Marc Lüthi: Lässt sich Ihre Vorstellung von Pietät mit dem heutigen gesellschaftlichen Leben, mit den Ansprüchen von Jung und Alt, verbinden, resp. vereinbaren?
Marc Lüthi: Zuerst eine Gegenfrage: Fragen Sie mich als Amtsperson oder als Privatperson?
Das überlassen wir Ihnen. Am Liebsten als Amts- und als Privatperson.
Als Amtsperson stelle ich fest, dass es Leute gibt, die mit «Pietät» fahrlässig umgehen – oder anders gesagt: Alles ist «pietätlos», was nicht den eigenen Ansprüchen entspricht. Beispiele dafür gibt es fast täglich!
Was meinen Sie da? Können Sie uns einige Beispiele nennen?
Beim Gemeinschaftsgrab räumen unsere Gärtner nach rund zwei Wochen die Blumenschalen weg – ist das pietätlos? Oder: Vor einem Jahr dauerte es aus technischen Gründen rund zehn Tage, bis eine Leiche kremiert wurde. Uns wurde vorgeworfen, dies sei pietätlos!
Und was ist Pietät für Sie als Privatperson?
Da steht für mich die «Wertschätzung» im Vordergrund. Wertschätzung gegenüber einem Kind, einer erwachsenen Person oder einer verstorbenen Person.
Wie spüren Sie die Veränderungen der Gesellschaft im Umgang mit den Toten?
Wir merken, dass sich der Umgang mit dem Tod der «Eventkultur» nicht entziehen kann: Für die Zeit des Abschieds scheuen die Hinterbliebenen, die Angehörigen oft keinen Aufwand. Danach wendet «man» sich aber rasch wieder alltäglichen Dingen zu.
Ist es in Ihren Augen überhaupt pietätvoll, einen Toten, eine Tote zu verbrennen? Dann aus seiner Asche einen Diamanten anzufertigen. Oder die sterblichen Überreste ins All zu schiessen oder gar von einem Schnellboot aus in den Vierwaldstättersee zu leeren?
Bei einer Kremation findet der Übergang von der «Person» zur «Sache» statt. Dies ist auch aus juristischer Sicht so. Der Leichnam untersteht dem Personenrecht, die Asche dem Sachenrecht.
Trotz «Sache» plädieren Sie dafür, dass auch der Umgang mit Asche «pietätvoll» sein soll.
Deshalb sieht der Gesetzgeber auch eine Ruhefrist für Asche von zwanzig Jahren vor.
Gibts auch Rheinbestattungen?
Ja, in Basel sind es rund 100 pro Jahr. Hier ist es wichtig, dass die Ausschüttung der Asche in einem würdigen Rahmen stattfindet. Das Basler Bestattungsgesetz sieht im Übrigen eine Bewilligungspflicht für die Beisetzung ausserhalb des Friedhofs vor.
Dann kann ich die Asche nicht einfach mit nach Hause nehmen?
Problematisch wird es, wenn ältere Personen eine Urne zu Hause aufstellen möchten. In diesem Fall suchen wir das Gespräch mit den Nachkommen oder Angehörigen. Sie müssen uns versprechen, dass Sie für die Einhaltung der Ruhefrist sorgen. Oft ist es so, dass wir – nach Ableben der hinterbliebenen Person – beide Urnen miteinander beisetzen. Dies wird vorher in einer «Erklärung über die Bestattungsart» festgehalten.
Wie pietätvoll muss eine Trauerfeier sein? Was ist möglich? Laute Musik in der Abdankungshalle? Eine Flamencotänzerin?
Auf dem Friedhof am Hörnli finden über 1000 Trauerfeiern pro Jahr statt. Wir lassen die Form der Trauerfeier absolut offen und greifen nur ein, wenn offensichtlich missbräuchliche Ereignisse stattfinden. Die Trauerfeier sollte doch primär dem Verstorbenen und den Angehörigen entsprechen. Kürzlich fand zum Beispiel eine sehr eindrückliche «Biker»-Beerdigung statt. Vor der Kapelle standen über 250 Motorräder.
Wie ist es möglich, einen Friedhof, und seine immer grösser werdenden freien Flächen als Park zu nutzen? Geht da die Pietät verloren? Welche Nutzungsarten sind möglich?
Die Aufwertung des Friedhofs als Lebensraum ist eine einmalige Chance. Ruhiges Freizeitverhalten und Trauer sollten sich überhaupt nicht stören. Der Friedhof am Hörnli, mit 54 Hektaren der grösste Friedhof der Schweiz, bietet hier ideale Voraussetzungen.
Zum Schluss noch das Thema Hunde. Im Luzerner Friedental darf man sie mitnehmen, an der Leine selbstverständlich. In Zürich sind Hunde (noch) verboten. In Bern mit Bewilligung erlaubt, logisch an der Leine. Was sieht das Basler Friedhofsamt vor?
In Basel gilt für die Friedhöfe ein Hundeverbot. Im Zusammenhang mit der Erneuerung des Friedhofpflegewerkes wurde die Frage intensiv diskutiert – es bleibt beim Verbot.
Text: Martin Schuppli/Foto: Pino Covino
Leiten wir das Wort Pietät aus dem Lateinischen ab, bedeutet es Respekt, auch Ehrfurcht. In der Antike stand Pietät für pflichtbewusstes Verhalten gegenüber den Menschen und den Göttern, es stand für Demut.
Heute verstehen viele von uns unter Pietät den respektvollen, ehrfürchtigen Umgang gegenüber den Toten. In der Philosophie steht Pietät für Frömmigkeit, für ehrfürchtige Scheu aber auch für liebevolle Pflege. Im Konfuzianismus bezeichnet die kindliche Pietät, das xiao, die Liebe der Kinder zu ihren Eltern, zu ihren Ahnen. Sie äussert sich in der Hochhaltung des Ererbten, der Riten, der Musik und der literarischen Bildung. Und sie erstreckt sich über den Tod hinaus – manchmal bis hin zur Unterwürfigkeit. Stöbert man im Internet nach einer sinnvollen Erklärung für Pietät, heisst es unter Anderem: Pietät sei die, Achtung; im engeren Sinn die taktvolle Rücksichtnahme gegenüber Angehörigen von Verstorbenen.