Das Wichtigste in Kürze
- Bei einem Erbvorbezug zahlt man einen Teil des künftigen Erbes zu Lebzeiten an einen oder mehrere Erben aus.
- Das Ziel ist es meist, die Nachkommen in bestimmten Lebensabschnitten zu unterstützen. Ihnen wird so z. B. der Kauf eines Familienhauses oder eine Unternehmensgründung ermöglicht.
- Die Ausgleichungspflicht wird bei Nachkommen vermutet: Die Erbin muss sich das Erhaltene an ihren Erbteil anrechnen lassen. Deshalb erhält sie aus der Erbschaft weniger oder muss sogar zurückzahlen.
- Wegbedingen können Sie die Ausgleichungspflicht, indem sie den betroffenen Erben schriftlich von der Ausgleichungspflicht befreien. So wird der Erbvorbezug zur Schenkung.
- Bei der Prüfung eines Anspruchs des Erblassers auf sozialversicherungsrechtliche Ergänzungsleistungen werden ans Vermögen auch Erbvorbezüge angerechnet, die während eines gewissen Zeitraums davor ausgezahlt wurden. So kann ein Erbvorbezug einem Anspruch auf Ergänzungsleistungen im Weg stehen. Zahlen Sie deshalb Erbvorbezüge eher früher als später an ihre Nachkommen aus.
- Prüfen Sie, ob nicht vielleicht ein Darlehen (mit Rückzahlungspflicht) in Frage kommt. So sind Sie flexibler und bevorzugen keinen Erben.
Was ist ein Erbvorbezug?
Unter einem Erbvorbezug versteht man die freiwillige Auszahlung eines Teils der künftigen Erbschaft, welche an einen oder mehrere voraussichtliche Erben erfolgt. Aus juristischer Sicht ist der Erbvorbezug eine besondere Art der Schenkung, da er zwar ohne Gegenleistung zugewendet wird, jedoch später bei der Erbverteilung an den Erbteil anzurechnen ist.
Das Ziel, welches zukünftige Erblasser:innen mit dem Erbvorbezug meistens verfolgen, ist die finanzielle Unterstützung ihrer Nachkommen oder sonstiger verwandter Personen bei wichtigen, kostspieligen Schritten in ihrem Leben. Als Objekt des Erbvorbezugs kommen sowohl Geldbeträge als auch Sachwerte (häufig Immobilien) in Frage.
Was hat die Ausgleichungspflicht mit dem Erbvorbezug zu tun?
Generell schreibt die gesetzliche Ausgleichungspflicht vor, dass Nachkommen das erhaltene Vermögen bei der Erbschaft ausgleichen müssen. Das heisst, eine Tochter, die vom Erblasser zu dessen Lebzeit einen Erbvorbezug empfangen hat, muss sich diesen bei der Erbteilung anrechnen lassen und erhält folglich weniger.
Um die Ausgleichungspflicht müssen sich Erblasser:innen nur Gedanken machen, wenn mehrere Personen erben. Nachkommen müssen grundsätzlich Zuwendungen immer ausgleichen, die anderen gesetzlichen Erben nur, wenn die Erblasserin dies ausdrücklich vorgeschrieben hat. Umgekehrt kann der Erblasser Nachkommen aber auch ausdrücklich von der Ausgleichungspflicht befreien; aus Beweisgründen sollte diese Dispens schriftlich erfolgen. Mehr zur Ausgleichungspflicht können Sie hier lesen.
Vorlage für Erbvorbezug von Nachkommen
Unabhängig davon, ob die Ausgleichungspflicht bestehen soll oder nicht, empfiehlt es sich, einen Erbvorbezug immer im Rahmen eines Erbvorbezugsvertrags oder eines Testaments zu regeln. Damit zwischen der Begünstigten und dem künftigen Erblasser auch keine Missverständnisse über die Bedingungen des Erbvorbezugs entstehen, empfiehlt sich ein Vertrag anstelle einer Klausel im eigenen Testament.
Zwar ist ein schriftlicher Vertrag für Erbvorbezüge gesetzlich nicht vorgeschrieben (vorbehalten bleiben die spezifischen Formvorschriften für die Übetragung eines Grundstücks).Theoretisch genügt die mündliche Übereinkunft. Allerdings können dadurch später Erbschaftsstreitigkeiten entstehen.
