Die Erbrechtsrevision Schweiz: Was ändert sich für Hilfswerke?

Die Schweiz erhielt per 2023 ein neues Erbrecht. Was sich dabei ändert und was Hilfswerke beachten müssen, erfahren Sie hier.

Seit wann gilt das revidierte Erbrecht?

Die Erbrechtsrevision Schweiz ist per 1. Januar 2023 in Kraft getreten.

Was ändert sich?

  • Reduktion der Pflichtteile der Nachkommen (neu ½ statt ¾ des gesetzlichen Erbteils)
  • Wegfall des Pflichtteilschutzes der Eltern (vorher ½ des gesetzlichen Erbteils)
  • Grössere Gestaltungsmöglichkeiten für Erblasser:innen aufgrund der verringerten Pflichtteile (Begünstigung Dritter wird bedeutend einfacher, was wohltätigen Organisationen zugute kommt)
  • Verlust des Pflichtteilsschutzes im Scheidungsverfahren der Ehegatten (neu ab Rechtshängigkeit statt erst im Urteilszeitpunkt)
  • Pflichtteile für geschiedene Ehegatten werden bereits bei der Anhängigkeit des Scheidungsverfahrens aufgehoben (früher erst bei vollzogener Scheidung)
  • Flexiblere Regelung der Unternehmensnachfolge aufgrund der Reduktion der Pflichtteile
  • Der/die Erblasser:in darf das Vermögen ab 2023 nicht mehr durch Schenkungen oder Spenden verkleinern, sofern in einem Erbvertrag über das gesamte Vermögen verfügt wurde. Das Schenkungsverbot im Erbvertrag kann mit Zustimmung aller Vertragsparteien explizit aufgehoben werden.

Was muss ich als Testator wissen?

Mit dem neuen Erbrecht steht Ihnen als Erblasser eine höhere freie Quote zur Verfügung.

Beispiel:
Erblasser Alfred hinterlässt seine Ehefrau Brigitte und zwei Kinder Clara und Daniel.
Nach dem alten Pflichtteilsrecht hatte die Ehefrau Brigitte Anspruch auf ½ * ½ = ¼ des Nachlasses.
Die Pflichtteile der beiden Kinder Clara und Daniel betrugen je ¼ * ¾ = 3/16.
Die verfügbare Quote betrug somit 1 – ¼ – 3/16 – 3/16 = ⅜ .

Mit der Erbrechtsrevision bleibt der Pflichtteil der Ehefrau Brigitte gleich, während diejenigen der Kinder Clara und Daniel auf ¼ * ½ = ⅛ sinken.
Dadurch steigt die frei verfügbare Quote auf 1 – ¼ – ⅛ – ⅛ = ½.

Reduktion der Pflichtteile

Durch die geringeren Pflichtteile erhöht sich das Potential für gemeinnützige Organisationen. Geneigte Spender:innen können neu mehr an Hilfswerke vererben.

  • Der Pflichtteil für Nachkommen wird von drei Vierteln auf die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs gesenkt.
  • Der Pflichtteil für Eltern fällt gänzlich weg.

Durch die Reduktion der Pflichtteile erhalten Erblasser:innen mehr Entscheidungsfreiheit. Die verfügbare freie Quote erhöht sich somit.

So können Erblasser:innen z.B. Lebenspartner:innen oder Stiefkinder ohne gesetzlichen Erbanspruch grosszügiger bedenken sowie gemeinnützigen Organisationen mehr zukommen lassen.

Muss ich ein neues Testament erstellen?

Das Verfassen eines neuen Testament ist durch die Erbrechtsrevision nicht zwingend. Insbesondere wenn keine Pflichtteile von ¾ an die Nachkommen vorgesehen sind und Sie keine:n Lebenspartner:in begünstigen, bleibt das meiste gleich.

