Silvia Stierli weilte als Urlauberin auf Guadeloupe. Auf dem östlichen Teil des «Schmetterlingsflügels» stiess sie auf einen faszinierenden Friedhof. Für DeinAdieu verfasste die «Tropenbloggerin» einen Bericht über dieses besondere Schmuckstück.
Der Friedhof von Morne-à-l’eau präsentiert sich als Ort im Ort. Aus der Ferne hat der Todeshügel Ähnlichkeit mit einem Favelas-Viertel in Südamerika, jedoch aufgemotzt mit Totenvillen. Viele sind mit schwarzen oder weissen Plättli gekachelt. Tragen Marmor-Intarsien. Da gibt es Raritäten, etwa ein Bauwerk mit hellblauen, quadratischen Bisazza-Mosaik-Plättchen.
In der Schweiz gab es diese Mosaiksteine häufig in Badezimmern und Hallenbädern. Da schlägt das Herz eines jeden Plattenlegers höher. Hausfrauen oder Bademeister hingegen mühten sich später zähneknirschend ab mit der Reinigung der Zementfugen. Nicht alles ist grell und heischt nach Aufmerksamkeit. Ich finde Bauwerke mit schlichter Fassade. Getüncht in strahlend weisser oder zitronengelber Farbe. Da und dort erblicke ich einfache Gräber, die nur mit Sand bedeckt sind.
Verspätete Trauergäste sind keine Seltenheit
Der Friedhof liegt am Ende einer leicht ansteigenden Hauptstrasse. Der lange Bandwurm von Autos und Nutzfahrzeugen sorgt dabei für Kolonnen am Berg. Staufahren und verspätetes Eintreffen der Angehörigen gehören an Trauerfeiern zur Tagesordnung. Die wenigen Parkplätze um den Friedhof, natürlich meistens belegt, bereichern das Verkehrschaos. Das lässt die Hauptperson der Trauerfeier kalt. Sie liegt bereits im Mittelpunkt und erscheint immer pünktlich zu ihrem letzten Fest.
Prunkvolle Totenvillen auf dem Friedhof
Bei der Erkundungstour durch den Friedhof wundere ich mich über die Noblesse der Todesvillen. So prunkvoll wohnt zu Lebzeiten nicht mancher. Mit bester Aussicht auf die Stadt. Gerade deshalb dünkt es mich, den Umgang mit der letzten Reise nehmen die Menschen hier anders wahr. Wer sich jährlich mit Hingabe um die letzte Behausung der Toten kümmert, befasst sich intensiver mit der Vergänglichkeit.
Zuerst folgt die Arbeit, danach das Vergnügen
Einige Tage vor Allerheiligen herrscht reges Treiben auf dem Friedhof. Angehörige, Freunde putzen die Grabstätten blank, sorgen mit einem neuen Farbanstrich für Frische auf der Fassade. Wer nicht selbst Hand anlegen kann, heuert Jugendliche an, die sich mit diesen Arbeiten ihr Taschengeld aufbessern. Es ist eine Art «Frühlingsputz» zu Ehren der Verstorbenen. Natürlich plaudern die Totenvillen-Aufhübscher von Dach zu Dach. Es herrscht eine heitere Stimmung. Geschäftstüchtige Jünglinge sammeln erste Business-Erfahrungen. Verkaufen Getränke auf dem Friedhof.
Gemäss Schilderungen meiner Kollegin Sonja, sie lebt seit zehn Jahren auf Guadeloupe, ist Allerheiligen ein Freudentag. Die Familien besuchen ihre verstorbenen Angehörigen auf dem Friedhof. Sie bringen ihnen Essen und Getränke mit. Wer Hunger hat, verpflegt sich in einer der mobilen Küchen. Beim Blumenschmuck setzen die Trauerfamilien auf Plastikblumen, verzichten wegen der Mückenlarven auf Grabschmuck in Vasen und Töpfen. Es erklingt viel Musik. Die Menschen verbringen Zeit mit den Toten, so wie sie es zu Lebzeiten getan haben. Überall brennen Grablichter, flackern Kerzen.
Um 21 Uhr verlassen die Angehörigen den Friedhof. Die Totenseelen geniessen wieder ihre Ruhe. Zurück bleiben unzählig viele Kerzen und Grablichter. Sie verwandeln den Friedhof in ein helles, stilles Lichtermeer, über dem sich ein weiter Sternenhimmel wölbt.
Text & Foto: Silvia Stierli, Silviasblog.ch
Trauercafés in Friedhöfen – wäre das denkbar bei uns?
In der Schweiz besuchen die Angehörigen ihre Verstorbenen ebenso auf Friedhöfen. Lassen vor Allerheiligen durch die Friedhofsgärtnerei das Urnengrab neu bepflanzen. Oder erledigen dies selber. Manche besuchen eine Messe oder einen Gottesdienst zu Ehren der Verstorbenen. Vielleicht wünschen sich manche Angehörige einen anderen Ort, wo sie ihre Trauer teilen könnten. Mir gefällt die Idee der mobilen Küchen von Morne-a-l’eau zu Allerheiligen. In der Schweiz könnte ich mir Ähnliches vorstellen. Ein kleines, gepflegtes Tea-Room oder Bistro. Immer sonntags geöffnet. Das kulinarische Angebot wäre begrenzt.
Würde ich ein «Trauer-Kaffee» eröffnen, servierte ich Kaffee, Tee, heisse Schokolade. Hausgemachten Kuchen und Guetsli. Totebeinli vielleicht? Zusätzliche Angebote wie Seminare, Ausstellungen für Trauerfloristik oder anderes fände ebenso Platz. An einem Ort, wo grenzenlose Trauer herrschen darf, aber geteilt werden kann.
