Die Teilnehmerin Elsbeth sagt dazu: «Ich war froh, dass ich über den Tod meines Mannes, über seinen Verlust und meinen Schmerz reden konnte». Ihr Mann verschied vor anderthalb Jahren. «Er erlitt zu Hause einen Herzinfarkt und starb einige Tage später im Spital.» Sie schweigt kurz, ihre Augen umwölken sich mit Traurigkeit. Dann redet sie weiter: «Es war einen Tag vor meinem 63. Geburtstag, als ich entscheiden musste, die lebenserhaltenden Maschinen abzustellen. Das war schier unerträglich. Ich fiel in ein Loch, weinte oft. Etwa auf Spaziergängen mit meiner Hündin Kyhra oder im Stall bei meinen Haflinger-Pferden Safira und Stella.»
In solchen Momenten ist Reden heilsam. Über den Tod reden, über das Sterben. Heidi Hofer, weiss das. Sie sucht das Gespräch mit Menschen in Trauer bewusst, bietet ihre Erfahrung als Dienstleistung an. Sie betreut Gruppen oder Einzelpersonen. Sie begleitet Trauernde auf Spaziergängen, besucht sie zu Hause oder organisiert ein Treffen mit Betroffenen. «Obwohl ich ursprünglich aus der Frauenarbeit komme, verstehe ich mich als Trauerbegleiterin für alle, die jemanden verloren haben. Nicht nur für Witwen oder für Witwer, auch für Eltern, welche ein Kind betrauern, oder erwachsene Kinder, welche einen Elternteil verloren haben durch den Tod.» Im Trauercafé hat jede Trauer Platz.
Um Trauernden zu helfen, liess sich Heidi Hofer zur Trauerbegleiterin ausbilden
Die zweifache Mutter und erfahrene Erwachsenenbildnerin liess sich vor sieben Jahren zur Trauerbegleiterin ausbilden. «Ich wusste es bereits und spürte ebenfalls rasch, Menschen in Trauer wollen sich nicht absondern. Sie wollen sich austauschen, wollen reden, sind froh, wenn sie spüren, nicht allein zu sein mit ihrem Schmerz, ihrem Alleinsein und mit ihrer Wut.»
Wut? «Ja», sagt Elsbeth, «die gibt es in der Trauerphase. Ich war dann und wann wütend, weil ich mich alleine fühlte, mit all den Aufgaben, die mein Mann bisher erledigt hatte. Ich war es, die nun all das Administrative erledigen musste, all die Besorgungen, all die Handreichungen, die er täglich für mich erledigt hatte.»
Heidi Hofer kann das gut nachvollziehen. Sie erlebte als Sechsjährige «wie die dreijährige Schwester starb. Zwölf Jahre später starb der Vater. Er war 47 und erlitt einen Herzinfarkt. Darauf zerbrach meine Mutter. Sie wurde verbittert, haderte mit dem Schicksal.»
Trauer kann einen Menschen verändern
Später erlebte Heidi Hofer bei ihrer Schwiegermutter, wie tiefe Trauer einen Menschen verändern kann. «Ein paar Monate nach der Geburt unseres ersten Sohnes starb mein Schwiegervater. Seine Frau wurde zur Aktivistin in Sachen Ablenkung. Sie reiste zuerst mit dem Auto, dann mit dem GA durch die ganze Schweiz und vermied so das Alleinsein. Als sie dann die Gebrechen und Gebresten des Alters trafen, haderte sie mit dem Schicksal, trauerte der verlorenen Jugend nach und starb enttäuscht und ohne Lebensmut.»
Deshalb ist es für Heidi Hofer eine wichtige Einsicht, dass es «ein Leben gibt nach dem Trauerfall. Dieses Wissen ist ein starker Motor.» Und das Leben nach dem Stillwerden eines lieben Menschen gilt es aktiv zu gestalten. Dazu gehören Gespräche mit Betroffenen, mit Frauen und Männern, die in derselben Situation sind. Und es braucht ein bewusstes Trauern, ein Zulassen der damit verbundenen Emotionen.
