Die Erbengemeinschaft
Eine Mehrzahl von Erben bildet im Zeitraum zwischen der Eröffnung des Erbgangs und dem Abschluss der Erbteilung (durch Teilungsurteil oder Teilungsvertrag) von Gesetzes wegen eine Erbengemeinschaft. Sowohl gesetzliche als auch durch letztwillige Verfügung (Testament oder positiven Erbvertrag) eingesetzte Erben werden zwingend Mitglied der Erbengemeinschaft. Bei der Erbengemeinschaft handelt es sich um eine Personenmehrheit ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Sie unterscheidet sich von den Personengesellschaften des Obligationenrechts dadurch, dass sie nicht durch Abschluss eines Gesellschaftsvertrags entsprechend den Willenserklärungen der Vertragsparteien entsteht, sondern zwingend als Schritt in der Abwicklung eines Erbgangs. Auch ihr Zweck ist gesetzlich festgelegt: Es handelt sich dabei um die vollständige Aufteilung der Nachlassaktiven und deren Überführung in die Alleinberechtigung der einzelnen Erben.
Auch der Spielraum der beteiligten Personen ist beschränkt: Die Erbengemeinschaft hat am Nachlass das Eigentum zur gesamten Hand. Dies bedeutet, dass alle nennenswerten Verfügungen in Bezug auf das Erblasservermögen eines einstimmigen Beschlusses aller Erben bedürfen. Eine einzige Person kann also den gesamten Prozess mit ihrem Veto behindern oder verzögern – unabhängig davon, ob dafür gute Gründe vorliegen oder nicht.
Einsetzung eines Erbenvertreters und Handlungsfähigkeit
Damit die Handlungsfähigkeit der Erbengemeinschaft dennoch gewährleistet bleibt, sieht das Gesetz vor, dass jeder einzelne Miterbe während des Bestehens der Erbengemeinschaft von der zuständigen kantonalen Behörde die Bestellung eines Erbenvertreters verlangen kann. Dieses Recht besteht allerdings nur insoweit, als nicht bereits ein Willensvollstrecker oder ein Erbschaftsverwalter eingesetzt ist. Diese üben im Wesentlichen die gleichen Aufgaben aus wie der Erbenvertreter. Der Unterschied liegt darin, wer den Auftrag dazu erteilt. Abweichungen von den gesetzlichen Rechten und Pflichten sind allerdings in Abhängigkeit vom Handlungsauftrag möglich. Überhaupt regelt das ZGB die Funktion der Erbenvertretung nur unvollständig. Ergänzungsweise finden Regelungen aus dem allgemeinen Auftragsrecht Anwendung.
Der Erbe, der eine Erbenvertretung beantragt, verwirkt damit i.d.R. sein Recht, die Erbschaft auszuschlagen, da er sich damit in die Erbschaft eingemischt hat. Die Bestellung des Erbenvertreters erfolgt auf Antrag im summarischen Verfahren durch die zuständige kantonale Behörde am letzten Erblasserwohnsitz. Sie kann jede handlungsfähige natürliche oder juristische Person mit der Erbschaftsverwaltung beauftragen, also auch Erben oder Vermächtnisnehmer selbst. Wen die Behörde konkret zum Erbenvertreter ernennt und ob sie allfälligen Vorschlägen der Antragsteller Folge leistet, liegt in ihrem eigenen Ermessen. Ihr steht sogar frei, das Begehren auf Ernennung eines Erbenvertreters abzuweisen, wenn sie dies für gerechtfertigt hält. Weder der einzelne Erbe noch die Erbengemeinschaft kann die Beendigung der Erbenvertretung vor Abschluss der Erbteilung verlangen; auch dies liegt im Ermessen der Behörde.
In der Praxis wird die Behörde bei der Bestellung vor allem Wert darauf legen, dass die zu ernennende Person ein Mindestmass an Fachkenntnis, Vertrauenswürdigkeit und Unabhängigkeit gewährleisten kann. Der Erbschaftsverwalter kann den Auftrag unverzüglich und ausdrücklich ablehnen, andernfalls gilt er als angenommen. Er kann den Auftrag danach jederzeit kündigen, muss aber Schadenersatz leisten, wenn dies zur Unzeit geschieht. In diesem Fall wird die Behörde jeweils so lange einen neuen Erbenvertreter bestellen, bis die Erbteilung abgeschlossen ist. Das kantonale Recht kann für gewisse Fachpersonen die Pflicht zur Annahme vorsehen.
Abgrenzung von Willensvollstrecker und Erbschaftsverwaltung
Der Willensvollstrecker wird vom Erblasser selbst per letztwilliger Verfügung eingesetzt. Seine Berufung wird ihm von der Eröffnungsbehörde mitgeteilt und er kann sie binnen 14 Tagen ablehnen oder (auch stillschweigend) annehmen. Im Fall der Annahme steht ihm eine angemessene Vergütung für seine Tätigkeit zu.
Art. 518 Abs. 2 ZGB umschreibt die Aufgaben eines oder mehrerer Willensvollstrecker:
«Sie haben den Willen des Erblassers zu vertreten und gelten insbesondere als beauftragt, die Erbschaft zu verwalten, die Schulden des Erblassers zu bezahlen, die Vermächtnisse auszurichten und die Teilung nach den vom Erblasser getroffenen Anordnungen oder nach Vorschrift des Gesetzes auszuführen.»
Die Erbschaftsverwaltung wiederum wird von der Behörde angeordnet, wenn das Gesetz dies vorsieht:
«Die Erbschaftsverwaltung wird angeordnet:
- wenn ein Erbe dauernd und ohne Vertretung abwesend ist, sofern es seine Interessen erfordern;
- wenn keiner der Ansprecher sein Erbrecht genügend nachzuweisen vermag oder das Vorhandensein eines Erben ungewiss ist;
- wenn nicht alle Erben des Erblassers bekannt sind;
- wo das Gesetz sie für besondere Fälle vorsieht
(Namentlich: Unbekannte Erben; Nacherbeneinsetzung; letztwillige Verfügung; oder Zahlungsunfähigkeit eines Erben).»
