Deshalb besuchte sie bei Murielle Kälin, ehemalige Bankkauffrau und Trauerrednerin aus Olten, ein Seminar. Für DeinAdieu berichtet sie darüber.
Der Morgen an diesem 18. März präsentiert sich grau, wolkenverhangen. Es regnet. «Der Himmel lacht Tränen», denke ich. Mich störts nicht, im Gegenteil. Die Wetterkulisse passt zu Diskussionen über Patientenverfügung, Organspende und Trauerfeier. Die Regentropfen passen zum Seminar «wie plane ich meine letztes Fest.»
Als 44-jährige Frau mit neuem Zivilstand, frisch geschieden, kinderlos, möchte ich das Tabu Tod und Endlichkeit aufweichen. Schliesslich bin ich seit Jahresbeginn alleine für mein Leben verantwortlich. Die Planung meines letzten Festes will ich nicht den Angehörigen überlassen. Das Seminar soll mir helfen, meine letzten Wünsche zu definieren und baldmöglichst niederzuschreiben. Obwohl die Einladungen zu diesem Fest frühestens 2072, also in 55 Jahren verschickt werden sollen.
«Was hast du für Erwartungen an den Seminar-Tag?», fragt mich Murielle Kälin. Ich schmunzle. Im Blog von DeinAdieu habe ich bereits einige Beiträge gelesen. Habe mich mit Tod und Endlichkeit auseinandergesetzt. Testamentsgenerator und Bestattungsplaner kenne ich bereits. «Es gibt Dinge, von denen ich trotzdem keine Ahnung habe. Dinge, dich ich besser kennenlernen möchte», sage ich zur Schauspielerin und Autorin. «Etwa beschäftigt mich die Frage: Brauche ich eine Patientenverfügung? Was soll ich darin definieren? Was gehört nicht hinein? Und ist Organspende ein Thema?»
Nebst den Möglichkeiten, sich mit diesen Fragen zu befassen, soll ein lockerer, fröhlicher Austausch stattfinden. Wir philosophieren über Themen wie «wo und wie gedenke ich zu sterben» oder «was möchte ich ich unbedingt noch machen, bevor ich sterbe.»
Planung von Hochzeit und Trauerfeier ähneln sich
Spannend wirds beim ersten Brainstorming zum Thema «was ist zu tun, wenn ein Angehöriger, ein Familienmitglied stirbt?». Einiges ist uns klar. Jeannette und ich kritzeln rosarote und gelbe Blätter mit den wichtigsten Punkten voll.
Anschliessend vertiefen wir unsere Kenntnisse in der nächsten Übung «wie plane ich ein letztes Fest». Will heissen, wie plane ich eine Bestattung, Als Grundlage dient uns die Checkliste für die Organisation einer Hochzeit.
Elementare Punkte wie Termin festlegen, Lokalität aussuchen und die Reservation von Pfarrer oder Ritualbegleiter sind bei Hochzeit oder Trauerfeier ein Thema. Das Erstellen einer Gästeliste sowie die Planung des Festmahls gehören ebenfalls dazu. Allerdings fällt bei einer Hochzeit das Essen meist etwas üppiger aus.
Da stellt sich natürlich die Frage, wieviel darf denn eine «Boden-Hochzeit» kosten, so wird die Bestattung von Murielle Kälin genannt? Natürlich gibt es Preisunterschiede. Sterben sei ein lukratives Geschäft, weiss die Seminarleiterin zu berichten. Glücklicherweise gibt es Dienstleistungen, die bei einer Bestattung unentgeltlich sind. Leider nicht in der ganzen Schweiz. Es regiert der Kantönligeist.
In Jeans und T-Shirt den letzten Blog-Beitrag verfassen
Als Nächstes philosophieren wir über das Thema: Wie möchte ich sterben? Und wo? Über das wie und das wo bin ich mir noch im Unklaren. Erstens kommt es anders, und zweitens als Frau denkt. Einige Punkte im Bestattungsplaner zu meiner Trauerfeier habe ich bereits definiert.
Passend gekleidet für die letzte Reise
Für die Fahrt über den Hades bevorzuge ich Jeans, ein Shirt in den Farben weiss, orange, rot, oder weinrot. Die Schuhe müssen sportlich und elegant aussehen. Idealerweise wären sie schwarz.
