Irgendwann zwischen den Jahren, in der Zeit zwischen Ende Dezember und Anfang Januar, blieb vielen von uns Zeit, nachzudenken. Gespräche zu führen. Entscheidungen zu überdenken. Dabei fragten wir uns vielleicht: «Was ist mein Ziel? Was möchte ich (noch) erreichen in meinem Leben? Was brauche ich, um glücklich zu sein? Was bedeutet für mich ‹Selbstbestimmung in der letzten Lebensphase›»?
Selbstbestimmung in der letzten Lebensphase. Das ist es, worüber ich mir Gedanken machen möchte. Zusammen mit meinem langjährigen Freund Dr. med. Alois Birbaumer, Beirat bei DeinAdieu.
Wir treffen uns im Fotostudio bei Paolo Foschini in Au ZH. Ein Gespräch bei Brot, Käse und Wein ist geplant. Provokativ eröffne ich mit folgender Frage: «Alois sag, gibt es eine Pflicht, zu leben?»
A.: «Nein, die gibt es nicht. Was den Sinn eines Lebens angeht und wo sein Ziel ist, das muss jeder von uns mit sich selbst abmachen.»
M.: «So ist es. Früher oder später stellt einen das Leben diese Fragen. Wohl dem, der darauf vorbereitet ist. Es ist immer zu früh, sich mit dem Leben und Sterben zu befassen, bis es zu spät ist.»
«Ich darf in der letzten Lebensphase krank sein»
A.: «Du gibst mir den Steilpass. Reden wir über die Selbstbestimmung in der letzten Lebensphase. Was heisst das? Was bedeutet dieses Recht für einen in der Schweiz wohnenden Menschen, der sich auf seine letzte Lebensphase vorbereiten möchte? (legt eine Pause ein) Selbstbestimmung in der letzten Lebensphase heisst: Ich darf krank sein, und ich darf krank bleiben. Jeder und jede darf pflegebedürftig werden, darf Kosten verursachen.»
M.: «So habe ich mir das gar nicht überlegt.»
A.: «Ist doch wahr. Die letzte Lebensphase darf lange dauern. Ich darf pflegebedürftig werden, auch wenn ich das nie wollte, mir das gar nie vorstellen konnte.»
M.: «So ist es. Und wenn die Pflegebedürftigkeit kommt, dann darf ich das durchstehen. Ich kann erwarten, dass ich professionelle Hilfe erhalte, damit ich diese Lebensphase optimal gestalten und schmerzfrei erleben kann. Ich darf warten, bis der Tod anklopft. Und wenn das dauert.»
A.: «Oh, ja. Und das ohne Depression. Ohne schlechtes Gewissen. Wir sollten jemandem, sofern er das wünscht, das Weiterleben ermöglichen und das Beste für ihn tun. Und zwar in allen Belangen. Medizinisch, im pflegerischen Bereich sowie in der psychischen Führung und spirituell.»
Entscheidung letzte Lebensphase: Angehörige miteinbeziehen
M.: «Ja. Einverstanden. Da muss ich was einwenden. An etwas erinnern. Wer sich für ‹möglichst lange gesund und munter zu Hause leben› entschieden hat, sollte an die Konsequenzen für das Umfeld denken. Sollte mit den Angehörigen reden.»
A.: «Es gilt zu klären, was geschehen soll, wenn ich pflegebedürftig werde. Wenn ich lebenserhaltende medizinische Massnahmen erhalten möchte.»
M.: «Betroffene sollten sich überlegen, was sie bereit sind an Nebenwirkungen zu ertragen? Sollten sich fragen: Was mute ich meinem Umfeld zu? (schweigt kurz). Der Entscheid, was das eigene Ziel betrifft, darf meiner Meinung nach die Angehörigen nicht bis an die Grenzen der Leidensfähigkeit belasten. Der Wunsch, möglichst lange zu leben, sollte Laien, sollte Freiwillige nicht bis zur Erschöpfung beanspruchen.»
A.: «Und es darf keine Gründe geben, warum ich nirgendwo professionelle Hilfe in Anspruch nehmen darf (wird etwas lauter). Und was die aufreibende Aufopferung Angehöriger betrifft: Es kann durchaus zu einem Problem für diejenigen werden, die diese substanzkostende Hilfe anbieten und ihr Engagement bis zum Zusammenbruch durchziehen.»
