Definition der «Urteilsunfähigkeit»
Das ZGB geht davon aus, dass jede Person urteilsfähig ist, «der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln». Es können also – zumindest theoretisch – auch andere Umstände bzw. Gründe die Urteilsfähigkeit beeinträchtigen. Letztlich ist also immer eine Beurteilung im Einzelfall unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und der Komplexität der Sachlage erforderlich (sogenannte relative Urteilsfähigkeit) für eine Urteilsunfähigkeit. Die Urteilsfähigkeit kann nötigenfalls anhand (rechts-)medizinischer Untersuchungen bzw. Gutachten festgestellt werden.
Eine bedeutsame Unterscheidung betrifft die Dauer der Urteilsunfähigkeit: diese kann lediglich vorübergehend sein, bspw. aufgrund von Alkoholkonsum, oder aber dauerhaft, wie im Fall einer geistigen Behinderung oder Krankheit. Problematisch und vorsorgebedürftig ist primär der letztere Fall, da in diesem nicht ersichtlich ist, ob, und wenn ja, wann die betroffene Person ihre Urteilsfähigkeit wiedererlangt und wie bis dahin ihre Lebensführung abläuft.
Der Urteilsunfähigkeit selbst vorzubeugen ist, bspw. in Fällen von Demenzerkrankungen oder Unfällen, nur sehr eingeschränkt möglich. Sehr wohl bestehen hingegen geeignete Instrumente zur rechtlich bindenden Vorsorge dafür, was in einem solchen Fall geschehen soll.
Wie vorsorgen für den Fall einer dauerhaften Urteilsunfähigkeit?
Der Vorsorgeauftrag: Person, Vermögen, Rechtsverkehr
Die erste Massnahme ist der Vorsorgeauftrag, der seit Inkrafttreten des neuen Erwachsenenschutzrechts 2013 die vorbestehenden Institute der Vollmacht, des Auftrags und der Patientenverfügung ergänzt. In diesem können handlungsfähige Personen für drei wesentliche Lebens- bzw. Aufgabenbereiche vorsorgliche Anordnungen treffen.
Der erste Vorsorgebereich ist die «Personensorge». Dazu gehört insbesondere die Unterstützung und Betreuung im alltäglichen Leben, bspw. bei der Besorgung des Haushalts, der Körperpflege oder persönlichen Korrespondenzen. Die Personensorge kann aber auch Aspekte der medizinischen Betreuung wie die Zustimmung der vorsorgebeauftragten Person zu ärztlichen Behandlungen oder die Kontrolle der Einnahme von Medikamenten umfassen.
Der zweite Vorsorgebereich ist die «Vermögenssorge». Der weitgefasste Begriff des Vermögens umfasst «alle geldwerten Rechte und Pflichten». Bei der Vermögenssorge handelt es sich also um die Vermögensverwaltung bzw. die Erledigung finanzieller Angelegenheiten einer Person, die dazu mangels Urteilsfähigkeit nicht imstande ist. Ziel der Vermögensverwaltung ist die Erhaltung oder ggf. Vermehrung der geldwerten Rechte einer Person sowie die zweckmässige Verwendung ihres Vermögens zur Tilgung finanzieller Verpflichtungen.
Der dritte Bereich ist die «Vertretung im Rechtsverkehr». Gegenstand eines Vorsorgeauftrags über diese Belange ist die Vertretung des Vorsorgeauftraggebers im rechtlichen Verkehr mit Behörden oder anderen Privaten. Dazu sind nicht zwingend juristische Fachkenntnisse erforderlich, da die Vertretung im Rechtsverkehr auch durchaus auch Alltägliches, wie die Abgabe und Entgegennahme von Willenserklärungen oder den Abschluss von Verträgen umfasst. Sie kann aber eben auch die Vertretung im Zivil-, Straf- oder Verwaltungsverfahren vor Behörden oder Gericht bedeuten, welche bessere Rechtskenntnisse erfordern.
Die Patientenverfügung – Medizin im Fokus
Der Anwendungsbereich der Patientenverfügung ist deutlich enger gefasst als jener des Vorsorgeauftrags. Er betrifft im Wesentlichen den medizinischen Aspekt der Personensorge. Namentlich kann diejenige Person, die eine Patientenverfügung verfasst, darin festlegen, welchen konkreten medizinischen Massnahmen sie für den Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt und welche sie ablehnt. Sie kann die Entscheidung darüber aber auch an eine andere natürliche Person delegieren und dieser Vorschriften darüber machen, wie sie zu entscheiden hat. Diese Form der Patientenverfügung kommt der Personensorge nach dem Vorsorgeauftrag besonders nahe, sodass sich eine Abstimmung der beiden Instrumente aufeinander empfiehlt.
Die Patientenverfügung entfaltet erst dann ihre Wirkung, wenn zwei Voraussetzungen gemeinsam eintreten. Erstens muss der Autor bzw. die Autorin der Patientenverfügung urteilsunfähig geworden sein. Zweitens muss eine Entscheidung über die Vornahme medizinischer Massnahmen oder Behandlungen angetan sein, die zu fällen die betroffene Person aufgrund ihrer Urteilsunfähigkeit ausserstande ist.
Mögliche Inhalte der Patientenverfügung betreffen bspw. die Reanimation im Fall eines Herz-Kreislauf-Stillstands, die Verabreichung schmerzlindernder Medikation oder den Umgang mit lebensverlängernden bzw. lebenserhaltenden Massnahmen. Ob und welche Anordnungen konkret zu treffen sind, hängt von den individuellen Wünschen und Überzeugungen ab. Von diesen unabhängig empfehlenswert ist die vorgängige Beratung mit einer medizinischen Fachperson, bspw. einem Arzt oder einer Ärztin Ihres Vertrauens.
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