Als ehemaliger Kinderarzt erlebte ich in meiner Praxis viele freudige Stunden. Ich erlebte Geburten, war dabei als Kinder die ersten Schritte machten, die ersten Worte brabbelten. Ebenfalls musste ich traurige Momente erleben. Ich behandelte Kinder mit schweren invalidisierenden Krankheiten, ich sah Kinder sterben und spürte Leere und Trauer nach ihrem Tod.
Deshalb habe ich, seit ich mich mit Palliative Care beschäftige, auch die Situation schwerkranker und sterbender Kinder im Auge. Also die pädiatrische Palliative Care.
In Deutschland existieren für Kinder mit einer geringen Lebenserwartung 15 Kinderhospize. Einblick in ein Kinderhospiz hatte ich bereits vor 3 Jahren im Kinderhospiz Sonnenhof, Berlin. In Markkleeberg, einer Stadt nahe Leipzig, konnte ich während zwei Tagen anfangs September 2017 den täglichen Ablauf verfolgen. Das Kinderhospiz liegt in einem wunderschönen Park. Kaum trete ich durchs imposante Eingangstor, öffnet sich eine neue Welt. Auf den grossen Wiesen spielen Kinder aus der Stadt, und in den mächtigen Bäumen zwitschern die Vögel. Lauschige Plätze laden zum Verweilen ein. Wie weggeblasen ist die Hektik der nahen Stadt. Ruhe macht sich breit. Links neben der kleinen Strasse durch den Park liegt ein bescheidenes Gebäude: das Kinderhospiz.
Viel Farbe ziert den Eingang ins Kinderhospiz. Die Korridore sind bunt gehalten, die Wände mit Bildern und Kinderzeichnungen versehen, überall Kinderspielzeug. Puppen gucken mich an, farbige Töpfe stehen rum, in einer Ecke wartet eine Gitarre auf ihren Einsatz. Im ersten Stock finden sich Wohnungen für Mütter und Väter der kleinen Patienten/Patientinnen, Orte, wo sich die Eltern zurückziehen können.
Im Parterre trifft man auf die liebevoll eingerichteten Kinderzimmer neben Stationszimmern sowie ein grosszügig konzipiertes Badezimmer mit allen notwendigen Behelfsmitteln. Tief beeindruckt bin ich vom so genannten Snoezelenraum*. Ein Raum zum kuscheln, schnuffeln und dösen. Es gibt zudem ein Spielzimmer für Geschwisterkinder, eine Elternoase und einen Raum der Stille: Er ist liebevoll mit allerhand kunstvoll gefertigten Gegenständen ausgestattet.
Ehrenamtlich tätige gründeten Kinderhospiz
Geburtsstunde des Kinderhospizes war vor gut 15 Jahren. 2002 traf sich in Leipzig ein Kreis von Ehrenamtlichen, die bereits 2004 unter dem Namen Initiative Leipzig e.V. mit der Arbeit eines ambulanten Kinderhospizes begannen. Vier Jahre später kann das «Kinderhospiz Bärenherz Leipzig» im Kees’schen Park von Markkleeberg einen Neubau beziehen und neben dem ambulanten Kinderhospizdienst einen stationären Dienst aufbauen.
Heute darf sich das grosse Angebot im Kinderhospiz Bärenherz sehen lassen. 62 Ehrenamtliche helfen mit bei der ambulanten Betreuung der Kinder. Im stationären Bereich stehen zehn Kinderbetten, und für die Eltern gibts fünf Elternzimmer. Seit einiger Zeit besteht zudem die Möglichkeit, in der Bärenherz-Akademie Seminare zu besuchen. Die pädiatrischen Themen umfassen Krankheit, Sterben, Tod und Trauer.
Ambulanter Hospizdienst steht der Familie nahe
Anke Petermann leitet den ambulanten Kinderhospizdienst. Er wird von Ehrenamtlichen ausgeführt, die speziell vorbereitet werden auf diese sehr anspruchsvolle Tätigkeit. «Unsere Arbeit soll keinesfalls eine Konkurrenz sein gegenüber bestehenden Offerten wie Kinderkrankenpflegedienst und anderen medizinischen Angeboten, sozialen Diensten und Hauswirtschaftshilfe», sagt Anke Petermann. «Wir bieten eine Ergänzung zu bestehenden Diensten. Häufig nehmen wir Koordinationsfunktionen wahr.»
Den Kontakt mit einer Familie nimmt das Team von Anke Petermann schon in der Frühphase der lebensverkürzenden Krankheit eines Kindes auf. Oft geschieht es bereits in der Kinderklinik, kurz vor der Entlassung. «Wir machen die Eltern über verschiedene Kanäle auf die Dienste des Kinderhospizes aufmerksam: Andere betroffene Familien erzählen von uns. Kinderärzte oder Verantwortliche in den Kinderkliniken kennen uns.»
