Kerstin Schlagenhauf, Mitarbeiterin beim Bestattungs- und Friedhofamt der Stadt Zürich, flog für eine besondere Weiterbildung über den Teich nach East Northport nahe New York. Vom 26. Mai bis 14. Juni 2017 schnupperte die gelernte Visagistin beim Bestattungsunternehmen Brueggemann Funeral Home amerikanische Bestatterluft. «Es war toll», schwärmt die Mutter zweier erwachsener Töchter. «Ich wurde von allen herzlichst aufgenommen und sofort ins Team integriert.» Für DeinAdieu verfasste sie folgenden Blogbeitrag.
«Wie versorgt ihr denn die Verstorbenen in der Schweiz», fragten mich die Bestatterinnen und Bestatter schon beim Begrüssungs-Apéro. Die Kollegen wollten wissen, was wir mit den toten Körpern machen würden. Meine Antwort verblüffte: «Wir kühlen sie, bahren sie auf, und dann werden die meisten kremiert. Also verbrannt.» Mit grosse Augen schauten sie mich an.
Gestaunt haben meine amerikanischen Kolleginnen und Kollegen ebenfalls, als sie meine Vorher/Nachher-Bilder sehen. Diese Fotos zeigen von mir geschminkte und hergerichtete Verstorbene. Das amerikanische Bestatterteam war überrascht, dass ich eine solche Veränderung «nur» mit Kosmetik hinbekomme würde. (DeinAdieu berichtete, wie Kerstin Schlagenhauf Verstorbene herrichtet.)
In den Vereinigten Staaten werden gegen 95 Prozent der Verstorbenen einbalsamiert. Dafür gibt es verschiedene Gründe: etwa Hygiene und Aufbahrungsdauer. Zudem besitzen die meisten Bestattungsinstitute keine Kühlräume. Die Familien der Verstorben sind im In- und Ausland verteilt. Deshalb kann es lange dauern, bis die Bestattung stattfindet. Ist eine Leiche einbalsamiert, kann man sie problemlos in einem normal temperierten Raum mehrere Wochen oder gar Monate aufbahren. Wenn jemand eine Aufbahrung wünscht, kommunizieren die Bestatter, dass der verstorbene Mensch einbalsamiert werden muss.
Ich half mit, Verstorbene zu überführen, legte Hand an beim Einbalsamieren und Herrichten. Viele Medical- Examiner-Fälle, also Verstorbene, die vorher beim Institut für Rechtsmedizin waren, wiesen eine so genannte Y-Naht auf. Ihre Körper waren geöffnet worden, die Organe entnommen und in einen Plastiksack mit Formaldehyd eingelegt. Danach wurden die Verstorbenen einbalsamiert.
Bei natürlichen Todesfällen werden die Toten nach der Einbalsamierung gewaschen, angezogen und von einer speziell ausgebildeten Person kosmetisch hergerichtet. Die Technik handhaben diese Spezialisten wie wir. Mich irritierte, wie stark sie die Farbe Rosa einsetzen. Sehr ungewohnt.
Verblüfft war ich, in welch riesigem Showroom das Bestattungsunternehmen Brueggemann Funeral Home die unzähligen Särge präsentierte. Der Liegekomfort in einem dieser Särge ist wohl ähnlich, wie wenn sich jemand in ein Boxspringbett legt. Dementsprechend hoch ist der Preis für die «letzte Wohnung». Teuer sind ebenso die Kleider der Verstorbenen. Pinke Abendgarderoben etwa, sowie die verschiedensten Anzüge mit einer riesigen Auswahl an Krawatten. Urnen hat es eine Menge in diversen Formen, Farben und Materialien. Angehörige haben sogar die Möglichkeit mit einem 3D-Drucker eine Urne nach Wunsch herzustellen.