Als Sargbeigabe benötige ich unbedingt meine «Freitag-Tasche» – mit Schreibblock, Kugelschreiber, Bleistift, Radiergummi und Spitzer. Taschentücher, Lippenpomade und Handcreme gehören ebenfalls dazu. Vielleicht finden sich in meiner Tasche für die letzte Reise auch Fotos von Menschen, die mich in meinem Leben begleitet haben.
Murielle hat sich für die letzte Reise einen Todeskoffer gepackt. Er beinhaltet ebenfalls Dinge, die ihr wichtig sind. Da wären ihre unzähligen Glücksmomente, verpackt in einem Einmachglas. Dies sind Dinge, wie zum Beispiel eine Gutschrift vom Steueramt oder ein Zitat, das ihr Herz berührt. Tanzschuhe, ein Stofftier oder Flyer zu ihren Theaterprojekten gehören dazu. Im Moment fehlt noch das Kleid, das sie tragen möchte.
Mein Leichenmahl würde nicht in einem Restaurant stattfinden. Ich möchte mir einen Saal in einem Gemeinschaftszentrum aussuchen. Als gesellige Person mag ich Apèros. Menschen begegnen sich bei Schinkengipfeli, Dipgemüse, Hackfleischbällchen und Fruchtspiesschen. Sie sollen die Möglichkeit haben, sich auszutauschen.
Einmal flussabwärts nach Rotterdam reisen?
Wo wäre meine letzte Ruhestätte? Vielleicht würde ich meine Asche an zwei Orten verstreuen lassen. In einem Flüsschen wie es die Suhre ist. So könnte ich mich in pulverisierter Form bis in den Rhein nach Rotterdam treiben lassen. Wäre überall und doch nirgends. Die andere Hälfte der Asche könnten meine Angehörigen in eine Bio-Urne füllen und verbuddeln, wo nachher ein Baum daraus wachsen kann. Das wäre wahrscheinlich nur auf dem eigenen Grundstück erlaubt. Andererseits liesse sich die Asche bei einem Baum vergraben. Idealerweise mit einer Ruhebank darunter. So bestünde die Möglichkeit, mich zu besuchen und sich mit mir zu unterhalten. Bei unerwünschten Besuchern wie pöbelnden, halbstarken Teenagern würde ich Möwen oder Krähen darüber fliegen lassen und darauf hoffen, dass diese dann zufälligerweise über der Parkbank … Sie wissen ja.
Damit erübrigt sich die Frage, ob ich einen einfachen Sarg oder ein Designermodell wähle. Aus Kostengründen wähle ich einen einfachen Sarg. Spätestens bei der Wahl von Sarg und Urne spürt die Trauerfamilie, ob der ausgewählte Bestatter etwas von seinem Handwerk versteht, Flexibilität zeigt. Einen guten Bestatter wählt Mann oder Frau übrigens aus Empfehlungen von Drittpersonen.
Vielleicht möchte ich meinen Sarg vorher bemalen. Meine Asche fände anschliessend Platz in einer Holz-Urne, mit einem Deckel der sich mühelos entfernen lässt. Murielle erlebt in ihrer Arbeit die unterschiedlichsten Geschichten. So geschah es bei einer Beisetzung, dass sich der Deckel der Urne nur mit Mühe öffnen liess. Entweder war er verschraubt oder verklebt. Und wer denkt daran, einen Schraubenzieher mitzuführen bei einer Asche-Beisetzung auf offener See oder auf einem Berg? Niemand. Bei einer Naturbestattung macht es aus meiner Sicht keinen Sinn, eine Designerurne zu wählen. Ausser die Asche würde vorher für längere Zeit zu Hause aufbewahrt.
Haben Sie gewusst:
Nach einer Kremation bleiben ca. 3,3 Kilogramm Asche zurück. Das ist etwa das Durchschnittsgewicht eines Neugeborenen. Geburt und Tod liegen offenbar näher zusammen, als Mann oder Frau glauben mag.