M.: «Bevor es soweit ist, sollten Profis eingreifen, sollten helfend vermitteln, Lösungen anbieten. Das heisst, zusammengefasst, denkt jemand über Selbstbestimmung zum Lebensende nach, sinniert jemand über sein Ziel, muss er sein Lebensumfeld miteinbeziehen.»
Generationenhäuser als Altersheim-Alternative
A.: «Genau, da haben wirs (wird heftig). Wir müssen immer wieder darüber reden. Über Leben und Sterben. Und zwar dann, wenn wir noch gesund sind.»
M.: «Weil es immer zu früh ist, bis es zu spät ist.»
A.: «Zurück zum Kernthema. Selbstbestimmung in der letzten Lebensphase. Wer möchte, darf im Alters- oder Pflegheim leben, soll sich aber (hebt die Hand) nicht weggeschoben vorkommen.»
M.: «Da wird es schwierig. Selbstbestimmung hin oder her. Oft ist das Wohnen im eigenen Haus einfach nicht mehr möglich. Trotz Spitex etcetera. Wohin also? Ich kann nicht erwarten, dass mich jemand bei sich aufnimmt und bis über den Tod hinaus begleitet. Die Zeit der Grossfamilie ist vorbei. Generationenhäuser wären eine Alternative.»
A.: «Dort könnte jemand alt werden, wenn nötig betreut und begleitet. In solchen Häusern, Überbauungen wären neben gemeinnützigem Wohnraum die unterschiedlichsten Institutionen beheimatet. Kita, Hort, Alters- und Pflegeheim, ‹begleitetes Wohnen›, Kleingewerbe, Spitex, Gemeinschaftsräume, Mittagstisch und so weiter.»
M.: «Ob ich noch öfter von solchen Projekten lesen und hören werde?»
A.: «Ich bin zuversichtlich.»
Senioren-Wohngemeinschaft im Safiental
M.: «Ich ebenso. Wenn ich zum Beispiel an die Gemeinde Tenna im Safiental denke. Dort bauen initiative Einheimische mit Unterländer Freunden die ehemalige Dorf-Sennerei zum Tenna-Hospiz um. Zu einer Art Generationenhaus. Ein Haus, wo Menschen in ihrer letzten Lebensphase begleitet werden. ‹Sie müssen das Tal nicht verlassen, wenn ihr letztes Stündlein geschlagen hat›, sagte beim Spatenstich Othmar Arnold.
Das Tenna-Hospiz soll ein Ort sein, wenn es zu Hause zu schwierig wird. Ein Ort für palliative Pflege und Sterbebegleitung. Ein Ort für Ferien mit pflegenden Angehörigen. Ein Ort, für Tagesstrukturen, etwa in der Demenzpflege. An solchen Orten, in Generationenhäusern etwa, könnten die Menschen, wenn es dann zu Ende geht, palliativ betreut werden und sozusagen zu Hause sterben.»
Zurück zur Selbstbestimmung in der letzten Lebensphase. Lassen wir Dr. Roland Kunz zu Wort kommen. Ich möchte hier einige seiner Gedanken einfliessen lassen. Der Palliativmediziner und Geriater amtet wie Alois Birbaumer als Beirat von DeinAdieu.
«Sieben von zehn Menschen sterben medizinisch begleitet»
In einem Gespräch sagte Roland Kunz Folgendes: «Wir müssen uns bewusst sein, der Tod tritt nur in drei von zehn Fällen einfach so ein. Also durch einen Unfall, einen plötzlichen Herztod oder ähnliche Ereignisse. In sieben von zehn Fällen stirbt bei uns ein Mensch medizinisch begleitet.»
«Wer über ein selbstbestimmtes Lebensende nachdenkt, fragt sich, welches sind wichtige Werte für mich, welches sind meine Grenzen? Diese Antworten gilt es regelmässig zu überdenken und allenfalls einer neuen Situation anzupassen.»
Für den Chefarzt Universitäre Klinik für Akutgeriatrie im Waidspital Zürich ist die Antwort auf die Frage «Was wollen Sie noch von Ihrem Leben?», aussagekräftiger als die Antwort auf die Fragen «In welcher Situation wollen Sie was?». Dies zu beantworten überfordert erfahrungsgemäss Patienten, Patientinnen und/oder Angehörige.
