Rückblickend ist alles wieder gut. Der 26-jährige Laurenz Elsässer aus Walenstadt SG kann entspannt lachen. 4723 Kilometer sind er und seine Kameraden gerudert. 725 Stunden waren nötig, die Strecke von La Gomera über den Atlantik nach Antigua zu bewältigen. In dieser Zeit bewegten sie mit rund einer Million Ruderschläge ihr Secondhand-Boot vom Typ Rannoch R45.
Bricht man diese 1 000 000 Schläge runter auf die Leistung eines einzelnen Arms, so hat der Walenstadtner mit jedem seiner Arme 125 000 Mal das Ruderblatt durchs Wasser gezogen. Immer mit dem Rücken zum Ziel, immer mit Blick in die Vergangenheit. Immer mit Schmerzen. Taten die Arme nicht weh, schmerzten die Hände. Oder die Füsse, die Knie, die Sitzhöcker im Gesäss. Der Rücken, der Nacken, der Kopf. Etwas tat immer weh.
Jeden Tag die Energie von 20 BigMacs gefuttert
Und für Erholung blieb keine Zeit. Die Vier ruderten in Zweier-Teams einen zwei Stunden Rhythmus. Jeden Tag sechsmal schlafen, sechsmal rudern. Eintönig. Jeden Tag 15 Liter entsalztes Wasser trinken. Das wären 30 Fünf-Dezi-Fläschen. Dazu jeden Tag 10 000 Kalorien verputzen. Das entspräche ungefähr 20 BigMacs.
Eintönig war ebenso die Aussicht: blaues Nichts soweit das Auge reicht. 30 Tage lang nur Himmel und Wellen. «Wellen, so hoch wie durchschnittlich die Häuser bei uns sind», sagte Laurenz Elsässer. «Das Meer, es konnte nie zum Freund werden. Es machte mit uns, was es wollte.» Der durchtrainierte junge Mann schloss an der Kanti in Sargans die Matura ab. Dann liess er sich in der Schweiz und in den USA zum Helikopterpiloten ausbilden. Zwischendurch arbeitete er als Dachdecker. Sommer und Winter.
Vier Grenadiere bezwangen den Atlantik
Obwohl am Walensee aufgewachsen, hatte Lori, wie ihn seine Freunde nennen, nichts am Hut mit Rudern. «Wir spielten am Ufer, schwammen und tauchten im See. Mehr war da nie.» Zwei der drei Ruderkameraden lernte Laurenz Elsässer in Isone TI kennen. Dort absolvierte er im Frühling 2012 die Grenadier-RS zusammen mit Luca Baltensperger, 26 und Marlin Strub, 26. Ein Grenadier ebenfalls Yves Schultheiss (28).
«Ein Rennen ganz nach meinem Geschmack»
Das Ruder-Abenteuer begann für Laurenz Elsässer 2014 an einer Bus-Haltestelle in Zürich-Oerlikon. «Wir warteten auf den 75er. Da fragte mich Luca: ‹Machst du mit, beim Talisker-Ruderrace über den Atlantik?›. ‹Klar›, sagte ich. ‹Da bin ich dabei›. Wohlwissend, dass es eine Challenge sei. Was auf mich zukommen würde, ahnte ich nicht. Unmöglich, die Vorstellung, welche Schmerzen, welche Entbehrungen und welche Qualen es zu meistern gälte. Eine Hürde würde es sein, das war mir bewusst. Ganz nach meinem Geschmack. Diese Hürde wollte ich meistern.»
Die Vorbereitungsarbeiten von über zwei Jahren, das Sammeln der 139 000 nötigen Franken, die Sponsorensuche, das harte körperliche Training, alles Peanuts, im Vergleich zu den 30 Tagen und fünf Stunden auf See.