Etwas später betrachten wir die verschiedenen Todesanzeigen, die Murielle mitgebracht hat. Für mich ist es klar: Ich möchte als fröhliche Person bei meinen Angehörigen und Freunden in Erinnerung bleiben. Für mich soll niemand eine Standard-Todesanzeige in einer Zeitung schalten. Als Einladung zur Trauerfeier würde ich vor meinem Tod eine hübsche Fotokarte gestalten. Es müsste ein fröhliches Bild von mir sein. Geschossen von einer Profi-Fotografin.
Gedanken zu EXIT und Sterbebegleitung
Das Philosophieren geht weiter. Zu Themen wie EXIT oder Sterbebegleitung. Ich habe grossen Respekt vor Menschen, die mit EXIT in den Tod gehen. Ich weiss nicht, ob ich den Mut hätte, diesen Schritt zu wagen. Was ich als schwierig erachte, ist die Tatsache für die Angehörigen, sich mit der Entscheidung der betroffenen Person zu arrangieren. Diese zu verstehen, zu akzeptieren. Ich frage mich: Ist EXIT ein Geschäft mit der Angst, um nicht mehr leiden zu müssen? Oder haben die Betroffenen Angst, den Angehörigen mit ihrer Krankheit zur Last zu fallen?
Als Vergleich mache ich einen Abstecher ins Reich der Haustiere. Dort kennen wir sowohl Palliativmedizin wie Euthanasie, also aktive Sterbehilfe. Ich lehne keine der beiden Formen ab. Ein Tier in letzter Lebensphase von seinen Schmerzen zu erlösen und zu euthanasieren, finde ich richtig. Ich stelle mir nur die Frage, ob sich dieser Prozess irgendwann wie schleichend auf die Humanmedizin überträgt. In Spitälern, Alters- und Pflegeheimen. So würde das freiwillige Hinscheiden plötzlich salonfähig gemacht. Für mich eine sehr befremdende Vorstellung.
Murielle arbeitet ebenfalls als Sterbebegleiterin. Ich bewundere Menschen die diese Tätigkeit ausüben. I Sterben ist für mich ein sehr intimer Moment. Für die einen ist es gut, in dieser terminalen Phase begleitet zu werden. Ich kann nicht sagen, ob ich mir in dieser Phase Gesellschaft wünschte. Häufig schlafen Sterbende ein, wenn die Angehörigen nicht an ihren Betten sitzen. Vielleicht genau deshalb, weil sie in diesem Moment sein allein möchten.
Meditieren. Verrückte Dinge tun. Das Schlusslicht spüren.
Als nächstes meditieren wir 45 Minuten. Ich liege dazu. Unsere Meditation ist eine Reise, um den Tod zu spüren. Ihm zu begegnen und sich auf das Sterben einzulassen. Wir blicken noch einmal zurück auf das Leben und erkennen Stationen, die schwierig waren. Diese Meditation war eine neue, spannende Erfahrung für mich.
Letztes Fest: Zuerst noch leben und dann sterben
Bevor ich den Tod definitiv willkommen heisse, möchte ich noch eine Menge teils verrückter Dinge tun. Diese Liste liesse sich beliebig verlängern, was hier folgt ist nur eine kleine Auswahl.
Ich möchte:
- An einem Schlammlauf teilnehmen
- Von Bremgarten im Aargau auf die Rigi wandern
- Ein Wohnzimmerkonzert der Toten Hosen gewinnen
Zum Schluss des Seminars gibt uns Murielle einen Einblick in ihre Arbeit als Abschiedsgestalterin. Sie liest aus einer ihrer Trauerreden vor. Ich finde, wer Murielle Kälin als Rednerin bucht, handelt klug. Ihr Slogan «ich bin ein Schlusslicht» ist Garant für Wärme und Empathie. Und er bestätigt die Botschaft des Zitats «wo Schatten ist, muss ein Licht sein.»
Ein spannender, intensiver Seminartag geht zu Ende. Ich kann jetzt auf ein enormes Hintergrundwissen zurückgreifen, um mein letztes Fest zu planen. Dabei beobachte ich genau, wer dereinst an meiner letzten grossen Sause dabei sein wird. Und wenn ich Zeit finde, schreibe ich dazu einen Blogbeitrag auf silviasblog.ch
Text: Silvia Stierli, www.silviasblog.ch
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