Ich bin kein Theologe. Ich bin kein Esoteriker. Ich bin ein säkularer Mensch und nicht dogmatisch. Als Trauerredner bin ich für jene Menschen da, die ihre Verstorbenen würdig verabschieden möchten, aber nicht mit einem Pfarrer, dessen Botschaft ihnen nichts sagt, und dessen Worte sie nicht verstehen.
Als Trauerredner Verstorbene würdig verabschieden
Privat würde ich mich als Agnostiker bezeichnen. Ich glaube nicht an einen personalen Gott, der sich um unser Wohl und Wehe kümmert, und ich glaube nicht an ein Weiterleben nach dem Tod. Wir sind meiner Meinung nach in eine Welt gestellt, die unserem Schicksal teilnahmslos gegenübersteht. Das ist für mich kein Grund zur Verzweiflung. Es bedeutet allerdings, dass wir uns einen Sinn in unserem Dasein schon selber suchen müssen. Uns gegenseitig einen Sinn geben müssen. Etwa durch ein füreinander Einstehen, füreinander Dasein, und, ja: durch die Liebe.
Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird, zu leben.
(Marcus Aurelius)
Warum glaube ich nicht an ein Weiterleben nach dem Tod? Nach dem, was die Wissenschaft sagt und mir einleuchtet, ist unsere Persönlichkeit an unser Bewusstsein gebunden und dieses wiederum untrennbar an unsere Gehirnfunktionen. Arbeitet das Gehirn nicht mehr, ist folglich die Persönlichkeit nicht mehr existent. Der Glaube an eine unsterbliche Seele hat vielleicht etwas damit zu tun, dass wir Menschen uns zu wichtig nehmen. Wir können es einfach nicht fassen, dass wir unwichtig genug sind, um dereinst einfach spurlos zu verschwinden.
Der stoische Philosoph Lucius Aennaeus Seneca sagt: «Der Tod bedeutet Nichtsein. Was dies ist, weiss ich schon. Dies wird der Zustand nach meiner Existenz sein, wie er schon vor meiner Existenz war. … Wäre es nicht töricht, glauben zu wollen, es sei schlimmer für die Lampe, wenn sie erloschen ist, als bevor sie angezündet wird? Auch wir werden angezündet und erlöschen wieder; in der Zwischenzeit empfinden wir Schmerz; vorher und nachher aber ist tiefe Ruhe.»
Wohl gesprochen, finde ich.
Als ich mich kürzlich über eine Vorsorgeverfügung beraten liess, wurde mir die Frage gestellt, welches meine Ansicht zu Leiden, Gebrechlichkeit und Sterben sei. Leiden gehört zum Leben, Gebrechlichkeit zum Altern. Wir können uns mit vielem arrangieren. Es kommt auf das Ausmass an und darauf, ob trotzdem noch überwiegend Freude am Leben und Selbstbestimmung möglich bleiben.
Alt werden ist nichts für Feiglinge.
(Mae West)
Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich gern «lebenssatt» sterben, dazu schmerz- und angstfrei, also, wenn nötig, palliativ betreut, und idealerweise begleitet von nahestehenden Menschen. Aber leider kann man es sich ja nicht wirklich aussuchen. Um aber so viel Einfluss wie möglich auf mein Sterben sicherzustellen, habe ich eine Vorsorgeverfügung deponiert. Zudem werde ich «Exit» beitreten – einfach für den Fall der Fälle.
Übrigens: Ein schönes Lebensfazit fand ich beim Schweizer Schriftsteller Urs Widmer in seinem autobiografischen Werk «Reise an den Rand des Universums». Es erschien kurz vor seinem Tod: «Auch ich brach, wie jeder und jede, einst kraftvoll ins Leben auf, lebte es und heimse heute, da die Kräfte nachlassen, den einzigen Gewinn ein, den das Alter dir bieten kann: zu fühlen, dass du das Leben tatsächlich gelebt hast, so lustvoll wie möglich und so schmerzhaft wie nötig.»
Meine erste Begegnung mit dem Tod hatte ich mit sieben, acht Jahren. Willi, mein Gschpänli und Banknachbar in der Primarschule, starb nach kurzem Spitalaufenthalt an einem Gehirntumor. Ich nehme an, es war für die anwesenden Erwachsenen ein sehr anrührendes Bild, wie wir Klassenkameradinnen und -kameraden um das Grab standen und jedes ein Röslein hineinwarfen. Ich erinnere mich nicht mehr, welche Emotionen das Erlebnis bei mir ausgelöst hat. Für mich war Willi dann eben «im Himmel» und schaute auf uns nieder – so wie mein Grossvater, der auf demselben Friedhof begraben war und den ich ganz oft am Wochenende zusammen mit der Grossmutter «besuchte».
Der erste Tote, den ich sah, war mein Vater. Er starb 1985, 82-jährig, zu Hause im Kreis der nächsten Angehörigen. Es war ein erwarteter und friedlicher Tod.
Brutal dagegen war das Sterben eines befreundeten jungen Arbeitskollegen, der ca. 2003, mit Anfang 30, sehr elend an Krebs verschied. Ich besuchte ihn noch wenige Tage vor seinem Tod im Spital.
