Es sind traurige Nachrichten, die uns seit Wochen aus Afghanistan erreichen. Seit über 40 Jahren herrscht Krieg. Derzeit lebt das Volk in Angst vor den fanatischen Kämpfern der Taliban, die nach dem Abzug der westlichen Truppen Bezirk um Bezirk eingenommen haben und nun über Land und Leute herrschen. Wir hören von Sprengstoff-Anschlägen auf Schulen, Spitäler und öffentliche Einrichtungen. Wir lesen von Steinigungen, abgehackten Händen, verprügelten Frauen. Viele Menschen versuchen zu flüchten, lassen ihr Hab und Gut zurück, hoffen auf bessere Zeiten in der Fremde.
Mohammad Heydari ist einer dieser Flüchtlinge. Er lebte mit Eltern und acht Geschwistern in Jagori, einem Dorf zwischen Kandahar und Kabul. «Wir hatten Land, ein Haus, meine Eltern betrieben einen Lebensmittelladen, und ich konnte zwei Jahre zur Schule gehen», sagt der gutaussehende junge Mann. Als er neun Jahre alt war, entschloss sich die Familie zu flüchten.
«Es muss um die Jahrtausendwende gewesen sein», sagt Mohammad, den wir Momo nennen. «Wir packten das Nötigste auf einen kleinen Kipper und fuhren nach Anbruch der Dunkelheit in die Berge Richtung pakistanische Grenze. Niemand besass einen Pass, viele Nachbarn waren schon weg.» Die Grenze war für den Lastwagen nicht passierbar. Die Flüchtlinge mussten ihre wenigen Habseligkeiten zurücklassen. Schlepper fuhren mit ihren Motorrädern jeweils zwei, drei Passagiere über die Grenze. Es sei kalt und nass gewesen, sagt Momo. «Wir froren, hatten Hunger, litten Durst.»
Über einen Monat lebten die Flüchtlinge in einem pakistanischen Lager, bis sie sich aufmachten, die iranische Grenze zu passieren. «Wir schlugen uns zu Fuss, in Bussen oder auf Lastwagen durch bis nach Teheran, wo Mutters Schwester lebt. Sie ist verheiratet mit einem Mullah», sagt Momo.
Mit Kinderarbeit Geld für die Flucht verdient
In der iranischen Hauptstadt begann für Momo eine harte Zeit. Er verdingte sich als Handlanger in einem Baugeschäft. Momos Vater kannte den jungen Chef, und der versprach dem Buben Kost und Logis, wenn er mit anpacken würde. «Den Lohn behielt er zurück», sagt Momo. Er würde ihm das Geld später aushändigen, habe er gesagt.
Momo erzählt von seinem harten Leben auf der Baustelle. Oft habe er geweint, wenn er die mit Steinen gefüllte Garette kaum schieben konnte. «Wir lebten auf dem Bauplatz in ständiger Angst, als Illegale erwischt zu werden. Passierte das, gabs Prügel von der Polizei. Im schlimmsten Fall drohte die Rückschaffung.
2003 kehrten die Eltern mit einem Teil der Geschwister zurück nach Afghanistan. Momo war zwölf Jahre alt. Er blieb. Sagt, sein Vater habe ihm die Entscheidung überlassen. Und der Bub schuftete weiter. Acht bis neun Stunden täglich. Er sei oft traurig gewesen, einsam, aber sein Ziel war klar: «Ich wollte irgendwann nach Europa.» Der Chef habe sie gewarnt. Er erzählte den Buben, wie viele Boote kentern, wie viele Menschen auf der Flucht sterben würden. Momo schweigt, sagt dann: «Das war mir egal. Mein Leben konnte nur besser werden. Das Leben als Illegaler im Iran war schlimm. Eine Rückkehr in die Heimat unmöglich.»
Als Teenager in die Türkei geflüchtet
Es muss im Jahr 2007, 2008 gewesen sein, Momo war 15 oder 16 Jahre alt. «Wir schliefen wie so oft auf dem Dach einer Baustelle, als Polizisten das Gelände stürmte», erzählt er. Die Beamten hätten die meisten Kollegen festgenommen. Im improvisierten Baustellen-Wohnzimmer seien nur noch alte Männer gesessen. Die Jungs auf dem Dach hatten Glück, blieben unentdeckt. «Da entschieden wir uns, zu flüchten. Saman war gleich alt.»
Erst habe der Chef gesagt, sie dürften nicht gehen, das sei zu gefährlich. Die Jungs entgegneten, von fünf Schiffen würden nicht alle untergehen, und in Afghanistan hätten sie keine Chance. «Wir diskutieren zwei, drei Tage», sagt Momo. «Dann zahlte er uns einen Teil der Löhne aus und versprach, allfällige Schlepperkosten zu begleichen, wenn wir ihn verständigen würden.»
