Damals, im Gespräch über Leben und Sterben, tauchte das Thema Organspende auf. «Darüber würde ich gerne einmal reden», sagte der in Bern lebende 70-Jährige. «Ich möchte der anderen Seite, den Zweifelnden, Gehör verschaffen. Möchte kritische Gedanken äussern, eine andere Sichtweise aufzeigen.»
Das lässt sich ein Journalist nicht entgehen, zumal Gabriel Looser weder missionarisch ist, noch von sich behauptet, die alleinige Wahrheit zu kennen. Im Gegenteil. «Ich sage es so: Wir beide schauen einen Blumenstrauss an. Sie finden, die blaue Lilie sei die Krönung der Schöpfung. Für mich aber ist die rote Rose die Königin aller Blumen. Sie akzeptieren meine Ansicht, ich lasse Ihnen die Ihre. Wir wollen einander nicht ‹bekehren›, sondern voneinander lernen. So soll die Geschichte über Organspende enden. Ich würde gerne meine Meinung äussern, damit der Leser, die Leserin entscheiden kann, wie sie handeln soll. Ob sie einen Organspende- oder einen Antispende-Ausweis auf sich tragen soll oder in der Patientenverfügung festhalten möchte, dass sie weder Organe spenden, noch Organe erhalten möchte.»
Bevor nun Gabriel Looser zu Wort kommen soll, gilt es festzuhalten, dass der Autor sich schon einige Male mit der Organspende auseinandergesetzt hat. Für Swisstransplant und DeinAdieu entstanden Geschichten, beispielsweise mit Ivan Skrbec. Der junge Mann lebt seit 15. Dezember 2010 mit einer neuen Lunge und studiert Medizin. «Ohne gespendetes Organ wäre ich tot», sagte er. Gespräche mit Franz Immer, Direktor Swisstransplant, und Markus Béchir, Intensivmediziner am Paraplegikerzentrum in Nottwil LU, bestärkten den Autor, einen Organspenderausweis auf sich zu tragen. Die Meinung war klar: «Es ist ein Akt der Menschlichkeit, meine Organe zu spenden, wenn ich tot bin.»
Wann ist der Mensch tot?
Hier beginnt nun das Gespräch. «Wann ist der Mensch tot?», fragt Gabriel Looser den Autor. Die Antwort folgt als Gegenfrage: «Ist es, wenn die Organe versagt haben, das Herz nicht mehr schlägt – so wie der Tod über Jahrtausende definiert wurde?» «In so einem Fall», sagt Gabriel Looser, «kann niemand mehr etwas anfangen mit den Organen, da die wichtigsten von ihnen nach dem Herzstillstand sehr rasch zu verfallen beginnen.» Der studierte Theologe und langjährige Sterbeforscher erklärt weiter: «Explantationsmediziner entnehmen Organe nur einem Körper, dessen Grundfunktionen noch im Gange sind, unter Umständen mit maschineller Unterstützung, vor allem bei der Atmung. Ein Körper also, dessen Organe noch durchblutet sind. Das Einzige, was für sie tot sein muss, ist das Hirn.»
Stimmt. Intensivmediziner Markus Béchir sagte in einem Gespräch mit deinAdieu: «Ist das Hirn zerstört, gibts keine Hoffnung mehr.» Er erklärte, wenn jemand notfallmässig ins Spital und auf die Intensivstation eingeliefert wird, ist der Zustand des Hirns entscheidend. Ist es schwerst beschädigt oder wird es von den Spezialisten als tot erklärt, machen in der Regel alle Bemühungen, den Patienten, die Patientin am Leben zu erhalten, keinen Sinn mehr.
Gabriel Looser schrieb 2008 ein mittlerweile vergriffenes Buch. «Was in uns nicht stirbt – Erfahrungen der Unsterblichkeit». Dort widmet er einige Seiten der Organspende und der Transplantation, resp. der Explantation, also der Organentnahme.