Vergangenheit ist, wenn es nicht mehr weh tut.
(Mark Twain)
Ein paar Jahre später starb eine Frau aus dem Freundeskreis, etwa in meinem Alter. Sie litt an amyotropher Lateralsklerose ALS, dieser Muskelkrankheit, die nach und nach, über Jahre hinweg, immer mehr Körperpartien lähmt, bis schliesslich die Atmung aussetzt.
Sehr nah bekam ich vor bald einem Jahr das Sterben meiner Mutter mit. Sie hatte bis zu ihrem 99. Geburtstag weitgehend selbständig, aufrecht und tapfer allein in ihrer Wohnung gelebt. Dann wurde sie im Gefolge eines starken Infekts von einem Tag auf den anderen bettlägerig und pflegebedürftig. Innerhalb von wenigen Wochen kam es zu einem körperlichen, psychischen und geistigen Zerfall, der für sie selbst sehr schlimm und für ihre Umwelt sehr belastend war. Dann am Ende konnte sie friedlich entschlafen
Nun bin ich seit rund fünf Jahren als Trauerredner und Gestalter von Trauerfeiern tätig. Folgende Botschaft liegt mir am Herzen: Es ist wichtig, eine Trauerfeier abzuhalten. In «meiner» Tageszeitung hat es eine Rubrik «Todesfälle in der Region». Man sieht, wer in welcher Gemeinde gestorben ist, sowie wann und wo – und ob überhaupt – eine öffentliche Abdankungsfeier stattfindet. Ganz oft steht: «Bestattung im engsten Familienkreis», oder einfach nur: «Wurde bestattet».
Bescheidenheit mag oft der Grund für solche Zurückhaltung sein, oder die Meinung, man wolle sich schonen, sich die Belastung durch eine öffentliche Abdankungsfeier nicht zumuten. Ich glaube hingegen, dass man sich damit keinen Gefallen tut – und dem oder der Toten ebenfalls nicht.
Ich finde, jeder Mensch hat einen Anspruch darauf, dass, wenn er gestorben ist, jemand sein einzigartiges Leben noch einmal würdigt, in Erinnerung ruft. Das sollte meiner Ansicht nach öffentlich geschehen, nicht nur im Kreis der nächsten Angehörigen. Der würdige Abschied braucht die würdigende Erinnerung im Kreis derjenigen, die sich dem verstorbenen Menschen verbunden gefühlt haben.
Zweitens ist eine gestaltete öffentliche Trauerfeier für die Angehörigen eine Hilfe. Der stille Abschied im Aufbahrungsraum ist das eine. Das andere und genauso Wichtige ist das gemeinschaftliche Abschiedfeiern mit anderen Menschen zusammen in einem geschützten rituellen Rahmen. Die Gemeinschaft der Trauernden tut wohl, gibt Kraft und hat eine heilende Wirkung. Die Gemeinschaft nimmt die eigene Trauer nicht weg, aber sie hilft, sie zu tragen. Das gemeinsame Erinnern und das gemeinsame sich Auseinandersetzen mit dem Tod im Rahmen eines Rituals «kann dazu helfen, dass auch das Herz begreift was der Verstand bereits weiss», wie es in dem Buch «Die Bestatterinnen» von Doris Hochstatter-Koch und Karin Koch Sager so schön formuliert ist.
Arbeite, als würdest du das Geld nicht brauchen. Liebe, als hätte dich nie jemand verletzt. Tanze, als würde niemand zusehen. Singe, als würde niemand zuhören. Lebe, als wäre der Himmel auf Erden.
(Mark Twain)
Bei diesem Thema spreche ich nicht nur als Berufsmann, sondern auch aus eigenem privatem Erleben. Bei den erwähnten Todesfällen im Familien- und Freundeskreis gab es sehr schöne Abdankungsfeiern, mit anrührenden persönlichen Worten von Angehörigen, zum Teil mit Livemusik. Wir fühlten uns im Schmerz vereint, gaben uns gegenseitig Halt. Es tut in so einer Situation unglaublich gut, sich unter Tränen zu umarmen und aneinander festzuhalten. Und gleich darauf wieder freudige Erinnerungen auszutauschen, dabei vielleicht sogar zu lachen. Denn es ist ja so: Wenn ich auch nicht an eine unsterbliche Seele glaube – dass wir in den Herzen derer, die uns nahestanden, sehr wohl weiterleben, das finde ich einen schönen Gedanken.
Der Tod, obwohl er eigentlich so natürlich ist wie das Leben selbst, ist uns doch etwas ganz und gar Unbegreifliches. Eine gestaltete Feier in der Gemeinschaft – mit angemessener Musik, vielleicht mit einem Kerzenritual oder anderen symbolischen Handlungen – hilft allen, das Unbegreifliche anzunehmen und so die Tür zu einem Weiterleben ohne den Verstorbenen – wenigstens einen Spalt weit – zu öffnen.
Bearbeitung: Martin Schuppli/Fotos: Peter Lauth
Jörg Bertsch
Trauerreden – Trauerfeiern
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