Einleitend beginnt die Geschichte mit einem von Rilkes bekannten Gedichten. Der «Herbsttag». Er begleitet viele «Traurige» durch den Herbst. Tröstlich und stärkend.
Herbsttag
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr gross.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
Und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süsse in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
(Rainer Maria Rilke)
Nebel kann einem aufs Gemüt drücken. Dunkelheit und Feuchtigkeit ebenfalls. Verständlich, wenn sich jemand in solchen Zeiten zurückzieht ins Schneckenhaus seiner Seele. Denn dort sind sie gespeichert, die unterschiedlichsten Momente gelebter Tage, Wochen, Jahre. Im «Archiv unseres Lebens» finden sich Zeiten voller Freude und Leid, voller lachen und weinen. Stille und leise Augenblicke. Geborgenheit und Einsamkeit. Konzentriert auf sich selbst sind solch dunklen, kalten Herbsttage ein idealer Nährboden, um all den Schmerz, all die Trauer, all die Ungerechtigkeit an die Oberfläche zu holen und sich darin zu suhlen. Das kann den einen gut tun und andere schmerzen.
Oft haben wir die Tendenz, Emotionen die uns als unangenehm erscheinen zu verdrängen und wegzuschieben. Doch gerade diese sind sehr wertvoll in unserer inneren Weiterentwicklung und speziell auch in der Verarbeitung unserer Trauer.
Wehren gegen traurige dunkle Stimmung können sich nur die Wenigsten. Muss man nicht. Ich meine, es ist gar nicht nötig. Solche Momente sind wichtig, eine Krise durchzustehen. Seien es Schwierigkeiten in der Beziehung, am Arbeitsplatz oder in der Familie.
Sabine Shah und Christine Friedli kennen den Schmerz
Wer sich mit dem Tod eines geliebten Menschen oder gar seines Kindes auseinander setzten muss, begibt sich sich automatisch auf eine Achterbahn der Gefühle. Die Trauer kommt oft in Wellen und umgibt jeden einzelnen auf ganz individuelle Weise. Sabine Shah (DeinAdieu erzählte am 15. Juli 2016 ihre Geschichte) und Christine Friedli (DeinAdieu erzählte am 8. Juli 2016 ihre Geschichte) kennen das gut. Beide erzählten DeinAdieu ihre Geschichten vom frühen Tod ihrer Kinder. Und beide redeten darüber, wie sie gerade im Herbst solch traurige Momente bewältigen.
Für Sabine Shah ist es wichtig, sich in solch melancholischen Momenten auf ihre Gefühle einzulassen und diese auszuleben. «Meine Traurigkeit wohnt in mir genauso wie die Lebensfreude», sagt sie. «Beide haben ihren Platz und wollen gelebt werden. Gerade durch das sehr aktive, gegen aussen gerichtete Leben, sind diese stillen, in sich gekehrten Momente so wichtig und wertvoll. Denn da wo Licht ist gibt es auch Schatten, da wo viel entsteht, braucht es auch Zeit zum Nachdenken und Reflektieren.»
Auf ihrer Stiftungs-Webseite www.jasmina-soraya.ch schreibt sie folgendes: Gerade in diesen Momenten ist es so wertvoll, wenn jemand da ist, der weiss, wie es sich anfühlt. Der weiss, welche Ängste und Sorgen einen plagen und wie schwer es ist, die Trauer in sein Leben zu integrieren.»
Wenn man sich mit seiner Trauer alleine fühlt, kann es sehr wertvoll sein, sich mit Betroffenen auszutauschen.
Die Hilfe, die sie und ihr Team anbietet, resp. empfiehlt, hat die Mutter von vier Kindern mit folgenden Stichworten zusammengefasst:
Zuhören. Verstehen. Mitfühlen. Trösten. Begleiten.