Probleme im Blick auf die Organentnahme
«Meiner Meinung nach sind Hirntote Sterbende und keine Toten», sagt er. «Und weil sie nicht tot sind, kehren einige wieder vollständig ins Leben zurück. Auch in der Schweiz. Und zwar nicht nur als schwerst pflegebedürftige Behinderte, sondern als kompetente Berufsleute, Autoren usw.» Aber davon lesen und hören wir nichts. Der Hirntod werde seriös untersucht, sagen die Spezialisten, es könne nicht möglich sein, dass jemand nicht wirklich tot ist – für viele Schulmediziner heute ein unfehlbares Dogma.
Aber es ist möglich. Scheinbar Tote leben wieder auf: Gabriel Looser erwähnt im Gespräch und in seinem Buch einige Beispiele. Etwa die Geschichte des Holländers Jan Kerkhoffs, Kaufmann in leitender Funktion. Er fiel, 57-jährig, nach einer Operation ins Koma, wurde als «hirntot» diagnostiziert. Als seine Frau die Einwilligung zur Organspende verweigerte, stellten die Ärzte alle Geräte ab. Jan Kerkhoffs sollte sterben dürfen – doch er überlebte und genas vollständig. Später schrieb er ein Buch über seine Erfahrungen als «Hirntoter» und war auf entsprechenden Podien etwa in Deutschland ein gefragter Referent. Nicht ohne ein ironisches Schmunzeln erzählte er bei einer solchen Veranstaltung vom ungläubigen Erstaunen der Ärzte, die sich nun um die Genesung eines Kranken bemühen mussten, und darin erfolgreich sein würden. Einem genesenden Kranken, der kurz zuvor schon einmal tot gewesen war.
«Ein Beispiel unter vielen», sagt Gabriel Looser. «Überlebende berichten, dass sie die Tests, die den Hirntod feststellen sollten, als extrem schmerzhaft empfanden, sie aber ausserstande waren, in irgendeiner Weise zu reagieren oder sich bemerkbar zu machen.»
Offensichtlich ist es auch äusserst schmerzhaft, wenn der sterbende, mithin noch lebende, Körper mit dem vermeintlich toten Hirn, «aufgeschnitten» wird. «Man weiss, dass der Blutdruck dann enorm ansteigt, die Herzfrequenz sich massiv erhöht und das Hirn grosse Mengen Adrenalin ausschüttet. Das sind alles Anzeichen dafür, dass der Körper sich in grösster Gefahr befindet», sagt Gabriel Looser. Er berichtet von Menschen, die Abwehrbewegungen gegen die Explantation machen, indem sie spontan ihre Arme bewegen. Besonders berührend sei, wenn sie die Umstehenden umarmen. Dieses so genannte Lazarussyndrom erklären Fachleute als «spinalen Reflex», also als Reflex aus dem Rückenmark. Ähnlich den Zuckungen des vegetativen Nervensystems. Hier stellt Gabriel Looser die kritische Frage, «ob denn ein Körper, der sich bewegt, wenn auch ‹bloss› reflexhaft, tatsächlich als tot angesehen werden kann.»
Zu kritischen Fragen Anlass gibt auch die Tatsache, dass Hirntote vor der Explantation angeschnallt werden oder eine Vollnarkose erhalten. Diese letzte Massnahme ist in der Schweiz sogar vorgeschrieben, in Deutschland empfohlen.
Ein nachdenkliches Schweigen macht sich breit in der lichtdurchfluteten Dachstube hoch über der Berner Altstadt. Betroffen schauen sich Fotografin Daniela Friedli und der Autor an.
Wird ein Teil der Seele «mittransplantiert»?
Gabriel Looser erzählt weiter. «Oft werde ich gefragt, ob mit dem Organ nicht auch ein Teil der Seele mittransplantiert werde. So möchte ich es nicht verstehen. Das ist für mich ein zu materialistisches Seelenkonzept. Für mich ist die Seele ein geistiges Prinzip, das nicht zerstückelt werden kann.»
