Ausgleichungspflicht und ihre Bedeutung für die Erbschaft

Nicht in wenigen Familien gibt es aufgrund von Erbstreitereien böses Blut. Damit alle Erbenden gleich behandelt werden, schreibt das Gesetz u. a. die Ausgleichung vor. Was die Ausgleichung genau ist und welche Regeln für wen gelten, erfahren Sie hier.

Das Wichtigste in Kürze

  • Bei der Erbteilung werden wegen der Ausgleichungspflicht Erbvorbezüge an den Erbteil angerechnet. Deshalb erhält die Erbvorbezügerin weniger oder nichts vom Erbe, eventuell muss sie sogar zurückzahlen.
  • Nachkommen müssen (fast) alle Zuwendungen ausgleichen, ausser die Erblasserin hat ausdrücklich von der Ausgleichungspflicht befreit. Nur gewöhnliche Bildungs- und Erziehungskosten sowie Gelegenheitsgeschenke sind nie auszugleichen.
  • Andere gesetzliche Erben gleichen nur aus, was der Erblasser ausdrücklich an den Erbteil anrechnen lassen wollte.
  • Nachkommen einer verstorbenen Erbvorbezügerin erben die Ausgleichungspflicht, auch wenn sie nichts mehr vom Erbvorbezug erben.
  • Andere Erben einer verstorbenen Erbvorbezügerin erben die Ausgleichungspflicht nur, wenn sie auch etwas vom Erbvorbezug erben.
  • Die Befreiung von der Ausgleichungspflicht muss bei Nachkommen schriftlich festgehalten werden.
  • Die Erbschaft auszuschlagen, um die Ausgleichungspflicht zu vermeiden, kann die eigenen Erben belasten. Handelt es sich um eine Schenkung, muss die Erbvorbezügerin möglicherweise mehr zurückzahlen als bei Annahme der Erbschaft (Herabsetzungsklage).

Was beinhaltet die Ausgleichung?

Das schweizerische Erbrecht kennt das Prinzip der Gleichbehandlung unter den Erbenden. Deshalb müssen Erbvorbezüge zum Ausgleich gebracht werden. Durch den Erbvorbezug empfängt eine Erbin einen Teil der Erbschaft noch während der Erblasser lebt (mehr zum Erbvorbezug hier). Der finanzielle Vorteil, welcher ein Erbe zu Lebzeiten der Erblasserin erhalten hat, soll bei der Erbteilung wieder «ausgeglichen» werden.

Zum Ausgleich bringen bedeutet, dass der durch den Erbvorbezug empfangene Wert zur Erbmasse (auch Teilungsmasse genannt) und dann an den Erbteil der betroffenen Erbin hinzugerechnet wird. Dies bedeutet, dass bei der Erbteilung weniger, je nach Konstellation auch gar nichts, aus dem Nachlass empfangen wird oder sogar noch zurückgezahlt werden muss.

Beispiel für eine Ausgleichung eines Erbvorbezugs

Frau Zünd hat zwei Kinder, Maria und Hans. Maria erhält in einem finanziellen Engpass zu Lebzeiten von ihrer Mutter Fr. 50’000. Hier spricht man von einem Erbvorbezug. Beim Tod von Frau Zünd befinden sich in ihrem Vermögen Fr. 150’000. Die gesamte Erbmasse beträgt allerdings:

150’000 + 50’000 = 200’000

Der Erbvorbezug von Maria wird hinzugerechnet.

Nun wird die Erbmasse von Fr. 200’000 auf die beiden Nachkommen aufgeteilt:

200’000 / 2 = 100’000

Jedes Kind hat einen Erbteil von Fr. 100’000. Während Hans jedoch wirklich Fr. 100’000 erhält, bekommt Maria effektiv nur noch Fr. 50’000, da sie ja bereits Fr. 50’000 durch den Erbvorbezug erhalten hat.

Wer muss was ausgleichen?

Bei der Frage, wer überhaupt ausgleichen muss, wird unterschieden zwischen Nachkommen und anderen gesetzlichen Erben.

Bei Nachkommen gilt die Vermutung, dass die Erblasserin alle gleich behandeln wollte. Deshalb sind grundsätzlich sämtliche Zuwendungen auszugleichen, die der Erblasser lebzeitig an seine Nachkommen getätigt hat. Nachkommen müssen nur dann nicht ausgleichen, wenn die Erblasserin schriftlich von der Ausgleichungspflicht befreit hat (z. B. im Erbvorbezugsvertrag – hier zu unserer Vorlage). Zudem sind Gelegenheitsgeschenke, sowie Bildungs- und Erziehungskosten bei Nachkommen von der Ausgleichung befreit, soweit diese das übliche Mass nicht übersteigen.

Umgekehrt ist die Situation bei den anderen gesetzlichen Erben. Bei ihnen gilt, dass nur jene Zuwendungen auszugleichen sind, welche die Erblasserin ausdrücklich auf Anrechnung an ihren Erbteil zukommen liess. Zu den gesetzlichen Erben zählt, neben den Nachkommen, in erster Linie der Ehegatte oder die Ehegattin. Je nach Situation können die gesetzlichen Erben auch die Mitglieder der ersten oder zweiten Parentel sein.

Ist die Ausgleichungspflicht vererbbar?

