Zu den Begriffen «Vorsorgevollmacht» und «Vorsorgeauftrag»
Bis zur Revision des Erwachsenenschutzrechts 2013 gab es in der Schweiz kein besonderes Instrument, mit dem man regeln konnte, wer im Fall der eigenen Urteilsunfähigkeit die Vertretung und die Besorgung der notwendigen Angelegenheiten übernehmen konnte. Es gab nur das sogenannte «Vormundschaftsrecht», das es u.a. ermöglichte, hilfsbedürftigen Personen einen Vormund zu bestellen. Entscheidend war dabei, ob der schutzbedürftigen Person auf andere Weise die benötigte Hilfe gewährt werden konnte oder ob sie solcher Hilfe überhaupt bedurfte. Darüber hatten stets die kantonalen Vormundschaftsbehörden zu entscheiden. Eine Familienvormundschaft, dass also Verwandte die Vormundschaft übernehmen konnten, war nur ausnahmsweise zulässig.
Dennoch – oder gerade aufgrund dieses starren Systems – gab es ein weit verbreitetes Bedürfnis, vorsorglich festzulegen, wer im Fall der Urteilsunfähigkeit die persönliche Betreuung, Vermögensverwaltung und Rechtsvertretung übernehmen soll. Auch wer anstelle der urteilsunfähigen Person allfälligen medizinischen Massnahmen zustimmen kann, bedurfte oft einer eigenen Regelung. Dieses Ziel konnte unter dem damaligen Recht durch General- oder Vorsorgevollmachten und spezifische Aufträge erreicht werden.
Die Vollmacht ist ein Rechtsgeschäft, das der bevollmächtigten Person die Befugnis gibt, die vollmachtgebende Person gegenüber Dritten zu vertreten. Eine (Vorsorge-)Vollmacht kann eingeräumt werden, ohne dass gleichzeitig ein Auftrag erteilt wird. Sie gewährt nur das Recht, nicht aber die Pflicht, jemanden zu vertreten. Wo nichts anderes vereinbart ist, erlischt die Vollmacht u.a. mit dem Eintritt der Handlungsunfähigkeit. Im Umkehrschluss können die Beteiligten aber auch vereinbaren, dass die Vollmacht auch nach Eintritt der Handlungsunfähigkeit der vollmachtgebenden Person weiter bestehen soll. Enthält die Vollmacht Anordnungen, welche die bevollmächtigte Person zu umfassenden, vermögens- und personensorgerechtlichen Vorkehren ermächtigen, so liegt eine sog. «Vorsorgevollmacht» vor. Dieses altrechtliche (aber grundsätzlich weiterhin zulässige) Instrument ist also der Ursprung des Begriffs der Vorsorgevollmacht.
Revision des Vormundschaftssystems
Im 21. Jahrhundert wurde das Vormundschaftssystem als nicht mehr zeitgemäss empfunden, weshalb eine umfangreiche Gesetzesrevision erfolgte. Seit 2013 wird dieses Rechtsgebiet neu als «Kindes- und Erwachsenenschutzrecht» bezeichnet und enthält einige neue, flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten. Die Revision hat die Rechtsstellung bei der eigenen Vorsorge wesentlich gestärkt. Zwei zentrale Instrumente dazu sind der Vorsorgeauftrag und die Patientenverfügung. Der Vorsorgeauftrag bezieht sich auf die Personen– und Vermögenssorge und die Vertretung im Rechtsverkehr. Die Patientenverfügung befasst sich spezifisch mit der Zustimmung zu oder Ablehnung von medizinischen Massnahmen. Der Begriff des «Vorsorgeauftrags» verdeutlicht, dass es nicht nur um das Recht geht, die urteilsunfähige Person zu vertreten, sondern auch um die Pflicht, sie zu unterstützen – es handelt sich rechtlich gesehen (auch) um einen Auftrag.
Grundsätzlich ist es ratsam, von den Möglichkeiten, die das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht einräumt, auch Gebrauch zu machen. Es besteht normalerweise kein Grund, sich auf eine Vorsorgevollmacht zu beschränken, wenn auch der Vorsorgeauftrag zulässig ist. Im Folgenden wird daher auf den Vorsorgeauftrag näher eingegangen. Die meisten Ausführungen gelten jedoch sinngemäss auch für die Vorsorgevollmacht. Schliesslich kann eine Vorsorgevollmacht auch in einen Vorsorgeauftrag umgedeutet werden, wenn die formellen und inhaltlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind.
Wer kann wen womit beauftragen bzw. wozu bevollmächtigen?
Mit dem Vorsorgeauftrag kann die auftraggebende Person jemand anderen damit beauftragen, für sie zu handeln, falls sie selbst urteilsunfähig wird. Wer einen Vorsorgeauftrag errichten möchte, muss handlungsfähig, d.h. volljährig und urteilsfähig sein. Das bedeutet, dass man im Zeitpunkt der Errichtung über 18 Jahre alt sein und die Tragweite der Entscheidung, einen Vorsorgeauftrag zu verfassen, verstehen können muss.
Die auftraggebende Person kann wählen, ob der Vorsorgeauftrag alle drei Bereiche (Personensorge, Vermögenssorge und Vertretung im Rechtsverkehr) oder nur Teile davon umfassen soll. Sie kann den Vorsorgeauftrag aber auch auf einzelne Rechtsgeschäfte beschränken oder konkrete Handlungsanweisungen erteilen. Es ist zu empfehlen, die Aufgaben genau zu umschreiben.