Wenn Sie Ihr altes Testament ohne grossen Aufwand aktualisieren wollen, können Sie dies mit einem handschriftlichen Zusatz dieser Art machen:

Sollte sich die im Zeitpunkt der Erstellung dieses Testaments geltende freie Quote durch das in der Zwischenzeit in Kraft getretene neue Erbrecht erhöht haben, soll die zusätzlich frei gewordene Quote der Erbin/dem Erben XY zukommen. Den pflichtteilsgeschützen Erben soll lediglich der neu geltende Pflichtteil zukommen.
Ort, Datum und Unterschrift

Wir empfehlen Ihnen jedoch, nun die Gelegenheit zu nutzen. Prüfen Sie Ihr Testament und lassen Sie Ihre Nachlassplanung durch eine Fachperson analysieren. Dies macht nicht nur wegen Änderungen der gesetzlichen Lage Sinn. Es ist auch möglich, dass sich Ihre familiären und sozialen Beziehungen in der Zwischenzeit geändert haben. Oder Sie möchten eine wohltätigen Organisation mehr bedenken. Wenn Sie im Testament Kinder oder Eltern berücksichtigt haben, empfehlen wir in jedem Fall zu prüfen, ob die vorgesehene Verteilung der Erbschaft mit den geänderten Pflichtteilen kompatibel ist.

Ihr Testament können Sie online mit dem DeinAdieu Testamentgenerator erstellen.

Sind alte Testamente nun ungültig?

Testamente, welche gemäss dem alten Erbrecht verfasst wurden, bleiben weiterhin gültig. Wenn Sie in Ihrem Testament keine Quoten nennen und Erben «auf den Pflichtteil gesetzt haben», gelten grundsätzlich automatisch die neuen Pflichtteile.

Welche Auswirkungen hat die Erbrechtsrevision auf Erbverträge?

Wie bereits im Hinblick auf bestehende Testamente erwähnt, sollten auch bestehende Erbverträge überprüft werden, um Unklarheiten zu vermeiden. Dies insbesondere, wenn Umstände darauf schliessen lassen, dass die Vertragsparteien unter revidiertem Recht etwas anderes vereinbart hätten als sie es unter altem Recht taten. Nach Rücksprache mit allen Vertragsparteien und deren Zustimmung kann durch eine Anpassung des Erbvertrages Unklarheiten vorgebeugt werden.

Zudem ist auf das neu eingeführte Schenkungsverbot bei Erbverträgen hinzuweisen. Hat die Erblasser:in in einem Erbvertrag über das gesamte Vermögen verfügt, darf sie ihr Vermögen grundsätzlich nicht mehr freiwillig verkleinern. Dies bedeutet, dass das Vermögen nicht verschenkt oder gespendet werden darf. Das Schenkungsverbot gilt auch für Erbverträge, welche vor Inkrafttreten der Erbrechtsrevision am 1. Januar 2023 abgeschlossen wurden. Wenn im Erbvertrag explizit vereinbart wird, dass der Erblasser weiterhin Schenkungen/Spenden ausrichten kann, gilt das Schenkungsverbot nicht. Bei bestehenden Erbverträgen braucht es eine Vertragsanpassung, bei welcher alle Vertragsparteien zustimmen müssen.

Was ist für mich als Fundraiser:in relevant?

  • Durch die Erhöhung der freien Quote wird das Potential der Erbmasse/Legate für gemeinnützige Organisationen grösser.
  • Die Erbrechtsrevision ist ein wichtiger Ankerpunkt Ihrer Kommunikation. Nutzen Sie diesen, um Ihre Spender:innen zu informieren. Dies betrifft vor allem ältere Spender:innen.
  • Prüfen Sie die Informationen auf Ihrer Webseite, in Ihren Broschüren und internen Dokumenten.
  • Nutzen Sie die Gelegenheit, potentielle Gönner:innen – und insbesondere «Pledger» – darauf aufmerksam zu machen, dass diese ihr Testament aktualisieren sollen. Insbesondere wenn die «alten» Pflichtteile im Testament enthalten waren. Eine periodische Überprüfung des Testaments wird ohnehin empfohlen.

Detaillierte Informationen zur Erbrechtsrevision finden Sie in diesem Beitrag: https://www.deinadieu.ch/ratgeber/erbrechtsrevision-was-aendert-sich/

Profi-Tipp

«Ich empfehle generell, nun die Gelegenheit beim Schopf zu packen und sich umfassend mit der eigenen Nachlassplanung zu beschäftigen. Die seit langer Zeit überfällige Erbrechtsrevision eröffnet breiten Teilen der Bevölkerung erstmals die geradezu historische Chance, von einer grösseren Freiheit betreffend die Gestaltung des eigenen Nachlasses zu profitieren.»

Rechtsanwalt Fabian Füllemann, Fricker Füllemann Rechtsanwälte