Tiere sterben manchmal in der Praxis, weil er sie nach einem Unfall nicht retten kann. Manchmal, weil er sie von einem Leiden erlösen muss. Der Tiertod gehört zum Alltag eines Tierarztes.
«Wenn ich ein Tier einschläfern, oder wie es in der Fachsprache heisst, wenn ich ein Tier euthanasieren muss, ist das ein trauriger, vielfach aber auch ein erlösender Moment für alle Beteiligten», sagt Christoph Gloor, 59, Mitbegründer der Tierklinik Aarau West in Oberentfelden AG. Der Veterinär schweigt einen Moment. «Die Wahrnehmung ist konzentriert auf diesen einen Moment, den Moment des Sterbens. In der Regel geben wir einem Tier zuerst ein Beruhigungsmittel auf Valiumbasis oder ein Opiat. Das Tier soll keinen Stressmoment erleben. Allenfalls erhält das Tier zusätzlich ein Schlafmittel. Anschliessend, wenn es ruhig geworden ist und die Medikamente wirken, setze ich einen Katheter in eine Vene oder in den Bauchraum. Ich unternehme alles, damit das Tier keine Schmerzen erleidet.»
Die Narkose-Überdosis lähmt das Stammhirn
Und was passiert dann genau, will der Autor wissen. Christoph Gloor erklärt das folgendermassen: «Via dieses Katheters verabreichen wir eine überdosierte Narkose. Diese wirkt im Stammhirn, lähmt es und der Hirntod tritt ein. Durch den Hirntod stoppt der Atmungsprozess und der Herzschlag, das Tier stirbt.»
Manchmal ist der Gang zum Tierarzt, für den Tierhalter und seinen Liebling schwierig. Das Tier verbindet die Situation möglicherweise mit früheren unangenehmen Erlebnissen. «Deshalb machen wir in speziellen Fällen Hausbesuche, damit helfen wir dem Tier sowie dem Besitzer», sagt Christoph Gloor.
Der Tiertod soll schmerz- und stresslos sein
Der engagierte Tierarzt möchte nichts mehr, als das ihm anvertraute Tier optimal zu betreuen. Ihm einen schmerz- und stresslosen Tod ermöglichen. «Aber ich sehe das Bedürfnis, ebenfalls die Menschen zu betreuen, die Abschied nehmen müssen. Beispielsweise, indem wir sie einige Tage später anrufen und uns erkundigen, wie es gehe. Das ist wichtig. Nur fehlt uns dafür leider oftmals die Zeit. Was wir immer machen, ist eine Trauerkarte schicken. Und im Vorfeld einer Euthanasierung reden wir mit den Tierhaltern, besprechen, wie wir diesen Moment gestalten. Ich erkläre, was mit dem Körper passiert, dass das Tier keine Schmerzen erleiden muss und so weiter. Ebenfalls besprechen wir vorher, was mit dem toten Körper geschehen soll. In der Regel empfehlen wir, ihn kremieren zu lassen.»
Alte Katzen schleichen davon – sterben einsam
Natürlich stirbt nicht jedes Haustier in der Tierklinik, beim Tierarzt, bei der Tierärztin. Viele Hund oder Katzen erleiden Unfälle, sterben auf der Strasse. Andere erleiden einen natürlichen Tod, liegen eines Morgens tot auf ihrem Schlafplatz. Möglicherweise ereilte sie ein schneller Herztod oder sie starben wegen einer Thrombose. Und bei den Katzen geschieht es, dass sich alte, kranke Tiere verkrümeln, irgendwo versteckt und einsam sterben.
Aber solch natürliche Sterbeprozesse sind seltener geworden. Früher eliminierte die Natur kranke und alte Tiere. Sie wurden von Feinden gejagt, gerissen und gefressen. Auch die Menschen gingen unzimperlicher um mit Jungtieren. Früher ertranken junge Bauernhofkatzen teilweise nach der Geburt in der Güllengrube.
