Vertretung bei Urteilsunfähigkeit und Handlungsunfähigkeit

Grundsätzlich können erwachsene Personen über alltägliche und wichtige Entscheidungen in ihrem Leben selbst befinden. Wenn die Urteilsfähigkeit durch Krankheiten oder andere geistige Beeinträchtigungen eingeschränkt wird, kann eine Vertretung notwendig werden.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Beurteilung der Urteilsunfähigkeit und der Handlungsunfähigkeit hängt immer von der konkreten Situation ab. Eine generelle Handlungsunfähigkeit besteht nur in schwerwiegenden Fällen.
  • Es wird empfohlen, die Vertretungsbefugnis im Rahmen einer Patientenverfügung (Vertretung in medizinischen Fragen) beziehungsweise eines Vorsorgeauftrages (Vertretung für andere Lebensbereiche) zu regeln.
  • Hat eine Person seine/ihre Vertretung nicht in einem Vorsorgeauftrag geregelt, kommt die Vertretung grundsätzlich dem/der Ehegatten/Ehegattin zu. Der Vertretungsumfang ist jedoch beschränkt, und im Zweifelsfall sollte die Erwachsenen- und Kinderschutzbehörde (KESB) kontaktiert werden.
  • In Bezug auf medizinische Belange regelt das Gesetz die Reihenfolge der Vertretungsbefugten für den Fall, wenn keine Patientenverfügung vorliegt.
  • Die Funktion der KESB umfasst den Schutz der urteilsunfähigen Person, weshalb sie die (gewählte) Vertretung überprüft. Zudem kann sie bei Bedarf auch selbst Beistandschaften einsetzen und somit Vertretungsbefugte bestimmen.

Was bedeutet Handlungsunfähigkeit und Urteilsunfähigkeit?

Handlungsfähigkeit

Die Handlungsfähigkeit umfasst die Fähigkeit, durch Handlungen Rechte und Pflichten zu begründen. So kann eine Person beispielsweise in einem Elektronikgeschäft einen Fernseher kaufen (Abschluss eines Kaufvertrags) und verpflichtet sich dadurch zur Bezahlung des Kaufpreises. Wird ein Geschäft trotz fehlender Handlungsfähigkeit abgeschlossen, ist es ungültig und die handlungsunfähige Person wird dadurch nicht verpflichtet. Damit eine Person voll handlungsfähig ist, müssen zwei Voraussetzungen gegeben sein: die Volljährigkeit und die Urteilsfähigkeit.

Minderjährige Personen sind nie voll handlungsfähig. Für den Abschluss von Geschäften wird grundsätzlich die Zustimmung der gesetzlichen Vertretenden vorausgesetzt – normalerweise sind dies die Eltern. Davon gibt es aber Ausnahmen: So darf eine minderjährige, nicht voll handlungsfähige Person geringfügige Angelegenheiten des täglichen Lebens besorgen (z.B. Alltagseinkäufe). Zudem ist zu beachten, dass bei höchstpersönlichen Rechten wie der Eheschliessung oder der Verfassung eines Testaments keine Vertretung durch die Eltern möglich ist. Somit muss die urteilsfähige minderjährige Person bis zur Volljährigkeit warten, um diese Rechte ausüben zu können.

Mit anderen Worten ist eine minderjährige Person also grundsätzlich handlungsunfähig und braucht beispielsweise zum Abschluss eines grösseren Kaufs die Zustimmung der Eltern. Je nach Geschäft kommt einer minderjährigen urteilsfähigen Person aber ausnahmsweise beschränkte Handlungsfähigkeit zu, weshalb auch minderjährige Person rechtsgültig kleinere Einkäufe tätigen können.

