Es kommt vor, dass Menschen, die am Ende ihres Lebens geschwächt sind, dem Tod geweiht, nicht mehr essen und trinken wollen. Der Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit führt schliesslich zum Tod. Das DeinAdieu-Team Nicolas Gehrig, CEO, und Martin Schuppli, Autor, unterhielt sich darüber mit Regina Aebi-Müller. Die Bernerin arbeitet als Professorin für Privatrecht und Privatrechtsvergleichung an der Universität Luzern, ist auf medizinrechtliche Themen spezialisiert und amtet bei DeinAdieu als Beirätin.
Frau Prof. Aebi, ist es aus rechtlicher Sicht problematisch, wenn ein schwer kranker Patient keine Nahrung und Flüssigkeit mehr zu sich nimmt, um das Sterben zu beschleunigen?
Prof. Dr. Regina Aebi-Müller: Der bewusste und freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit FVNF ist eigentlich rechtlich unproblematisch. Es ist erlaubt, auf diese Weise den persönlichen Sterbeprozess abzukürzen.
Dann gilt ein solcher Tod also als natürlicher Tod?
So einfach ist das dann doch nicht. Je nach konkreten Umständen des Versterbens wird die Polizei, beziehungsweise die Staatsanwaltschaft zunächst von einem «aussergewöhnlichen Todesfall» ausgehen und eine Untersuchung durchführen.
Warum denn?
Weil es denkbar ist, dass der Verstorbene nicht freiwillig auf Nahrung und Flüssigkeit verzichtet hat, sondern durch Angehörige dazu gedrängt wurde (sog. Verleitung zum Selbstmord, Art. 115 StGB).
Zudem wäre es möglich, dass ein Angehöriger den Betroffenen gezielt hat verhungern oder verdursten lassen …
Genau. Und, dass der Angehörige aufgrund der Umstände verpflichtet gewesen wäre, Hilfe beizuziehen. Nämlich dann, wenn der Betroffene gar keinen Sterbewillen hatte, sondern krankheitsbedingt daran gehindert war, Nahrung und Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Natürlich sind solche Fälle selten, aber weil es sie eben doch gibt, muss die Polizei unter Umständen nähere Abklärungen zur Todesursache treffen.
Sterbefasten: Eine Belastung für Angehörige
Wie sollte man sich denn als Angehöriger oder als Pflegeperson verhalten, wenn ein Patient durch FVNF sterben will?
Am besten ist es, wenn die Person mit Sterbewunsch das ganz klar kommuniziert, so lange sie noch wach und urteilsfähig ist. Dann sollte man auch schriftlich festhalten – am besten in einer Patientenverfügung –, dass man keine künstliche Zufuhr von Nahrung und Flüssigkeit will, und zwar insbesondere auch dann nicht, wenn man im Verlaufe des Sterbeprozesses die Urteilsfähigkeit verliert. Eine solche Patientenverfügung hilft den Angehörigen und Pflegenden nicht nur für den Fall, dass der Tod als unnatürlich angesehen wird.
Es entlastet sie auch sonst von persönlicher Verantwortung.
Ja. Die Gefahr ist kleiner, dass man sich hinterher Vorwürfe macht und unsicher ist, ob man richtig gehandelt hat. Idealerweise bespricht der Patient seinen Sterbewunsch auch mit dem Hausarzt. So kann man am besten sicherstellen, dass den Angehörigen später nicht selbstsüchtige Motive unterstellt werden.
Kann man denn in die Patientenverfügung auch hineinschreiben, dass man gar nichts mehr zu essen und zu trinken angeboten haben möchte? Etwa für den Fall, dass man an einer Demenz erkranken sollte?
Nein, das geht nicht. Denn das blosse Angebot von Nahrung und Flüssigkeit ist erstens keine medizinische Massnahme, hat also in einer Patientenverfügung nichts zu suchen. Und zweitens gebietet es die Menschenwürde, dass einem Menschen, der – wenngleich urteilsunfähig – essen und trinken möchte, nicht Nahrung und Flüssigkeit vorenthalten wird.
Wenn der Demenzkranke immer noch mit gutem Appetit isst und trinkt …
… kann man ihm nicht das Angebot von Nahrung und Flüssigkeit verweigern mit der Begründung, wenn er urteilsfähig wäre, würde er nicht mehr essen und trinken wollen.
Aber gegen die künstliche Zufuhr, also gegen eine Infusion oder Magensonde, kann man sich wehren?
Es ist richtig, dass das Legen einer Infusion gegen den Willen des urteilsfähigen Patienten oder entgegen der Patientenverfügung des urteilsunfähigen Patienten unzulässig ist. Denn das sind medizinische Massnahmen. Wenn jedoch keine Patientenverfügung vorliegt, dann entscheiden die Angehörigen, ob künstlich Nahrung und Flüssigkeit verabreicht wird.
Muss auch das Pflegepersonal in einem Alters- oder Pflegeheim den Willen des Patienten, der Patientin in diesen Sachlagen respektieren?
Ja, unbedingt. Allerdings ist das unter Umständen kaum durchsetzbar: Obschon beispielsweise eine Infusion gegen den Willen des Patienten eine Körperverletzung darstellt, wird in der Praxis rechtlich nicht dagegen vorgegangen. Daher ist es sinnvoll, vorgängig mit der Institution abzuklären, ob die Bereitschaft besteht, den FVNF zu akzeptieren und zu begleiten. Das ist sicher einfacher, wenn der Betroffene schon stark geschwächt ist, als wenn er an sich körperlich fit, aber einfach «lebensmüde» ist.
Kann man auch sterbefasten, wenn man z.B. wegen einer fortgeschrittenen Demenz schon urteilsunfähig ist?
Der Demenzpatient wird in den letzten Stadien seiner Erkrankung nicht mehr zielgerichtet fasten, sondern der Nahrungs- und Flüssigkeitsverzicht hat dann oft andere Gründe, unter anderem Schluckprobleme. Dann stellt sich dem Pflegepersonal die Frage, ob künstlich Nahrung und Flüssigkeit zugeführt werden soll.
Dagegen kann man sich mit einer Patientenverfügung wirksam zur Wehr setzen.
Wichtig ist: Die Patientenverfügung muss im urteilsfähigen Zustand verfasst worden sein. Sonst müssen die Angehörigen über die Behandlung entscheiden, und die Patientenverfügung gilt nur als Indiz für den mutmasslichen Willen des Betroffenen.
Informationen zum Thema Sterbefasten bei Pallicura, einer Organisation von EXIT www.sterbefasten.org