Tiere erhielten einen anderen Stellenwert
Durch das Engagement der Tierschützer erhielten sie mehr Rechte. Mit dem gesellschaftlichen Wandel veränderten sich die Aufgaben eines Hundes und einer Katze. Christoph Gloor: «Heute halten wir Kleintiere, hauptsächlich Hunde und Katzen, als Begleiter, als Sportkollegen, als Wächter, oder sie ersetzen fehlende Partner. Tiere sind eine Freizeitbeschäftigung. Wir züchten sie, treiben mit den Hunden Sport. Sie führen Blinde, arbeiten als Therapiehunde. Kinder erhalten Tiere geschenkt, und die Mütter übernehmen dann die Aufgaben von Hege und Pflege. Tiere können die Verbindung zu einem Verstorbenen sein. Tiere geben Kindern einen Bezug zur Natur. Sie erleben Konflikte hautnah, sehen wie Tiere sterben, wenn etwa Katzen ihre Beute nach Hause bringen und auf dem Teppich genüsslich verzehren. Tiere sorgen für Glücksmomente. Ein Hund etwa, wenn er seinem Halter, seiner Halterin die Hände leckt oder die Katze, wenn sie einem schnurrend auf dem Schoss sitzt.»
Tierhalter müssen lernen, ihre Lieblinge loszulassen
Und mit dem neuen Stellenwert eines Haustieres wandelte sich die Bedeutung des Tierarztes. Dem stimmt Christoph Gloor zu. «Wir Veterinäre geben der modernen Medizin einen Platz. Früher sagte man, ‹das hat keinen Sinn›. Wir haben dann die Tiere oftmals einschläfern müssen. Heute ist das anders. Wir können sehr vieles behandeln. Heute haben wir die Möglichkeit, eine ausführliche Diagnose zu machen, wir haben die ‹Instrumente›, das Tier entsprechend zu behandeln und seine Lebensqualität zu steigern. Sein Leben zu erhalten und es somit zu verlängern.
Wichtig ist mir: Für das Tier soll kein unnötiges Leiden entstehen. Lebensverlängernde Massnahmen machen wir nur, wenn sie zum Wohle des Tieres sind. Andernfalls muss ich, ja will ich, ein Tier erlösen. Sein Weiterleben muss Sinn machen. Wir dürfen nicht Hand bieten, ein Tier zu quälen, nur weil der Besitzer, die Besitzerin es nicht loslassen kann.»
Christoph Gloor findet, es müsse Tierbesitzern klar sein, dass der Tod auch bei Tieren dazu gehöre. «Durch ihn ist das Leben wertvoller», sagt er.
Als Tierarzt dem Wohle des Tieres verpflichtet
Die moderne Tiermedizin und -Diagnostik bietet schier unbegrenzte Möglichkeiten, das Leben eines Tieres zu verlängern. Veterinär Christoph Gloor erlebt es öfter, dass es den Leuten schwerfällt, den «richtigen» Zeitpunkt zu finden. «Es ist schwierig ‹jetzt› zu sagen. Jetzt schläfern wir sie, schläfern wir ihn ein. Es gibt Leute die sträuben sich, diesen Entscheid zu fällen. Diese Haltung verlängert aber oftmals nur das Leid des Tieres und verstösst dann auch gegen das Tierschutzgesetz. Als Tierarzt bin ich dem Wohl des Tieres verpflichtet und müsste im Extremfall jemanden zwingen, sein leidendes Tier zu erlösen. Mit Gesprächen können wir aber die Tierhalter immer überzeugen, dass es für das Tier besser ist, jetzt definitiv loszulassen.» Wieder schweigt Christoph Gloor. Gedankenverloren streichelt er Bilbo, den Hund des Autors. «Es macht für das Tier keinen Sinn, endlos Schmerzen zu lindern, permanent Opiate zu verabreichen. Die Natur hätte längst entschieden. Tierhalter müssen sich bewusst sein, dass das Wohl eines Tieres wichtiger ist, als die Angst des Tierhalters vor dem Verlust.»
Text & Fotos: Martin Schuppli
Tierklinik Aarau West
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3 Antworten auf „Tierarzt Christoph Gloor: «Der Tod wertet das Leben auf»“
Sehr schön geschriebener Artikel! Und das Thema wurde von allen Seiten beleuchtet. Vielen Dank.
Danke liebe Leserin. So positive Komplimente freuen den Autor jedesmal sehr. herzlich. martin Schuppli
Ein informativer, aufschlussreicher Artikel. Auch von mir ein grosses DANKESCHÖN.