Das Gesetz schreibt für einen Erbvorbezug keine notarielle Beurkundung vor. Deshalb genügt es, wenn Sie diesen selbst schriftlich festhalten, egal ob von Hand oder Computer geschrieben. Einzig die Unterschriften der Vertragsparteien müssen handschriftlich sein. Hier sehen Sie eine Vorlage für einen Erbvorbezugsvertrag für Geldbeträge:
Wir, [Vorname und Name der künftigen Erblasser:in] und [Vorname und Name von Erbvorbezüger:in], vereinbaren Folgendes:
[Vorname und Name künftige:r Erblasser:in], hat [Vorname und Name von Erbvorbezüger:in] am [Datum der Übergabe] einen Erbvorbezug im Umfang von [Summe] Schweizer Franken/andere Währung/in Form von Objekt X im Wert von [Summe] Schweizer Franken/andere Währung zukommen lassen.
Nach dem Tod von [Vorname und Name künftige:r Erblasser:in] muss [Vorname und Name von Erbvorbezüger:in] diesen Betrag/Objekt X,
– unabhängig von Teuerung und ohne Zinsen, (Variante 1)/,
– angepasst an die Teuerung zum Todeszeitpunkt gemäss Landesindex der Konsumentenpreise, (Variante 2)/,
– jährlich mit X % verzinst (Variante 3),/
– nicht (Variante 4)
gegenüber den restlichen gesetzlichen Erben von [Vorname und Name künftige:r Erblasser:in] ausgleichen.
[Datum der Vertragsschliessung]
[Unterschrift künftige:r Erblasser:in] [Unterschrift Erbvorbezüger:in]
Beachten Sie: Geht es beim Erbvorbezug um eine Immobilie, ist ein notariell beurkundeter Vertrag notwendig für die gültige Verschreibung. Dennoch können Sie die Bestimmungen zur Ausgleichung gemäss folgender Vorlage festhalten:
Wir, [Vorname und Name künftige:r Erblasser:in] und [Vorname und Name von Erbvorbezüger:in], vereinbaren Folgendes:
[Vorname und Name künftige:r Erblasser:in], hat [Vorname und Name von Erbvorbezüger:in] am [Datum der Verschreibung] die Liegenschaft [Grundstück-Nummer und Adresse] verschrieben [evtl. Verweis auf öffentliche Urkunde oder Grundbuchauszug vom Datum der Verschreibung].
Nach dem Tod von [Vorname und Name künftige:r Erblasser:in] muss [Vorname und Name von Erbvorbezüger:in] diesen Erbvorbezug
– zum Ertragswert/Steuerwert/Verkehrswert im Todeszeitpunkt (Variante 1)/
- – zum fixen Betrag von [gewünschter Betrag] (Variante 2)/
- – nicht (Variante 3)
gegenüber den restlichen gesetzlichen Erben von [Vorname und Name künftige:r Erblasser:in] ausgleichen.
[Datum der Vertragsschliessung]
[Unterschrift künftige:r Erblasser:in] [Unterschrift Erbvorbezüger:in]
Welche Gefahren bestehen bei einem Erbvorbezug für die Erben?
Obwohl der Erbvorbezug als Unterstützung dienen soll, kann er für die Betroffenen negative Folgen haben: Immer dann, wenn der Erbteil kleiner ist als der Betrag des Erbvorbezuges, können Erbende in finanzielle Bedrängnis geraten. Dann erhält die Erbin nämlich nicht einfach weniger aus der Erbschaft, sondern muss eventuell den Erbvorbezug (teilweise) zurückzahlen. Besonders zu beachten ist dabei die Wertsteigerung des Objekts des Erbvorbezugs. Denn der Wert des Erbvorbezugs wird erst im Zeitpunkt des Erbganges (= im Todeszeitpunkt) festgelegt. Insbesondere bei Immobilien kann es zu massiven Wertsteigerungen kommen. In diesem Fall ist ein:e Erbvorbezüger:in möglicherweise gezwungen, einen grossen Betrag nachzuzahlen.
Ein Beispielfall: Herr Küng hat zwei Kinder, Moritz und Anja. Er verschreibt im Jahr 2000 Moritz das Elternhaus mit einem damaligen Wert von Fr. 80’000. Im Jahr 2020 verstirbt Herr Küng und hinterlässt ein Vermögen von Fr. 100’000 auf seinem Konto. Das Elternhaus, nun im Eigentum von Moritz, hat in den letzten 20 Jahren an Wert gewonnen und hat zum Todeszeitpunkt von Herrn Küng einen Gesamtwert von Fr. 120’000. Die Erbmasse setzt sich folgendermassen zusammen:
100’000 + 120’000 = 220’000. Der Erbvorbezug von Moritz wird wieder hinzugerechnet.
Moritz und Anja erhalten je die Hälfte der Erbmasse:
220’000 / 2 = 110’000
Mit dem Haus, im Wert von Fr. 120’000 hat Moritz also Fr. 10’000 zu viel erhalten, die er Anja auszahlen muss. Anja erhält die Fr. 100’000 vom Konto des Vaters plus die Fr. 10’000 von Moritz. Moritz erhält nichts mehr.
