Dr. Immer, Organspenden entscheiden über Leben und Tod. Bereitet Ihnen das schlaflose Nächte?
Franz Immer: Schlaflose Nächte hatte ich viele. Die Zahl der Spender ist in den vergangenen Jahren um ein Drittel gestiegen. Deshalb verbrachte ich automatisch viele Nächte vor dem Computer und am Telefon. Für mein Team versuche ich, rund um die Uhr erreichbar zu sein. Zudem stehe ich als medizinischer Verantwortlicher selber an rund 280 Tagen im Dienst.
Dann sind Sie mit vielen Schicksalen konfrontiert.
Franz Immer: Ja, mit Fällen, die mich als Mediziner, aber auch als Menschen beschäftigen. Da sind die Schicksale der Spender, die Entscheide der Angehörigen, aber auch der Wettlauf mit der Zeit für Empfänger auf der Warteliste.
Was war Ihr schönstes Erlebnis als Direktor von Swisstransplant im vergangenen Jahr?
Franz Immer: Da gibt es unzählige. Mit meinem topmotivierten und unseren Expertengruppen bewegten wir sehr viel. Wir haben die Situation für die Kinder auf der Warteliste nachhaltig verbessern können und schufen die Basis für eine exzellente Zusammenarbeit mit Intensivmedizinern sowie Transplantationschirurgen.
Die Zahlen entwickeln sich positiv. Vieles ist neu: die Struktur der Stiftung, der Internetauftritt und auch das Transplantationsgesetz. Greifen die Veränderungen?
Franz Immer: Ja. Das Wichtigste am Ganzen ist die gegenseitige Wertschätzung unter allen Beteiligten. Was wir realisieren, machen wir gemeinsam. Wir ziehen am selben Strick. Versuchen Spender und deren Angehörige bestmöglich zu betreuen. Wir informieren vollumfänglich und offen, respektieren und vertrauen uns gegenseitig.
Nochmals zu den Zahlen …
Franz Immer: … die entwickeln sich positiv. Von 117 im vorletzten Jahr auf 143 Spender und Spenderinnen im vergangenen Jahr. Erstmals konnten wir mehr als 550 Organe zuteilen. Gut zwei Drittel davon sind Nieren. Ein Segen für Menschen an der Dialyse, die zum Teil mehr als drei Jahre auf ein Organ warten mussten.
Wie viele Organe hätten Sie mindestens gebraucht?
Franz Immer: Schwierige Frage. Auf den Wartelisten sind auch Patienten, die nicht transplantabel sind. Entweder sind sie zu krank oder es müssten Zusatzabklärungen durchgeführt werden. Volumenmässig äusserst wichtig wären Nieren. Sieht man jedoch die Menschen auf der Warteliste, so ist der grösste Bedarf bei Lebern, Lungen und Herzen. Denn diese Patienten sterben, wenn wir nicht rechtzeitig ein passendes Organ für sie finden.
Die Organfunktionen toter Spender werden künstlich aufrechterhalten. Wie lange kann das dauern?
Franz Immer: Je nachdem wie «stabil» der Spender ist, kann diese Phase mehrere Stunden, ja Tage dauern. Höchstens 72 Stunden. Maschinen und das professionelle Management der Intensivmediziner und -pflegenden ermöglicht es, die Organfunktionen des Verstorbenen zu erhalten. Ein Hirntod kann zahlreiche Sekundäreffekte nach sich ziehen. Und die zu beherrschen ist mitunter schwierig und äusserst anspruchsvoll.
Was sind Gründe, keine Organe zu spenden?
Franz Immer: Viele Leute haben Angst, als Organspender würden sie nicht gleich gut behandelt im Spital.
Man liesse sie also früher sterben …
Franz Immer: Genau. Sie haben Angst, Ärzte und Pflegende würden nicht das Maximum unternehmen.
Gibts noch andere Gründe?
