In der Schweiz starben 2015 nach Angaben des Bundesamtes für Statistik 457 Kinder zwischen 0 und 14 Jahren. 340 Kinder mussten bereits im ersten Lebensjahr sterben. Wegen Unfällen waren es 35 Kinder. Die Ursachen bei den meisten Todesfällen finden sich bei den 176 perinatal Verstorbenen, das sind Kinder, die im Rahmen der Geburt starben, sowie bei 130 angeborenen Fehlbildungen. Der grösste Teil der Kinder stirbt in Kinderspitälern, zu Hause stirbt der kleinere Prozentsatz.
Seit einigen Jahren beschäftige ich mich mit Palliative Care. Dazu beobachte ich aufgrund meiner Grundausbildung ebenfalls die pädiatrische Palliative Care. In der Schweiz existieren viele unterschiedliche Institutionen, Vereine und zunehmend Kinderspitäler, die sich mit der Thematik des begleiteten Sterbens von Kindern beschäftigen. Dies besonders seit der Umsetzung der Nationalen Strategie Palliative Care 2010–2012 / 2013–2015. Noch fehlt ein Kinderhospiz in der Schweiz, auch wenn seit 2009 erste Schritte mit der Stiftung Kinderhospiz Schweiz gemacht sind.
Kinderhospiz: Die Finanzierung ist ein Problem
Die Zahlungen von Kranken- und Pflegekassen decken auch in Deutschland bei Weitem nicht alle entstehenden Aufwendungen für ein Kinderhospiz. Mit den ungedeckten Kosten kämpfen in der Schweiz ebenfalls die Betreiber von Hospizen für Erwachsene. Nur sind die Kosten für ein Kinderhospiz deutlich höher, da die ganze Familie involviert ist. Die von den Kassen nicht übernommenen Kosten werden durch Spenden finanziert. Beim Kinderhospiz Bärenherz bringen der Verein Kinderhospiz Bärenherz Leipzig e.V. und die Bärenherz Stiftung den Betrag zu gleichen Teilen auf.
Kinderhospiz Schweiz: Die Frage ist nicht Ja oder Nein
Der Besuch der beiden Kinderhospize, insbesondere der intensive und gute Kontakt in Markkleeberg, könnte mich durchaus zu einem begeisterten Verfechter eines Kinderhospizes in der Schweiz machen. Dem ist aber nicht so. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass nicht die Gründung eines Kinderhospizes die fundamentale Frage ist, sondern die Sache Pädiatrische Palliative Care an sich. Können wir alle betroffenen Familien erfassen? Können wir ihnen die Hilfe offerieren, die sie benötigen? Haben wir Strukturen, die nicht nur auf die Wünsche der betroffenen Kinder, sondern ebenso auf die Bedürfnisse der Eltern und der Geschwister eingehen?
Pädiatrische Palliative Care: Die Schweiz verfügt über ein beachtliches Konzept
Beim Recherchieren der verschiedenen Organisationen, die sich schweizweit mit den Problemen der pädiatrischen Palliative Care beschäftigen, stosse ich auf ein erstaunlich grosses Tätigkeitsfeld. Als Dachorganisation haben wir das «Pediatric Palliative Care Network CH». Zusammen mit dem Kompetenzzentrum für «Pädiatrische Palliative Care» am Kinderspital Zürich leistet sie eine grosse Arbeit. Da gibt es Vernetzungsaufgaben wahrzunehmen, Kongresse und Weiterbildungen zu organisieren, Konzepte auszuarbeiten.
Die Stiftung «Pro Pallium» übernimmt mit Freiwilligen in der ganzen Schweiz die Betreuung im ambulanten Bereich. Diese Leute erhalten eine Basisschulung und arbeiten eng mit der Kinderspitex zusammen. Daneben übernimmt Pro Pallium ebenfalls die Trauerarbeit
Die Stiftung «Kinderhospiz Schweiz» möchte seit 2009 ein Kinderhospiz aufbauen, bietet bereits jetzt Familien-Ferienwochen in Davos an. Eine weitere wichtige Organisation ist der «Verein zur Förderung einer professionellen Beratung und Begleitung bei Fehlgeburt und perinatalem Tod».