Auf der Webseite ihrer Organisation schreibt die fröhliche Frau: Dies und noch viel mehr finden Betroffene in einem Herzens-Coaching bei uns im Office der Jasmina-Soraya-Fondation in Therwil BL, in einem Austausch auf unserem Sternli-Mami-Chat, bei einem Treffen an einem unserer Workshops oder Events, beim Entspannen in einer unserer Matinées oder einfach von Sternli-Mami zu Sternli-Mami an einem Wohlfühlort.
«Es ist wichtig, dass Betroffene sich austauschen. In gemeinsamen Gesprächen findet man schnell heraus, «anderen geht es ja ganz ähnlich wie mir», sagt Sabine Shah. «Emotionen sollen Raum bekommen, Traurigkeit und melancholische Gedanken sind oftmals Begleiter. Wichtig ist sich liebevoll und kompetent begleiten zu lassen. Wenn jemand Hilfe sucht und Traumas aufarbeitet, wie etwa den Tod eines unendlich stark geliebten Menschen, braucht es Menschen mit der notwendigen Erfahrung, einem grossen Herz und viel Feingespür.»
Wirksame, begleitende Hilfe bieten z.B. auch Bachblüten-Produkte oder homöopathische Medikamente. Hier wissen Heilpraktiker, Apotheker/innen oder Drogisten weiter. Raum schaffen für Dinge die guttun und einem ein wenig Energie geben. So kann ein liebevoll arrangierter Wellnesstag mit einer guten Freundin, einem lieben Freund Sonne ins Herz zaubern und einem aus dem Alltag herausholen. Auch dem Thema Licht darf ein Augenmerk geschenkt werden. Unser Gemüt braucht Licht um sich wohl zu fühlen. Viel frische Luft in der Natur bewirkt ein durchatmen und hilft Gedanken und Emotionen zu sortieren.
«Wichtig: Werdet euch des Selbstwertes bewusst.»
«Es ist wichtig, dass sich jemand seines Selbstwertes bewusst wird, sich selber wiederfindet», sagt Sabine Shah. «Und dazu sind stille Momente ideal. Manche sagen dem Meditation.»
Etwas Wunderschönes ist es, sich in solchen Momenten zu beschenken. Etwa mit einem selbstgebackenen Kuchen oder einem selbstgemachten Brot. Dies gilt ebenso für beide Frauen, wie für den Autor.
Für Christine Friedli, Mutter von vier erwachsenen Kindern und einem Sternli-Bueb, sind Rituale ganz wichtig. Sie sagt: «Um mit ihrem Verlust fertig zu werden, haben viele der mir bekannten Familien ihre eigenen Rituale. Das ganze Jahr hindurch. Kommt der Nebel, tanzen die Lichter. Kerzen gehören dazu. Bei allen. Ich weiss von einer Frau, die geht zum Bach, wenn am Morgen der Nebel drückt, und lässt Kerzli im Wasser treiben. Dieses Ritual kann gut zwei Stunden dauern. Die betroffene Mutter sagt, sie könne gut abschalten, könne gut entspannen. Eine andere, weiss ich, geht spazieren. Und zwar im Wald. Sie sagte mir, das mache sie unter dem Jahr selten, aber im Herbst werde es zum Zwang. Sonne, Regen, Nebel. Egal, sie geht jeden Tag in den Wald. Sagt: So könne sie diese Jahreszeit besser überstehen.»
Herbstliche Trauer: Kerzenschein gibt Hoffnung
Seit Jahren setzt sich Christine Friedli mit dem Verlust ihres Fabien auseinander. Sie gründete und arbeitet in Selbshilfegruppen mit, sie kennt sie gut, die Szene der Sternlimütter und -väter. «Es gibt Dutzende Frauen und Männer, die treffen sich ab Mitte Oktober einmal in der Woche. Dann diskutieren sie offen über ihre Trauer. Reden darüber, warum es ihnen in dieser Zeit nicht so gut geht. Liegt es am Nebel, der uns bedrückt? Ist es die bevorstehende Adventszeit? Eine Zeit, in der die ganze christliche Welt fröhlich ist und alle sich auf eine besinnliche, ruhige Zeit freuen. Die Gruppen gehen zusammen Kerzen ziehen. Und am Schluss hat jeder ein paar wunderschöne selbstgezogene Kerzen. Zu Hause gibt ihnen dieser Kerzenschein Hoffnung. Mut. Kraft. Alles Elemente, um diese schwere Zeit der Dunkelheit und Kälte irgendwie zu überstehen.»
