Dienstagmorgen, neun Uhr. Auf der SRK-Notrufzentrale ists unerwartet ruhig. Anders als sich das Besucher vorstellen. Kein Telefon klingelt. Dennoch haben die fünf Curena-Mitarbeiter genug zu tun, im Minutentakt kommen die Alarme rein. Dabei klingelt kein Telefon, auf den Computern poppen lediglich rote Balken auf. Mit einem Mausklick nehmen die Einsatzleiter Telefone entgegen und antworten über ihr Headset. Die verhaltene Stille liegt nicht nur am fehlenden Telefonklingeln. Vor wenigen Minuten ist eine Anruferin gestorben. Trotz sofortigem Handeln kam der Rettungsdienst zu spät. Die Frau starb noch während des Telefongesprächs mit der Mitarbeiterin.
«Solche Tage sind nicht schön, da nagt manch einer noch lange daran und überlegt sich, ob etwas schiefgelaufen ist», sagt Mitarbeiterin Karin Hovadik. Seit der Gründung vor zehn Jahren arbeitet sie als Einsatzleiterin bei Curena. In dieser Zeit hat die 54-Jährige einige tragische Fälle erlebt: «Einmal musste ich zuhören, wie ein Sohn bei seiner Mutter eine Herzmassage machte. Nach 15 Minuten trafen die Rettungssanitäter ein. Einer sagte, die Frau sei tot.» Trotz zehnjähriger Erfahrung hat Karin Hovadik Mühe, mit dem Tod umzugehen. «Ich fürchte mich nicht vor dem Sterben. Stirbt jemand in meinem Umfeld, finde ich das nicht so toll.» Alltäglich seien solche Erlebnisse aber nicht. «Zum Glück überwiegen die schönen Momente, wenn jemand im Team beispielsweise einen lustigen Fehlalarm aufklärt oder sich über gute Gespräch mit den Anrufern, den Anruferinnen freut.»
SRK-Notrufzentrale: Selten sind die Alarme lebensgefährlich
Nur etwa fünf Prozent der durchschnittlich 800 Anrufe pro Tag sind echte Notrufe. Beim Rest handelt es sich hauptsächlich um Probe- oder Fehlalarme. Die Anrufer müssen monatlich anrufen, damit das Team in der Zentrale prüfen kann, ob die Notrufanlage bei den Kunden zu Hause funktioniert. Zu Fehlalarmen kommt es beispielsweise, wenn die Anrufer aus Versehen den roten Knopf an ihrem Armband drücken. Dennoch müssen die Einsatzleiter stets auf alles gefasst sein, schnell handeln können und in einer brenzligen Situation ab und an kreativ sein. Das Team grübelt häufig gemeinsam an möglichen Lösungen oder hilft, tragische Fälle zu verarbeiten. Der nächste Anruf steht an: «Das ist die Notrufzentrale des Roten Kreuzes, mein Name ist Hovadik, grüezi.»
Auf der SRK-Notrufzentrale ist der Tod allgegenwärtig
Im selben Moment nimmt Fabio Pizzini, der gleich nebenan sitzt, ebenfalls einen Alarm entgegen. Bis vor vier Jahren arbeitete der 56-Jährige im Gastgewerbe. Dann wollte er etwas Neues ausprobieren, ohne auf Kundenkontakte zu verzichten. Als Einsatzleiter ist er nun tagtäglich mit dem Tod konfrontiert, aber das stört ihn nicht. Der lasse ihn ziemlich kalt: «Wir können ja sowieso nichts dagegen machen.»
SRK-Notrufzentrale: Es gibt immer wieder etwas zum Schmunzeln
Für Fabio Pizzini sinds die positiven Gespräche, die seine Arbeit wertvoll machen: «Es ist schön, wenn die Kunden nett und dankbar sind.» Aus solchen Telefonaten seien schon Freundschaften entstanden. Mit den Kunden meint er die Anrufer. Sie sind meist Seniorinnen und Senioren oder haben eine gesundheitliche Einschränkung. Einige von ihnen rufen mehrmals täglich an. «Irgendwann kennt man sie und weiss, was zu tun ist.»