«Anstatt zu mutmassen, zu diskutieren, was jemand für ein Lebensziel hat, wäre es gut, wir wüssten es voneinander.» Roland Kunz sagt. «Ich fände es klug, wenn an einer Familienzusammenkunft, an einer Geburtstagsfeier über solche Themen geredet würde. Angehörige müssen wissen, welche Werte jemand hochhält. Ein Beispiel: Stehen wir vor der Frage, ‹Unterschenkel amputieren oder nicht?›, macht es einen Unterschied, ob jemandem Bewegung wichtig ist oder ob jemand gerne auf dem Sofa sitzt und ein Bierchen trinkt.»
Roland Kunz findet, der Einzelne müsse über seine Werte nachdenken und wir, die Gesellschaft, müssten darüber reden. «Autonomie heisst nicht, dass ich nur für mich schauen soll. Ich muss meine Selbstbestimmung in Einklang bringen mit meiner Umgebung. Die Patientenverfügung, resp. Patientenvollmacht soll deshalb niemand im stillen Kämmerlein ausfüllen. Wir sollten darüber reden mit unseren Angehörigen.»
Entscheide zur letzten Lebensphase regelmässig überdenken
Roland Kunz: «Jeder sollte eine Haltung entwickeln gegenüber seinem Leben. Sollte sich Gedanken machen über sein Lebensende. Da tauchen Fragen auf. Etwa, wie wichtig ist mir der Blutzucker, der Blutdruck, was will ich noch in meinem Leben?
Es gibt Leute, die lassen jährlich einen Check-up machen und geraten, übertrieben formuliert, in Panik, wenn ein Messwert sich verändert. Da wäre, meiner Meinung nach, der Gedanke angebracht, was will ich denn mit all den präventiven Vorsorgeuntersuchungen erreichen? Will ich steinalt werden? Will ich alles medizinisch Mögliche ausnutzen, um dieses Ziel zu erreichen?» Kunz legt nochmals eine Pause ein. Sagt dann abschliessend: «Lebt jemand in Afrika oder Südindien, stellen sich diese Fragen nicht?»
Alois und ich, wir schauen uns an. Nicken. Unser Freund sagte, was wir denken.
Leidet jemand an Demenz, ist die Selbstbestimmung im Sumpf
M.: «Was bedeutet es für Betroffene und ihr Umfeld, wenn die Vergesslichkeit zunimmt? Wenn Angehörige immer stärker beansprucht werden. Wenn der Partner, die Partnerin das alles wegsteckt. Wenn aus irgendeinem Grund niemand fremde Hilfe holt.»
A.: «Von der Alzheimer-Geisel kann einen niemand befreien, Dagegen gibts kein Rezept. Wer an Demenz, an Alzheimer erkrankt, dessen Schicksal geht seinen Weg – und der kann Jahre dauern.»
M.: «Dann ist die Selbstbestimmung im Sumpf.»
A.: «Genau. Wer will das schon? Was in diesen Menschen abläuft, weiss ich nicht, da können wir in keinem Bereich was bieten, weder medizinisch, sozial ebenso nicht. Was also willst du diesen Dementen bieten ausser Beschäftigung. Wer sich in der Begleitung Dementer engagiert, ist für mich eine Heldin, ein Held.»
M.: «Zurück zur Selbstbestimmung. Ilona Schmidt von Palliaviva, Zürich machte mich drauf aufmerksam, dass wir alle das Ziel haben dürfen, so lange wie möglich zu leben.»
A.: «Aber, ich muss die Nachteile ertragen. Das sind Gebrechlichkeit, Altersblindheit, Schwerhörigkeit, Schmerzen und Unsicherheit auf den Beinen.»
M.: «Man wird dann nicht mehr ‹gesund› sein …»
A.: «… sondern eher an einer oder mehreren Krankheiten leiden. Diesbezüglich kommt mir die Definition der Gesundheit von Friedrich Nietzsche in den Sinn: ‹Gesundheit ist dasjenige Mass an Krankheit, das es mir erlaubt, meinen wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen.› Und die wesentlichen Beschäftigungen muss jeder individuell definieren, seiner momentanen Situation anpassen.»
