Wer Jennifer Diener nach ihrem Beruf fragt, staunt, erschrickt vielleicht. Meist muss die junge Frau dann die eine oder andere Frage beantworten. Jennifer Diener arbeitet beim Friedhofsamt der Stadt Zürich im Fahrdienst und als Bestatterin. Sie und ihre Kollegen, holen Verstorbene ab. Menschen, die Zuhause «entschlafen» sind oder in einem Spital, Alters- oder Pflegheim verstarben. Auch auf Unfallstellen werden die Teams des Fahrdienstes gerufen. Zum Job gehört ebenfalls, jemanden einzusargen, der bei einem Delikt getötet wurde oder sich das Leben nahm.
Das sind schwierige Momente. Jennifer Diener musste sich daran gewöhnen. «Meist hat die Polizei ja schon viel Vorarbeit geleistet. Wenn sich jemand vor den Zug warf, ist das schon schlimm. Aber ich musste lernen, damit umzugehen.»
Aufbahrung auch zu Hause möglich
Zum Glück sind solche Todesfälle nicht die Regel. Jennifer Diener erzählt, was im «Normalfall» abläuft: «Sobald eine Ärztin, ein Arzt den Tod eines Menschen festgestellt und bestätigt hat, bereiten wir die Überführung ins Krematorium oder in die Aufbahrungshalle vor. Wenn Angehörige wünschen, können sie eine verstorbene Person noch eine Weile zu Hause aufbahren. In solchen Fällen stellt das Bestattungsamt eine Kühlvorrichtung zur Verfügung.» Und Kerstin Schlagenhauf, eine Kollegin von Jennifer, richtet die Toten nach allen Regeln der Schminkkunst wieder her.
Tote einzukleiden gehört zum Geschäft
In der Regel kommen zwei Bestatter des Fahrdienstes an den Sterbeort. «Wenn möglich kleiden wir die verstorbene Person an Ort und Stelle ein», sagt Jennifer Diener. «Entweder ziehen wir ihm, ziehen wir ihr, ein mitgebrachtes Kleid an oder wir wir erhalten Privatkleider. Selbstverständlich können uns die Angehörigen beim Einsargen zu Hause helfen.» Verstirbt jemand in einem Heim oder Spital, übernimmt das Pflegepersonal die Einkleidung.
Bestattungen: Spezielle Wünsche erfüllen, wenn immer möglich
Logisch, dass die Bestattungsteams eine verstorbene Person mit Würde behandeln, den Angehörigen mit Rat und Tat zur Verfügung stehen. «Obwohl wir eigentlich Tag für Tag dieselbe Tätigkeit verrichten, ist die Arbeit immer wieder verschieden», sagt die Bestatterin. «Da gibt es etwa verschiedene Bekleidungsarten. Sie anzuziehen kann je nach Tradition und Herkunft eine Herausforderung sein. Selbstverständlich versuchen wir spezielle Wünsche zu erfüllen.»
Als Wegzoll ein Geldstück auf die Augen
Jennifer Diener erinnert sich an ein verstorbenes Mädchen, das ursprünglich aus einem asiatischen Land kam. «Ihre Angehörigen wünschten, dass wir ihr traditionelle Kleider anziehen. Diese waren mit einem speziellen Muster verziert – es waren lauter Hakenkreuze darauf. Ich weiss, das Hakenkreuz, die Swastika, ist im hinduistischen Glauben ein Glückssymbol. In Ländern, wo der Hinduismus vorherrschend ist, etwa in Indien, Nepal oder Bali, sind Hakenkreuze überall zu sehen. Zudem musste ich dem toten Mädchen einen kleinen Edelstein auf die Zunge legen. Er bedeutet eine Art Wegzoll.»
Den Wegzoll kennt auch die griechische Mythologie. Dort muss die Seele eines Verstorbenen, einer Verstorbenen den Fluss Styx überqueren, um in die Unterwelt zu gelangen. Charon, der Fährmann, befördert die Seelen ins Totenreich, in den Hades. Als Entgelt für Charon legten die Menschen den Toten eine geringwertige Münze, den Obolus in den Mund oder auf die Augen. Soweit die Mythologie. Zurück zu Jennifer Dieners Tagwerk.
Die Betroffenheit bleibt am Arbeitsplatz
Logisch, dass Todesfälle einen sehr schmerzen können. Etwa, wenn ein Kind starb, wenn jemand Suizid beging oder so. Wie geht Jennifer Diener mit diesem Schmerz um? Kann die junge Frau diese Betroffenheit abends einfach so ‹im Geschäft lassen›? «Ich muss das können. Meist fahre ich unbesorgt nach Hause», sagt Jennifer Diener. «Manchmal kommt es vor, dass mir gewisse Schicksale mehr zu denken geben. Vor allem wenn eine Tragödie passierte. Aber auch dann helfen Fragen nach dem Wieso und Warum nichts, denn Antworten bekommen wir in den meisten Fällen nicht. Deshalb bleibt mir nichts Anderes übrig, als jede Situation zu ‹respektieren›. Das macht es für mich einfacher, meinen Job zu erledigen. Denn beeinflussen kann ich ja nichts. Es liegt auch nicht im meiner Hand, ob jemand stirbt oder nicht. Ich kann ‹nur› dafür sorgen, den Verstorbenen einen würdevollen letzten Weg zu ermöglichen.»
Manchmal sind die Emotionen überwältigend
Und wie geht ein Bestatter, eine Bestatterin mit Gefühlen, mit Emotionen um? Oft betritt das Fahrdienst-Team eine Wohnung, ein Haus, wo viel geweint wird. Jennifer Diener nickt: «Ich vergoss auch schon Tränen. Es war ein so emotionaler, auf seine Art und Weise wunderschöner Moment. Das hat mich einfach berührt.»
Standardfloskeln wie «es wird alles wieder gut», würde Jennifer Diener nie aussprechen. «Lieber bleibe ich still. Denn Betroffene dürfen, ja sollen, in solchen Situationen traurig sein. Schliesslich ist ein Mensch tot, der seinen Angehörigen in der Regel lieb und teuer war. Ich tröstete auch schon Trauernde, nahm sie in den Arm. Das ist für mich total okay.»
Den Verstorbenen den letzten Weg verschönern
Bleibt die Frage, warum eine gelernte Malerin EFZ den Beruf wechselte? Jennifer Diener lächelt: «Nach über zehn Jahren in der Lack- und Farbenbranche wollte ich noch etwas Anderes wagen. So klapperte ich diverse Stellenportale ab und schaute, was die Welt für mich offen hat.» Die Zürcherin fand dank eines Stelleninserates den Job als Bestatter/Chauffeur bei der Gerber AG in Lindau. Diese Bestattungsfirma übernimmt die Nacht- und Wochenendfahrten für die Stadt Zürich. «Ein Jahr übte ich dort diesen Beruf aus. Danach bewarb ich mich bei der Stadt Zürich, wo ich seit Oktober 2014 angestellt bin.»
An ihrem Beruf gefällt Jennifer Diener die Möglichkeit, «für die Verstorbenen noch ein letztes Mal etwas ‹Gutes› zu tun. Ich denke, das ist auch für die Hinterbliebenen sehr wichtig. Sie sollen spüren, ihr geliebter Verstorbener ist bei uns in guten Händen. Sie sehen, wie wir unsere Arbeit machen. Ich denke, so können Angehörige mit einem guten Gefühl und positiven Gedanken Abschied nehmen.»
Martin Schuppli | Foto: Bruno Torricelli
Stadt Zürich
Bestattungs- und Friedhofamt
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