Dann wurde mir, gemäss meinem US-Chef Douglas Brueggemann, eine grosse Ehre zuteil. Der Chief Medical Examiner, also der leitende Pathologe des Bezirks Suffolk County, zeigte mir persönlich «seine» Gerichtsmedizin. Diese Führung war interessant und schockierend zugleich. So ein Arbeitsumfeld würde ich niemandem zumuten wollen. Verglichen mit den Vorschriften und Standards bei uns ist Hygiene dort, meiner Ansicht nach, ein Fremdwort. Der sehr grosse Kühlraum war an diesem Montag gestossen voll mit Verstorben. Viele dieser toten Körper waren in einem Zustand, den ich nicht in Worte fassen vermag. Wegen des schlechten Lüftungssystems, stieg mir der Geruch äusserst unangenehm in die Nase.
Diese Situation in der Gerichtsmedizin von Suffolk County ist das Resultat von Budgetkürzungen. Die Zahl der Fälle für die Gerichtsmedizin ist sehr hoch, da bei jedem Unfallopfer, jedem Schussopfer und bei jedem Drogentoten eine Autopsie vorgenommen wird. Im Staat New York zählte man 2016 rund 55 000 Opfer. Das sind täglich gut 150 Menschen.
Mir machten die Austauschwochen in den USA, wo ich einige Lebensjahre als Kind verbrachte, sehr viel Spass. Und als mich das Bestatterteam beim Abschied einlud, in einem Jahr wiederzukommen, sagte ich sofort zu.
Bearbeitung: Martin Schuppli/Foto: Paolo Foschini
Einbalsamieren
Embalming bzw. Thantopraxie, wie sie heute praktiziert wird, definiert das American Board of Funeral Service Education folgendermassen: die chemische Behandlung des menschlichen Leichnams zur Reduzierung der Anwesenheit von Mikroorganismen, zur zeitweisen Verhinderung des organischen Verfalls und zur Wiederherstellung eines annehmbaren äusseren Erscheinungsbildes des Leichnams.
Beim Modern Embalming wird die Haltbarkeit des Leichnams verlängert, indem das Blut mittels Pumpen durch den verwesungshemmenden Wirkstoff Formaldehyd ersetzt wird.
12 Antworten auf „In den USA das Einbalsamieren kennengelernt“
Das war doch ein gutes Projekt liebe Kerstin Schlagenhauf
danke dir, lieber martin. herzgruss
Danke für diesen spannenden Bericht. Ja in den USA ist alles ein birebitzeli anders. In der Schweiz könnte ich es mir vorstellen, als Bestatterin zu arbeiten, das weiss ich. In den USA wäre das wohl anders.
Guete Biitrag vo Dinä Erläbniss idä USA…wow
Interessanter Beitrag danke
danke☺️
Einfach eindruecklich dieser Bericht. Danke.
Blablabla
Sososo
Sehr interessant und lehrreich. Ich wundere mich nur das es so wenig Kühlräume hat. Aber eben, andere Länder, andere Sitten!
Franz A. Gürtler
Hallo Kerstin.
Interessant dein Bericht und diesen Abstecher in die USA.
Ja, die ticken ein bisschen anders, als wir. Frage, machst diese Arbeit oder deine Berufung noch..??
Sicher äusserst interessant..??!!
Wollte mal unser Bestattungsunternehmen im Dorf übernehmen, da mich alles mit dem Tod und der Trauerbegleitung fasziniert.
Leider kam ich zwei Wochen zu spät.
Fränze
PS.
Mein Bruder verstarb mit 13 Jahren an Leukämie, morgen wäre er 76gi Peter war zu Hause im Wohnzimmer aufgebart.
Die ganze Schulklasse kam vorbei, um ihm „tschüss zu sagen“…
Mein Vater verstarb 1984 und wollte nicht in dem Kühlhaus (wie er sagte) ausgestellt werden, ergo durften wir ihn – bis zur Beerdigung ebenfalls, im Wohnzimmer aufgebahrt lassen.
Geht heute wahrscheinlich auch nicht mehr. Ups.