Die beiden Jungs recherchierten, kontaktieren andere Fluchtwillige, suchten Schlepper. «Auf dem ersten Teil der langen Reise an die türkische Grenze wären wir fast erstickt in einem stickig heissen Gepäckfach. Immer wieder hiess es: umsteigen, warten, weiterreisen.» 3000 Dollar hatte Momo bezahlt. Für dieses Geld sollten er die türkische Grenze, knapp 800 Kilometer entfernt, in der Nähe von Urmia erreichen. Es war Frühsommer.
«Wir waren zwölf in unsere Gruppe, die wir «Paltekwa» nannten, so konnten wir uns verständigen und jeweils kurz überprüfen, ob noch alle da sind.» Das war nötig. Gegen 100 Flüchtlinge wollten die grüne Grenze in den Bergen zu Fuss überqueren. Es sei gefährlich gewesen, berichtet der junge Mann. «Immer wieder mussten wir vor der Polizei flüchten.» Das Unterfangen gelang. Bis Istanbul legte Momo über 1500 Kilometer zurück. «Teils fuhren wir auf Lastwagen, oft waren wir zu Fuss unterwegs, litten Hunger und Durst. Nacht für Nacht. Es regnete viel, war kalt. Die beiden neuen Paar Schuhe hatte ich am Bosporus kaputt gelaufen.»
Köstliches Fünf-Dollar-Poulet in Istanbul
Ausgehungert und erschöpft erreichte Momo mit seinem Kollegen im Sommer 2008 Istanbul. Er erinnert sich an das erste richtige Essen. Der Schlepper habe für je fünf Dollar gebratene Poulets organisiert. «Es roch bezaubernd. Die ersten Bissen schmerzte fürchterlich. Von meinen Lippen löste sich die Haut in Fetzen», sagt Momo. «Und trotzdem wars das beste Essen seit Langem. Köstlich.»
Und wieder hiess es warten. Warten, bis der Schlepper die Boote besorgt und Momo das Geld organisiert hatte. 1500 Dollar kostete die Überfahrt nach Griechenland. Der Baumeister aus Teheran schickte das Geld. Er hielt sein Versprechen.
Einen Monat hätten sie ausserhalb Istanbuls gelebt, sagt Momo, immer in Angst vor der Polizei. Der Schlepper organisierte das Essen für seine Kunden. «Wir durften das Haus nicht verlassen. Meist assen wir hartes Brot und Joghurt.» Als die Tage kürzer und die Nächte länger wurden, waren die einfachen Gummiboote bereit. Eines Nachts brachten Taxis die Flüchtlinge ans Meer, wo sie auf verschieden Boote verteilt wurden. «Wir waren zu zwölft. Alles Männer und Jugendliche. Dann paddelten wir um unser Leben, um unser Glück.» Die See sei kabbelig gewesen, Wellen hätten ins Boot geschlagen. Momo: «Wir mussten Wasser schöpfen. Zeitweise drohte das Gummiboot zu kentern, schwimmen konnte keiner.»
Die Ankunft in Europa entpuppte sich alles andere als freundlich. «Wir sahen Lichter, erreichten erschöpft die Insel Samos, sprangen ins Wasser und rannten los» erzählt Momo. «Wir trafen auf Menschen, die eine andere Sprache redeten.» Rasch verhaftete die Polizei die entkräfteten Flüchtlinge und brachte sie in ein Asylheim. Dort musste Momo, ob er wollte oder nicht, seine Fingerabdrücke hinterlassen. Nun war er im Schengen-Raum registriert.
Unter der LKW-Plane nach Ancona
Nach zwei Monaten, mittlerweile war der Winter in Griechenland eingekehrt, konnte Momo ans Festland weiterreisen. «Wir lebten auf den Strassen von Athen. Andere Flüchtlinge rieten uns, als blinde Passagiere zu fliehen. Und zwar in einem Lastwagen auf der Fähre ab Patras nach Ancona. Von dort wollten wir weiter.» Wohin war Momo allerdings nicht klar.
Drei, vier Monate lebte der damals 15-Jährige in den Wäldern nahe der Hafenstadt zusammen mit hunderten Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und dem Iran, dem Irak. Momo kaufte sich einen Schlafsack, konnte in Zelten schlafen. Das Essen erhielten die Heimatlosen von der Kirche, Wasser tranken sie vom Hahn oder kochten es ab. Und alle warteten sie auf den passenden Moment, weiter zu flüchten.
