Frühverstorbene und totgeborene Kinder werden in Luzern würdig bestattet. Jeden ersten Dienstag im Monat bewegt sich eine Gruppe Menschen mit brennenden Kerzen von der Einsegnungshalle auf dem Luzerner Friedhof Friedental in Richtung Kinderfeld. Mitarbeiter des Friedhofs, manchmal auch Väter, gehen voraus und tragen die Holzsärglein mit den verstorbenen Kindern. An solch einer schlichten Abschiedsfeier nehmen Eltern teil, die ihre frühverstorbenen oder totgeborenen Kinder bestatten möchten. «Diese Feiern entsprechen einem Bedürfnis der Eltern, aber auch der Geschwister, Grosseltern, Göttis, Gotten sowie Freunden der betroffenen Familien», sagt Brigitte Amrein. Die katholische Theologin ist Seelsorgerin am Luzerner Kantonsspital LUKS. Sie gestaltet diese Feiern seit 2013 gemeinsam mit ihrer reformierten Kollegin Bettina Tunger-Zanetti und in Zusammenarbeit mit dem Friedhof Friedental.
Kerzen für die Angehörigen
Nach der Begrüssung aller Teilnehmenden in der Einsegnungshalle, nehmen die Seelsorgerinnen noch einmal Bezug auf die schwierige Situation der Eltern und lesen dazu einen Text. Sie entzünden an der Osterkerze das Licht und sprechen ein Gebet. Auf einem Tisch, auf farbigen Tüchern, stehen sechs Kerzen. Sie brennen für die verstorbenen Kinder, die Eltern, die Geschwister, die Grosseltern und Paten sowie für das Behandlungsteam im Spital. «Eine Kerze zünden wir für jene Eltern an, die an der Abschiedsfeier nicht dabei sein können», sagt Brigitte Amrein.
Auf dem Kinderfeld werden die Särglein nach einem Gebet in die Erde gelegt. Die Teilnehmenden haben die Möglichkeit, mit Weihwasser, Erde und Rosenblättern Abschied zu nehmen. «Sind Eltern muslimischen Glaubens dabei, stellt der Friedhofsmitarbeiter ein Gefäss mit Erde vom muslimischen Gräberfeld neben das Kindergrab, damit sich die Eltern verabschieden können, wie es ihrer Religion entspricht. Auf Wunsch dieser Eltern ist ist manchmal ein Imam dabei. Wir kennen uns und lassen uns gegenseitig Raum. Auch der Imam spricht seine Gebete an der Feier und am Grab. Es ist ein respektvolles Miteinander.»
Das Schicksal, ein Kind verloren zu haben, schafft eine eindrückliche Verbundenheit unter den Eltern und ihren Angehörigen – alle durchleben diese Trauer, ob sie aus Luzern, aus Syrien oder Brasilien kommen.
Ein Kirschbaum voller Erinnerungen
Das Kinderfeld, ein Gemeinschaftsgrab für totgeborene oder frühverstorbene Kinder, liegt im hinteren Teil des weitläufigen Geländes. An einem Kirschbaum hängen Erinnerungen an die verstorbenen und begrabenen Kinder. Farbige Herzchen oder Sterne etwa mit Namen beschriftet. Weitere Erinnerungszeichen stehen hinter einer kniehohen Hecke. Da sitzt ein Bär neben einem Auto, Puppen lehnen aneinander, da hat es Bilder, Spielsachen, farbige Bälle und vieles mehr.
Die Abschiedsfeiern entsprechen einem grossen Bedürfnis. 2013 wurden 59 Kinder bestattet. «Es sind alle Eltern, die sich für die Bestattung auf dem Kinderfeld entscheiden, zu dieser Feier eingeladen, unabhängig ihrer Religionszugehörigkeit», sagt Brigitte Amrein, die seit 1986 als Seelsorgerin am LUKS tätig ist.
Frau Amrein: Was geschah früher mit diesen zu früh verstorbenen Kindern?
Brigitte Amrein: Sie wurden ins Grab einer erwachsenen verstorbenen Person gelegt. Die Eltern wussten nicht, wo ihr Kind begraben liegt. Der damalige Friedhofverwalter des Friedentals, Josef Theiler, stellte 1989 eine Wiese mit einem Kirschbäumchen als Kinderfeld bereit. Ihm war es ein grosses Anliegen, dass die Eltern wissen, wo ihr Kind begraben liegt. Allerdings konnten damals die Eltern bei der Beerdigung nicht dabei sein.
Stirbt ein Kind zu einem Zeitpunkt, an dem es gegebenenfalls mit medizinischer Unterstützung lebensfähig wäre, spricht man vom «perinatalen Kindstod». Dieser Zeitpunkt ist ungefähr ab der 23. Schwangerschaftswoche. Der Begriff «perinataler Kindstod» bezeichnet sowohl sog. Totgeburten wie auch den Tod lebend geborener Kinder.
