Intensivstation irgendwo in der Schweiz, Samstagabend, 18 Uhr. Eine junge, drogensüchtige Frau wird ins Spital eingeliefert. Bei ihrem dritten Suizidversuch hat sie sich in den Kopf geschossen. Das Team auf der Notfallstation unternimmt alles, um ihr Leben zu retten. Es ist aussichtslos.
Ein erstes Spezialistenteam untersucht die Patientin und bestätigt mit standardisierten und klar vorgeschriebenen Tests ihren Hirntod. Das heisst, ihr Grosshirn und der Hirnstamm funktionieren nicht mehr. Das Hirn der Frau ist tot, wird nicht mehr durchblutet. Vater und Mutter treffen ein. Sie sprechen kaum Deutsch.
Der leitende Arzt wird aufgeboten, um die ausländische Familie zu betreuen, mit ihnen zu reden. Um 20 Uhr ist er vor Ort. Die Eltern stehen unter Schock. Das Gespräch dauert bis morgens um zwei. Dann geben die Eltern ihr Einverständnis für eine Organentnahme. Sie Eltern wissen jetzt, welche Organe entnommen werden. Herz, Nieren, Leber, Lunge, Bauchspeicheldrüse.
Organe dürfen keinen Schaden nehmen
Mittlerweile ist es Sonntag, kurz nach zwei Uhr morgens. Unser Intensivmediziner fährt nach Hause. Im Spital stellt ein weiteres Team mindestens sechs Stunden nach der ersten Hirntod-Diagnostik zum zweiten Mal den Hirntod fest und bestätigt die Durchführung sämtlicher Tests.
Die Transplantations-Koordinatorin im Spenderspital ist bereits vor Ort. Sie koordiniert die Abläufe, erstellt Dossiers, füttert damit den Computer und liefert der diensthabenden nationalen Koordinatorin von Swisstransplant alle nötigen Informationen. Auch die ist aufgestanden und überprüft nun alle Daten. Mittlerweile ist ungefähr eine Stunde vergangen. Im Spital werden die Organfunktionen der verstorbenen Patientin erhalten, damit ihre Organe keinen Schaden nehmen.
Nun werde auch ich zuhause in Thun als diensthabender Arzt von Swisstransplant geweckt. Es ist also etwa drei Uhr in der Früh. Ich kontrolliere alle Daten ein weiteres Mal. Wir haben das Vier-Augen-System eingeführt zur Qualitätssicherung. Das bedeutet, dass sämtliche Eingaben durch die nationale Koordinatorin und den diensthabenden Arzt von Swisstransplant gecheckt werden. Sind alle Dokumente komplett, gebe ich den Spender zur Allokation, das heisst zur Zuteilung der Organe, frei.
Fünf Organe werden zugeteilt
Die nationale Koordinatorin löst nun im Computer das automatische Zuteilungsprogramm aus. Das wiederum überprüft noch einmal, ob alle Dokumente richtig ausgefüllt sind, ob alle nötigen Schritte gemacht wurden, und dann berechnet das Programm nach genauen Kriterien, welche Menschen als Empfänger für Herz, Leber, Bauchspeicheldrüse, Nieren sowie Lunge in Frage kommen. Das System berücksichtigt die Dringlichkeit der Patienten auf der Warteliste.
Bei den Herzpatienten wäre das beispielsweise auf Platz 1 ein 35-jähriger Mann in Bern, er wartet schon lange. Die nationale Koordinatorin greift zum Telefon und weckt im Inselspital die lokale Koordinatorin. Schildert ihr die Situation.
Nun wird ein Organ nach dem anderen den entsprechenden Transplantationszentren angeboten. Die nationale Koordinatorin weckt die Leute. Klärt ab. Wartet auf ein Feedback der involvierten Zentren und deren Spezialisten.
In Bern ist es mittlerweile halb fünf Uhr am Sonntagmorgen. Das Inselspital verständigt den Kardiologen und den Herzchirurgen. Auch sie stehen auf, kontrollieren am Computer, ob alle nötigen Details vorhanden sind, die sie für die mögliche Herztransplantation brauchen. Akzeptieren sie das Organ, teilt die nationale Koordinatorin das Herz endgültig den Bernern zu.