Eine Katastrophe sei es gewesen, erzählt der Afghane. Er hätte keine Arbeit gefunden, die Sprache nicht verstanden und in ständiger Angst gelebt. Dutzende Fluchtversuche habe er unternommen. Einmal wäre er fast erstickt in der von ätherischen Ölen geschwängerten Luft eines Mandarinen-Transporters. Der Fahrer rief die Polizei. Momo wurde verhaftet, verprügelt und musste einmal mehr die Fingerabdrücke zurücklassen.
Geklappt hat die Flucht dann eines Nachts unter der Plane eines mit Schotter beladenen LKWs. Zwölf Stunden dauerte die Überfahrt in die italienische Hafenstadt. Dort wartete die Guardia di Finanza. Die wollte u.a. wissen, welches Land sein Ziel sei. Momo sagte Italien – und hatte Glück. Hätte er Frankreich genannt oder ein anderes Land im Schengenraum, wäre er ausgeschafft worden. So landete er in einem Römer Asylzentrum für Kinder und Jugendliche.
Das gesparte Geld reichte für ein Ticket nach Basel
«Es war ein kleines Heim für Kinder. Aufgepasst haben einige Frauen», erzählt Momo und lacht schelmisch. «Einmal, beim Fussballspielen, kickten wir den Ball weit weg. Statt ihn zu holen, rannten wir weiter. Flüchteten. Ohne Geld, ohne irgend etwas. Mit den Kleidern am Leib und einem Handy ohne SIM-Karte im Sack.»
Im Termini-Bahnhof bestiegen die vier Jungs einen Zug nach Paris. «Wir hatten keine Billette, wurden noch vor der Grenze erwischt, verprügelt und aus dem Zug geworfen», erzählt Momo und schildert die weiteren Versuche, im Zug die Grenze nach Frankreich zu überqueren. Einmal habe es funktioniert. Die jungen Flüchtlinge erreichten Paris, tauchten unter und versuchten zu überleben.
In Paris war das kein Problem. Kirchliche Organisationen verpflegten die Hungrigen aus den Parks, die Asylbehörde stattete sie mit etwas Taschengeld aus. Momo sparte alles. «Mein Kollege wollte nach Schweden, mein Geld reichte gerade für ein Billett in die Schweiz», sagt Momo. «Ich landete schlussendlich am Stephanstag 2009 in Zürich, wurde noch im Hauptbahnhof verhaftet und ins Gefängnis gesteckt.
Mein Gesprächspartner strahlt und sagt: «Ich hatte nichts. Kein Geld, keine Ausweispapiere. Nur mein Handy ohne SIM-Karte. Ich wurde verhört, alle waren nett. Freundlich. Die Gefängniszelle angenehm und sauber. Das Essen tipptopp.»
Anderntags brachte die Polizei Momo nach Kreuzlingen ins Asyl-Aufnahmezentrum. Dort wartete ein Dolmetscher. Mohammad Heydari wurde lange verhört. «Danach musste ich alles unterschreiben, ohne zu verstehen, was da geschrieben stand. Ich kann weder lesen noch schreiben.» In den darauffolgenden Tagen untersuchte ein Arzt den jungen Mann. «Er sagte, ich sei 18 Jahre alt. Und darum ist mein Geburtstag seither der 2. Januar 1991. So stehts in meinem afghanischen Pass.»
Bis Mohammad «Momo» Heydari allerdings erstmals im Leben einen gültigen Ausweis in der Hand halten kann, dauert es noch etwas.
In der Zürcher Josefskirche Vertraute gefunden
Als die Zeit im Asylzentrum in Kreuzlingen vorbei war, zügelte Momo erst nach Winterthur, dann ins Asylzentrum nach Regensdorf ZH. Er belegte Deutschkurse und versuchte Arbeit zu finden. In der katholischen Josefskirche am Stauffacher in Zürich lernte er Landsleute kennen, konnte sich austauschen und erhielt Unterstützung in seinen Bemühungen, arbeiten zu können. Sie scheiterten alle kläglich. Momo durfte mit dem N-Ausweis kein Geld verdienen.
Im Sommer 2011 geriet der Asylbewerber in eine Polizeikontrolle am Bellevue in Zürich. Er musste mit auf den Posten, wo ihm Beamte eröffneten, er werde ausgeschafft, weil er seine Fingerabdrücke in Griechenland hinterlassen habe. So will es das Gesetz.
Momo landete im Klotener Ausschaffungs-Gefängnis. «Ich nahm es hin. Verhielt mich anständig und ruhig. Niemals wollte ich zurück. Nicht nach Griechenland, nicht in den Iran und nicht nach Afghanistan.
