Ein Erbprozent soll helfen, eine lebendige Kultur zu sichern

Als Präsidentin der Stiftung Erbprozent setzt sich Kathrin Hilber, ehemalige St. Galler Regierungs- und Nationalrätin, dafür ein, dass Menschen ein Prozent ihres Vermögens, ihres Nachlasses für die Kunst und die Kultur reservieren.

«Ich stürze mich voller Überzeugung ins Vererben», lässt Victor Giaccobo auf erbprozent.ch verlauten. Und was meint der Autor, Kabarettist, Moderator, Produzent und Schauspieler genau? Kathrin Hilber lacht und sagt: «Wir, also die Stiftung Erbprozent, deren Präsidentin ich bin, wir ermuntern die Menschen, ein Prozent ihres Vermögens, ihres Nachlasses für die Kunst und die Kultur zu reservieren. Ich setze mich dafür ein, weil es eine geniale Idee ist. So können wir eine lebendige Kultur sichern, und ich kann vor allem über meine Zeit hinaus die Leute begeistern.»

Ist das nötig? «Nötig ist es immer», sagt Kathrin Hilber. Die einstige SP-Politikerin muss es wissen, war sie doch als Regierungsrätin des Kantons St. Gallen für die Kulturförderung verantwortlich. «Der Staat hat sehr viele Kriterien, nach denen die Verantwortlichen das Geld verteilen. Zwangsläufig fällt da die eine oder andere durchaus unterstützungswürdige kulturelle Aktivität durch die Maschen. Und da, wo die anderen aufhören, beginnen wir.»

Stiftung Erbprozent Kultur hat nicht die Superreichen im Visier

Die Stiftung Erbprozent Kultur hat es nicht auf die Vermögen der Superreichen abgesehen: «Viele dieser Wohlhabenden wollen ihr Geld ‹warm› vererben. Sie verfügen über Künstlerkontakte und sind eingebunden in eigene Kreise. Wir von der Stiftung versuchen, die anderen zu erreichen. Jene, die nicht so viel Geld haben. Jene Menschen, die etwas zurücklassen wollen.» Dieses Erbprozent spricht die breite Bevölkerung an. «Ein Prozent ist für alle erschwinglich», sagt die ehemalige St. Galler Regierungs- und Nationalrätin.

Die Stiftung erhielt bereits einige Vorlässe. «Das ist eben kein Nachlass, es ist Geld, das jemand schon vor dem Ableben verschenken möchte.» Warum das so ist, kann Kathrin Hilber in wenige Worte fassen: «Die Idee Erbprozent verhebet.»

Erbprozent Kultur Kathrin Hilber
Kathrin Hilber war als SP-Regierungsrätin in St. Gallen zuständig für die Kulturförderung. (Foto: Paolo Foschini)

Erbversprechen können Diskussionen auslösen

Entwickelt wurde die Stiftung Erbprozent Kultur von Margrit Bürer und Ueli Vogt von der Kulturlandsgemeinde Appenzell Ausserrhoden sowie von Marcus Gossolt, Philipp Lämmlin und Gloria Weiss (Agentur Alltag). «Es waren generationenübergreifende Kreise, die 2015 die Stiftung Erbprozent Kultur gründeten. Letztes Jahr konnten wir an der Kulturlandsgemeinde in Herisau 120 000 Franken vergeben», sagt Kathrin Hilber. «Dabei garantieren wir, dass wir das Geld 1:1 weitergeben. Die Startausgaben finanzierten die Kantone. Und für die administrativen Kosten versuchen wir, eine langfristige Finanzierung zu sichern. Zudem haben wir einen kostengünstigen Bürorahmen. Erbprozent Kultur teilt das Büro mit dem Heimatschutz SG-AI, wo ich Präsidentin bin.»

Spannend sind für Kathrin Hilber die Erbversprechen. «Das löst viel aus. In Familien, in Beziehungen, in der Verwandtschaft. Schliesslich bestimmen die Kinder mit, und die wollen möglicherweise nichts vererben.»

Es ist so eine Sache, sich Gedanken zu machen über den letzten Lebensabschnitt: Erben einsetzen, ein Testament schreiben, den Nachlass regeln, das sind Tabuthemen. Niemand will darüber reden, niemand will entscheiden. Kathrin Hilber: «Deshalb waren die Kunstschaffenden ebenfalls skeptisch, ob die Idee funktioniert.»