Urteilsfähigkeit

Die Urteilsfähigkeit ist der zweite Teilaspekt der Handlungsfähigkeit. Sie umfasst die Fähigkeit, vernunftgemäss zu handeln. Dies bedeutet, dass die Person sich der Tragweite einer bestimmten Entscheidung bewusst ist und sich entsprechend verhalten kann. Kann die Person dies in einer Situation nicht, ist sie urteilsunfähig. Somit muss die Urteilsunfähigkeit grundsätzlich für die jeweilige Situation beurteilt werden. Wichtige Kriterien zur Beurteilung der Urteilsunfähigkeit sind die Komplexität aber auch das Ausmass der wirtschaftlichen Folgen des Geschäfts. Bei schwerwiegenden Krankheiten (insbesondere bei fortgeschrittener Demenz) sowie anderen schwersten geistigen Beeinträchtigungen besteht eine Urteilsunfähigkeit für alle Handlungen. Dies unabhängig davon, wie komplex ein Geschäft ist und welche wirtschaftlichen Auswirkungen es hat. Alltagseinkäufe sind bei einer solch umfassenden Urteilsunfähigkeit somit auch eingeschlossen. Eine Person kann sodann auch nur für eine bestimmte Zeit urteilsunfähig sein. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn sie im Koma liegt und nicht ansprechbar ist.

Beispiel
Die 40-jährige Frau X, welche an einer mittelschweren geistigen Behinderung leidet, kann ohne Probleme alltägliche Einkäufe tätigen. Unter Umständen ist sie aber urteilsunfähig in Bezug auf einen Hauskauf, die Aufnahme von Hypotheken oder das Verfassen eines Testaments.

Festlegung der Vertretungsbefugnis mittels Vorsorgeauftrag/Patientenverfügung

Ist eine Person urteils- und somit auch handlungsunfähig, stellt sich die Frage, wer sie vertreten kann und soll. Eine Person kann die Vertretung im Vorsorgeauftrag für den Fall ihrer Urteilsunfähigkeit selbst regeln, solange sie noch urteils- und handlungsfähig ist. Für die Erstellung der Patientenverfügung reicht hingegen Urteilsfähigkeit aus. In der Patientenverfügung kann die Person festlegen, wer sie in medizinischen Fragen vertreten soll. Im Vorsorgeauftrag kann sie eine Vertreterin ernennen, die sie bei Entscheidungen in den anderen Lebensbereichen vertritt. Detaillierte Informationen dazu finden Sie im Ratgeberbeitrag «Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung – brauche ich beide?».

Wer ist vertretungsbefugt, falls die urteilsunfähige Person nichts geregelt hat?

Hat eine Person keine Person zur Vertretung befugt, sind unterschiedliche gesetzliche Regelungen vorgesehen. Nicht-medizinische Fragen sind anders zu behandeln, als medizinische Belange.

In Bezug auf nicht-medizinische Entscheide sieht das Gesetz vor, dass die Vertretung bei einer urteilsunfähigen Person grundsätzlich dem/der Ehegatt:in zukommt. Diese muss selbst urteilsfähig sein und in einer tatsächlichen Beziehung mit der urteilsunfähigen Person stehen. Die Ehegatten können die Partner:in beispielsweise nicht vertreten, wenn sie rechtlich gesehen verheiratet sind, aber tatsächlich getrennt leben und sich zudem nicht regelmässig Beistand leisten. Sie können die Partner:in auch nicht vertreten, wenn die nun urteilsunfähige Person die Vertretung ihres Ehegatten ausgeschlossen hat, als sie noch urteilsfähig war.

Beispiel:
Herr Y lebt mit seiner Ehepartnerin X in einem gemeinsamen Haushalt, als er aufgrund eines Unfalls urteilsunfähig wird. Herr Y hat keinen Vorsorgeauftrag verfasst. Die Vertretung kommt Frau X zu, sofern sie dies möchte.
Anders würde es aussehen, wenn Herr Y zu Zeiten, als er noch urteilsfähig war, festgehalten hat, dass Frau X ihn nicht vertreten darf. Wenn er in einem solchen Fall keinen Vorsorgeauftrag verfasst hat, wird die Erwachsenenschutzbehörde KESB einen Beistand bestellen.

Ist ein/eine Ehegatte/Ehegattin vorhanden, welche die Voraussetzungen erfüllt, kann diese bestimmte Handlungen und Entscheidungen für ihren urteilsunfähigen Partner vornehmen.

