Die wichtigsten Neuerungen der Erbrechtsrevision
Senkung der Pflichtteile der Kinder, Wegfall der Pflichtteile der Eltern
Erleichterung der Unternehmensnachfolge
Früherer Wegfall des Ehegatten-Pflichtteils bei Scheidung
Der/die Erblasser:in darf das Vermögen ab 2023 grundsätzlich nicht mehr durch Schenkungen oder Spenden verkleinern, sofern in einem Erbvertrag über das gesamte Vermögen verfügt wurde.
Klarstellungen betreffend gebundene Vorsorge (Säule 3a)
Welche Neuerungen bewirkt die Erbrechtsrevision?
Senkung der Pflichtteile
Das schweizerische Erbrecht soll mit der Zeit gehen und die Vielfalt moderner Familienkonstellationen wiederspiegeln. Damit es dem gesellschaftlichen Wertewandel entspricht, sind einige grundlegende Änderungen notwendig. Früher diente das Erbrecht wesentlich stärker der Existenzsicherung naher Angehöriger, als dies heutzutage der Fall ist. Aus dem Abnehmen dieser Bedeutung folgt, dass Erblasserinnen und Erblassern mehr Freiheiten in der Verfügung über ihren Nachlass zugestanden werden kann.
Deshalb wird mit der Erbrechtsrevision das Pflichtteilsrecht revidiert und die frei verfügbare Quote erhöht werden. Dies geschieht durch den Wegfall des gesetzlichen Pflichtteils der Eltern des Erblassers und die Senkung des Pflichtteils der Kinder. Von zuletzt drei Vierteln wird dieser nun auf die Hälfte der gesetzlichen Erbquote gesenkt. Somit haben neu Ehegatten, eingetragene Partner und Nachkommen des Erblassers Pflichtteilsansprüche auf je die Hälfte des Erbanteils, der ihnen von Gesetzes wegen zustehen würde, falls keine gültige letztwillige Verfügung davon abweicht.
Ein Beispiel:
Erblasser Alfred hinterlässt seine Ehefrau Brigitte und seine Kinder Clara und Daniel.
Nach dem alten Pflichtteilsrecht hatte Brigitte Anspruch auf ½ * ½ = ¼ des Nachlasses. Die Pflichtteile von Clara und Daniel betrugen je ¼ * ¾ = 3/16. Die verfügbare Quote betrug somit 1 – ¼ – 3/16 – 3/16 = ⅜.
Mit der Revision bleibt Brigittes Pflichtteil gleich, während diejenigen von Clara und Daniel auf je ¼ * ½ = ⅛ sinken. Dadurch steigt die verfügbare Quote auf 1 – ¼ – ⅛ – ⅛ = ½.
Den frei verfügbaren Anteil könnte Alfred bspw. einer gemeinnützigen Organisation zuwenden.
Erleichterung der Unternehmensnachfolge
Die Liberalisierung des Pflichtteilsrechts erleichtert auch die Nachfolgeplanung für Familienunternehmen: Wenn weniger Pflichtteilsansprüche zu befriedigen sind, ist es einfacher, ein Unternehmen ungeteilt einzelnen Erbinnen oder Erben zuzuweisen. Zudem sind in Zukunft weitere Änderungen in Bezug auf die Erleichterung der Unternehmensnachfolge geplant. Einzelne Erbinnen oder Erben sollen gemäss einer vom Bundesrat im Juni 2022 unterbreiteten Gesetzesvorlage für die Erleichterung der Unternehmensnachfolge im Erbrecht unter bestimmten Voraussetzungen die Zuweisung von kontrollierenden Unternehmensanteilen verlangen können.
Die Zuweisung soll an diejenige Person erfolgen, die zur Übernahme des Betriebs am geeignetsten erscheint. Gute Argumente dafür sind bspw. die bisherige Mitarbeit im Familienunternehmen oder fachliche Qualifikationen. Zum Schutz der Miterben sollen Pflichtteile nicht durch Minderheitsanteile an Unternehmen beglichen werden können. Zudem sind Fristen für die Auszahlung der Miterben vorgesehen, damit Unternehmen durch die Nachfolge nicht in Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Durch diese Änderungen erhofft sich der Gesetzgeber gleichermassen eine Flexibilisierung und Stabilisierung der generationenübergreifenden Unternehmensplanung. Mit diesen Gesetzesanpassungen ist ungefähr ab 2025 zu rechnen.
Wegfall des Ehegatten-Pflichtteils während einer Scheidung
Scheidungen und Patchworkfamilien kommen heute viel häufiger vor als noch vor wenigen Jahrzehnten. Auch in diesem Bereich sind daher Modernisierungen angedacht. Bislang hatten Ehepartner bis zum rechtskräftigen Scheidungsurteil erbrechtliche Pflichtteilsansprüche gegenüber einander. Das hat vor allem bei längeren Scheidungsverfahren im Ablebensfall eines Ehegatten zu stossenden Ergebnissen geführt. Neu gehen die Pflichtteile der Ehegatten unter bestimmten Voraussetzungen bereits mit der Anhängigkeit eines Scheidungsverfahrens unter. Der Noch-Ehegatte bleibt jedoch bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft der Scheidung gesetzlicher Erbe. Möchte der/die Erblasser:in, dass der Noch-Ehegatte während eines Scheidungsverfahrens nichts oder weniger als den gesetzlichen Erbteil erbt, muss er/sie dies in seiner/ihrer Verfügung von Todes wegen anordnen.
