Die Abmachung war klar. Wir trafen uns zum Gespräch und zum Fototermin. Die Polizistin, der Polizist, sie bleiben anonym, ihre Namen sind verändert. Dein-Adieu-Autor Martin Schuppli kennt beide gut. Ebenso den Polizeipsychologen Horst Hablitz.
Uniformierte Kantonspolizisten, Kantonspolizistinnen tragen eine Waffe. Die ist geladen. Die Polizisten lernen, damit zu schiessen und trainieren den Gebrauch regelmässig. Erfordert es die Situation, müssen sie schneller ziehen als der Täter. Dann ist nicht denken angesagt, sondern handeln.
«Wir drillen die Waffe-ziehen-Choreographie»
«Waffe ziehen, ‹Halt-Polizei›-Schreien und so den Täter stoppen, das ist eine Choreographie, die wir mit eigentlichem Drill einstudieren», sagt Horst Hablitz. «Dieser Ablauf muss in Sekundenbruchteilen geschehen. Viele angehende Polizistinnen, Polizisten müssen zuerst schreien lernen.»
Das Waffentragen und die Konsequenzen daraus sind bereits in frühester Ausbildungsphase, respektive bei der Rekrutierung ein Thema. «Wenn ich die angehenden Beamten, Beamtinnen frage, ‹Wie ist das für Sie, wenn Sie eine Waffe tragen, diese ziehen und dann schiessen müssen, jemanden töten könnten?›. Antwortet mir dann so ein gestählter Kerl ‹Easy peasy, den putz’ ich locker weg›, läuten bei mir die Alarmglocken. Lieber ist mir eine junge Frau, die sagt, ‹Das weiss ich eigentlich nicht. Allerdings redete ich mit verschiedenen Leuten darüber und mittlerweile bin ich überzeugt, ich kann den Umgang mit der Dienstwaffe lernen›.»
Die Dienstwaffe ist Teil des Berufs
Mit der Dienstwaffe, einer HK P30, kann man töten. Logisch. Wie gehen erfahrene Polizisten wie Sarah N. und Lucca M. damit um? Er ist seit über 20 Jahren im Polizeidienst, versieht Führungsaufgaben, gehört zum Kader. Sie feiert demnächst das siebenjährige Dienstjubiläum, beginnt im Herbst eine Weiterbildung.
«Die Waffe gehört zum Beruf», sagt Lucca M. «Sie ist Teil unserer Ausrüstung. Die Pistole ist ständig geladen und in erster Linie dazu da, uns zu verteidigen.» Eingesetzt wird sie primär in Notwehrsituationen oder wenn Notwehrhilfe nötig ist. Wenn also ein Kollege, eine Kollegin in Gefahr wäre. Oder aber, um nach einem schweren Verbrechen die Flucht eines Täters, einer Täterin zu verhindern.
Waffe ziehen gehört zum «Geschäft»
Ja, diese Waffe kann töten. Logisch. In Momenten der Gefahr muss, wie erwähnt, die eingeübte Choreographie ablaufen. Der Autor ist neugierig. Musstet ihr schon einmal auf einen Menschen schiessen? Beide schütteln den Kopf. Das musste also noch keiner der Gesprächsteilnehmer. Die Waffe gezogen haben beide schon mehrfach.
Horst Hablitz kann mehr darüber erzählen. Er kennt einen Beamten aus einem anderen Kanton, der die Waffe zog und abdrückte. «Mein Bekannter war überzeugt, der Autodieb hielte eine Pistole in der Hand und ziele auf ihn. Da schoss er. Glaubte, in Notwehr zu handeln. Der Täter, ein nachgewiesen böser Junge, Mitglied einer Autoschieber-Bande, war unbewaffnet, die vermeintliche Drohgebärde keine Gefährdung des Lebens. Der Schuss verletzte das Opfer tödlich. In zwei Verfahren wurde der Polizist verurteilt, erhielt zwei Jahre bedingt und musste die Hälfte der Prozesskosten übernehmen.»