Es geht nur noch um eine weitere Vernetzung, Information der wichtigen Anlaufstellen wie Kinderspitäler, Kinderärzte, Kinderspitex und soziale Dienste.
Kinderhospiz-Pläne zurückgestellt
Mit diesem Titel erschien scheinbar provokativ am 8. Juni 2011 ein Artikel in der NZZ. Dieser Beitrag ist alles andere als provokativ, er zeigt einen möglichen anderen Weg auf. Ein Weg, der bereits begangen wird und der durchaus zu demselben Ziel führt wie der Weg über ein Kinderhospiz. Der Artikel weist auf die äusserst konstruktive Zusammenarbeit zwischen dem Kinderspital Zürich mit PD Dr. Eva Bergsträsser, Leitung Pädiatrische Palliative Care, und den bereits existierenden ambulanten Strukturen. Die Ärztin gehört zu den Pionierinnen der pädiatrischen Palliative Care in der Schweiz. Sie möchte die Vernetzung verschiedenster Institutionen und Fachkräfte intensivieren und sieht die Struktur, resp. den Aufbau eines Kinderhospizes nicht als vorrangige Aufgabe.
Kinderspitex garantiert ambulante Betreuung schwerstkranker Kids
Bis vor wenigen Jahren war die Betreuung von Kindern mit einer kurzen Lebenserwartung schlecht. Ich erinnere mich an einen jungen Patienten mit Cystischer Fibrose (CF), den ich vor über 30 Jahren terminal betreute, also auf dem letzten Lebensweg begleitete. Da waren ich, die Nachbarn und die Lungenliga, die regelmässig die Sauerstoffbomben brachten. Mehr existierte damals nicht.
Heute sieht vieles besser aus. Roland Kunz, führender Schweizer Palliativmediziner, bestätigt meine Sicht. «Dazu muss man aber sehen, dass heute gerade bei der CF die Kinder aufgrund besserer Behandlungsmöglichkeiten das Erwachsenenalter erreichen. Sie müssen also von Erwachsenenmedizinern terminal betreut werden.»
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Schwerstkranke Kinder zu Hause betreuen
Üblicherweise wollen die Eltern nach Möglichkeit die Kinder zu Hause, also ambulant, betreuen lassen und begleiten. Gerade im ambulanten Bereich haben wir in der Schweiz eine grosse Palette an Betreuungsangeboten für Kinder mit lebensverkürzenden Erkrankungen und deren Familien. Ich denke an die gut ausgebauten Kinderspitex-Dienste. Sie gibt es mittlerweile in praktisch allen Teilen der Schweiz. Weiterhin denke ich, wie bereits erwähnt, an Pro Pallium und die Dachorganisation Pediatric Palliative Care Network CH.
Viele Krankheiten – viele Spezialisten
Roland Kunz, seit Februar 2017 Chefarzt Universitäre Klinik für Akutgeriatrie am Stadtspital Waid in Zürich und exzellenter Kenner der Palliativszene Schweiz, erwähnt im Gespräch, dass «es verschiedene Krankheitsbilder sind, die das Leben von Kindern verkürzen. Damit sind unterschiedlichste Spezialisten involviert, die diese Kinder bis anhin betreuten und die nun eigentlich weiterhin die Bezugspersonen der Kinder und deren Familie bleiben sollten.» Weiter ist Roland Kunz ebenfalls der Meinung, dass die Betreuung im ambulanten Bereich schweizweit recht gut gelöst ist.
Wie viele Kinderhospize braucht die Schweiz?
Auf meine Frage, wie er Kinderhospize für die stationäre Betreuung in der Schweiz sieht, meint Roland Kunz: «Im stationären Bereich stellt sich die Frage, wie viele Kinderhospize haben wir nötig, damit die Anreise tragbar wird.“ Niemand möchte weite Wege fahren, um ein krankes oder sterbendes Kind zu besuchen oder mit der ganzen Familie gar Tage/Wochen in einem Hospiz fernab von zu Hause zu verbringen.
Braucht es Hospiz-Abteilungen in Kinderspitälern?