Franz Immer: Leute sagen: «Ich habe gesund und bewusst gelebt. Trug Sorge zu meinen Organen und nun bekommt sie jemand, der sein Leben lang Raubbau betrieben hat.» Ein weiteres Argument: Viele wissen nicht, dass Menschen bis ins hohe Alter Organe spenden können. Vergangenes Jahr war unser ältester Spender 86 Jahre alt.
Oft hört man auch von einem Unbehagen.
Franz Immer: Stimmt. Diese Leute wissen nicht, welches Prozedere beginnt, wenn einem nach dem Hirntod dringend benötigte Organe entnommen werden.
Die sehr gute Kampagne des Bundes hat also zu wenig informiert?
Franz Immer: Sie wird jetzt auf Herbst 2016 neu angepasst. In einer repräsentativen Umfrage im Frühling 2015 durften wird feststellen, dass über 80 Prozent der Bevölkerung bereit wäre, Organe zu spenden. Nur knapp 50 Prozent haben sich entschieden und nur gerade knapp die Hälfte von ihnen haben ihren Entscheid den Angehörigen mitgeteilt. Da gibt es viel zu verbessern.
Besteht die Gefahr, dass Intensivmediziner einen Sterbenden schneller für hirntot erklären, weil Swisstransplant für seine Organe einen Patienten weiss, der dringend darauf angewiesen ist?
Franz Immer: Nein, auf gar keinen Fall. Uns avisiert man erst offiziell, wenn der Hirntod bestätigt wurde, die im Sinne des Verstorbenen einer Organentnahme zustimmen. Die Protokolle und Vorschriften sind sehr klar und werden von allen Intensivstationen angewendet. Das Bestreben ist primär, Menschenleben zu retten, Lebensqualität zurückzugeben.
Zu welchem Zeitpunkt müssten Angehörige darauf angesprochen werden, ob die dem Tod geweihten Betroffenen auch Organspender sind?
Franz Immer: In aussichtslosen Situationen auf Intensivstationen wird diese Frage an Angehörige herangetragen. Es sind Kaderärzte, die diese Gespräche führen. Sie sind Spezialisten, die jeden Tag Angehörige über Prognose und weiteres Vorgehen informieren. Wichtig ist, dass die Frage nach der Organspende zeitlich abgesetzt ist von der Nachricht über den Tod des Patienten. Die Angehörigen müssen die schlechte Neuigkeit zuerst verstehen, begreifen können. Erst danach stellen wir die Fragen nach dem «wie weiter».
Diese Gespräche verlangen viel Einfühlungsvermögen. Wo holen die Intensivmediziner ihre Motivation?
Franz Immer: Es ist Teil ihrer ärztlichen Pflicht und gehört zu ihren Aufgaben. Natürlich braucht es viel Einfühlungsvermögen. So ein Gespräch benötigt Zeit, Geduld und Offenheit. Und es bindet sehr viele Ressourcen auf Intensivstationen. Aber es ist eine äusserst wichtige Tätigkeit für die Familie des Verstorbenen, für die Medizin, für die Empfänger der Organe.
Eine selbstlose Tätigkeit?
Franz Immer: Ja. Solche Gespräche bringen weder Ruhm noch Ehre, auch keine finanzielle Entschädigung. Im Gegenteil: Der Kaderarzt kann sich in dieser Zeit nicht um andere Patienten kümmern. Er macht vielleicht Überstunden, und bis vor kurzem gabs dafür von offizieller Seite her oft nicht mal ein «Merci». Das hat sich mit meinem Amtsantritt geändert. Die Zusammenarbeit, die gegenseitige Wertschätzung ist in diesem Kontext von grösster Bedeutung.
Interview: Martin Schuppli
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Eine Antwort auf „Organspende: Dr. Franz Immer über die Lebensqualität von Transplantierten“
Ein unglaublich sympathischer Mensch der Franz Immer. Dem würde ich sofort mein Herz schenken. Also nicht ihm, aber der swisstransplant. Somit oute ich mich als Organspender.