Polizisten müssen sich abgrenzen können
An dieser Stelle könnte eine lange Diskussion einsetzen über Recht und Gerechtigkeit. Dem Verurteilten bereitete die «Tat» grosse Probleme. Es tat ihm leid, einen Menschen getötet zu haben. Trotzdem blieb er bei seiner Meinung, er habe richtig gehandelt. Davon ist Horst Hablitz ebenfalls überzeugt. Schweigen breitet sich aus. Frust macht sich breit und lähmt kurz das Gespräch.
Ist Polizeiarbeit ein Frust? Polizisten, Polizistinnen können machen, was sie wollen, irgendjemand motzt, pöbelt, ist saufrech, beleidigt einen. «Wie gehen Sie damit um?», fragt der Autor. Lucca M. antwortet mit nur einem Wort: «Abgrenzung.» Polizeipsychologe Horst Hablitz nickt. «Das müssen unsere Polizistinnen, Polizisten können. Sich abgrenzen. Darauf achten wir bereits bei der Rekrutierung.» Sarah N. sagt: «Wenn mich jemand anpöbelt, beleidigt, dann gilt das nicht mir persönlich, sondern meiner Uniform. Meiner Tätigkeit.» Kommt dazu, dass pöbelnde Leute meist in Gruppen auftreten und Alkohol oft eine sehr grosse Rolle spielt. Horst Hablitz sagt kurz und bündig. «Besoffene Fussballfans sind vor allem in Gruppenstärke eine Plage.»
Ein Polizist, eine Polizistin muss immer funktionieren
Szenenwechsel. Frage an die beiden: «Sie werden zu einem Personenunfall gerufen. Wie gehen Sie damit um? Der Schauplatz sieht schlimm aus. Wer aufräumen muss, gerät an seine Grenzen. Stumpfen Beteiligte ab?»
«Abstumpfen nicht», sagt Sarah N. «Aber wir müssen Profis sein. Kommen wir an einen Tatort, gilt es eine Menge Aufgaben erledigen. Etwa Zeugen befragen, Beweismaterial sichern, Gebiet absperren, Spezialisten aufbieten und so weiter. Da bleibt kaum Zeit, in Schockstarre zu verfallen.» Lucca M. nickt. «Wir müssen funktionieren».
Und wie ist es, jemandem eine Todesnachricht zu überbringen? Wie gehen Polizisten damit um, einer Mutter, einem Vater, einem Ehemann oder einer Ehefrau sagen zu müssen, «Ihr Kind, Ihre Frau, Ihr Mann ist tot.»
Solche Situationen üben Polizistinnen, Polizisten bereits in der Polizeischule. «Wir machen Rollenspiele mit kleinen Gruppen», sagt der Psychologe. «Da gilt es dann herauszufinden, wie die Probanden wünschten, dass ihnen jemand eine Todesnachricht überbringen würde.» Zudem existiert ein so genannter Dienstbefehl. In diesem Handbuch steht «Schritt für Schritt» wie Beamte beispielsweise eine Todesnachricht überbringen müssen.
Heikle Situationen mit Rollenspielen üben
Dazu Horst Hablitz: «Eine Todesnachricht überbringen wir persönlich, das macht niemand am Telefon. Grundsätzlich versehen zwei Personen diese Aufgabe. Niemand geht alleine. Und das Gespräch findet nicht zwischen Tür und Angel statt. Wir bitten um Einlass und dann darum, dass sich alle Anwesenden setzen. Es redet niemand um den heissen Brei herum, die Nachricht überbringt der Polizist, die Polizistin in einem Satz. Und danach sind wir da für die Leute. Kümmern uns um sie.»
Die Reaktionen der Betroffenen sind verschieden und nicht vorhersehbar. Es kann alles geschehen. Jemand bricht in Tränen aus, schreit, schweigt, gibt sich unbeteiligt oder droht in Ohnmacht zu fallen. «Die einen sind froh, wenn man ihnen eine Hand auf den Arm legt. Anteilnahme signalisiert. Unbeteiligt lässt das einem nicht», sagt Sarah N. «Sind Kinder involviert, Kinder, die ihren Vater, ihre Mutter oder gar ihre Eltern verloren haben, dann geht das einem nahe. Trotzdem muss sich ein Polizist, eine Polizistin abgrenzen können.»