Weshalb können jetzt Eltern und ihre Angehörigen an der Feier teilnehmen?
«Claudia Graf, meine damalige reformierte Kollegin und ich haben im Verlauf der Jahre die Erfahrung gemacht, dass die Abschiedsfeier im Zimmer des Spitals oder im Andachtsraum der Frauenklinik, den Eltern nicht mehr genügt. Sie äusserten zunehmend den Wunsch, bei der Beerdigung auf dem Kinderfeld dabei zu sein. Deshalb haben wir im Jahr 2013 damit begonnen, diese Abschiedsfeiern monatlich für die Eltern und ihre Angehörigen durchzuführen. Es nehmen jeweils zwischen fünf und bis zu vierzig Personen teil.»
Warum hilft Abschiedsfeier, eine Beerdigung, den Hinterbliebenen beim Abschiednehmen?
Die Beerdigung ist ein wichtiger Schritt, um das Unfassbare zu realisieren, den Tod eines geliebten Menschen. Psychologinnen wie Verena Kast sprechen vom Trauerprozess, der in Phasen abläuft und unterschiedlich lange dauert. Die Beerdigung kann unterstützend wirken im Prozess des «Sich- trennen- Müssens».
Brigitte Amrein berichtet, dass Eltern erzählen, wie die Abschiedsfeier ein wichtiger Schritt sei, um «wieder ins Leben hinaus zu treten». «Überdies stehen Kirchen und andere Religionsgemeinschaften ein für eine Hoffnung über den Tod hinaus.»
Hinzu kommt, dass der Trauerprozess bei Fehlgeburt und perinatalem Kindstod erheblich erschwert ist:
- Geburt und Tod liegen bei den meisten Todesfällen weit auseinander, hier fallen sie unmittelbar zusammen.
- Es kommt vor, dass eine Frau die Schwangerschaft abbricht, weil das Kind schwer erkrankt ist. Dies setzt die Eltern einer besonderen Belastung aus.
- Viele Eltern werden von Schuldgefühlen geplagt, wenn ihr Kind schwere Anomalien aufweist, krank ist oder im Mutterleib stirbt: Sie fragen sich: Was habe ich falsch gemacht, hätten wir den Tod verhindern können, hätte ich etwas merken müssen?
- Bei frühen Fehlgeburten wissen oft erst wenige Menschen um das werdende Kind. Die Trauer kann eine Frau, können Eltern kaum mit jemandem teilen
Umso wichtiger ist es für die Eltern, in einer «Trauergemeinschaft» Abschied zu nehmen. Brigitte Amrein: «An so einer Abschiedsfeier wird ihr Kind gewürdigt, Geschwister bringen für ihr totes Brüderchen oder Schwesterchen ein Spielzeug mit, die Patin legt Blumen auf das Grabfeld, Eltern hängen Sterne und Traumfänger an das Bäumchen oder stellen Blumenherzen auf die Steinplatten. Vorher haben manche ihrem Kind einen Brief, eine Zeichnung, ein Plüschtier ins Särglein gelegt.»
An der Durchführung dieser Feier sind sowohl das LUKS, als auch der Friedhof Friedental beteiligt. Der Friedhof stellt den Mitarbeiter, der das Grab auf dem Kinderfeld vorbereitet und die Einsegnungshalle unentgeltlich zur Verfügung, die Schreinerei des Spitals stellt die Särglein her, das Spital überweist eine Gebühr an das Friedental und beauftragt die Spitalseelsorge mit dieser Feier. Somit sind Abschiedsfeier und Bestattung auf dem Kinderfeld für die Eltern unentgeltlich.
Text: Martin Schuppli/Foto: Peter Lauth
Luzerner Kantonsspital LUKS
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Zum Luzerner Kantonsspital gehören Spitäler an den Standorten Luzern, Wolhusen, und Sursee. Ebenso die Reha-Klinik Montana in Luzern.
An Abschiedsfeiern für zu früh oder totgeborene Kinder werden auf Wunsch der Eltern auch Kinder bestattet, die in den Spitälern Hirslanden Luzern, Stans, Sarnen, Altdorf oder Schwyz geboren wurden.
Mehr über die Dienstleistung des Luzerner Kantonsspitals LUKS lesen Sie hier.
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4 Antworten auf „Brigitte Amrein: Abschiedsfeier für frühverstorbene und totgeborene Kinder“
…bi gad färtig mit läse worde und ha wellä schriibä wie mich de Text berüehrt ?wie schön ich de findä und dankbar bi,über die Arbet won ihr mached,aber irgändwie fähled mir die passändä Wörter dadezu. Drum eifach,DANKÄ?
Liebe Christine Friedli. Danke für Ihr Feedback. Auch ich war sehr berührt, als mir Brigitte Amrein vom Kinderfeld und den Abschiedsfeiern erzählte. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen alles Gute. Herzlich.
??danke!
wer lindert den Schmerz über die nie geborenen Kinder? :'(