Ich wuchs hier in Albisrieden auf. Zusammen mit elf Geschwistern.» Sie lacht über mein perplexes Gesicht. Sagt: «Mutter gebar sechs Mädchen und sechs Buben. Ich war die Zweitjüngste.» Die Eltern hätten ein Milchgeschäft geführt. Vater zog seinen Handwagen bis zu sieben Tage in der Woche durchs Quartier. Lieferte Milchprodukte aus.
Sie habe nach Abschluss der Sekundarschule eine Lehre als Medizinische Praxisassistentin gemacht und sei schlussendlich bei einem Internisten mit Praxis in Zürich hängen geblieben. «27 Jahre arbeitete ich für Dr. Bondolfi.» Der Umgang mit Menschen und ihren gesundheitlichen Problemen faszinierte Marlies Bertschmann. Und die Zusammenarbeit mit dem Arzt, bedeutete ihr viel. «Es entstand eine Freundschaft zwischen uns und Doktor Bondolfi, die viele, viele Jahre standhielt», sagt sie. Er sei es gewesen, der das Ehepaar animiert habe, die Welt zu bereisen.
Georges und Marlies lernten sich vor über 30 Jahren kennen. «Und so heirateten wir, liessen uns in Willerzell am Sihlsee trauen.» Der Glaube sei wichtig, sagt Marlies Bertschmann. «Viele Menschen haben es leichter, wenn sie an etwas glauben.»
Sie verlobten sich auf dem Breithorn
Das Ehepaar ist kinderlos geblieben. 30 Jahre waren die Bertschmanns Mitglieder im Alpenclub, lernten die Schweiz kennen. Und so erstaunt es den Chronisten nicht, als er erfährt, die beiden hätten sich auf dem Walliser Breithorn verlobt. 4164 Meter über Meer versprachen sie sich, einander beizustehen. Das Leben zusammen zu verbringen.
Und dieses Leben genossen sie nach der Pensionierung rund um den Erdball. Marlies Bertschmann schaut ihren Georges an. «Wir bereisten einige Länder.»
Gefallen hat es Marlies Bertschmann vor allem in Usbekistan und Kirgistan. «Das sind farbige Länder mit einer wunderschönen Natur.» Fasziniert waren die Eheleute ebenso von Zürichs Partnerstadt Kunming. Die 6,5 Millionen Einwohner zählende Metropole liegt in Chinas südlicher Provinz Yúnnán. «Es war schön dort. Die Menschen hatten immer ein Lächeln für einen übrig. So wie überall in Asien.»
Vom Eistanz zum Linedance
Das Lächeln spielte in Marlies’ Hobby ebenfalls eine Rolle. Jahrelang trainierte sie Eistanz. Tanzen geht sie immer noch. Heute ist das Linedance ein geliebtes Hobby.
Zum Tanzen konnte Marlies ihren Georges nicht überreden. Skitouren hätten sie regelmässig unternommen und viel Sport getrieben, erzählt sie.
Auf die Frage nach weiteren Hobbies lacht Marlies Bertschmann: «Ich lernte mit 58 Jahren noch Klavier spielen und gehe seit über 20 Jahren alle 14 Tage in die Stunde.»
Netzwerk für Menschen mit Behinderungen
Marlies und Georges Bertschmann leben sehr bewusst. Das Letzte Büro ist längst gemacht. Über die Patientenverfügungen haben die Eheleute ebenfalls gesprochen. Die Testamente sind geschrieben. Marlies Bertschmann: «Wir sind uns einig und wissen seit Längerem, welche Institutionen wir einmal bedenken wollen.» Ihr Mann nickt. «Wir haben vier Institutionen ausgewählt. Die unterstützen wir seit einigen Jahren.»
Die Pro Infirmis ist eine dieser Institutionen. «Eine meiner Schwestern litt an Kinderlähmung, sie erzählte regelmässig von Zusammenkünften der Pro Infirmis», sagt Marlies Bertschmann. Sie habe in all den Jahren gemerkt, wie wichtig die Pro Infirmis für die Betroffenen sei. «Menschen mit Behinderungen brauchen ein verlässliches Netzwerk.»
Viel über die eigene Grosszügigkeit geredet
In Zürich verankert ist die Beziehung zu den Sozialwerken von Pfarrer Sieber. «Er war einer von uns, ein grossartiger, bodenständiger Mensch. Wir kannten ihn und verfolgten seine Arbeit», sagt Marlies Bertschmann. «In der Kirche Altstetten besuchten wir Konzerte, lauschten seinen Reden.» Georges pflichtet ihr bei. «Seine Arbeit, die Arbeit seiner Leute ist wichtig, deshalb unterstützen wir diese Organisation.»
Text: Martin Schuppli, Fotos: Peter Lauth