Wobei beide eingestehen, dass solche Situationen, je nach Tagesform, schon Wirkung zeigten. «Wenn mich ein Fall berührt, traurig macht, dann höchstens währenden einiger Stunden. Dann geht das Leben weiter», sagt Sarah N.
Lernen mit Leid umzugehen
Wie gehen Sarah N. und Lucca M. mit den Bildern eines schrecklichen Tatorts um, den sie möglicherweise als erste betreten? Was machen sie mit den Bildern im Kopf? Wie ertragen sie traurige Schicksale? Kinder, die plötzlich alleine auf der Welt sind, Mütter, die nicht mehr weiter wissen? Wie gehen sie mit all dem Leid um?
Lucca M. weist einmal mehr daraufhin, dass die Abgrenzung enorm wichtig sei. Polizeipsychologe Hablitz nickt. «Es ist eine Kopfsache», sagt er. «Und das thematisieren wir in der Ausbildung oder in Weiterbildungen. Zudem bieten wir den Beamten, Beamtinnen Hilfe und Unterstützung an. Höre ich von einem Vorfall, rücke ich aus. Stehe den Beamten bei. Kümmere mich um meine Leute. Egal um welche Uhrzeit etwas passiert.»
Wut entwickeln nützt nichts
Und wie ist das mit der Wut? Entwickelt ein Polizist, eine Polizistin nicht einen «heiligen Zorn» auf Gauner, auf Betrüger, auf Sadisten, auf Gesetzesbrecher, auf Pöbler, Hooligans, Pyroschmeisser, Mörder, Vergewaltiger und was da alles für Täter auf der schier endlosen Liste stehen? «Was nützt Wut», sagt Sarah N. «Hier müssen wir uns ebenfalls abgrenzen. Wut hilft mir nicht weiter. Ich muss einen kühlen Kopf bewahren. Muss professionell handeln. Und haben wir jemanden überführt, verhaftet, erwischt, dann geben wir den Fall an die Justiz ab.»
Aber wie ist es mit der Wut auf die Juristen? Was denkt ihr über Anwälte, die sich süffisant lächelnd einem Täter annehmen, ihn vor Gericht verteidigen und freibekommen? Kantonspolizist M. zuckt mit den Schultern: «Wir leben in einem Rechtsstaat. Besser, es kommt jemand frei, weil die Beweislage kein anderes Urteil zulässt, als jemand sitzt unschuldig hinter Gittern.»
Die Risiken des Polizei Berufs muss jeder kennen
«Wie gehen Sie damit um, wenn ein Kollege bei der Ausübung seines Berufes verletzt wird, gar stirbt?» «Das ist hart», betonen beide. «Jeder von uns kennt die Risiken des Polizeiberufes und muss sich ihnen täglich stellen», sagt Sarah N. Sie lächelt etwas und fügt an: «Abgrenzung ist auch hier nötig.»
Was ist dann die Motivation, all diese Aufgaben auf sich zu nehmen? Warum wählt jemand den Polizeiberuf? Lucca M. lächelt und sagt: «Weil ich die Menschen gern habe». Sarah N. nickt. Der Autor bedankt sich.
Text: Martin Schuppli, Foto: Kay Meret Hablitz
6 Antworten auf „Polizei: Mit Waffeneinsatz Leben retten“
Mit Horst Hablitz und den beiden Korpsangehörigen der Kapo Aargau erlebte ich ein spannendes Gespräch. Lesenswert.
Lesenswert, sehr sogar.
Ich denke ein Polizist muss sich bewusst sein, dass er mit dem Teil unserer Gesellschaft zu tun hat, die aus dem Rahmen fallen.
Ich kann mir vorstellen, viele vergessen, dass in einer Uniform Menschen stecken.
ganz cools föteli vo dir liebi polizistin??
Sehr interessanter Artikel Danke
Blicken Mann oder Frau auf Verbrechen mit Todesfolge zurück, die in jüngster Zeit geschehen sind, gebührt den Polizisten und CareTeams grossen Respekt für ihre Arbeit.
Sehr vielne korps vor schwyz äs grosses merci für ihre isatz tag täglich.- I’m kanton Bern hei Mir sehr guäti lüt vom korp u angeri sölle doch eis über schultere Vo ihrne kollege I angere regions vor schwyz luäge!