Entscheidung zur letzten Lebensphase akzeptieren
M.: «Genau. Es gibt schliesslich unzählige Gründe, so lange leben zu wollen, wie es halt denn sein darf, sein muss. Das können religiöse Gründe sein. Jemand sagt sich, ‹ich bringe mich doch nicht um›. Zudem haben alte Menschen noch Ziele. Sie wollen ein Buch schreiben, die Enkel aufwachsen sehen, einen bestimmten Ort besuchen, etwas Besonderes erleben, die sozialen Kontakte pflegen.»
A.: «So ist es. Wer möglichst lange leben möchte, darf ein allfälliges Leiden behandeln lassen, bis zum Tod. Auch wenn es die Gesellschaft, den Staat etwas kostet (macht eine Pause). Das ist doch keine Frage. Hat jemand sein Ziel definiert, gilt es zu handeln. Wer in dieser Phase angekommen ist, darf das wollen. Egal warum. Wir schulden Verständnis.»
M.: «Die meisten meiner Generation, haben bereits lebensverlängernde Massnahmen ergriffen. Ich spritze seit einigen Jahren Insulin, schlucke Tabletten gegen Bluthochdruck und so weiter.»
A.: «Und würde ich fragen, wer hat eine chronische Krankheit, würdest du dich nicht mal melden.» (lacht, klopft sich aufs rechte Knie)
M.: «Du hast recht. Ich fühle mich nicht eigentlich krank.»
A.: «Zurück zum Thema. Wer das Ziel hat, lange zu leben, darf und soll die Hilfe von Freiwilligen in Anspruch nehmen. Schliesslich engagierte sich wohl jeder, jede im Verlauf des Lebens in der Freiwilligenarbeit. Hat also ein gefühltes Recht darauf, nun davon zu profitieren.»
M.: «Ebenso zahlen wir alle Steuern. Das heisst, wir haben in der letzten Lebensphase das Recht, Ergänzungsleistungen, resp. Sozialhilfe zu beantragen.»
A.: Dabei gilt es zu bedenken, vor dieser kritischen Phase des Lebens sollte man mit seinem Geld nicht zu grosszügig umgehen.»
M.: «Wer vom Staat Geld erhalten möchte, kann im Vorfeld natürlich nicht ‹Haus und Hof› verschenken, um nachher mittellos dazustehen und um Geld zu bitten.»
«Niemand soll im Affekt sein Leben wegwerfen»
A.: «Nun aber zurück zu deiner Einstiegsfrage: «Haben wir Menschen eine Pflicht zu leben?» (wir schweigen).
M.: «Ich meine nein. Wie lange ich leben will, ist eine individuelle Entscheidung. Das verstehe ich ebenfalls unter Selbstbestimmung.»
A.: «Stell dir vor: Jährlich nehmen sich in der Schweiz gut 1500 Menschen das Leben. Rund 34 000 versuchten es – erfolglos. Die Dunkelziffer ist um einiges höher.»
M.: «Ein Wahnsinn.»
A.: «Extrem. Und es gibt unzählige Gründe, warum jemand seinem Leben ein Ende bereiten möchte. Dafür gilt es, Verständnis zu haben.»
M.: «Aber: Der klassische Suizid ist verantwortungslos. Niemand sollte im Affekt sein Leben wegwerfen. Niemand sich auf aggressive Art davonschleichen.»
A.: «Zu viele Menschen werden dadurch in Mittleidenschaft gezogen. Lokführer, Rettungssanitäterinnen, Mitarbeitende von Careteams, Blaulichtorganistionen, Freiwillige, Angehörige.»
M.: «Schlimm. Ein klammheimlicher Akt, mit niemandem besprochen, im Affekt. Das müsste eine aufgeklärte Gesellschaft ändern können.»
A.: «Mit dem begleiteten Suizid wohl zum Teil. Dem gehen ausführliche Gespräche voraus. Diese Gespräche kommen natürlich bei vielen nicht zustande, da oft ein Kurzschluss-Entscheid die Ursache der Suizide ist»
M.: «Gespräche, wie sie beispielsweise Exit mit Sterbewilligen führt.»
