Nun ist es in die Nähe gerückt, das Covid-19-Virus. Angeschlichen hat es sich. Irgendwann in der ersten Dezemberwoche. Meine Partnerin verspürte leichte Symptome, machte einen Test – und der war positiv. Obwohl ich kaum Symptome verspüre, muss ich positiv sein. Es reiche, wenn sich eine Person aus dem Haushalt testen lasse, sagte die MPA im Ärztezentrum. Seis drum. Wir schotteten uns ab, umgehend. Das Contact-Traicing des Kantons forderte mich auf, in Quarantäne zu gehen. Seis drum.
Wer in unserem Zweipersonen-Haushalt wen angesteckt hat, können wir nicht eruieren. Wann es geschah, bleibt im Dunkeln. Seggs wies well. Alle möglichen Kontakte habe ich verständigt. Die Chats gefüttert. Mehr kann ich nicht mehr tun für mein Umfeld. Vorwürfe mach ich mir keine. Masken trug ich konsequent, das Haus verlassen wir nicht mehr.
Ich isoliere mich – und bleibe positiv.
Im Adventsfenster meines Schreib- und Schwatzgeschäfts habe ich seit Donnerstag, 3. Dezember 2020, folgende Botschaft hinterlegt. Aufgezeichnet im November – ohne Virus im Körper:
Memento mori – gedenke des Todes
Sie fragen sich, was das soll. Ich meine, wer des Todes gedenkt, kann beginnen, das Leben zu geniessen.Memento mori heisst für mich: Ich bin mir bewusst, mein Leben ist endlich. Ebenso das Leben von Angehörigen, Freunden. Es könnte plötzlich zu Ende sein.
Niemand weiss, wer morgen unter uns weilt. Keiner und keine weiss, wer einen anderntags gesund und munter begrüsst.
Jedes Leben ist endlich. Das ist bei Geburt klar. Was folgern wir daraus?
Ich rate zu Achtsamkeit, Nächstenliebe und viel Empathie. Hören wir andern zu. Verschenken wir Zeit – im Moment mit Maske. Verabschieden wir uns herzlich – Corona-mässig ohne Drücker. Ohne Küsschen.
Bleiben Sie gelassen. Tag für Tag. Passen Sie auf sich auf. Auf sich und auf die Ihren. Gedenken Sie des Todes – geniessen Sie jeden Tag.
ms, November 2020
Carpe diem.
Kann ich durchziehen, was ich den anderen rate? Kann ich gelassen und heiter bleiben, wenn wir isoliert leben? Positiv. Ich, ohne Symptome.
Memento mori – gedenke des Todes
Ja, das kann ich. Es ist die logische Konsequenz meiner Worte. Memento mori. Ich gedenke des Todes, dem Endzweck unseres Lebens. Dabei versuche ich unbekümmert zu bleiben. Heiter. Ich geniesse meine Tage bewusst. Noch am «Schocktag» aktualisierte ich meine Patientenverfügung, baute einen Corona-Passus ein. Wenns denn sein müsste, verzichte ich auf einen Platz in der Intensivstation. Meine Haltung ist bekannt. Ich bleibe positiv und gelassen.
Aber, was wäre, wenn? Dann, ja dann gehe ich Schritt für Schritt vorwärts. Zuversichtlich. Weh täte die Distanz im Sterben zu meinen Kindern, zu Freundinnen, Freunden. Ich könnte mich nicht mehr verabschieden. Ginge ohne Händedruck in den Ewigen Osten.
Wer sich verabschieden kann, stirbt privilegiert
Aber ehrlich: Das Opfer eines Hirnschlags kann sich ebenso wenig verabschieden. Wer bei einem Verkehrsunfall stirbt oder nach einem Herzinfarkt, geht plötzlich. Verlässt den Strom des Lebens. Der unsere fliesst fort. Wir leben weiter, trauern und verspüren eine schmerzhafte Lücke. Was der Verstorbene erlebt, bleibt uns verborgen.
Das ist gut so, finde ich. Der Tod soll sein Geheimnis behalten. Ich habe mich mit dem Gedanken versöhnt, dereinst eine Lücke zu hinterlassen. Alois Birbaumer, mein lieber Freund, schickte mir dazu folgende Zeilen, die Wolfgang Amadeus Mozart, damals 31 Jahre alt, seinem Vater im April 1787 geschrieben hat:
Der Tod ist der Endzweck unseres Lebens
«… da der Tod /: genau zu nehmen :/ der wahre Endzweck unsers Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes!
Und ich danke meinem Gott, dass er mir das Glück gegönnt hat, mir die Gelegenheit zu verschaffen, ihn als Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit kennen zu lernen.
Ich lege mich nie zu Bette ohne zu bedenken, dass ich vielleicht /: so jung als ich bin :/ den andern Tag nicht mehr seyn werde. Und es wird wohl kein Mensch von allen, die mich kennen, sagen können, dass ich im Umgang traurig oder mürrisch wäre …
Wolfgang Amadeus Mozart, 1787
Was machts mit mir?
Ich bin weder traurig noch mürrisch. Ich bin heiter. Geniesse den Abend und freue mich auf den morgigen Tag. Es scheint, ich hätte Glück. Ich verspüre höchstens milde Symptome, leide nicht und fühle mich gesund. Ich werde weiterhin positiv bleiben. Ein positiver Mensch.
Und Sie? Ihnen wünsche ich alles Gute. Bleiben Sie gesund.
PS: Den ersten Kommentar möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Dr. Alois Birbaumer schrieb mir am 12. Dezember 2020:
«Jetzt – während der Pandemie mit täglich Hunderten von Toten weltweit – ist uns diese unsere Endlichkeit mehr bewusst. Doch die Freude am Leben sollten wir deswegen nicht verlieren, erst recht nicht. Jetzt, da wir noch leben, gilt es, jeden Tag zu geniessen. Wir sind noch da. Nach dem Tod sind wirs nicht mehr.»
Alois Birbaumer, Dezember 2020
Eine Antwort auf „Martin Schuppli: «Ich bin positiv»“
Dem kann ich nur zustimmen. Als meine Frau viel zu jung 2007 an ihrer Krebserkrankung starb, waren ich und meine Kinder einfach nur unendlich traurig. In einer Radiosendung sprach ein paar Wochen später ein Jesuitenpater über das Sterben. Seine Worte halfen mir über den grossen Verlust hinweg. Er sagte: „Freudig leben und klug werden fürs Sterben“. Ich habe diese verinnerlicht mit dem Zusatz: „Aber es pressiert kän Dreck nütz“.