Verfügt der Erbe nicht über genügend flüssige Mittel, um den Wertunterschied auszuzahlen, kann dies zu einer hohen Verschuldung führen. Um dies zu vermeiden, sollte der/die Erblasser:in im Testament festhalten, dass das Objekt des Erbvorbezugs zu einem fixen Wert auszugleichen ist. Möchten Sie Ihr eigenes Testament verfassen? Hier finden Sie unsere Anleitung.
Welche Gefahr besteht bei einem Erbvorbezug für den/die Erblasser:in?
Problematisch kann ein Erbvorbezug für die schenkende Person werden, wenn sie Sozialleistungen beantragt. Ob die/der Schenkende Ergänzungsleistungen (mehr zu den Ergänzungsleistungen) erhält, hängt nämlich u.a. vom Vermögen ab. Überschreitet das Vermögen einen gewissen Betrag, gibt es keinen Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Die zuständigen Behörden rechnen auch Vermögen an, auf welches freiwillig verzichtet wurde. So möchte der Staat verhindern, dass Personen ihr Vermögen verschenken, um auf diese Weise missbräuchlich Sozialleistungen zu erhalten.
Allerdings zählt auch der Erbvorbezug als Vermögensverzicht und kann so verhindern, dass die Behörden der schenkenden Person Ergänzungsleistungen zusprechen. Je länger ein Erbvorbezug zurückliegt, desto weniger wird davon ans Vermögen angerechnet. Deshalb ist zu empfehlen, grosse Teile des eigenen Vermögens möglichst früh in Form eines Erbvorbezugs abzugeben (wenn überhaupt).
Wie umgehe ich die Ausgleichungspflicht beim Erbvorbezug?
Das Gesetz geht grundsätzlich davon aus, dass sämtliche Zuwendungen an Nachkommen ohne Gegenleistung ausgleichungspflichtig sind. Ausnahmen davon sind Gelegenheitsgeschenke, Erziehungs- und Ausbildungskosten, solange diese im gewöhnlichen Rahmen erfolgen.
Eine Umgehung der Ausgleichungspflicht ist aber möglich. Ein Erbvorbezug muss dann nicht ausgeglichen werden, wenn der/die Erblasser:in dies ausdrücklich schriftlich festgehalten hat. Auf diese Art wird der Erbvorbezug zu einer Schenkung. So kann eine Erbin finanziell tatsächlich bevorzugt werden. Der Pflichtteil (mehr dazu hier) der anderen Erben darf jedoch nicht verletzt werden.
Ein Beispiel: Frau Käser hat die beiden Söhne Ralf und Micha. Zu Micha hat sie ein besseres Verhältnis und überlässt ihm deshalb ihr Haus im Wert von Fr. 100’000. Im Erbvorbezugsvertrag hält sie fest, dass Micha von der Ausgleichungspflicht befreit ist. Als sie stirbt, hat sie nur noch ein Vermögen von Fr. 20’000. Die Teilungsmasse beträgt Fr. 120’000 (Vermögen plus Erbvorbezug). Jeder Sohn hat einen Anspruch auf Fr. 60’000. Eigentlich müsste Micha die Fr. 40’000 ausgleichen, damit Ralf seinen Erbteil erhält. Doch Frau Käser hat ihn von der Ausgleichungspflicht befreit. Ralfs Pflichtteil beträgt allerdings Fr. 30’000 (1/4 der Erbmasse). Auf diesen Betrag hat Ralf, laut Gesetz, zwingend Anspruch. Micha muss also doch Fr. 10’000 an ihn auszahlen.
Welche Alternativen gibt es zum Erbvorbezug?
Anstelle eines Erbvorbezugs kommen auch ein (unbefristetes) Darlehen oder eine Schenkung infrage. Das unbefristete Darlehen hat mehrere Vorteile: Einerseits ist es flexibel. Sollte nämlich der/die Darlehensgeber:in in finanzielle Schwierigkeiten geraten und plötzlich auf die geliehene Summe angewiesen sein, ist das unbefristete Darlehen jederzeit kündbar. Finden Sie hier unsere kostenlose Vorlage für einen Darlehensvertrag.
Zudem fühlen sich andere Erbinnen (häufig die Geschwister) durch ein Darlehen weniger benachteiligt, als wenn eine Schenkung (Erbvorbezug ohne Ausgleichungspflicht) gewählt würde. So kann mit einem Darlehen schlechte Stimmung innerhalb der Erbengemeinschaft vermieden werden. Beachten Sie allerdings, dass ein Darlehen später eventuell wie ein Erbvorbezug behandelt wird, wenn anzunehmen ist, dass der Erbe es nie hätte zurückzahlen können.