A.: «Richtig. Und da gibts eine interessante Beobachtung, die wir demnächst in einer Geschichte erläutern. Aber kurz zusammengefasst Folgendes: Dank der Möglichkeit, wenns denn sein muss, von Exit in den Tod begleitet zu werden, schieben viele diese Art zu sterben vor sich her und der Tod kommt, wenn er denn kommt (schweigt). Und so betreibt Exit ein Art Suizidprävention.
«Für mich gehört begleiteter Suizid zur PalliativCare»
M.: «Meiner Meinung nach gehört der begleitete Suizid zur palliativen Versorgung. Wer will, sollte in einem Spital auf diese Art Sterben dürfen oder in einem Altersheim, in einem Hospiz, in einer Pflegeeinrichtung.»
A.: «Der begleitete Suizid ist eine selbstbestimmte Art zu sterben, die sogar vom berühmten Theologen und Kirchenkritiker Hans Küng in Betracht gezogen wird.»
(In der NZZ am Sonntag stand vor drei Jahren: «… Ein Sprachrohr des selbstbestimmten Sterbens ist auch der Schweizer Theologe und Kritiker der katholischen Kirche, Hans Küng. Er kündigte an, eine Sterbehilfeorganisation in der Schweiz in Anspruch zu nehmen, wenn es sein Zustand erfordere. Er leidet an Parkinson. Musste miterleben, wie sein Bruder qualvoll und langsam an einem Gehirntumor starb und wie ein naher Freund jahrelang dement vor sich hindämmerte. «Ich möchte so sterben, dass ich noch voll Mensch bin», sagt er in einem Fernsehinterview. Damit spricht er vielen aus dem Herzen.»)
M.: «Hans Küng lebt heute, 91-jährig, gezeichnet von seiner Parkinsonkrankheit, zurückgezogen in Tübingen (D). In seinem Sinne soll ich also die Möglichkeit erhalten, meinem Leben ein Ende zu setzen, wenn ich finde, es ist Zeit. Wenn ich des Lebens satt bin. Wenn ich in meinem Zustand keine Lebensqualität mehr sehe.»
Die Möglichkeit den Todeszeitpunkt zu wählen, kann präventiv wirken
A.: «Ja. Das kann aber niemals ein plötzlicher Entscheid sein, es entspräche eher einem andauernden Wunsch. Einem Wunsch, den ich mit meinem Umfeld besprochen habe, über den ich mit Fachleuten redete. Ein wohlüberlegter, selbstbestimmter Entscheid.»
M.: «Und wer sind diese Fachleute? Ärzte, Seelsorgerinnen beispielsweise?»
A.: «Dieses Gespräch müssten Sterbewillige mit jemandem führen, der beurteilen kann, ob ich urteils- und entscheidungsfähig bin. Und dieser jemand müsste mir, wenns denn passt, zum ‹Gifttrank› verhelfen. Der Arzt, die Ärztin müsste wenigstens die Daten des Patienten, der Patientin an eine entsprechende Stelle verschicken. Es braucht also Ärzte, Ärztinnen, die reden und letztendlich ein Rezept unterschreiben. Mit allen Konsequenzen.» Gespräch mit Corinna Bürgi-Feld
M.: «Ein Problem, das wir so nicht lösen können, ist der Suizid aus dem Moment heraus. Einem Moment der Verzweiflung, der seelischen Not, der Angst. Der vermeintlichen Ausweglosigkeit. Der Rache.»
A.: «Ich sehe eine Chance, wenn wir eine saubere Lösung erarbeiten. So wie wir sie soeben angetönt haben. Leider können wir nur eine Begleitung anbieten, wenn der betroffene Mensch zuvor seine Probleme zu einer Vertrauensperson trägt. Dies bedingt, dass die Betroffenen über diese Hilfe informiert sind und dass die Ansprechspartner ein Ohr haben.»
M.: «Wenn ich mich auf saubere Art und Weise sowie im Frieden mit den Angehörigen, ohne Organisation, bewusst von dieser Welt, von diesem Leben verabschieden kann.»
A.: «Ohne Organisation ist es durchaus möglich. Davon erzählt Gregor Frei in seinem Film: ‹Das Leben vor dem Tod›, dazu muss man eine Ansprechperson finden. Zurzeit arbeiten in der Schweiz sechs Sterbehilferganisationen, die den assistierten Suizid anbieten. Sie führen mit kompetenten Personen Vorgespräche, Begleiten und Erledigen alle formellen Angelegenheiten.»