Schenkungsverbot bei Erbverträgen
Wurde im Rahmen eines Erbvertrages über das gesamte Vermögen des Erblassers verfügt, darf der/die Erblasser:in sein/ihr Vermögen zu Lebzeiten nicht mehr freiwillig verkleinern. Dies bedeutet, dass der Erblasser sein Vermögen nicht verschenken oder spenden darf. Das Schenkungsverbot gilt auch für Erbverträge, welche vor Inkrafttreten der Erbrechtsrevision am 1. Januar 2023 abgeschlossen wurden. Es kann jedoch explizit im Erbvertrag vereinbart werden, dass Erblasser:innen weiterhin Schenkungen oder Spenden beschliessen können. Dann gilt das Schenkungsverbot nicht. Bei bereits bestehenden Erbverträgen wäre hierzu eine Vertragsanpassung unter Zustimmung aller Vertragsparteien notwendig.
Wen betrifft die Erbrechtsrevision? Worauf sollte ich achten?
Eine derart umfassende Revision eines so wichtigen Rechtsgebietes hat grosse Auswirkungen für zahlreiche Personen. Der Bundesrat schätzt die Bedeutung des Erbrechts wie folgt ein:
«[…] Zudem kommt dem Erbrecht in der Schweiz eine grosse wirtschaftliche und soziale Bedeutung zu. Rund zwei Drittel der Bevölkerung haben bereits geerbt oder erwarten ein Erbe. Insgesamt ist das jährliche Erbschaftsvolumen höher als die jährlichen Ersparnisse der privaten Haushalte; gemäss Schätzungen betrug das Erbschaftsvolumen im Jahr 2015 rund 63 Milliarden Franken».
Daher ist es für alle Personen sinnvoll, einen fachlichen Rat einzuholen, die ihren Nachlass planen oder die von den sich neu ergebenden Möglichkeiten Gebrauch machen wollen.
Wer besonders betroffen ist, ergibt sich im Wesentlichen aus den Änderungen selbst: Es sind dies vor allem künftige Erblasser:innen selbst oder allgemein Personen, die einen Nachlass planen. Auch Selbstständige, Eigentümer von KMU oder Personen mit Auslandsbezug können bereits jetzt absehbare Gesetzesänderungen in ihre Nachfolgeplanung einbeziehen. Besonders in komplexen Fällen ist es ratsam, Fachpersonen beizuziehen.
Zunächst einmal können Erblasser durch die Pflichtteilsrevision freier über ihr Vermögen verfügen. Möchten Sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, so empfiehlt es sich, bereits verfasste Testamente abzuändern. Grundsätzlich behalten letztwillige Verfügungen, die vor der Revision errichtet wurden, ihre Gültigkeit. Im Einzelfall können sich allerdings Auslegungsfragen stellen, bspw. betreffend der Bemessung des Pflichtteilsanspruchs nach altem oder neuem Recht. Daher ist es auch sinnvoll, Testamente zu überprüfen, selbst wenn Sie keine Änderungen beabsichtigen.
Des Weiteren ist auch eine Überprüfung eines bestehenden Erbvertrages zu empfehlen. Dies insbesondere, wenn zwar das gesamte Vermögen von einem Erbvertrag erfasst ist, der Erblasser aber weiterhin Schenkungen oder Spenden aus seinem Vermögen ausrichten möchte. Aufgrund des neu geltenden Schenkungsverbots bei Erbverträgen benötigt es hierfür nämlich eine explizite Vereinbarung im Erbvertrag. Bestehende Erbverträge können unter Zustimmung aller Vertragsparteien entsprechend angepasst werden.
Zuwendungen an Lebenspartner oder in bestimmten Patchwork-Familienkonstellationen bedürfen nach wie vor einer Verfügung des Erblassers, da diesen Personen auch weiterhin keine gesetzlichen Erbansprüche zustehen.
Wo steht der Gesetzgebungsprozess? Wann tritt was in Kraft?
Anstoss zur Erbrechtsrevision war der Bericht zur „Modernisierung des Familienrechts“ des Bundesrats vom 25. März 2015. In den Jahren 2016 und 2017 folgten Vernehmlassungen, deren Ergebnisse der Bundesrat zur Kenntnis nahm.
Die Erbrechtsrevision trat per 01. Januar 2023 in Kraft und die wichtigsten Neuerungen sind die Reduktion der Pflichtteile, die Erhöhung der verfügbaren Quote bei der Nutzniessung des überlebenden Ehegatten, der Wegfall des Pflichtteils während einer Scheidung und das Schenkungsverbot bei Erbverträgen.
Parallel dazu hat der Bundesrat im Juni 2022 eine Gesetzesvorlage für die Erleichterung der Unternehmensnachfolge im Erbrecht unterbreitet. Mit dem Inkrafttreten dieser Gesetzesrevision ist jedoch erst ungefähr ab 2025 zu rechnen.
Die beiden Gesetzgebungsprojekte sollen durch eine Revision des internationalen Erbrechts ergänzt werden. Dieses Vorhaben trägt dem Umstand Rechnung, dass inzwischen bei vielen erbrechtlichen Sachverhalten ein Auslandsbezug besteht. Hinzu kommt, dass die EU 2012 in der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) einheitliche Regeln über Zuständigkeiten, anwendbares Recht und Anerkennung von Entscheidungen festgelegt hat. Die Schweiz möchte insbesondere das IPRG besser mit deren Vorschriften abstimmen. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Gesetzrevision ist noch unklar.