Beim Start den grössten Adrenalinschub
Laurenz Elsässer schildert es so: «Es gab harte, einsame Momente. Einen ersten, vielleicht der grösste Adrenalinschub, erlebten wir am Start. Wir ruderten raus aus dem Hafen. Vorbei an einem Kreuzfahrtschiff. Der Schweizer Kapitän liess 15 Minuten lang die Schiffssirene hornen. Der Lärm legte alles Leben im Hafen lahm. Wir nahmen nichts wahr. Fokussiert waren wir. Es gab kein Zurück. Für keinen von uns. Alle hatten wir den Tunnelblick drauf. Rudern. Rudern, Ruder. Ich hatte einen leeren Kopf. Irreal diese Situation. Paradox. Wir ruderten raus, sahen die Insel auf der linken Seite entschwinden. Der Blick offen. Es war keine Angst da, aber ein etwas furchtsames Gefühl breitete sich aus.»
Dann brach erstmals die Dämmerung an. Es ging los. Laurenz Elsässer wurde seekrank. «Als sich die Dunkelheit übers Meer legte, waren plötzlich alle Referenzpunkte weg. Weg war er, der Übergang von Himmel und Meer. In den darauffolgenden Stunden kotzte ich bestimmt ein Dutzend Mal. Immer im Rhythmus. Rudern. Erbrechen. Schlafen. Erbrechen. Bald war der Power weg. Rausgekotzt alle Energie. Aber ich musste den Rhythmus halten. Rudern. Erbrechen. Schlafen. Erbrechen.» Laurenz schweigt kurz. «Ein Sportarzt hätte mir wohl geraten: nur leicht aktiv sein.» Jetzt lacht er, die Augen leuchten, mit Gesten unterstreicht er seine Worte. «Leicht aktiv. Dass ich nicht lache. Es war aussichtslos. Die 725 Stunden im Boot waren schonungslos. Die See erbarmungslos.»
Laurenz Elsässer: «Zeitweise war es Frust total»
Wer dem jungen Mann zuhört und sich hineinversetzt ins 1000 Kilo schwere, unsinkbare Boot, der spürt den Anflug von Verzweiflung. Laurenz Elsässer: «Ich dachte oft, das ist nichts für mich. Aber zugegeben hätte ich das nie, immer wieder galt es, diesen inneren Schweinehund zu überwinden. Es war Frust total, die ganze Zeit. Ein beklemmendes Gefühl. Mir war, wie wenn ich von Walenstadt auf den Everest laufen müsste. Zuerst durchs Rheintal in die Türkei, dann durch den Iran nach Afghanistan, durch Pakistan, Indien bis nach Nepal und schlussendlich noch hinauf auf den höchsten Berg.»
Er unterbricht kurz. Sagt dann: «Stell dir den Anschiss vor. Du sitzt im Boot. Dir ist schlecht. Jede halbe Stunde überrollt dich eine Welle. Du bist immer pflotschnass. Alles ist salzig. Die Haut wird wund, das Salz reizt die offenen Stellen unter den Armen, in den Kniekehlen, an den Händen. Schmerzen kommen und gehen. Das Sitzen ist eine Qual. Etwas tut immer weh.»
Alle 30 Minuten von einer Welle überrollt
Jeder im Quartett zeigte Schwächen. «Einmal, beim Schichtwechsel, sagte ich zu Marlin, ‹ich bin recht in den Löchern›. Dann peppte er mich auf. Gönnte mir ein psychologisches Zückerli. Sagte: ‹Wir haben schon tausend Meilen›. Das war dumm, denn jede Schicht war gleich streng, ob in der Hälfte der Challenge, oder sogar als wir das Land sahen, es half nichts. Es war streng. Streng. Streng.»
Steuerruder-Bruch verhinderte den Sieg
30 Tage und fünf Stunden ohne Schatten. Die permanente Hitze empfand Laurenz Elsässer «als das wohl Schlimmste für die Psyche. Gegen Hitze kannst du nichts machen. Du bist ihr hilflos ausgeliefert.»