M.: «Es gibt Menschen, die glauben, sanft, ohne Hilfsmittel aus der Welt zu scheiden, indem sie auf freiwillig auf Essen und Trinken verzichtet.»
A.: «Sie irren gewaltig. Die Belastung für Pflegende, für Angehörige ist sehr gross, intensiv. Mitzuerleben, wie jemand Durst leidet, ist unerträglich. Wer diese Form des Sterbens in Anspruch nimmt, handelt meines Erachtens verantwortungslos. Das schrieb ich bereits im Beitrag vom Juni 2017.»
M.: «Zieht sich jemand in eine einsame Höhle zurück … dann à la bonne heure.»
Wer möglichst lange leben möchte, muss Hilfe annehmen
A.: «Und schlussendlich brechen wir noch einmal eine Lanze für die Angehörigen: Wer für sich in Anspruch nimmt, so lange wie möglich zu leben, der sollte sich von allen helfenden Händen pflegen lassen und nicht nur die Angehörigen belasten.»
M.: «Du sagst es. Sprüche wie: ‹Mir kommt keine Spitex ins Haus›, finde ich unerträglich. Spätestens in so einer Situation sollte jemand lernen, Hilfe anzunehmen.»
A.: «Wer Suizid begehen will, denke daran, wie stark Unbeteiligte von einer Selbsttötung, resp. einem Versuch betroffen werden. Sucht vorher das Gespräch mit irgendjemandem.»
M.: «Wer seinen Angehörigen, seinem Umfeld erklärt, warum er diese Welt verlassen möchte nun, dem bringt bitte Verständnis entgegen. Denn, wie schon festgehalten: Es gibt keine Pflicht zu leben.»
Wichtige Dokumente regeln die letzte Lebensphase
Reden wir zum Schluss noch über all die Papiere und Dokumente, die ebenso zur Selbstbestimmung in der letzten Lebensphase gehören. Wir von DeinAdieu schrieben schon oft darüber, stellen unzählige Dokumente, Texte, Ratschläge, Adressen, Informationen, Fragen&Antworten sowie Downloads bereit. Dass die Enduser daran interessiert sind, zeigt die Zahl von über 20 000 Besucherinnen und Besucher monatlich, resp. 46 444 Visits. Tendenz steigend.»
A.: «Und was ist gefragt?»
M.: «Sicher Informationen, resp. Downloads zum Thema Patientenverfügung, Patientenvollmacht, Vorsorgeauftrag. Dann natürlich das Testament. Da laden monatlich einige Hundert ein ausgefülltes PDF runter. Das machen sie am Testamentgenerator. Der rechnet ihnen sämtliche Möglichkeiten durch. Etwa: Wer erbt wie viel. Oder wie hoch ist die frei verfügbare Quote, wenn ich beispielsweise einem Hilfswerk etwas vererben möchte.
Sucht jemand nach einem vertrauenswürdigen Hilfswerk, wird er hier fündig. Sind Dienstleister, Dienstleisterinnen gefragt rund um das Thema Leben und Sterben, rund um Selbstbestimmung zum Lebensende, finden User, Userinnen eine Menge Adressen und Informationen.»
Im Testament ein Hilfswerk bedenken
A.: «Was finde ich bei euch im Bereich Trauern, Kondolieren, Abschied?»
M.: «Die Seiten mit den Zitaten sowie mit den Vorlagen für Briefe oder Reden gehören zu den meistbesuchten DeinAdieu-Seiten. Neu ist es möglich, eine kostenlose Traueranzeige zu schalten. Sogar mit Spendehinweis.
A.: «Was ich gesehen habe, ist die Seite über Legate.»
M.: «Du meinst, wenn jemand noch mit warmen Händen etwas verschenken möchte. Einem Hilfswerk beispielsweise. Wir erklären den Unterschied zwischen Schenkung, Legat und Vermächtnis.
A.: «Eine noble Form des Letzten Willens.»
M.: «Du sagst es. Nun haben wir lange geredet. Danke Alois für dieses Gespräch. Danke Paolo für die Gastfreundschaft.»
Bearbeitung + Text: Martin Schuppli
Fotos: Paolo Foschini, Bruno Torricelli, Djamila Grosman