Der nächste Alarm kommt rein. «Ich mache den monatlichen Probealarm», schreit eine Frau ins Telefon. «Das scheint zu funktionieren, wir haben sie alle sehr gut gehört», antwortet Fabio Pizzini. Das Headset hat er vom Ohr weggezogen und verkneift sich ein Lachen. An diesem Morgen haben alle Mitarbeitenden immer wieder Grund zum Schmunzeln.
Das Telefon auf der Notrufzentrale Curena ist jahrein, jahraus rund um die Uhr besetzt. Das sind 8760 Stunden. Gemäss Karin Hovadik herrsche besonders montags grosser Ansturm. Wieso, sei unklar. «Vielleicht ist es der Montags-Blues.» Viele nutzen den Notruf während der Weihnachtstage. Das liege an der dunklen, kalten Zeit in der sich viele Seniorinnen und Senioren einsam und depressiv fühlten. «Wir spüren ausserdem den Vollmond, da sind die Anrufer, Anruferinnen oder wir schneller gereizt», sagt Karin Hovadik. Es gebe häufig Situationen wo sich die Mitarbeiter zurücknehmen müssten. «Manchmal bringen die Anrufer uns zum Dank einen Kuchen vorbei und nützen die Gelegenheit, um zu sehen, wer auf der anderen Seite der Leitung sitzt», erzählt Fabio Pizzini.
SRK-Notrufzentrale: Das Protokoll sichert ab im Ernstfall
Die Curena-Mitarbeitenden kommen aus unterschiedlichen Berufsfeldern. Keiner von ihnen hat eine medizinische Ausbildung. Das ist gut so, denn eine medizinische Diagnose sei Sache des Rettungsdienstes. Aufgabe des Einsatzleiters, der Einsatzleiterin ist es, schnell der Situation entsprechend zu handeln. Deshalb sind besonders vernetztes Denken und starke Nerven gefragt.
Die Einsatzleiter werden während eines halben Jahres in die Arbeit eingeführt. Erst dann bearbeiten sie den ersten Notruf selbstständig. Ganz fertig ist die Ausbildung gemäss Karin Hovadik nie. Sie musste einige Male aus ihren Fehlern lernen: «Einmal habe ich nicht nach Protokoll gehandelt, weil ich meinem Instinkt folgte. Damit wir die Person schneller retten können, kontaktierte ich den Hauswart und nicht den Neffen, obwohl der als erste Kontaktperson hinterlegt ist.» Das habe den Angehörigen trotz schneller Hilfe nicht gepasst. Für Karin Hovadik war das ein Wendepunkt: «Seither arbeite ich strikt nach Protokoll.» Dieses gilt für die Mitarbeitenden als Anhaltspunkt und sichert sie im Ernstfall ab.
SRK Notrufzentrale: Sie sehen sich nicht als Helden
Ganz ohne Instinkt geht es doch nicht. Karin Hovadik verlässt sich auf ihre zehnjährige Erfahrung. Davon profitieren ebenfalls ihre Arbeitskollegen. Als Amtsälteste nimmt sie auf der Notrufzentrale die «Mutterrolle» ein. Obschon sie selbst am Telefon ist, hört sie mit einem Ohr bei den anderen zu. «Wenn ich etwas wahrnehme, wo es kritisch werden könnte, stellen sich meine Fühler auf», sagt Karin Hovadik.
In den vergangenen zehn Jahren hat die Curena Tausenden von Anrufenden das Leben gerettet. Als Helden sehen sich die Mitarbeitenden nicht, da sind sich Karin Hovadik und Fabio Pizzini einig: «Wenn wir jemandem helfen konnten, machten wir nur unseren Job.»
Text: Stephanie Brändle, Fotos: Peter Lauth
Diese Reportage entstand in Zusammenarbeit mit Journalismusstudenten und -studentinnen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) Winterthur.
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