Die ehrenamtlichen Bärenherz-Mitarbeitenden gehen auf die individuellen Bedürfnisse der Familien ein. Sie erkennen frühzeitig Probleme, stehen Eltern bei, helfen Krisen zu meistern, sind Stützen, wenn sich jemand überfordert fühlt oder Fragen hat zum Krankheitsbild des Kindes.
Im Kinderhospiz darf gelacht werden
Zentraler Punkt bleibt das Kinderhospiz. Hier holen sich die Familien Hilfe. Hier darf gelacht werden. Hier treffen sie sich mit andern Betroffenen. Hier finden erkrankte Kinder sowie die ganze Familie einen Raum, wo man Verständnis hat für jede Form ihrer Probleme. Hier begegnen sich Familien nach dem Tod des Kindes und können über ihren Schmerz und ihre Trauer sprechen.
Ehrenamtliche sind wichtig im Kinderhospizdienst
Anke Petermann ist stolz auf ihre 62 Ehrenamtlichen. Sie betreuen die Familien gut vorbereitet. Jede Ehrenamtliche, es sind vorwiegend Frauen, muss einen sechsmonatigen Hospizhelferkurs absolvieren, bevor ein Einsatz möglich ist. Diese Kurse umfassen 125 Stunden. 25 Stunden finden in Form eines Praktikums im Kinderhospiz statt. «Das Rekrutieren der Ehrenamtlichen ist kein Problem», sagt Anke Petermann. «Ihre Motivation ist vielfältig. Viele sind selbst betroffen. Verloren beispielsweise ein Kind. Andere, und das sind viele, suchen eine sinnvolle Tätigkeit neben ihrer täglichen Arbeit.» Das bestätigt mir die «Ehrenamtliche» Katrin Franke. «Ich möchte mich für eine gute Sache einsetzen. Dafür nehme ich mir gerne Zeit neben dem 100-Prozent-Job. Ich fühle mich bei dieser Tätigkeit im Bärenherz sehr wohl.»
Das stationäre Kinderhospiz, ein Ort um Kraft zu tanken
Ulrike Ludwig, ausgebildete Kinderpflegefachfrau, arbeitete viele Jahre in einem Kinderspital. Sie kennt als langjährige Stationsleiterin den Betrieb in einer Klinik mit Intensivstation. Heute leitet sie den Pflegedienst im Kinderhospiz Bärenherz. «Zurzeit können wir acht Kinderzimmer besetzen. Demnächst wird ein Teil des Hauses aufgestockt für weitere Elternzimmer. Dann stehen uns für alle Mütter und Väter Zimmer zur Verfügung.»
Kinder mit lebensverkürzenden Erkrankungen können im Bärenherz-Kinderhospiz einige Tage, Wochen oder in seltenen Fällen Monate verbringen, erzählt Ulrike Ludwig. «Es sind Kinder mit onkologischen Krankheitsbildern, angeborenen Stoffwechselstörungen, neurologischen Erkrankungen, aber auch Kinder mit schwersten Mehrfachbehinderungen, degenerativen Muskelerkrankungen und kinderkardiologischen Erkrankungen», sagt sie.
Nach neun Jahren Kinderhospiz Bärenherz schaut die ausgeglichene Frau auf eine positive Entwicklung zurück. Sie erinnert sich, wie die Fachkräfte an Kinderkliniken anfänglich wenig Verständnis zeigten für ein Kinderhospiz. «Damals setzte kein leitender Arzt einen Fuss in unser Haus», sagt sie. «Heute arbeiten wir sehr gut zusammen.» Grosse Hoffnung setzt Ulrike Ludwig in die kommende Ärztegeneration. «Ich wünschte mir, dass der palliative Gedanke zu einem wichtigen Standbein in der Ärzte-Ausbildung wird».
Wer kommt stationär ins Kinderhospiz?
In groben Zügen kann ich zwei Gruppen von Patienten ausmachen. Der grössere Teil sind vor allem Familien, die sich zur Erholung, zur Entlastung im Kinderhospiz aufhalten. Dieser Aufenthalt ist ein wichtiger Moment für die ganze Familie im Laufe des Jahres. Im Kinderhospiz betreuen die Fachkräfte nicht nur die erkrankten Kinder, sondern ebenso deren Geschwister. Eltern können sich austauschen, sich erholen, sich aussprechen. Sie sind hier je nach Bedürfnis bis vier Wochen pro Jahr zu Hause, können eine Rundumbetreuung erfahren, in die die ganze Familie integriert ist.