Gedanken ans Sterben plagten den jungen Mann nie. «Erregt war ich, aber nie panisch. Das Meer war unser Feind. Ich entwickelte eine Wut aufs Wasser. Du verhaust dich, ruderst Luft. Und dann hört die Strömung auf. Das Boot schaukelt. Du schlägst mit den Ruderblättern aufs Wasser, fluchst, hast das Gefühl, es wolle uns plagen, es sei unfair.» Wieder lacht er. Er, der es geschafft hat. Sagt: «Logischerweise ist es nicht unfair, plagt es dich nicht. Aber ich fühlte mich hilflos und klein. Das Meer machte mit uns, was es wollte.»
Die vier Schweizer waren schnell. Hatten einen wunderbaren Lauf, navigierten optimal, nützten die Strömung, ergänzten sich, pushten sich und hätten das Rennen wohl gewonnen, wenn ihnen am 5. Tag das Meer keinen Streich gespielt hätte. «Es war übles Wetter und auf dem Steuerruder viel Druck», sagt Laurenz Elsässer. «Da brach es, wir warfen den Paraanker, standen still und verloren 120 Meilen auf die führenden Engländer. 20 Stunden dauerte die Reparatur. Eine grosse Übung, die wir nur dank einer kleinen Nagelfeile erfolgreich abschlossen. Dieser totale Frust begleitete uns bis ins Ziel. 70 Meilen holten wir noch auf. Aber die Rugbyspieler von der britischen Insel erreichten das Ziel auf Antigua mit 50 Meilen Vorsprung. 14 Stunden vor den Schweizern.
Die Ankunft am Samstag, 13. Januar 2018, um 12.59 Uhr im Hafen von Antigua war grossartig. Das Team Antigua war nur zwei Stunden zuvor als Zweitplatzierte eingetroffen. «Wahnsinn», sagt Laurenz Elsässer. «Jetzt schüttete der Körper noch einmal eine gewaltige Menge Adrenalin aus. Die Schmerzen waren weggeblasen, das Gefühl, in Sicherheit zu sein, grossartig.» Was folgte war eine ausgelassene Feier
«Das Hoch war unbeschreiblich. Noch auf dem Boot, wir tauften es Mr. Nelson, entzündete ich eine Fackel, alle Schiffe im Hafen tuuteten, am Quai warteten die Mütter, von einem nahen Hügel winkten die Väter. Jemand schwenkte eine grosse Schweizerfahne. Da packte mich eine Art Nationalstolz. Mir wurde bewusst: Ich habe für mich und für das Land etwas geschafft. Eine grössere Hürde werde ich wohl nie nehmen können.»
Text Martin Schuppli, Fotos: Paolo Foschini
LAURENZ ELSÄSSER
Folgende Zeilen veröffentlichte Laurenz Elsässer vor dem Start auf der Website www.swissmocean.ch
«Die Beanspruchung an meinen Körper ist mir sehr wichtig. In Form von erklimmbaren oder unbegehbaren Hürden, vor welche ich mich gern stelle, weite ich
jene Beanspruchung immer wieder aus und lerne mich so neu kennen. Ich liebe es, Begriffe zu dehnen: Was ist ein Extrem? Was ist eine körperliche Grenze?
Was ist Angst? Was ist Versagen und was Erfolg? Mit solch biegsamen Parolen will ich mich auseinandersetzen und mich in ein Territorium der Selbstfindung begeben. Ich freue mich riesig, mich vor eine neue Hürde zu stellen und Körper sowie Geist auf dieses Abenteuer vorzubereiten. Ich bin fest davon überzeugt, mit dem Swiss-Mocean Projekt einen Grundbaustein für mein Leben zu legen.»
Geboren: Sonntag, 16. Juni 1991
Körpermasse: 72 kg / 175 cm
Wohnort: Walenstadt SG
Helikopterpilot in Ausbildung
Interessen: Outdoorsport, Lesen, Aviatik
Bei Laurenz Elsässer zeigte die Waage in Antigua 7,7 kg weniger an. Er verlor 1,7 kg Muskeln und 5 kg Fett. Sein Körperfettanteil sank 14,8 auf 9,3 Prozent.
So berichtete BLICK über die Talisker-Atlantic-Challenge
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