Ich erwähne gegenüber Roland Kunz die wohl noch nicht ausgearbeitete Möglichkeit kurzzeitiger Hospitalisationen in Kinderspitälern. Dazu sagt er, «das wäre eine ideale Lösung. Die Kinder bleiben in einer bekannten Struktur, es treten keine neuen Bezugspersonen auf, die Spezialisten sind vor Ort. Probleme gibts mit Sicherheit bei der Finanzierung. Es müsste ein Fonds gegründet werden, der die ungedeckten Kosten übernimmt.» Eine sehr gute Sache, findet Roland Kunz die von der Stiftung «Kinderhospiz Schweiz» offerierten Familienferien in Davos.
Im stationären Bereich habe ich, genauso wie Kollege Kunz, Vorbehalte gegenüber Kinderhospizen in der Schweiz. Wir würden es im Interesse der betroffenen Kinder und deren Familien begrüssen, wenn sich die Kinderspitäler für eine Erweiterung ihres Angebotes öffnen könnten: Das hiesse, Angliederung eines Bereichs für Kinder mit lebensverkürzenden Erkrankungen und deren Familien. Damit werden Kind und Eltern von denselben Ansprechpartnern (Spezialärzte, Pflegefachpersonen, Physiotherapeuten, Sozialarbeiter, Psychologen) betreut. In Notfällen können Angehörige allfällige Unklarheiten mit ihnen bekannten Personen direkt besprechen. Die Anreise ist tragbar und machbar in eine bekannte Struktur. Ein ungelöstes Problem bleibt die Frage der Kostenübernahme von ungedeckten Kosten.
Beschreibung einer tragischen Krankengeschichte
Im «Beobachter» vom 22. Juli des vergangenen Jahres wird ein tragischer Einzelfall beschrieben. Jedes Kind, das aus irgendeinem Grunde eine verkürzte Lebenserwartung hat, löst bei den betroffenen Eltern sehr vieles aus. Das wird in erwähnter Geschichte anhand des Schicksals eines kleinen Jungen erläutert. Seine Eltern kümmern sich rührend um das schwerstkranke Adoptivkind. Im deutschen Kinderhospiz finden sie die Möglichkeit als Familie eine Auszeit zu nehmen. Der Journalist beschreibt die lange und beschwerliche Reise ins Allgäu. Eine Belastung für die Familie.
Eine Belastungen wären die Reisen ebenso innerhalb der Schweiz. Selbst wenn wir vier Kinderhospize hätten, könnte die Fahrt dahin rasch 150 km betragen. Die Situation stellt uns vor andere Bedingungen als sie in Deutschland vorliegen, wo die Distanzen mit dem entsprechenden Territorium anders sind, wo bereits seit Jahren/Jahrzehnten Kinderhospize existieren. Wir müssen eine Lösung finden für unsere Situation mit vier Landessprachen sowie anderen territorialen Verhältnissen.
Die Anzahl zu betreuender Kinder ist klein. Von den rund 450 Kindern, die pro Jahr sterben, überleben nur ein Viertel das erste Lebensjahr. Rund drei Viertel der Kinder sterben unmittelbar nach der Geburt oder im Laufe des ersten Lebensjahres und könnten die Infrastruktur eines Kinderhospizes kaum nutzen. Anhand unserer Recherchen sind wir überzeugt, dass wir einen rasch und gut machbaren Weg bei der stationären Betreuung von Kindern mit lebensverkürzender Erkrankung für die Schweiz vorschlagen.
Vorstellungen ohne konkrete Lösung
Abschliessend sind wir uns einig, dass in der Schweiz für den ambulanten Bereich viele gute Offerten vorliegen, die aber unbedingt den zuständigen Stellen bekannt gemacht werden müssen. Diese Informationen sollten vor allem an Kinderspitäler, Kinderärzte und Kinderspitex gelangen. Im stationären Bereich würde aus unserer Sicht die Angliederung einer Abteilung für einen Hospiz-Betrieb in den Kinderspitälern die beste Lösung darstellen. Die Grösse dieser Abteilung würde dem Einzugsgebiet des Kinderspitals angepasst. Diese Hospiz-Abteilung kann durchaus in den bestehenden Strukturen des Kinderspitals integriert werden, ohne dass zusätzliche Gebäude erstellt werden müssen.