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Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um «Notfälle». Das sind Kinder, die aus der Kinderklinik entlassen wurden. Sie und ihre Familie haben noch Mühe mit der neuen Lebenssituation. Hier lernen sie bei speziell ausgebildeten Pflegefachkräften und betroffenen Eltern den Umgang, das Handling mit der lebensverkürzenden Krankheit.
In diese Gruppe gehören ebenfalls Patienten und Familien, die plötzlich in eine Krisensituation gelangen. Vielleicht sind es Eltern, die den Tod ihres Kindes lieber nicht zu Hause erwarten wollen. Unter Umständen sind es Eltern, die einfach nicht mehr können, weil die Belastung zu gross ist. Eltern, die keine Kraft mehr haben.
«Für diese Familien finden wir immer einen Platz, wir behandeln sie wirklich wie Notfälle», sagt Ulrike Ludwig. Im Gespräch spüre ich ihre grosse Begeisterung für die Sache «Kinderhospiz». Aber wie erträgt sie denn diese grosse Summe von Problemen? Ich frage sie, ob die regelmässige Supervision die Lösung sei. Die Frau wirkt absolut ruhig, schaut mich an und sagt: «Natürlich machen wir Supervision. Entscheidend ist hingegen eine eigene Strategie zur Erholung und zur Abgrenzung, zum Ausgleich. Ich muss meine eigenen Grenzen kennenlernen und eine Lebensgrundhaltung entwickeln, die es mir erlaubt, alle möglichen Facetten von Leben und Tod zu akzeptieren ». Ich mag nicht mehr weiterfragen, mir bleibt lediglich eine grosse Hochachtung.
Text und Fotos: Dr. med. Alois Birbaumer und Daniela Friedli, Bearbeitung: Dominic Koch und Martin Schuppli
Ohne Spenden könnte das Bärenherz nicht schlagen.
Ich besuchte das Kinderhospiz an zwei Tagen. Am ersten war ich einer der 1500 Besucher des «Tags der offenen Türe». Ein Gewusel. Alle Mitarbeitenden sind im Einsatz. Die Ehrenamtlichen helfen mit beim Aufstellen der Stände, die sie zum Teil selbst betreiben. Da gibt es alles zu finden. Etwa Marmelade und Stofftiere, Spielsachen, Süssigkeiten und vieles mehr. Kinder erfreuen sich im Streichelzoo und selbstverständlich gibts was zu futtern.
Die Kinder können Trecker fahren, ein Autowrack bemalen und vieles anderes. Eine Gruppe junger Schüler tritt als Musicalgruppe auf, ein Gospel-Chor singt und eine lokale Band spielt auf. Die Angestellten des Kinderhospizes beantworten Fragen, helfen den Müttern und geben dem Anlass Strukturen. Überall stehen Dosen zum Spenden. Ein kleines Mädchen übergibt dem Kinderhospiz sein Geld, das es während eines Jahres zusammengespart hatte.
«Wir sind unbedingt auf Spenden angewiesen,» sagt Hubertus Freiherr von Erffa, Vorsitzender des Fördervereins. Dann lächelt er etwas verschmitzt: «Und wir sind in der glücklichen Lage, dass wir grosszügig bedacht werden. Nicht zuletzt aufgrund verschiedener Aktivitäten während des Jahres. Diese führen zusätzlich zu einer Sensibilisierung der Bevölkerung für unser Kinderhospiz.» A.B.
Kinderhospiz Bärenherz
Kees’scher Park 3, 04416 Markkleeberg (D)
Tel.: +49 341 3501630
www.baerenherz-leipzig.de | info@baerenherz-leipzig.de
Was heisst eigentlich «Snoezelen»
Ein multifunktionales Konzept aus den Niederlanden, das Sinnesempfindungen auslöst.
Der Begriff Snoezelen, ausgesprochen als Snuselen, ist eine Verbindung aus den beiden holländischen Wörtern «snuffelen» und «doezelen». Snuffelen bedeutet übersetzt schnüffeln oder schnuppern und doezelen kann übersetzt werden mit dösen und schlummern.
Konzept: Snoezelen ist ein multifunktionales Konzept und wird oft mit Wohlfühlen und Beschäftigung in Verbindung gebracht. Durch das Snoezelen werden Sinnesempfindungen ausgelöst, welche in verschiedensten Wahrnehmungsbereichen wirken. Die Wirkung kann sowohl entspannend, jedoch auch aktivierend sein. Das Konzept wird heutzutage sowohl zur Therapie als auch zur gezielten Förderung eingesetzt. (aus www.pflegeportal.ch)
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Eine Antwort auf „Im Kinderhospiz Bärenherz wird nicht nur gestorben“
Lieben Dank, Alois, für deinen berührend geschriebenen Bericht.
Gespannt warte ich auf Teil 2.