Es gibt Selbsthilfegruppen, die bieten Wochenenden an für Eltern, denen es nicht so gut geht in dieser Jahreszeit. Die organisieren Rituale, Gespräche und unternehmen Waldspaziergänge. Dort sammelt jeder, sammelt jede, was gefällt. Moos etwa. Steine. Pilze. Wurzeln und vieles mehr. Später entsteht irgendwo in diesem Wald ein Platz für die Verstorbenen. Logisch, dass auch hier Kerzen nicht fehlen.
Wer ein Kind, einen liebgewordenen Menschen vermisst, der freut sich über eine liebevoll geschriebene Karte. «Das gibt Mut und Kraft. Und die Betroffenen wissen, sie werden nicht vergessen. Oft schreiben sie sich gegenseitig, Mut machende, Hoffnung bringende Briefe.»
Und so erzählt Christine Friedli von der Idee des Wichtelns im Advent. «Die Initianten änderten es ab, passten es an für trauernde Eltern. Wer mitmachen möchte, zieht den Namen eines der Himmelskinder. Ihnen widmen sie eine wunderschöne Karte. Oder ein liebevoll gebasteltes Geschenk. So entstehen Freundschaften zu Menschen, die einander nie kennen lernen würden, hätten sie kein Himmelskind.»
Text: Sabine Shah, Martin Schuppli | Fotos Daniel Friedli | Peter Lauth
Herbstlich Trauer: Hilfreiche Adressen
für Sternlein-Eltern
Jasmin Soraya Fondation
Engagement für Sternchen Familien
Weidenstrasse 36 | 4106 Therwil BL
Tel. +41 61 721 11 13
sternchen@jasminasoraya.ch | www.jasminasoraya.ch
Verein Regenbogen Schweiz
Postfach | 3297 Leuzigen BE
Tel. 0848 085 085
info@verein-regenbogen.ch | www.verein-regenbogen.ch
Kindsverlust.ch
Fachstelle Kindsverlust während Schwangerschaft, Geburt und erster Lebenszeit
Belpstrasse 24 | 3007 Bern
Tel. 031 333 33 60
fachstelle@kindsverlust.ch | www.kindsverlust.ch
für Menschen mit Depression:
VASK Informationen, Beratung und Selbsthilfeangebote für Angehörige
Dachverband der Vereinigung von Angehörigen Psychisch Kranker
Langstrasse 149, 8004 Zürich
Tel: 044 240 12 00
info@vask.ch | www.vask.ch/
SGAD – Schweizerische Gesellschaft für Angst & Depression
Geschäftsstelle
Ringstrasse 70, 8057 Zürich
info@sgad.ch | www.sgad.ch
2 Antworten auf „Herbstliche Trauer: «Drückt der Nebel, tänzelt das Licht»“
Lieber Martin. Für die einen ist der Herbst bunt, farbig und sonnig. Für andere kalt, neblig und voller Trauer. Gut zu wissen, dass keiner allein dieser schwere Weg gehen muss. Danke für dein wertvoller Bericht. Herzlich Christine
Ich betrachte den Herbst als ein letztes Aufbäumen der Natur vor dem Winter. Sonnenauf-/untergänge. Feuerwerk der Laubbäume. Nebelschwaden auf Wiesen und Felder. Dies alles fasziniert, verzaubert. Hinterlässt hie und da auch Trauer. Wichtig finde ich, in all diesen Momenten Menschen an seiner Seite zu wissen, mit denen Mann oder Frau alles teilen kann. Schönes. Trauriges. Licht. Schatten.