Wäre dies in der Schweiz denkbar? Ein Trauercafé im Friedhof Sihlfeld Zürich oder im Hörnli Friedhof in Basel zu eröffnen. Was meinen Sie?
4 Antworten auf „Die Totenvillen auf dem Friedhof von Morne a l’eau“
Ein kleines, feines Death-Café bietet bei schönem Wetter das Friedhof Forum auf dem Sihlfeld in Zürich. Es sei ein Geheimtipp, verriet mir ein Insider. (Danke Rolf).
Wäre nicht mein Ding ,dort Kaffee zu trinken !!!
Trauercafés in Friedhöfen – wäre das denkbar bei uns? Warum nicht! Jemand der einen Menschen verloren hat, dem ist der Friedhof oft ein ruhiger und wichtiger Ort, wo er ab und zu vorbeigehen kann, um mit der verstorbenen, geliebten Person zu plaudern…
Vielleicht ist der Friedhof auch ein ungeheurer Ort, von dem man nicht so recht weiss, wie damit umzugehen und wie sich mit ihm anzufreunden. Ein Ort, der einem kalt vorkommt und es schwer ist, so seine Trauer zu verdauen, sie anzunehmen, gut zu leben … das Leben geht ja weiter für die Hinterbliebenen.
Der Tod ist nur eine Etappe, die zum Leben gehört. Und da müssen wir alle einmal hindurch, ob wir nun wollen oder nicht. Wenn man diese Phase dann auch noch mit noch lebenden Personen teilen kann, dann erscheint einem die Situation doch gleich weniger schlimm oder unüberwindbar … Im normalen Leben vor dem Tod teilt man ja auch alles mit seinen Lieben oder mit Menschen zu denen man Vertrauen hat … warum nicht auch seine Gefühle nach einem Tod?
Man fühlt sich nicht mehr so allein mit dem Schmerz und kann vielleicht sogar anderen helfen, die noch nicht soweit sind, die neue Situation zu akzeptieren … Laut dem Motto: Geteilter Schmerz ist halber Schmerz. Die eigene Situation und die Gefühle zu teilen, finde ich sehr wichtig … etwas Schweres nicht teilen zu können, kann sehr behindernd sein – man hat das Gefühl, der Hals steht einem zu voll, es steckt ein Kloss drin, der raus möchte … man kann es nicht verdauen … zu zweit ist das einfacher … warum sich also das Leben unnötig erschweren?
In der Sahelzone in Afrika, wo grosse Unterernährung herrscht, gehört der Tod zum Alltag und dort nimmt das ganze Dorf an einer Trauer teil, da wird ein richtiges Käferfest organisiert, alle helfen mit und bereiten während zwei oder drei Tagen ein grosses Trauer-Festmahl vor, jeder soll teilhaben am Schmerz, aber auch an der Freude der Zusammengehörigkeit, denn die bleibt immer weiter bestehen … wie wenn man dem Trauernden sagen möchte: Ich verstehe Deinen Schmerz, aber wir sind alle da um Dir irgendwie zu helfen, Du bist ab jetzt nicht allein, auch wenn es Dir im Moment so vorkommt.
Das finde ich sehr schön. Auch in New Orleans wird ein Totenlauf durch das ganze Dorf organisiert mit Musikanten und viel Freude … ja so kann man den Tod besiegen … wenn man zum eigenen Leben ein grosses «JA»» sagt und etwas noch sehr Schönes daraus macht. Es lohnt sich auf jeden Fall.
Die Idee eines Friedhofs-Cafés fände ich eine sehr schöne und gute Idee, weil es sehr viele Leute gibt, die ihre Trauer mit anderen eben nicht teilen können … vielleicht aus Einsamkeit, aus Angst, weil sie nicht wissen, wie man seine Gefühle erklären soll, aus Scham… und ein Gespräch vor einer heissen Tasse Tee oder Kaffee und einem Stück Kuchen lässt Herzen gleich höher schlagen … der Bauch hat im Normalfall auch nichts dagegen … man fühlt sich als verstanden und mit Respekt behandelt und angehört … dies kann meiner Meinung nach sehr viel heilen, auslösen, helfen, trösten und schenkt einfach guttuende Nähe, ganz zu schweigen von der damit verbundenen Nächstenliebe, die sich da so richtig voll entfalten kann.
Laut einem Rezept aus meinem persönlichem Kochbuch, braucht es dazu eigentlich nicht sehr viele Zutaten, die überall erhältlich sind – man kann da sein Herz zu gutem Rate ziehen – Zutaten, die durchaus erschwinglich sind: Man nehme einen für alle gut zugänglichen Ort, fügt eine grosse Portion liebevolle Aufmerksamkeit hinzu, mischt dies mit einer guten, vorher nicht festgesetzter Prise Zeit und ein paar guten Ohren. Das alles dekoriert man nach persönlichem Sinn mit viel Liebe und grosser Barmherzigkeit … das Resultat kann sich zeigen lassen, es ist relativ schnell, gut verdaulich, ist nachhaltig, hat keine Kalorien und hat sowieso nur alles ersichtlich Gutes an sich. Ich bin zwar nicht Betty Bossi, doch mein Rezept sollte jeder mal ausprobieren … wers wagt, wird es mehrmals weiter fortsetzen. Ich wünsche Ihnen allen ein grosses Stück davon.
Noch ein klitzekleiner Anhang zum „Ehevertrag-Bericht“: Morija gehört seit 2005 ebenfalls zur ZEWO. Es wäre sehr schön, wenn wir ebenfalls auf dieser Liste wären… VIELEN DANK!