Der gebürtige Neuenburger ist ein erfahrener ehemaliger Bestatter. Ein Freund der Menschen. Ein Anwalt der Stillgewordenen. Monsieur Parel: «Nous vous accueillons chaleureusement.»
Das kann kein Zufall gewesen sein: Als der gebürtige Neuenburger sich kurz nach der Jahrtausendwende beruflich neu orientieren wollte, suchte die Stadt Uster einen Bestattungsangestellten. In der drittgrössten Stadt des Kantons Zürich leben 34000 Menschen. «Dieser Job interessierte mich», sagt Jean-Louis Parel. «Ich liess mich berufsbegleitend ausbilden und trat dem Berufsverband bei.» Während der Jahre in Uster bestattete Jean-Louis Parel gut 4500 Leute. Nach seiner Pensionierung engagiert er sich weiterhin beim Verband als Prüfungsexperte.
Herr Parel: Sie kennen das Bestattungswesen in der Schweiz. Wissen also von den Unterschieden zwischen Deutschschweiz, Romandie und Tessin.
Jean-Louis Parel: In einigen Kantonen der Deutsch- und der Ostschweiz, ist das Bestattungswesen verstaatlich und die Gemeinden sind für die Durchführung verantwortlich.
Die Gemeinde bezahlt eine Bestattung?
Ja, die Grundkosten. In solchen Kantonen halten wenige Bestattungsunternehmen ein Monopol, das von den Gemeinden gesteuert wird.
Ein Vorteil?
Entscheiden Sie selbst. Dieses, durch die Gemeinde sehr geschützte System, verunmöglicht es, dass Bestattungen nach dem Motto «mir händs immer so gmacht» endlich ein Ende finden. Meiner Meinung nach sollten neue, motivierte, innovative Firmen Fuss fassen können.
In der restlichen Schweiz besteht freie Markwirtschaft.
Ja, Trauerfamilien können die Bestattungsunternehmen frei wählen und bestellen.
In diesen Gemeinden tragen die Trauerfamilien die Kosten. Sie können sie aber im Voraus regeln – mit einem Vorsorgevertrag bei einem Bestatter ihres Vertrauens. Jean-Louis Parel: «Die Bestattungsleistungen sind bei diesem System sehr vielfältig und kundenbezogen.»
Jean-Louis Parel war und ist es immer noch sehr wichtig, dass die Verstorbenen, er nennt sie gerne «die Stillgewordenen», mit grossem Respekt behandelt werden. Als Bestatter verstand er sich als Anwalt der Stillgewordenen, als Vertrauensperson der Trauernden.
«Und das ist dringend nötig», sagt Jean-Louis Parel. «Die ideellen Werte in der modernen Gesellschaft verändern sich, dies nicht nur zum Positiven. Stillgewordene sollen nicht unhaltbaren Handlungen ausgeliefert sein. Niemand soll sie ihres Zahngoldes berauben oder gar ihre Leichen schänden, um an Schmuck zu gelangen. Niemand soll ohne Bekleidung eingebettet oder würdelos bestattet werden, nur um Kosten zu vermeiden. Da steht der Bestatter in der Verantwortung. Er muss eine Schutzhaltung einnehmen gegenüber den Wehrlosen.»
Herr Parel: Wie hat sich der Beruf des Bestatters verändert?
Jean-Louis Parel: In viele Gemeinde waren früher örtliche Schreiner und Gärtner für das Bestattungswesen zuständig. Ihre Aufgabe wird heute immer mehr von ausgebildeten Bestattern übernommen.
Sie finden, Professionalität ist ein Muss?
Unbedingt. Unsere moderne und sehr mobile Gesellschaft ist ein Grund dafür. Um der vielseitigen Aufgabe einer Bestattung gerecht zu werden, braucht es ausgebildete Profis.
Welches Wissen ist gefragt?
Der Bestatter von heute muss sich in folgenden Bereichen auskennen: Administration, Verordnungswesen, Gesetze, Medizin, Kosmetik, Materialwesen, Gesprächsführung.
Das ist viel Theorie.
Nun komme ich zur Praxis. Er muss den Umgang mit Verstorbenen beherrschen und – das ist meiner Ansicht nach extrem wichtig – er muss die nötige Empathie besitzen, um Trauernde zu begleiten.
Jean-Louis Parel sagt, ein fachkundiger Bestatter garantiere den Angehörigen einen «überraschungsfreien Abschied», sowohl am Totenbett wie bei einer Aufbahrung.
Was könnten Angehörige denn für Überraschungen erleben, Herr Parel?
Jean-Louis Parel: Ich habe erlebt, wie Stillgewordene durch das Pflegefachpersonal vorbereitet und eingesargt wurden. Die Qualität dieser Leistungen war nicht immer glänzend.
Beispiele?