Einen Monat dauerte die Ausschaffungshaft. Vor dem Mithäftling, einem albanischen Drogendealer, habe er mehr Angst gehabt als vor den Beamten. Nach dreissig Tagen sei einer gekommen und habe gesagt: «Herr Heydari, heute ist ihr Glückstag. Sie sind frei.» Und so wurde der Flüchtling wieder einmal entlassen. Bald drei Jahre war er bereits in der Schweiz, aber diesmal hatte er keine Ahnung, wohin er gehen sollte.
Im Asylzentrum Regensdorf fand er wieder Aufnahme und helfende Menschen. Noch fehlte ihm der F-Ausweis. Erst dann konnte er Arbeit suchen, eine Wohnung finden und endlich ein normales Leben führen.
Arbeit im Kellerloch brachte Glück und Traumjob
Im Frühling 2014 musste Momo in Bern beim Migrationsamt antraben. «Es war cool, ich konnte deutsch reden, erklärte den Beamten, ich würde gerne in der Schweiz bleiben, wolle hier arbeiten.» Das Glück ist mit den Tüchtigen. Zwei Monate verstrichen, und dann erhielt der junge Mann aus Afghanistan den F-Ausweis. «Ich erfuhr es in der Kirche St. Josef am Stauffacher. Die Leute halfen mir, alles zu verstehen. Ich musste auf die Ämter und wusste nun, ich kann Arbeit suchen.
Und die fand er. Eine schlimme Arbeit sei es gewesen. Momo schaufelte einem Iraner den Keller aus. «Er nutzte mich aus, brachte mir aber Glück.» Momo lacht. Sagt: «Ich musste für 70 Franken im Tag arbeiten, dafür empfahl er mich weiter an eine Zimmerei im zürcherischen Rafz.»
Nach getaner Arbeit im dunklen Keller klappte das mit dem Jobwechsel. Der junge Mann zahlte im Asylheim fürs Zimmer und suchte ein halbes Jahr lang eine Wohnung. Sobald er sie hatte, beantragte er die B-Bewilligung, erhielt sie und konnte den Kanton wechseln. Momo zügelte nach Schaffhausen – und hatte es geschafft.
Regelmässig wohlgesinnte Menschen kennengelernt
Wer die Details von Momos Fluchtgeschichte kennt, bemerkt wiederholende Elemente. Es waren oft Menschen, die anderen Menschen gut gesinnt sind, die Momo weiterhalfen. Ihm eine Chance gaben. Und es waren vorwiegend kirchliche Organisationen und NGOs, die dem jungen Flüchtling den Hunger stillten, ihm Obdach gewährten.
Grosszügig zeigten sich ebenso die Vormieter der Wohnung in Schaffhausen. «Als ich im zügelte, besass ich nur eine Decke. Von den Vormietern konnte ich Möbel kaufen und erhielt Dinge geschenkt.» Toll. Als Momo dann erstmals in seiner kleinen Drei-Zimmer-Dachwohnung in Schaffhausen sass, war er traurig. «Ich fühlte mich ganz allein und weinte vor mich hin.» Er lacht, strahlt und sagt dann: «Sobald ich dann mit dem Kochen und Einrichten begann, wurde alles gut.»
Momo lernte Autofahren und beantragte einen Pass beim afghanischen Konsulat. Dafür musste er in Genf drei Afghanen mit afghanischen Pässen präsentieren, die bestätigen würden, er sei ein Landsmann. Auch das klappte. Momo erhielt den Pass zugeschickt.
Jetzt brauchte der junge Afghane noch ein Visum von der iranischen Botschaft und dann konnte er seine Ferienreise planen nach Teheran und Buschehr am Persischen Golf. Dort lebe eine schöne junge Frau, berichtete Momos Schwester in die Schweiz. Die wäre eine Ehefrau für ihn. Ich schmunzle. Hoppla. So geht Partnersuche im Orient.
Vater fragte: «Hältst du es ein Leben lang aus mit ihr?»
In Teheran sah Momo einen Teil seiner Familie wieder. Die Eltern, im Besitz afghanischer Pässe, reisten im Bus aus Ghazni in die iranische Hauptstadt. Und dann machte sich Momo mit der Schwester, den Eltern und einem Onkel des schönen Mädchens auf, im Bus über tausend Kilometer nach Buschehr zu fahren. «Wir kommen zufällig», habe der Onkel gesagt.
