Aus dem Arbeitsalltag von Roger Huber, Werkraum4 in Zürich
«Ich arbeite seit Juni 2023 im Werkraum4. Als offizielle Sammelstelle von Velafrica nehmen wir gebrauchte Velos entgegen und führen Sammelaktionen durch. Ich bin dafür zuständig, die abgegebenen Velos in ihre Einzelteile zu zerlegen. Beim Auseinanderlegen trennen wir Materialien wie Leichteisen und Aluminium und alles, was geeignet ist, gelangt ins Recycling. Die Einzelteile der Fahrräder bereiten wir in Zusammenarbeit mit Velafrica für ihre Weiterreise nach Afrika vor. Dort werden Ersatzteile wie Pedalen verkauft oder zu einem neuen Fahrrad zusammengebaut.
Leichte und stabile Fahrräder für Afrika
Der Betriebsleiter des Werkraum4 ist jeweils mit dem Hauptsitz von Velafrica in Bern in Kontakt, dort wiederum tauschen sich die Mitarbeitenden mit der Zentrale in Afrika aus. Diese erhält von den verschiedenen Standorten in den sieben afrikanischen Ländern die Informationen, wer welche Einzelteile und Fahrräder benötigt. Velafrica bildet die Menschen in Afrika zu Velomechaniker:innen aus, damit diese die Fahrräder nach ihren Bedürfnissen anpassen können. Die Fahrräder müssen für Gepäck- und Wassertransport sowie zusätzliche Familienmitglieder besonders stabil sein. Stabil, aber trotzdem leicht: Der Trend geht hin zu Fahrrädern und Einzelteilen wie beispielsweise Rahmen aus Aluminium, denn dieses Material ist viel leichter als Stahl.
Erstausbildung als Metallbauschlosser
Ich bin gelernter Metallbauschlosser, habe dann aber 40 Jahre als Projektleiter in der IT-Branche gearbeitet. Meine erste Berufsausbildung kommt mir hier zugute, denn handwerkliches Geschick ist wichtig für meine Tätigkeit. Mein Talent habe ich wohl von meinen Eltern geerbt: Meine Mutter war die erste Frau, die in der Schweiz in einer Firma als Schweisserin arbeitete. Mein Vater war als Maschinenmechaniker tätig. Ich mag meine Arbeit, sie geht mir leicht von der Hand – und bis jetzt konnte ich jedes Problem lösen! Auch wenn ich teilweise Spezialwerkzeuge benötige. Ich lerne immer wieder dazu, denn jedes Fahrrad ist eine neue Herausforderung.
Perspektiven schenken motiviert
Als ich im Werkraum4 angefangen habe, nahm ich zuerst Elektrogeräte wie Drucker oder Bildschirme auseinander. Bereits nach einer Woche erhielt ich das Angebot, in die Veloabteilung zu wechseln. Dies wollte ich unbedingt, auch wegen der Hilfe für Afrika. Die Arbeit finde ich sinnstiftend, weil wir die Menschen vor Ort ausbilden und nicht einfach Geld schicken. Velafrica investiert in die Infrastruktur in den afrikanischen Ländern, damit die lokale Bevölkerung selbstständig ihren Lebensunterhalt verdienen kann. Ich kenne Afrika gut, habe den Kontinent früher viel bereist. Vielleicht ist dieser persönliche Bezug noch ein zusätzlicher Grund, dass ich den Wunsch habe, mit meiner Arbeit Menschen in Afrika zu unterstützen und ihnen eine Perspektive zu schenken.
Feierabendritual und klare Strukturen
Die Zusammenarbeit in unserem siebenköpfigen Team der «Velöler» läuft gut, ist aber nicht immer einfach. Wir helfen einander so gut wie möglich, und es fühlt sich an wie eine Clique. Vieles ist wie im «normalen» Berufsalltag: Wir müssen Ziele erreichen und die Hilfsbereitschaft im Team pflegen. Der Tagesablauf ist klar strukturiert: Um 8.30 Uhr beginnt der Arbeitstag, und an der morgendlichen Teamsitzung erhalten wir unsere Aufgaben. Danach verbringe ich den Tag in der Werkstatt, wo ich die Fahrräder auseinandernehme. Kurz vor Feierabend putzen wir den Arbeitsplatz und schauen gemeinsam mit dem Team unsere Arbeit an, was wir auseinandergenommen haben und welche Einzelteile wir für Afrika wiederverwenden können. Um 16.30 Uhr ist Feierabend. Nach der Arbeit bin ich müde und schlafe gut. Handwerklich tätig zu sein ist befriedigend, weil ich am Abend das Resultat meiner Arbeit sehe. Wie ein Maurer, der ein Haus baut. Das motiviert mich.»
Werkraum4: Wiedereinstieg in den Alltag erleichtern
Im Arbeitsbetrieb Werkraum4 erhalten die Menschen eine geregelte Arbeitsstruktur. Der Werkraum4 bietet auch gemeinnützige Arbeit an: Anstatt kurze Haftstrafen im Gefängnis zu verbüssen, können Betroffene diese durch Arbeit im Werkraum4 abverdienen. Wer zudem seine Geldbusse aus finanziellen Gründen nicht bezahlen kann, hat die Möglichkeit, diese in Form von gemeinnütziger Arbeit zu begleichen.
Seit Sommer 2023 arbeitet Werkraum4 mit Velafrica zusammen. Die in Liebefeld bei Bern beheimatete Organisation bewirkt seit dreissig Jahren Gutes mit Velos und bringt in der Schweiz nicht mehr gebrauchte Zweiräder in sieben afrikanische Länder, um dort die ressourcenschonende Mobilität zu unterstützen. Velos können im Werkraum4 gespendet werden, wo sie gewartet und für die Reise nach Afrika bereit gemacht werden.
Spenden und Legate sind für Stiftung zsge entscheidend
Spenden und Legate machen rund zehn Prozent aus und sind eine wichtige Einkommensposition für Stiftung zsge. Sie vergibt auch selbst Spenden und unterstützt bedürftige Menschen, die Gesuche stellen, weil sie in finanzieller Not sind. Die Gelder werden beispielsweise für Weiterbildungen oder die Fahrprüfung eingesetzt, um als Taxifahrer:in oder Verkäufer:in arbeiten zu können. Spendengelder kommen zudem für den Ausbau der Verkaufskanäle oder zusätzliche Wohnplätze zum Einsatz.
Beschäftigen – Wohnen – Beraten: Das macht die Stiftung zsge
Die Stiftung zsge mit Sitz in Zürich unterstützt Menschen mit herausfordernden Biografien, die auf ihrem Lebensweg Entscheidungen getroffen haben, die nicht förderlich waren. Das sind Menschen, die eine Geldbusse verbüssen müssen, aus dem Strafvollzug entlassen wurden, psychisch belastet sind oder eine Suchtthematik haben. Um die Betroffenen zurück auf ihren Weg in ein geordnetes und selbstbestimmtes Leben zu begleiten, betreibt die Stiftung mehrere Einrichtungen: den Wohnbetrieb Waffenplatz45, den Werkbetrieb Werkraum4, die Bussenanlaufstelle – eine kostenlose Beratungsstelle zu Geldbussen und Geldstrafen – sowie die beiden Verkaufslabels recyclingArt und Lerski.
Lesen Sie auch das Interview mit zsge-Geschäftsführer Edgar Rutishauser.