Hat der Erblasser einen Willensvollstrecker ernannt, so wird dieser mit der Erbschaftsverwaltung betraut. Gibt es bereits einen Willensvollstrecker oder einen Erbschaftsverwalter, so ist dieser auch für die Vertretung der Erbengemeinschaft zuständig. Damit möchte der Gesetzgeber vermeiden, dass zu viele Personen in die Erbsache involviert werden und womöglich widersprüchliche Entscheidungen treffen.
Rechte und Pflichten sowie Vor- und Nachteile des Erbenvertreters
Gegenüber der kantonalen Aufsichtsbehörde
Die Rechte und Pflichten des Erbenvertreters richten sich nach den Weisungen, die ihm die zuständige kantonale Behörde bei seiner Einsetzung erteilt. Die Ernennung und zugehörige Weisungen können im Hinblick auf die gesamte Erbschaft und den ganzen Teilungsprozess gelten oder nur in Bezug auf einzelne Massnahmen. Werden sie nicht gesondert umschrieben, so entsprechen die Aufgaben und Kompetenzen denen des Willensvollstreckers bzw. des amtlichen Erbschaftsverwalters. Während der Dauer seines Mandats untersteht der Erbenvertreter der Aufsicht der Behörde, die von ihm Auskünfte verlangen, ihm weitere Weisungen erteilen oder erteilte Weisungen ändern und ihn im Extremfall auch absetzen und Handlungen rückgängig machen kann.
Gegenüber der Erbengemeinschaft und dem Nachlass
Der Erbenvertreter handelt in eigenem Namen, aber auf Rechnung der Erbengemeinschaft. In dieser Funktion kann er durch seine Rechtshandlungen die Erbengemeinschaft auch ohne ihre vorgängige Zustimmung oder nachträgliche Genehmigung gegenüber Dritten oder untereinander berechtigen und verpflichten. Die (gemeinsamen) Verfügungsrechte der Erben sind im Aufgabenbereich des Erbenvertreters entzogen.
In analoger Anwendung von Art. 400 OR (Bestimmungen über den Auftrag) ist der Erbenvertreter allerdings dazu verpflichtet, jederzeit Rechenschaft abzulegen und Einkünfte aus der Erbenvertretung zu erstatten. Beispielsweise muss er Zahlungen, die er durch die Geltendmachung von Forderungen des Erblassers gegenüber Dritten erhalten hat, dem Nachlass zuführen.
Eine Erbenvertreterin haftet für Treue und Sorgfalt in der Ausführung der ihm übertragenen Aufgaben und wird daher für Schäden, die er der Erbengemeinschaft schuldhaft zufügt, ersatzpflichtig. Er schuldet aber keinen Erfolg in seiner Tätigkeit. Die einzelnen Erben haben ein Beschwerderecht gegenüber dem Erbschaftsverwalter, welches sich an die Aufsichtsbehörde richtet.
Der Erbenvertreter kann über die Erbsachen verfügen und sie auch veräussern, insbesondere um Erblasserschulden zu begleichen oder Vermächtnisse auszurichten. Er vertritt die Erbengemeinschaft nach aussen hin, auch vor Gericht (sog. Prozessstandschaft) und bereitet die Erbteilung vor. Nicht befugt ist er zur Erhebung der Erbteilungsklage (dieses Recht steht nur den Erben selbst zu) und zur Liquidation der Erbschaft (die Erbenansprüche sollen i.d.R. in natura (durch die Erbsachen selbst) beglichen werden und nicht aus dem Verkaufserlös der Erbsachen).
Worauf ist zu achten?
Der Erbenvertreter kann die Handlungsfähigkeit einer uneinigen Erbengemeinschaft wahren, indem er alleine berechtigt ist, Geschäfte zu besorgen, für die es andernfalls einen einstimmigen Beschluss brauchen würde.
Dabei geht es vor allem um die sorgfältige Vermögensverwaltung und -anlage, um zu verhindern, dass sich der Wert des Nachlasses durch Untätigkeit verringert. Dies kann z.B. der Fall sein bei Liegenschaften, die nicht bewirtschaftet werden oder Vermögen, das in unrentablen Wertschriftenportfolios angelegt ist.
Der Erbenvertreter sollte aber nicht nur eigenmächtig Entscheidungen treffen, die er im Interesse der Erbengemeinschaft sieht, sondern auch deren Ansichten und Wünsche konsultieren bzw. berücksichtigen. Ihm kommt damit auch eine Vermittlerrolle zu, in der er Uneinigkeiten zwischen einzelnen Erben ausräumen und Kompromisse finden soll. Dazu bedarf es Unabhängigkeit und Überparteilichkeit gegenüber den Erben, damit Interessenkonflikte vermieden und allseitige Akzeptanz seiner Entscheidungen gewährleistet werden können.
Die Erbenvertretung kann ein kostspieliger Prozess sein, da einerseits dem Erbenvertreter eine angemessene Vergütung seiner mitunter anspruchsvollen Tätigkeit zusteht und andererseits die Aufsicht durch die kantonale Behörde in Rechnung gestellt wird. Diese Aufwände gehen zulasten des Nachlassvermögens und, wo dieses nicht ausreicht, zulasten der Erbengemeinschaft. Aus diesem Grunde sollten sich die Erben vor der Beantragung untereinander absprechen, ob die Erbenvertretung notwendig und durch die Umstände gerechtfertigt ist.
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