Für sein Verständnis prägte Gabriel Looser ein anderes Bild: «Die Seele ist das Individuationsprinzip des Menschen. Als solches drückt sie sozusagen jedem Organ ihres Körpers ihren Stempel auf. Und ein Organ mit dem Stempel der Seele X passt nun einmal nicht in den Körper, der von der Seele Y geprägt ist.Auf der Ebene des Körpers drückt sich das aus in der Abstossung des fremden Organs durch den Empfänger-Körper. Das ist die Abwehrreaktion des Immunsystems gegen das fremde Organ. Deshalb muss dieses lebenslang mithilfe starker Medikamente unterdrückt werden.»
Lahmgelegtes Immunsystem ist anfällig
«Durch diese Lahmlegung des Immunsystems wird der Körper auch anfälliger für alle Arten von Infekten», sagt Gabriel Looser. «Die müssen dann mit hohen Dosen von Antibiotika bekämpft werden. Untersuchungen ergaben im Weiteren, dass Organ-Empfänger ein signifikant höheres Krebs-Risiko haben – auch hier versagt das Immunsystem.»
Zudem sind diese Immunsuppressiva sehr teuer und lassen die Kassen der Hersteller klimpern.
Auf ein weiteres, grundsätzlich verschwiegenes Problem macht er aufmerksam. Er beruft sich dabei auf Artikel und Beiträge in absolut seriösen und anerkannten Fachzeitschriften und erwähnt Patienten, die nach der Organtransplantation durch neue Charakterzüge auffielen. «Ein Achtjähriger, vor der Operation eine Wasserratte, entpuppte sich nach der Herztransplantation als wasserscheu. Nachforschungen ergaben, dass er das Herz eines ertrunkenen Mädchens erhalten hatte. Oder die wundersame Veränderung eines 25-Jährigen, der sich nach der Herztransplantation plötzlich für Kunst, ganz besonders für Landschaftsgemälde interessierte. Die Spenderin seines lebensrettenden Organs war eine 24-jährige Landschaftsmalerin.» Clou der Geschichte: Die Verlobte des Wiedergenesenen fügte an, ihr Partner sei seither der viel bessere Liebhaber, wolle ständig schmusen.
Empfängerin mit Herz einer Ermordeten litt
Eindrücklich die Geschichte einer Achtjährigen mit schwerem Herzfehler. Sie hatte keine Chance, wäre ohne Transplantation gestorben. Nach dem Eingriff war auf körperlicher Ebene alles ok. Aber von nun an, plagten Angstträume das Mädchen, es litt unter Verfolgungs- und, Ermordungsängsten. Kein Wunder, ihr neues Herz gehörte einer 13-Jährigen, die ermordet wurde.
Solche Recherchen sind in der Schweiz nicht möglich, hier erfährt niemand, wer Spender ist und wer Empfänger. In Amerika hingegen sind diese Diskretions-Regeln viel lockerer. Von dort weiss man, dass bisherige Vegetarier mit dem neuen Organ zu Fleischessern werden oder einst friedliche Zeitgenossen plötzlich aggressiv reagieren können.
Es sind spannende Geschichten, die einen nachdenklich stimmen.
Ist alles machbar? – oder vom Sinn des Sterbens
Nachdenklich stimmen auch die Worte aus dem Buch von Gabriel Looser unter dem Zwischentitel: «Die Mentalität des Machbaren». Gabriel Looser schreibt: «Meine rote Rose versteht den Sterbeprozess als Auflösung der Einheit von Körper und Seele. Die Seele, der Geist, verlässt die körperliche Hülle. Dieser Vorgang vollzieht sich, wir sahen es, wenn der göttliche Kern tief in uns das grosse Ja gesprochen hat. Das Ja zum Sterben. Dieser Prozess der Herauslösung ist so intensiv, so bedeutsam, so heilig, dass die Frage berechtigt ist, ob die Erhaltung und Verlängerung des physischen Lebens, ob die Aufrechterhaltung dieser leib-seelischen Einheit der höchste Wert ist, der in jedem Fall und mit allen Mitteln anzustreben ist, notfalls mithilfe einer Transplantation.»