Und genau diese Möglichkeit bietet das Trauercafé im Pfarrhaus Wollerau SZ. Zusammen mit Pfarrer Dr. Jozef Kuzar ergriff Anita Höfer 2017 die Initiative. Die studierte Sozialpädagogin und Trauerbegleiterin in Ausbildung, die im «Seelsorgeraum Berg» der Pfarreien Wollerau/Schindellegi, für die Seniorenarbeit und Diakonie zuständig ist, fühlt sich der Nächstenliebe verpflichtet. «Ich betreue Menschen, die krank sind, Menschen, die einen sozialen Abstieg hinter sich haben, die entlassen wurden oder nach einer Scheidung nicht mehr weiterwissen.» Solchen Lebensgeschichten begegnen der aufgestellten und engagierten Frau immer wieder. «Die Idee eines Trauercafés entwickelten Pfarrer Jozef Kuzar und ich zusammen. In den Tagen damals tröstete ich eine weinende Frau. Sie sagte immer wieder, ‹mein Mann fehlt mir›. Nicht erst da wurde uns klar, wir müssen den Trauernden eine Möglichkeit bieten, Gespräche zu führen.»
Die Räumlichkeiten für das Trauercafé waren schnell gefunden. Anita Höfer: «Wir wussten, dass es mit einer Jahre zuvor gegründeten Selbsthilfegruppe nicht so geklappte hatte. Wir suchten eine kompetente und erfahrene Trauerbegleiterin. Und so streckte ich die Fühler aus, sprach mit den unterschiedlichsten Leuten. Und alle sagten: ‹Frag Heidi Hofer, sie ist die ideale Frau für diese Aufgabe.›»
Heidi Hofer lächelt. Freut sich über dieses Kompliment. Sie sagte sofort zu, und seither fanden sich jeden Monat um die zehn Trauernde ein im Pfarrhaus neben der katholischen Kirche Wollerau. «Meist sind es Frauen, die um den Tisch sitzen», sagt die Trauerbegleiterin. «Wir zünden jeweils eine Kerze an zu Beginn des Treffens und jede erzählt, um wen sie heute trauert. Zudem stehen beide Stunden jeweils im Zeichen eines Themas aus dem Themenkreis der Trauer, «Der Weg durch die Trauer geht mitten durch» etwa oder «Tränen sind kostbar und erlösen vom Schmerz.»
Solch gemeinsame Trauerarbeit ist sehr ergreifend. Oft fliessen Tränen. «Und die tun gut», sagt Heidi Hofer. Wie so viele Menschen, die sich mit dem Tod und dem Sterben befassen, rät sie uns: «Redet darüber. Redet darüber, solange ihr gesund seid, redet darüber, solange ihr noch könnt. Wenn ein Angehöriger gestorben ist und man vorher darüber reden konnte, ist die Einsamkeit nach dem Tode eines geliebten Menschen in den meisten Fällen leichter zu ertragen.»
Es seien die Selbstvorwürfe, die einem zu schaffen machen, sagt Heidi Hofer. «War der Tod, war das Sterben eines Partners, einer Partnerin schon immer ein Thema, wird die Trauer zugänglich und Betroffene fühlen sich nicht so verlassen.»
Kommen ebenfalls Männer ins Trauercafé? «Sehr selten», sagt die Sozialpädagogin Anita Höfer, und Heidi Hofer bestätigt das. «Sie wollen sich nicht auf diese Art austauschen. Wollen nicht in einer gemischten Runde sitzen und plötzlich damit konfrontiert sein, dass jemand weinen muss.» Und was ist zu tun, wenn jemand der Anwesenden nicht über Gefühle reden möchte? «Dann reden wir darüber, wer wo und wie bestattet werden möchte», sagt Heidi Hofer. «Wir reden über die Wichtigkeit von Abschiedsritualen und die verschiedenen Möglichkeiten, eine Bestattung zu organisieren.»
Es gibt Familien oder Partnerschaften, da braucht es mehrere Anläufe, bis ein Gespräch über die letzte Lebensphase in Gang kommt. «Manchmal sind mehrere Versuche nötig», sagt Heidi Hofer. «Und dann und wann stösst man auf starke Mauern, das gilt es zu akzeptieren. Geeignet, ein Gespräch anzukurbeln, sind die Momente, wo ein Todesfall sowieso Thema ist. Etwa nach dem Besuch einer Beerdigung oder wenn jemand einen passenden Spruch zum Thema Tod und Sterben gelesen hat.»
Heidi Hofer lächelt und liefert dann ein Beispiel: «Der Vater des deutschen Philosophen Wilhelm Schmid sagte jeweils, wenn seine Familie mit ihm über den Tod reden wollte: ‹Das Sterben verschieben wir bis ganz zuletzt.›» Wie wahr.
Text: Martin Schuppli, Fotos: Paolo Foschini