Der Vorsorgeauftrag ist auch gültig, wenn jemand einfach mit der «Wahrung der Interessen im Fall der Urteilsunfähigkeit» beauftragt wird. In diesen Fällen ist davon auszugehen, dass es sich um einen umfassenden Vorsorgeauftrag für alle drei Bereiche handelt.
Die beauftragte Person ist im Vorsorgeauftrag mit Namen zu nennen; zudem ist es sinnvoll, ihre weiteren Kontaktdaten anzugeben. Sie können sowohl eine natürliche als auch eine juristische Person, wie z.B. eine gemeinnützige Organisation, beauftragen. Es können sogar mehrere Personen zusammen den Auftrag erhalten, wobei in diesem Fall zu regeln ist, wem welche Kompetenzen zustehen sollen.
- Für die Personensorge kann es sinnvoll sein, ein Hilfswerk oder eine Spitex-Organisation zu benennen;
- für die Vermögenssorge z.B. eine Bank oder ein Treuhandbüro;
- für die Vertretung im Rechtsverkehr typischerweise eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt.
Häufig wird man sich aber auch einfach für Verwandte entscheiden, die dann den Auftrag an Fachpersonen ihres Vertrauens «weitergeben» bzw. delegieren können. Diese Befugnis sollte aber ausdrücklich festgehalten werden (z.B.: «Ich ermächtige meine Tochter, im Fall meiner Urteilsunfähigkeit zur Verwaltung meines Vermögens eine Bank ihres Vertrauens beizuziehen»).
Wie verfassen und wo aufbewahren?
Die Errichtung des Vorsorgeauftrags ist ein höchstpersönliches Recht. Das bedeutet, die Person, die den Vorsorgeauftrag erteilen möchte, muss dies zwingend selbst tun und kann es niemand anderem überlassen. Wegen seiner weitreichenden Folgen muss der Vorsorgeauftrag – ähnlich wie ein Testament – entweder öffentlich beurkundet oder eigenhändig niedergeschrieben und am Ende mit Unterschrift und Datum versehen werden. Hält er diese Formvorschriften nicht ein, so ist er nichtig, d.h., er wird nicht beachtet – als ob es ihn gar nicht gäbe. Hinsichtlich möglicher Formulierungen möchten wir Sie einladen, sich an unseren Vorlagen zu orientieren.
Sie können dem kantonalen Zivilstandsamt melden, dass Sie einen Vorsorgeauftrag errichtet haben. Die Eintragung ist aber kein Gültigkeitserfordernis. Der Hinterlegungsort wird dann im elektronischen Personenstandsregister (INFOSTAR) eingetragen. Der Vorsorgeauftrag selbst wird nicht hinterlegt, sondern nur die Anmerkung, dass ein Vorsorgeauftrag errichtet wurde. Diese soll dafür sorgen, dass die KESB im Fall der Urteilsunfähigkeit Kenntnis über die Existenz des Vorsorgeauftrags erhält und dieser somit auch wirksam werden kann (siehe unten).
Für die Aufbewahrung des Vorsorgeauftrags selbst gelten die gleichen Grundsätze wie für das Testament: am besten diskret, aber doch gut auffindbar an einem Ort, wo Sie auch andere wichtige Akten aufbewahren, die im Fall der Handlungsunfähigkeit typischerweise eingesehen werden. Idealerweise informieren Sie zudem eine zuverlässige Vertrauensperson über Vorhandensein und Aufbewahrungsort des Vorsorgeauftrags.
Wann und wie erfolgt das Inkrafttreten?
Erfährt die KESB, dass eine Person urteilsunfähig geworden ist, und ist ihr nicht bekannt, ob ein Vorsorgeauftrag vorliegt, so erkundigt sie sich beim Zivilstandsamt. Liegt ein Vorsorgeauftrag vor, so prüft die KESB, ob er gültig errichtet worden und ob die Urteilsunfähigkeit (dauerhaft) eingetreten ist. Zudem klärt sie ab, ob die beauftragte Person für ihre Aufgaben geeignet und bereit ist, diese zu übernehmen. Dazu wird sie die beauftragte Person kontaktieren, über den Inhalt des Vorsorgeauftrags informieren und fragen, ob sie willens und fähig ist, diesen anzunehmen. Hat die KESB daran Zweifel, so muss sie dem nachgehen. Auch ob weitere Massnahmen des Erwachsenenschutzes erforderlich sind, muss sie von Amtes wegen untersuchen.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so erklärt die KESB den Vorsorgeauftrag für gültig und wirksam (sog. Validierungsentscheid). Erst dann entfaltet er seine rechtlichen Wirkungen. Die beauftragte Person erhält eine Urkunde, die ihre Befugnisse umschreibt. Sie kann und muss mit der KESB zusammenarbeiten. Zum Beispiel kann sie die Erwachsenenschutzbehörde um Auslegung des Vorsorgeauftrags und um dessen Ergänzung in Nebenpunkten ersuchen, um Unklarheiten zu vermeiden.
Zu den Aufgaben der beauftragten Person gehört namentlich, die Interessen der auftraggebenden Person zu vertreten und die ihr aufgetragenen Geschäfte zu besorgen. Dazu nimmt sie etwa Mitteilungen und Informationen entgegen und führt Korrespondenzen für die auftraggebende Person. Dabei ist die beauftragte Person verpflichtet, ihre Tätigkeiten (zumindest in Grundzügen) zu dokumentieren und Rechenschaft abzulegen. Bei Interessenkollisionen oder Unfähigkeit zur Wahrnehmung der Aufgaben muss sie die KESB darüber informieren. So soll gewährleistet werden, dass die beauftragte Person auch wirklich im Sinne der Auftraggebenden handelt und ihre Interessen tatsächlich wahrt.