Text: Alois Birbaumer, Fotos: Bruno Torricelli
Kinderhospiz-Szene-Schweiz
• Paediatric Palliative Care Network CH
• Paediatrische Palliative Care Kinderspital Zürich
• Perinataler Kindsverlust: Kindsverlust.ch
• Stiftung Kinderhospiz Schweiz
• Konzept Paediatrische Palliative Care Schweiz: PDF
• «Kinderhospiz-Pläne zurückgestellt», NZZ-Artikel von 8. Juni 2011
• Buchtipp: Eva Bergsträsser; Palliative Care bei Kindern. Verlag Hans Huber 2014
• Beobachter 22.07.2017
Kinderhospiz-Szene-Deutschland
• Kinderhospizarbeit in Deutschland
• Grundsätze: PDF
• Kinderhospiz Bärenherz Leipzig e.V.
• Kinderhospiz Sonnenhof Berlin
Markkleeberg
3 Antworten auf „Braucht die Schweiz ein Kinderhospiz?“
Sarah Clausen
Vor einigen Jahren hatte ich mir auch Gedanken zu einem Kinderhospiz gemacht. Ein wichtiger Aspekt war vor allem die Betreuung und Entlastung der Familie.
Nach vielen Gesprächen unter anderem auch mit Dr. Roland Kunz war mit klar, dass dies in der Schweiz nicht funktionieren würde vor allem aus finanziellen Gründen. Dazu kommt, dass Heute viele Angebote entstehen und die Vernetzung der verschieden Angebote immer besser wird. So ist dann auch die wichtige Beziehung zu den in die Behandlung involvierten Spezialisten weiter gewährleistet
Seit so vielen Jahren schreibt und spricht und disskutiert man in der Schweiz, währenddem unsere Nachbarn wie Deutschland schon längst das Angebot des Kinderhospizes haben. Für betroffene Familien kann ein solcher Ort so so viel bedeuten in ihrer grössten Not. Wir hätten es auf jeden Fall sehr geschätzt als unsere Tochter im Sterben lag -von einem professionellen PallCare Team betreut zu werden im Zürcher Kispi(2017). Sein Kind in einem sterilen Krankenzimmer sterben sehen zu müssen ist alles andere als das sich wohl die meisten Eltern am Ende wünschen. Immer sind es diese Finanzen die so sinnvolle und notwendige Projekte über Jahrzehnte blockieren, ich finde es eine Schande. Pro Pallium hat uns unterstützt und entlastet – wie dankbar waren wir… aber auch pro pallium kann nicht alles abdecken und auch da ist es einfach sehr bedenklich dass sie so sehr von Spenden abhängig sind und die Mitarbeiterinnen diese doch sehr ua. belastende Aufgabe freiwillig machen, weil einfach kein Geld dafür zur Verfügung steht.
Ja ich fände es auch wunderbar, wenn sich mehr Ärzte dem Thema Päd. Pall Care öffnen würden, und diese mehr Anerkennung , Unterstützung und Ressourcen bekämen. Dann gäbe es ev schon längst eine Päd. Pall Care Station/ Hospizstation in den Kispis…
Aber würde dann das Angebot auch für die ganze Familie stehen, ebenso wie es in den Kinderhopizen ist und durchaus Sinn macht?? Ich zweifle…
Auch die Kinderspitex hat uns so sehr unterstützt, doch auch da sind längst nicht alle ausgebildet auf Päd Pall Care- was aber einfach so wünschenswert wäre für betroffene Familien… denn eine prof. Pall Care Begleitung macht so viel aus am Ende.
Die Hoffnung stirbt zuletzt… ich wünsche dass es bald und nicht erst in 5 Jahren eine Alternative gibt für sterbende Kinder (die nicht zuhause sein können) als eine reguläre Kispistation.
Es ist so- erst wenn man selber betroffen ist sieht man die Wichtigkeit der „Dinge“ plötzlich nochmals anders…
Ich wäre übrigens bereit gewesen zusammen mit meiner Familie 3 Stunden in ein Kinderhospiz zu fahren…
und ein Kinderhospiz ist bestimmt nicht jeder Families Sache- aber zumindest sollte es diese Möglichkeit geben!