«Mein Mann und ich arbeiteten viele Jahre mitten im Regenwald von Kamerun», erzählt Karina Rey. «Für die lokale Bevölkerung bauten und renovierten wir zwischen 2012 und 2017 weit über tausend Trinkwasserbrunnen.» Unglaublich sei die Armut gewesen, sagt die Fairmed-Mitarbeiterin. Farbenfroh und bunt das Leben. Die Menschen warmherzig und lebhaft. «Die Menschen in Kamerun haben die Fähigkeit im Jetzt zu leben. Der Tod ist so nahe, ist so allgegenwärtig, dass man das Leben besonders schätzt.» Sie legt eine Pause ein. Sagt dann: «Es wird schnell und viel gestorben im Regenwald von Kamerun. Und darum erhielt mein Jetzt eine andere Bedeutung, ja Wertschätzung.»
Nahe des Wohnhauses der Familie Rey stand eine Krankenstation. Sie sei schlecht ausgerüstet gewesen. Die Kirche habe versucht, zu helfen – eine Schwester habe dort gearbeitet, sagt Karina Rey. «Ich war oft dort, knüpfte Kontakte. Als ich einmal zufällig da war, kreischte eine Frau hinter einem Vorhang. Sie schaute zu, wie ihrem Sohn eine klaffende Wunde genäht wurde. Ohne Lokalanästhesie. Der Bub biss auf ein Stofftuch, und ich dachte, das kann doch nicht sein.» Sie schweigt, bevor sie ein weiteres trauriges Beispiel erzählt. «Der 14-jährige Sohn unserer Mitarbeiterin stolperte beim Fussballspiel und klagte über Bauchschmerzen. Tage später starb er an einem Milzriss.» Karina Rey schüttelte den Kopf. «Ein überflüssiger Tod. Hätte er die richtige medizinische Behandlung bekommen, würde er heute bestimmt noch leben.»
Helfen, wo die Ärmsten leben
«Und so suchten wir nach einer Organisation, die bereit war, mit uns ein Spital aufzubauen», sagt Karina Rey. Das erste Krankenhaus mitten im Busch entstand. Es funktioniert heute noch. «Es gibt einen Operationssaal, ein Labor, einen Röntgenraum, Ultraschall und viele Betten. Meistens ist es gut besucht und ausgelastet. Gelegentlich kommen Fachärzte aus der Stadt – Zahnärzte, Augenärzte, um sich um eine umfassende Gesundheitsversorgung zu kümmern.»
Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz 2017 suchte Karina Rey nach einer Organisation, «die genau das abdeckt, was mich jahrelang rundherum begleitet hat. Gesundheit ist ein kostbares Gut. Ohne gesund zu sein, kann man nicht arbeiten und kommt aus dem Teufelskreis nicht heraus.» Sie wollte vernachlässigte Krankheiten bei vernachlässigten Menschen lindern helfen.
Fairmed arbeitet mit lokalen Teams
Und so fand die engagierte Karina Rey zu Fairmed. Arbeitet seit 2018 als Spezialistin für die Betreuung von Spenderinnen und Spendern. Die Hilfsorganisation Fairmed, ältere Menschen kennen sie noch als «Leprahilfe Emmaus Schweiz», kümmert sich um die Ärmsten in den abgelegensten Orten der Welt. Wir engagieren uns dort, wo Armutskrankheiten grassieren. «Wir führen Projekte durch an Orten, wo die Mütter- und die Kindersterblichkeit gross ist, wo Menschen selten Arbeit finden, kaum Geld verdienen können. Wir helfen in Gegenden, wo die Vernachlässigungen an der Gesellschaft gross sind, die Menschen vom Gesundheitssystem ausgeschlossen.»
Fairmed arbeitet vor Ort ausschliesslich mit lokalen Teams. Es seien Einheimische, die bereits ein Netzwerk hätten, sagt Karina Rey. Viel Input komme aus der Bevölkerung, die würden sehen, dort brauchts Hilfe. «Wir unterstützen finanziell und nutzen die landestypischen Erfahrungen, das lokale Wissen.» Karina Rey sagt: «Die lokalen Mitarbeitenden kennen die Sprachen – in Kamerun sind es etwa 250 – die Kultur und die Bedürfnisse am allerbesten.»
Ein Spendefranken kann viel bewirken
Erstaunlich, was unsere Spendenfranken bewirken können. Karina Rey macht Beispiele: «Eine Operation für eine Fussrekonstruktion bei Lepra kostet rund 360 Franken. Ambulante Behandlungen von Lepra-Verletzungen schlagen mit 6.50 Franken zu Buche. Hat sich beim Patienten, bei der Patientin bereits eine Sepsis entwickelt, steigen die Kosten auf 140 Franken pro Behandlung.» Und sie erläutert noch ein weiteres Beispiel: Die Ausbildung lokaler Gesundheitsmitarbeitender ist ein zentraler Bestandteil der Arbeit von Fairmed. Gesundheitshelferinnen oder -helfer haben eine 18 Monate dauernde medizinische Grundausbildung hinter sich und werden von Fairmed laufend aus- und weitergebildet. Ausbildungsprogramme reichen vom Rettungssanitäter über Geburtshilfe, Schwangerschaftsberatung, dem Umgang mit vernachlässigten Tropenkrankheiten, dem Leiten von Selbsthilfegruppen für Mütter oder Menschen mit körperlicher oder psychischer Beeinträchtigung, dem Vermitteln von medizinischem Wissen bis zur fachgerechten Wartung von medizinischen Instrumenten oder der Betreuung von leicht bis mittelschwer erkrankten Corona-Patientinnen und -Patienten.
