«Man kann plötzlich nicht mehr wollen.» So bringt Markus Zwicky, ehrenamtlicher Präsident des Vereins Equilibrium, die Antriebslosigkeit bei Depressionen auf den Punkt. Zwicky ist seit nunmehr vier Jahren Präsident, aber bereits seit der Gründung des Vereins vor fast dreissig Jahren bei Equilibrium engagiert. Damals gab es noch keine Selbsthilfegruppen für Betroffene. Der erste Anlass des Vereins mit dem Thema «Depressionen und Selbsthilfe» erlebte einen riesigen Ansturm von Betroffenen und Interessierten. Inzwischen spreche man zwar offener über psychische Krankheiten und Depressionen und müssen sie nicht mehr mit Alkohol oder Beruhigungstabletten selbst therapieren. Doch eine Depression würde noch immer häufig mit Scheitern gleichgesetzt: «Beliebter als Depressionen ist der Begriff Burnout, da dieser auf eine übermässige Leistung verweisen soll. Doch eigentlich ist Burnout einfach der Macho-Ausdruck für eine Erschöpfungsdepression», sagt Markus Zwicky.
Aufklären und das Verhüllungstuch heben
Weltweit leidet rund jede fünfte Person einmal in ihrem Leben unter einer Depression und jede zwanzigste Person ist chronisch depressiv. Der Verein Equilibrium will Depressionen enttabuisieren. Entscheidend sei die Aufklärung: Über die Krankheit zu informieren und «das Verhüllungstuch sorgfältig heben», formuliert es der Präsident des Vereins. Wichtig seien Menschen, vor allem Prominente, die offen zu ihrer Krankheit stehen. Dieses «Outing» habe eine Vorbildfunktion, damit Betroffene vermehrt über ihr Befinden sprechen.
Wie erkennt man Menschen mit psychischen Krankheiten und wie geht man mit ihnen um? Auch dafür setzt sich der Verein Equilibrium ein: Als Patientenorganisation arbeitet sie mit Bund, Kanton und Krankenversicherungen sowie mit Unternehmen oder Kliniken zusammen und fördert Projekte zur Sensibilisierung für psychische Krankheiten und Entstigmatisierung von Depressionen. Kampagnen und Schulungen in Firmen vermitteln das nötige Fachwissen. Gerade im Arbeitsleben sei es entscheidend, früh genug auf Menschen mit Depressionen zuzugehen: Bevor es zu spät ist, sollen Vorgesetzte und Personalverantwortliche psychische Symptome ansprechen, Lösungen erarbeiten und auf Angebote wie Selbsthilfegruppen hinweisen.
Selbsthilfegruppen: Nachsorge ergänzt Vorsorge
Neben der Vorsorge ist bei psychischen Krankheiten die Nachsorge wichtig. Nach einem Knochenbruch gehe man schliesslich auch regelmässig in die Physiotherapie. Doch nachdem man mit einer psychischen Krankheit aus der Therapie beziehungsweise einer Klinik entlassen wurde, ist man meist auf sich gestellt: «Man kann es mit der ersten Autofahrt ohne Fahrlehrerin vergleichen. Wir geben den Betroffenen in dieser Phase Sicherheit und Struktur», sagt Markus Zwicky.
Die Selbsthilfegruppen bilden einen zentralen Pfeiler in dieser Alltagsstruktur: Worauf muss ich achten, um wieder ins Leben einzusteigen und auf dem Fahrersitz die Führung zu übernehmen? Mit einer Privatklinik hat der Verein Equilibrium ein Kommunikationsprojekt lanciert, um Menschen mit Depressionen nach ihrem Klinikaufenthalt über das Angebot der Selbsthilfegruppen zu informieren. In den Selbsthilfegruppen befähigen Betroffene andere Betroffene, wieder im Leben Halt zu fassen. Die Gruppen bestehen aus Laien, die meist Mitglieder des Vereins Equilibrium sind. Mit Geldern aus einem Legat finanziert der Verein Weiterbildungsveranstaltungen, um diese Mitglieder auszubilden: Der Verein hat Expertinnen und Expertinnen – darunter ein Karrierecoach, eine Klangtherapeutin, eine Atemtherapeutin und eine Yogalehrerin – engagiert, um unterschiedliche Ansätze zur Therapie von Depressionen zu vermitteln.
«Unser Hauptziel ist es, die Patienten und Patientinnen zu befähigen und sie über ihre Krankheit aufzuklären», sagt Markus Zwicky. «In den Selbsthilfegruppen unterstützen Betroffene andere Betroffene – so geschieht die Beratung auf Augenhöhe und nicht belehrend.» Neben den Selbsthilfegruppen betreibt Equilibrium auch eine Beratung via Nottelefon, die auf Freiwilligenarbeit beruht. Die Anlaufstelle der Dargebotenen Hand unter der Nummer 143 leitet bei Bedarf Anrufe an die Hotline von Equilibrium weiter.