Ins Detail gehen möchte ich nicht. Ich sah Verstorbene, bei denen Erbrochenes nicht weggewischt wurde. Ich bemerkte nicht entfernte Infusionsschläuche, nicht verbundene blutige Infusionseinstichstelle, schlecht oder gar nicht angebrachte Kinnstützen. Ebenfalls wurde oft unterlassen zu fragen, ob der, ob die Verstorbene den Schmuck anbehalten, oder welche Bekleidung er oder sie tragen soll. Schliesslich ist auch die Sargauswahl nicht unbedeutend. Sie sollte durch die Angehörigen festgelegt werden und nicht fremdbestimmt sein. Es handelt sich nämlich um das letzte Bett.
Für Jean-Louis Parel ist es ganz wichtig, dass ein Bestatter für die Pflege nach dem Tod der Profi ist. Ebenso für die Einsargung. «Jeder hat meiner Meinung nach seine klar definierten Kompetenzen, seine Ausbildung. Pflegefachleute sollen sich um die Lebenden kümmern, die Bestatter um die Toten.»
Greifen um zu begreifen
Ein weiteres wichtiges Thema sei die Berührung eines Verstorbenen. Jean-Louis Parel legt Wert darauf, dass ein Toter, eine Tote berührt werden kann, ja berührt werden soll. Er sagt: «Begreifen durch greifen will heissen, den Tod aktiv wahrnehmen können durch die Berührung am leblosen Körper.»
Das Zitat «Begreifen durch greifen» stammt von Ricco Biaggi, Bestatter in Gipf-Oberfrick AG und ehemaliger Ausbildner beim Schweizer Bestatter Verband. «Mit diesem Zitat», sagt Jean-Louis Parel «wollte Biaggi uns aufzeigen, dass das Berühren eines toten Körpers unser Verständnis für den Verlust eines lieben Menschen auf einfachste Art ermöglicht.»
Gerade aus diesem Grund rät Parel, die Angehörigen mit einzubeziehen bei der Grundpflege und den Vorbereitungen für die Aufbahrung.
Letzte Pflege für Verstorbene
Jean-Louis Parel: «Auch hier spielt das ‹Greifen, um zu begreifen› eine Rolle. Wer bei der letzten Pflege dabei ist, tut etwas Gutes. Und das hilft bei der Bewältigung des Trauerprozesses.»
Der ehemalige Ustemer Bestatter rät Eltern, sie sollten ihr verstorbenes Babys einölen und berühren können, um das Unbegreifliche besser zu verarbeiten
Der Verlust einer Frühgeburt oder der frühe Tod eines Babys ist für Eltern immer besonders schwer zu verkraften. Deshalb sei gerade hier das ‹Greifen, um zu begreifen› sehr wichtig. Jean-Louis Parel: «Die Eltern sollen die nötige Zeit haben, um in der Intimität Abschied zu nehmen. Dieser Abschied sollte unbedingt in einer freundlichen Umgebung stattfinden. Die Eltern sollten die Möglichkeit haben, das Baby selbst und ohne Zeitdruck in den kleinen Sarg zu betten.»
Für Jean-Louis Parel, war es stets schwer, ganz alleine die Urne eines Alleinstehenden einem Grab zu übergeben. Er schildert eine dieser belastenden Situationen.
«Ich fand es jeweils sehr schwierig, dass einsame Menschen nach einem erfüllten Leben ohne anwesende Trauergemeinde von mir alleine bestatten werden sollten. In solchen Situationen war es mir wichtig, die Lebenseckdaten laut am Grab auszusprechen. Ebenfalls sprach ich jeweils einen kleinen Begleitspruch, bevor ich die Urne ins Grab senkte.»
Weil ihm solche Erlebnisse weh taten, entwickelte der 64-Jährige eine Idee, solch einsame Beisetzungen zu verhindern. Jean-Louis Parel sagt: «Es muss doch möglich sein, dass wir uns ein Ritual auszudenken, bei dem Freiwillige aus der Gemeinde mitwirken.»
Gemäss Jean-Louis Parel «hat die Stadt Zürich diesbezüglich eine löbliche Lösung gefunden.» Einmal pro Jahr findet eine gemeinsame Beisetzung der Einsamen statt. Diese konfessionsneutrale Abdankung findet jeweils auf dem Friedhof Nordheim statt und wird feierlich umrahmt.
Text Martin Schuppli | Foto: Bruno Torricelli
Nächste Beisetzung der Einsamen
geplant für
Mittwoch, 27. September 2017
15.30 Uhr, Friedhof Nordheim Zürich
Bestattungs- und Friedhofamt
2 Antworten auf „«Verstorbene sind grundsätzlich nicht ansteckend»“
Danke für diesen tollen Bericht. Jena-Louis Parel spricht mir aus dem Herzen und der Seele.
Das sprach er uns auch. Und wir sind froh, ihn als Beirat gewinnen zu können. Martin Schuppli