Shirin, das schöne Mädchen, servierte Tee und Momo beobachtete sie. Hingerissen sei er gewesen von ihrer Schönheit und ihrer Anmut. Scheu hätte sie ihren Blick gesenkt. Beim Mittagessen war Shirin nicht anwesend. «Wir redeten. Dann verliessen alle den Raum. Shirin wurde reingeschickt. Wir waren allein. Ich schwitzte», sagt Momo und umarmt seine Frau.
Danach wollte der Vater vom Sohn wissen, ob er es ein Leben lang mit Shirin aushalten würde. «Er sagte, ich solle nicht schüchtern sein. Er wollte wissen, ob ich noch andere Mädchen kennenlernen möchte.» Momo muss den Kopf geschüttelt haben.
Bei Shirin, damals 18 Jahre alt, sagten die Eltern, sie müsse selbst entscheiden. Shirin lächelt, sagt: Sie habe Angst gehabt und Freude. «Ich musste für mich Verantwortung übernehmen. Fragte mich: Ist Mohammad der Richtige?» Weggehen aus dem Elternhaus wäre kein Problem gewesen. Das gehöre zu ihrer Kultur. Die Schwestern wären ebenfalls ausgezogen. «Allerdings machte es mich traurig, Vaters Haus zu verlassen.»
Nach der Ring-Party allein in die Stadt
Momo legt den Arm um seine Frau. «Wir hatten wenige Tage Zeit, meine Ferien dauerten nur drei Wochen.» Die Väter sprachen tags darauf zusammen. Der eine sagte, dem Sohn habe die Tochter gefallen. Der andere meinte, die Tochter habe sich noch nicht entschieden. «Ich fühlte mich etwas bedrängt», sagt Shirin. «Vater hat gesagt: Jetzt musst du ja oder nein sagen.»
Sie sagte ja, und die so wichtige Ring-Party konnte steigen. «Danach darf man bei einem Mullah ein Papier kaufen und gilt als Ehepaar.» Das ist wichtig. Mit diesem Papier konnten die Frischverliebten ohne Begleitung in die Stadt. «Wir durften offiziell Händchen halten.» Momo lacht und küsst seine Frau.
Zurück in der Schweiz beantragte Momo ein Visum für den Familien-Nachzug. Da galt es eine Menge Dokumente aufzutreiben. Der junge Mann lacht. Sagt: «Ich musste nachweisen, dass ich seit mindestens sechs Monaten arbeiten würde. Zudem verlangte die Behörde einen Betreibungsausweis, einen Wohnsitznachweis, den Auszug aus dem Strafregister, Referenzschreiben der Asylheime.» Momo liess sich auf der Gemeinde beraten und brachte dann alle Dokumente vorbei. Für Shirin hiess es, im Iran und in Afghanistan dasselbe zu tun. Ihre Dokumente musste sie dann alle übersetzen lassen. Das dauerte. Glücklicherweise konnte Momo seine Ferien mehrmals verschieben. «Ich habe einen guten Chef», sagt Momo.
Freud und Leid sind ständige Begleiter
Im Dezember 2014, kurz vor Weihnachten, erhielten die Turteltäubchen das ersehnte Visum. Momo kaufte die Flugtickets und flog in den Iran. In Bushehr sollte am Mittwoch, 17. Dezember 2014 das grosse Hochzeitsfest steigen. Nicht in einer Halle wie das so üblich ist, sondern in Shirins Elternhaus. Geladen waren 200 bis 300 Leute.
Am Dienstag, 13. Januar 2015 wars dann so weit: Momo flog mit seiner Frau Shirin zurück in die Schweiz. Die beiden haben es geschafft. Momo arbeitet in der Zimmerei. An der Klubschule belegt er einen Deutschkurs, und die Prüfung als Gabelstaplerfahrer hat er bestanden. Shirin arbeitet im Altersheim. Sie bildet sich nach bestandener Lehrabschlussprüfung zur Pflegefachfrau HF weiter. Beide dürfen sie Auto fahren.
In der Heimat bangen Angehörige um ihr Leben
Trotz aller Freude über die erreichten Ziele, mischt sich Traurigkeit in die fröhliche Stimmung. Angehörige und Geschwister unserer afghanischen Freunde leben in Kabul, Herat und Ghazni. Sie müssen sich mit der Taliban-Herrschaft arrangieren. Hört Momo von Fluchtplänen, rät er ab. «Ich hatte grosses Glück», sagt er dann. «Ich hätte ebenso sterben können.»
Text: Martin Schuppli, Fotos: Ueli Hiltpold
Eine Antwort auf „Momos Flucht aus Afghanistan dauerte 14 Jahre: «Ich weinte oft»“
Sehr schöner Bericht, danke und Gratulation an Martin Schuppli.