Mit Erbe Depressionen lindern
Institutionen, Pharmafirmen, Kliniken und Private unterstützen den Verein Equilibrium, um konkrete Projekte umzusetzen. Dabei muss der Verein sein Programm jeweils darauf ausrichten, ob er im laufenden Jahr private Spendengelder erhält oder nicht. Oft sind es Betroffene, die den Verein finanziell unterstützen, und mit ihrem Erbe das Engagement für Menschen mit Depressionen fördern möchten. «Das soll kein anderer Mensch mehr durchmachen müssen» ist die Motivation, tabuisierte Themen anzusprechen, unter denen man selbst als Betroffene:r gelitten hat: Kindheit und Depressionen, Jugend und Depressionen sowie Alter und Depressionen seien immer noch besonders tabuisierte Phasen. Als Kind möchte man möglichst so sein wie seine Klassenkamerad:innen, als Jugendliche:r stehen wegweisende Entscheide für die Berufswahl an, und im Alter gingen Depressionen oft mit Substanzmissbrauch einher, so Zwicky.
Finanziert wird der Verein zu rund einem Drittel aus öffentlichen Geldern, für den Rest ist der Verein auf private Spenden angewiesen. «Finanzielle Unterstützung aus Legaten und Testamenten ist für uns sehr wichtig. Sie ist auch ein Zeichen dafür, wie viel es noch zu tun gibt, um Menschen mit Depressionen zu helfen», so Präsident Markus Zwicky.
Der Verein Equilibrium habe in den letzten Jahren rund zehn Spenden von der Kollekte beim Ableben eines Mitglieds, das dem Verein nahestand, erhalten. Im Jahr 2021 hat zudem ein ehemaliges Mitglied den Verein mit einem Legat von CHF 15’000.00 begünstigt: «Dies war unglaublich wertvoll für uns, wir fühlten unsere Arbeit wertgeschätzt und konnten mit dem Geld wesentliche Projekte finanzieren», sagt Zwicky.
Engagement von Equilibrium sichtbarer machen
Vereinspräsident Markus Zwicky möchte das Angebot von Equilibrium noch bekannter machen und die Mitgliederzahl des Vereins erweitern. Um die Nachfrage nach Dienstleistungen für Menschen mit Depressionen und für ihre Angehörigen zu bewältigen, müsse die Infrastruktur des Vereins ausgebaut werden. Mitglieder von Equilibrium erhalten in einem Newsletter regelmässig niederschwellige Informationen, Anregungen und Trost. «Bei den mehrmals pro Jahr stattfindenden Mitgliederanlässen steht das Wir-Gefühl im Zentrum. Betroffene spüren, dass sie nicht allein sind», so Zwicky.
Aufeinander schauen und sich mitteilen: Das sei zentral, denn Menschen mit Depressionen fühlen sich in ihrem Umfeld oft einsam – nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im Arbeitsalltag oder in der Familie. Im Verein dürfen Betroffene alles ansprechen, wenn sie in einer lustlosen Phase sind. Dinge, über die man im privaten Umfeld vielleicht nicht reden mag, weil man niemandem zur Last fallen will.
Der Verein ist auch für Angehörige von Menschen mit Depressionen eine wichtige Anlaufstelle: «‘Oh Gott, geht das schon wieder los’, denken Angehörige, wenn es Betroffenen schlechter geht und sie darüber reden wollen. Bei Equilibrium erfahren Angehörige, wie sie mit ihren Ängsten und der Krankheit umgehen, ihr eigenes Verhalten reflektieren können», beschreibt Markus Zwicky das Engagement des Vereins.
Die Leichtfüssigkeit des Seiltänzers, der als Markenzeichen von Equilibrium gekonnt auf dem Seil spaziert, mag auf den ersten Blick für viele Betroffene unerreichbar scheinen: Betroffene fühlen sich zunächst gelähmt, ausgebremst und antriebslos. Erkrankte müssen viele Umbrüche und Krisen überstehen, bis sich ein Gleichgewicht einstellen kann. Damit Körper und Psyche, sowie Befindlichkeit und Alltag in eine gesunde Balance kommen, brauchen Menschen mit Depressionen Unterstützung. Diese leistet Equilibrium, damit erkrankte Menschen irgendwann wieder das Gleichgewicht des Seiltänzers (er)leben können.
Equilibrium – Verein zur Bewältigung von Depressionen
https://www.deinadieu.ch/hilfswerke/equilibrium/
Der gemeinnützige Verein mit Sitz in Zug unterstützt seit 1994 Menschen mit Depressionen und ihre Angehörigen. Die Anlaufstelle erbringt schweizweit eine Vielzahl von Unterstützungs- und Entlastungsangeboten, um den Alltag von Menschen mit Depressionen und deren Angehörigen zu erleichtern: Beratungen, Newsletter, Anlässe und Zusammenarbeit mit Kliniken, Institutionen und anderen Beratungsstellen.
Der Verein vernetzt ausserdem Freiwillige und Fachpersonen, die sich für Betroffene engagieren möchten. Equilibrium ist für alle Menschen offen, unabhängig davon, wie sie beispielsweise zur Medikation von Psychopharmaka stehen. Der politisch und konfessionell unabhängige Verein Equilibrium freut sich über neue Mitglieder.
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