Ein Aus- oder Weiterbildungstag von lokalen Gesundheitskräften kostet pro Person zwischen acht und 35 Franken, je nach Kursinhalt.
Häufig mangle es den Menschen in solchen Regionen an Bildung, an Wissen. «In Kamerun lebten wir mitten im Wald», sagt Karina Rey. «Fernab von dem was wir Zivilisation nennen. Wollte man zu jemandem, der etwas weiss, der beispielsweise einen Rat hätte bei einem Gesundheitsproblem, dann waren drei Stunden Fussmarsch nötig.»
Karina Rey erlebte konkret, was die Landbevölkerung braucht: «Sauberes Wasser ist nötig und eine medizinische Grundversorgung. Wer gesund ist, kann arbeiten und für die Familie sorgen. Die Existenz ist gesichert. Die Kinder können zur Schule gehen.»
Frauen in die Entwicklungsarbeit integrieren
Wichtig bei Fairmed: Frauen sollen in die Entwicklungsarbeit involviert, integriert werden. In der Regel verwalten sie das Geld. In Indien sind es Freiwillige, die von Dorf zu Dorf ziehen und Gesundheitsprobleme lösen. Sie erhalten Prämien, wenn sie einen Fall finden und dieser gelöst ist.
Es sind ebenso Müttergruppen, die für Fairmed eine zentrale Rolle spielen. Sie wissen, was andere Frauen abhält, ins Gesundheitszentrum zu kommen. «Wir vermitteln den Frauen, dass sie ein Recht darauf haben, gesund zu sein», sagt Karina Rey. «Wir sensibilisieren sie darauf, sich um ihre eigene Gesundheit zu sorgen und um die ihrer Töchter.» Wenn möglich, werden vor Ort Frauen angestellt. «Der Frauenanteil ist wichtig», sagt Karina Rey.
Schicksale die ans Herz gehen
Karina Rey wurde in Kamerun mit Schicksalen konfrontiert, die ans Herz gehen. Wie gingen Sie damit um, will ich wissen. Es sei schwer, sagt die Fairmed-Mitarbeiterin und Mutter von drei erwachsenen Töchtern. «Nur sechs Flugstunden entfernt von der Schweiz reicht es den Menschen kaum, zu überleben. Rechts und links fehlt alles. Man lebt von der Hand in den Mund.»
Allerdings würde in Kamerun niemand verhungern, sagt Karina Rey. «Der üppige Regenwald bestimmt das Leben.» Das aber kann durch die regelmässigen starken Regenfälle sehr beschwerlich sein. «Dann giesst es wie unter einer Dusche. Nix trocknet mehr. Alles lebt, das Wasser ist voller Insekten und Würmer. Voller Parasiten», schildert Karina Rey die Situation. Es sei eine Diskrepanz, was wir in den Kampf gegen Corona investieren und wie viele Menschen in Afrika an den dümmsten Sachen sterben würden.
Den Wert des Momentes schätzen lernen
Sie habe viel gelernt, von den Menschen in Afrika, sagt Karina Rey. Etwa das Leben im Jetzt. «Der Tod ist Bestandteil des Lebens und wird nicht ausgeklammert, wird nicht tabuisiert.» Die Augen meiner Gesprächspartnerin leuchten. «Diese unglaublich grosse Gastfreundschaft beeindruckt mich stets aufs Neue. Egal wie wenig jemand hat, es wird gegeben und geteilt. Und das mit grosser Herzlichkeit und Lebensfreude.»
Leben im Jetzt. Was bedeutet das in den Augen von Karina Rey. Sie lacht: «Die Menschen schätzen den Wert des Momentes. Sie freuen sich über Kleinigkeiten, tragen die Gefühle nach draussen. In Afrika darf man Freude zeigen, das geht durch den ganzen Körper. Wer gähnen muss, der gähnt. Wer lacht, der kugelt sich vielleicht am Boden.» Karina Rey hält inne, betont dann: «Ebenso geben die Menschen dem Schmerz genügend Raum. Er darf raus, laut und heftig. Das muss sein, dann ist es gereinigt. Im Gegensatz zu uns.» Sie schaut mich an. Sagt: «Ich liebe die unglaubliche Direktheit. Gefühle werden gezeigt.»
Text: Martin Schuppli, Fotos: Ueli Hiltpold
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