Testamentanpassungen sind aufwändig

Kompliziert wirds, wenn jemand das Testament anpassen sollte. «Das ist aufwändig, weil Erblasser das aktiv machen müssen», sagt die engagierte ehemalige Regierungs- und Nationalrätin.

Die Idee mit dem einen Prozent begeistert. «Diese Ein-Prozent-Idee ist die Klammer einer solidarischen Zivilgesellschaft. Ob zehn oder 100 000 Franken», sagt Kathrin Hilber, «alles Geld landet im selben Topf.» Und wer bekommt dann Geld? «Wir setzten ehrenamtliche Scouts ein», sagt Kathrin Hilber. «Das sind kulturaffine Leute, sie machen Empfehlungen. Wer schlussendlich was bekommt, entscheidet die Jury. Verteilt wird das Geld an der Kulturlandsgemeinde. Das war erstmals am 6. Mai 2017 der Fall.»

Erbprozent Kultur Kathrin Hilber
Die Stiftung Erbprozent Kultur spricht die breite Bevölkerung an. «Ein Prozent des vererbbaren Vermögens ist für alle erschwinglich», sagt Kathrin Hilber. (Foto: Paolo Foschini)

Letzte Lebensphase regeln: ein schwieriges Thema

Und wer sind die Geldgeber? Die ehemalige Politikerin lacht: «Es sind eher Leute, die von der Idee begeistert sind und keine Rechner.» Logisch, dass Kathrin Hilber und ihr Mann von der Idee begeistert sind. «Bei uns ist alles geregelt. Da wir keine Kinder haben, war das eine einfache Sache.»

Den letzten Lebensabschnitt selbstbestimmt zu regeln, sei ein schwieriges Thema, findet Kathrin Hilber. «Mit 40 Jahren denkt jeder, mich betrifft das nicht. Wie sie sagen, ist es immer zu früh, sich dieser Tabuthemen anzunehmen, bis es zu spät ist.»

Kathrin Hilber sagt, Tod und Sterben seien Gedanken, die ihr Mühe machten. «Da rede ich lieber nicht drüber. Für mich ist das kein gutes Thema.»

Erbprozent Kultur Kathrin Hilber und DeinAdieu-Autor Martin Schuppli
Trafen sich im Zürcher Café Auer zum angeregten Kulturgespräch. Kathrin Hilber und Autor Martin Schuppli. (Foto: Paolo Foschini)

«Nach dem Tod ist Schluss. Ende. Aus die Maus.»

Trotzdem, der Autor hakt nach. Fragt: «Was denken Sie, wie geht es weiter nach dem Tod?» Die engagierte Frau denkt kurz nach und sagt dann: «Die ersten 60 Jahre dachte ich, es geht weiter im Himmel. Jetzt sage ich, es ist Schluss. Ende. Aus die Maus.»

Text: Martin Schuppli, Fotos: Paolo Foschini


Geschäftsstelle
Stiftung Erbprozent
Davidstrasse 40, 9000 St. Gallen

T +41 71 544 95 85

Esther Widmer
Geschäftsführerin

esther.widmer@erbprozent.ch

Martina Felber
Kommunikation und Administration

martina.felber@erbprozent.ch

Mehr Informationen und Statements auf www.erbprozent.ch

3 Antworten auf „Ein Erbprozent soll helfen, eine lebendige Kultur zu sichern“

Maggie Salomon-Di Cianni sagt:

warum nicht in die AHV/IV oder für die Betreuung von randständigen Menschen? von Kultur kann niemand Essen kaufen und nur ein kleiner Teil der interessierten Bevölkerung profitiert von Kulturbeiträgen

Ed Kaufman sagt:

Die Frage ist berechtigt, allerdings liegst du falsch in der Wahrnehmung, dass sich niemand davon Essen kaufen kann. Das Medianeinkommen (also nicht Durchschnitt, sondern der Punkt, an dem es gleich viele grössere und kleinere Einkommen gibt) von Schweizer Kulturschaffenden liegt bei 40’000 Fr. Soll heissen: Für die Hälfte der Kulturschaffenden geht es bei Kulturbeiträgen sehr real darum, sich Essen kaufen zu können.

DeinAdieu sagt:

Danke Ed für diese Antwort.

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