So kann sie zum Beispiel:

  • Alles vornehmen, was zur Deckung des üblichen Unterhalts erforderlich ist: Darunter fallen beispielsweise die Besorgung von Nahrungsmitteln und Kleidung sowie die Verwaltung der Krankenkasse oder sonstiger Versicherungen. Als Massstab, ob etwas als üblich angesehen wird, gilt grundsätzlich der bisherige Lebensstandard der Ehegatten.
  • Die ordentliche Verwaltung des Einkommens und des Vermögens vornehmen: Beispiele hierfür sind das Einziehen von fälligen Forderungen, die Entgegennahme von Zahlungen oder die Geltendmachung von Lohnforderungen oder sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen. Der Verkauf einer Liegenschaft oder die Liquidation einer Gesellschaft sind Beispiele für ausserordentliche Handlungen. Solche Geschäfte dürfen nicht ohne Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde vorgenommen werden. Es ist nicht immer einfach zu beurteilen, ob etwas in die ordentliche oder ausserordentliche Verwaltung des Einkommens fällt. Aus diesem Grund kann der vertretungsbefugte Ehegatte / die vertretungsbefugte Ehegattin bei der Erwachsenenschutzbehörde anfragen, welche Geschäfte im konkreten Fall unter die ordentliche Verwaltung des Einkommens fallen.
  • Die Post öffnen und erledigen.

Betreffend Entscheidungen in medizinischen Belangen sieht das Gesetz eine klare Reihenfolge vor, wer über die medizinischen Massnahmen im Namen einer urteilsunfähigen Person befinden kann:

  1. die in einer Patientenverfügung oder in einem Vorsorgeauftrag bezeichnete Person;
  2. der Beistand oder die Beiständin mit einem Vertretungsrecht bei medizinischen Massnahmen;
  3. wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner einen gemeinsamen Haushalt mit der urteilsunfähigen Person führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet;
  4. die Person, die mit der urteilsunfähigen Person einen gemeinsamen Haushalt führt und ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet;
  5. die Nachkommen, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten;
  6. die Eltern, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten;
  7. die Geschwister, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten.

Erwähnenswert ist dabei, dass Ärzt:innen dringliche Entscheidungen selbst vornehmen können. Selbstverständlich sind diese immer verpflichtet, den mutmasslichen Willen der betroffenen Person zu befolgen.

Rolle der Erwachsenen- und Kinderschutzbehörde (KESB)

Hauptziel der KESB ist die Sicherstellung des Schutzes hilfsbedürftiger Personen. Urteilsunfähige Personen gelten als hilfsbedürftige Personen und sind somit von diesem Schutzauftrag erfasst. Deshalb kommt sie auch bei Vertretungsfragen ins Spiel. Die KESB stellt die Urteilsunfähigkeit einer Person fest und prüft anschliessend von Amtes wegen, ob ein Vorsorgeauftrag vorliegt und ob dieser gültig errichtet wurde. Dies ist notwendig, damit der Vorsorgeauftrag in Kraft tritt. Die Behörde nimmt sodann Kontakt mit der im Vorsorgeauftrag beauftragten Person auf und klärt ab, ob diese den Auftrag annimmt. Die KESB muss zudem schriftlich informiert werden, wenn eine Person unter einem Vorsorgeauftrag eine andere Person vertritt, diese Vertretung aber aufgeben möchte. Zudem ordnet die KESB trotz Vorliegen eines Vorsorgeauftrags Massnahmen (insbesondere Beistandschaften) an, wenn die Interessen der urteilsunfähigen Person gefährdet oder nicht mehr gewahrt sind.

Falls kein umsetzbarer Vorsorgeauftrag verfasst wurde, kein/e Ehegatt:in vorhanden ist oder wenn diese die Vertretung ablehnt, setzt die KESB eine Vertretungsbeistandschaft ein. Diese kann unterschiedlich ausgeprägt sein: Sie kann sich beispielsweise nur auf bestimmte Geschäfte beziehen oder umfassend sein (der Beistand kümmert sich um alle Angelegenheiten).

Auch in Bezug auf medizinische Fragen kann ein Eingreifen der KESB notwendig sein. Dies ist dann der Fall, wenn gemäss gesetzlicher Reihenfolge keine Person vorhanden ist oder wenn mehrere Personen entscheidungsbefugt wären, sich diese aber nicht einigen können.

Beispiel
Herr Y hat keinen Vorsorgeauftrag verfasst und hat weder eine Ehegattin, noch lebt er mit einer anderen Person zusammen. Somit wären seine Nachkommen befugt, Entscheidungen in Bezug auf medizinische Massnahmen zu treffen. Wenn sich die Nachkommen untereinander uneinig sind, muss die KESB eine Vertretungsbeistandschaft errichten.

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