Für Gabriel Looser «ist der heutige Transplantationseifer eine direkte Folge der gigantischen Todesverdrängung unserer gegenwärtigen Kultur.» Weiter schreibt er in seinem Buch: «Wenn jedesmal, wenn aus medizinischer Sicht eine Transplantation in Erwägung gezogen wird, mit ebensolchem Eifer über Sinn und Bedeutung des Lebens und des Sterbens diskutiert und nachgedacht würde, verlöre die Transplantationsproblematik erheblich an Druck.»
Eines noch möchte Gabriel Looser seinen kritischen Worten über Organtransplantation hinzufügen. Wie gesagt, akzeptiert er die Meinung, dass der eine die blaue Lilie als schönste Blume bezeichnet und der andere die rote Rose als prächtigstes Gewächs auf Gottes Erde.
So gibt er zum Abschluss zu bedenken: «Wir haben jetzt lange über die Organtransplantation nachgedacht und Aspekte kennen gelernt, die vielen bisher unbekannt waren. Und manch eine Leserin, ein Leser neigt nun vielleicht spontan dazu, diese Art von Therapie abzulehnen. Das ist gewiss eine mögliche und durchaus begründete und menschenfreundliche Haltung – sie erspart viel Leid für die ‹Hirntoten›. Vor der endgültigen Entscheidung bitte ich aber zu bedenken: Wenn nun Ihr Kind oder Ihr Enkel so schwer erkrankt, dass einzig noch eine Transplantation wieder Hoffnung auf ein besseres Leben geben kann – wie würden Sie dann entscheiden?»
Dieser Schlusssatz stimmt versöhnlich. Es ist der Satz eines Mannes, der die Menschen liebt.
Text: Martin Schuppli, Foto: Daniela Friedli
Das sagt der Dalai Lama zur Organspende
Das geistige Oberhaupt der Tibeter befürwortet die Organspende. In einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen beantwortete seine Heiligkeit die Frage, ob man seinen Körper nach dem Tod für die Organspende zur Verfügung stellen solle, folgendermassen: «Klar, den Körper einfach zu verbrennen ist doch Verschwendung.
5 Antworten auf „Organspende: Hirntote sind für Gabriel Looser Sterbende und keine Toten“
Macht eim nachdänklich…
Noch nie habe ich das von dieser Seite angeschaut, macht betroffen und nachdenklich, und eine Entscheidung für die Organspende nicht einfacher
Als ganzheitliche Bestatterin, mit 17 Jahren Erfahrung mit Verstorbenen, bin ich davon überzeugt, dass das «Totwerden» genauso ein individueller Prozess ist wie das Sterben. Nur weil ein Arzt den Hirntod, den Hirnstammtod oder den Herztod feststellt, hört dieser Prozess doch nicht auf, weder der körperliche, noch der seelische! Da bin ich mir ganz sicher.
Wann ist ein Mensch tot, oder anders gefragt: wie fest tot ist ein Mensch, wenn Organe entnommen werden? Diese Frage sollte öffentlich und vielseitig diskutiert werden. Darauf warte ich schon lange. Wir degradieren Verstorbene grundsätzlich rasch zu reinem Material und so geht unsere Gesellschaft auch mit Verstorbenen um. Generell fordere ich wieder vermehrt Respekt, Würde und Ehrerbietung gegenüber dem toten Körper!
Macht die Entscheidung wirklich nicht einfacher… Danke für den Denkanstoss.
Herzlichsten Dank für dieses wundervolle Votum! Genau sollte es sein; doch wir sehen jetzt bei dieser Pandemie, dass der Tod total verdrängt wird. Der Glaube an „eine höhere Macht“ ist verloren gegangen. Früher war für die Meisten das Ziel, nach dem Tod ins „Paradies“ zu kommen. Doch heute will niemand mehr sterben… obwohl das Einzige das uns am Tage unserer Geburt garantiert werden kann die Tatsache ist, dass wir eines Tages sterben werden. Und das sollte in Würde geschehen dürfen!