Die Ausgleichungspflicht ist vererbbar. Stirbt eine Person, die einen Erbvorbezug erhalten hat, noch bevor die Erbteilung vollzogen wurde, geht die Ausgleichungspflicht auf die Erben der Erbvorbezügerin über. Achtung: Hier macht das Gesetz wiederum einen Unterschied zwischen Nachkommen und anderen Erben. Bei Nachkommen gilt: Auch wenn die Werte aus dem Erbvorbezug gar nicht auf die Nachkommen des Erbvorbezügers übergegangen sind, müssen seine Erben ausgleichen. Hat der Erbvorbezüger also vor seinem Tod die ganze erhaltene Summe verbraucht, sind dessen Kinder dennoch ausgleichungspflichtig. Andere Erben des Erbvorbezügers müssen hingegen nur ausgleichen, wenn der Erbvorbezug auf sie übergeht.

Beispiel zur Vererbbarkeit der Ausgleichungspflicht

Frau Kobelt hat zwei Kinder, Maria und Hannes. Maria erhält von ihrer Mutter eine Summe von Fr. 70’000 als Erbvorbezug. In ihrer finanziellen Notlage braucht sie den gesamten Betrag, um ihre Schulden zu bezahlen. Maria stirbt, 2 Wochen darauf auch Frau Kobelt. Frau Kobelt hinterlässt einen Nachlass von Fr. 50’000, Maria gar nichts.

Die Erbmasse in der Erbschaft Frau Kobelts beträgt:

50’000 + 70’000 = 120’000 (Denn der Erbvorbezug wird hinzugerechnet).

Hannes und Maria müssten sich das Erbe hälftig teilen:

120’000 / 2 = 60’000

– Variante 1: Maria hatte einen Sohn. Der Erbanspruch Marias geht also mit ihrem Tod auf ihren Sohn Mike über.

Im Nachlass von Frau Kobelt fehlen also Fr. 10’000, damit Hannes seinen Erbteil erhält. Mike, an der Stelle von Maria, muss diese Fr. 10’000 an Hannes auszahlen, obwohl er nichts aus der Erbschaft seiner Mutter erhalten hat.

– Variante 2: Maria hat keine Kinder, sondern lediglich einen Ehegatten. Der Ehegatte muss Hannes gegenüber nichts ausgleichen.

Wie kann ich die Ausgleichungspflicht umgehen?

Die Ausgleichungspflicht kann umgangen werden. Bei Nachkommen muss die Befreiung von der Ausgleichungspflicht explizit schriftlich festgehalten werden. Sehen Sie hier unsere Vorlagen für einen Erbvorbezug, der von der Ausgleichungspflicht befreit ist.

Andere Erben können dagegen einfach beschenkt werden. Hier gilt nämlich die Vermutung nicht, dass lebzeitige Zuwendungen später an den Erbteil anzurechnen sind. Im Gegenteil, möchte die künftige Erblasserin, dass eine Zuwendung an ihre Erben (abgesehen von Nachkommen) als Erbvorbezug gilt, muss sie dies explizit in schriftlicher Form festhalten.

Erbschaft ausschlagen, um die Ausgleichungspflicht zu vermeiden?

Auf den ersten Blick wirkt es verlockend, eine Erbschaft auszuschlagen, um folglich auch nichts ausgleichen zu müssen. Auf diese Weise hätte ein Erbvorbezug keine negativen Folgen.

Allerdings verschwindet durch die Ausschlagung der Erbschaft die Ausgleichungspflicht nicht einfach. Stattdessen wird die ausschlagende Erbvorbezügerin wie eine vorverstorbene Erbin behandelt. Deshalb geht die Ausgleichungspflicht auf ihre Erben über, wie oben erklärt.

Das grösste Problem an der Ausschlagung entsteht aber, wenn der Erbvorbezug ohne Ausgleichungspflicht erhalten wurde, d. h. wenn es sich um eine Schenkung handelt. Diese Schenkung ist nämlich laut Gesetz (Art. 527 ZGB) der Herabsetzung unterworfen. Also können die verbleibenden Erben die Herabsetzung (siehe Herabsetzungsklage) dieser Schenkung verlangen, um ihre Pflichtteile zu sichern. In diesem Fall führt die Ausschlagung dazu, dass die Erbvorbezügerin mehr zurückzahlen muss, als wenn sie das Erbe annimmt.

Beispiel zur Ausschlagung bei vorhandener Ausgleichungspflicht

Herr Lüthi hat zwei Töchter, Anja und Susi. Er schenkt Anja zu Lebzeiten einen Oldtimer im Wert von Fr. 800’000. Als Herr Lüthi stirbt, hinterlässt er einen Nachlass von Fr. 200’000.

– Variante 1: Susis Pflichtteil darf nicht verletzt werden. Die Schwestern haben je einen gesetzlichen Anspruch auf die Hälfte des Nachlasses. Der Pflichtteil beträgt ½ ihres gesetzlichen Erbanspruchs, also ¼ von Fr. 1’000’000 (die Schenkung an Anja ist miteinzurechnen). Susis Pflichtteil von Fr. 250’000 ist um Fr. 50’000 verletzt, da nur Fr. 200’000 im Nachlass sind. Durch die Herabsetzungsklage erhält sie nur Fr. 50’000.

– Variante 2: Anja schlägt das Erbe aus. Susis gesetzlicher Anspruch wäre der gesamte Nachlass. Der Pflichtteil Susis beträgt deshalb ½ von Fr.1’000’000. Der Pflichtteil beträgt Fr. 500’000, Susi kann aber nur Fr. 200’000 aus dem Nachlass beziehen. Susi erhebt die Herabsetzungsklage und erhält ganze Fr. 300’000 von Anja!

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