Entscheid über Leben und Tod
Es kann natürlich vorkommen, dass die Verantwortlichen eines Spitals nur unter Vorbehalt zusagen und bei der Spenderin noch zusätzliche Abklärungen gemacht werden müssen. Lehnen Ärzte ein Organ ab, muss der negative Entscheid begründet werden. Es kann sein, dass der Patient zu krank und eine Operation unmöglich ist. Oder dass der Spender nicht optimal zum Empfänger passt, der medizinische Nutzen der Transplantation nicht optimal ist. Dann kommt Nummer zwei auf der Liste an die Reihe.
Dank Transplantation überleben
Aber zurück zum Herzen. Akzeptieren die Berner, macht sich die lokale Koordinatorin auf den Weg, fährt ins Inselspital, informiert Operationsteam, Anästhesie und bietet den Patienten auf der Warteliste auf. Der wiederum ist beispielsweise im Tessin wohnhaft. Er wird geweckt. Zudem wird die Rega avisiert, sie muss den Empfänger ins Spital fliegen. Nun wird ein Zeitplan erstellt. Wenn der Patient um neun Uhr im Bern sein kann, muss das Transplantationsteam im Operationssaal des Spenderzentrums um sechs oder sieben Uhr mit den Vorbereitungen für die Organentnahme beginnen. Das bedeutet, dass die Chirurgieteams aus den verschiedenen Zentren von der Rega, der Feuerwehr oder einer Ambulanz abgeholt und ins Spenderspital geflogen werden.
Organe zur Entnahme präparieren
Wie in einer regulären Operation wird der Spender vorbereitet. Die Organe werden zur Entnahme präpariert. Wenn alle Teams im Operationssaal bereit sind verschliesst der Herzchirurg die obere Hohlvene, sodass kein Blut mehr ins Herz zurückfliesst, und dann klemmt er die Schlagader, die Aorta, ab. Der Körper erhält kein Blut mehr. Nachher wird kalte Flüssigkeit zugeführt. Sie schützt die Organe auf dem Transport und kühlt den Körper. Jetzt hört der Herzschlag auf. Ein ganz besonderer, entscheidender Moment. Es gibt keinen Kreislauf mehr.
Trotz Hektik bleiben alle ruhig. Man ist bemüht, eine gewisse Pietät zu wahren, in Gedanken nimmt jeder auf seine Art Abschied vom Spender, dankt ihm still und leise für seine Bereitschaft, anderen Menschen Leben und Lebensqualität zurückzugeben.
Die Organe werden sorgfältig verpackt, in spezielle Kühlboxen gelegt, und die Teams fliegen weg. Die Wunden des Verstorbenen werden verschlossen, er wird gewaschen, die Augen geschlossen und der Kopf bandagiert. Im Operationssaal kehrt Ruhe ein. Eine Stille macht sich breit. Nun können die Angehörigen vom Verstorbenen Abschied nehmen.
Nach der Entnahme ist Eile angesagt
In den anderen Spitälern ist Eile angesagt. Etwa im Inselspital. Dort liegt der Patient auf dem Operationstisch, er ist anästhesiert, sein krankes Herz wurde bereits rausgenommen, sein Leben hängt an der Herz-Lungen-Maschine. Sobald das neue Organ vor Ort ist, wird es transplantiert. Der Chirurg macht vier grosse Nähte, das Herz füllt sich mit warmem Blut. „Und dann passiert etwas sehr Eindrückliches“, sagt Franz Immer, der als Chirurg selber über 1000 Herzoperationen durchführte. „Das Herz bekommt wieder Sauerstoff und beginnt nach einer halben, nach drei, nach fünf Minuten zu flimmern. Es ist dann 33 bis 35 Grad warm und wir bringen es mit dem Defibrillator wieder zum Schlagen. Das ist ein unglaubliches Erlebnis für alle Beteiligten. Das Leben geht weiter.“
Und all dies wird möglich, weil der Intensivmediziner keine Mühe, keinen Aufwand scheute, ausführlich mit den leidgeprüften Eltern zu sprechen und sie objektiv über eine eventuelle Organspende aufklärte.
Aufgezeichnet: Martin Schuppli I Foto: Istockphoto
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Eine Antwort auf „Eine Transplantation muss perfekt organisiert sein“
Nach jedem Gespräch mit Swisstransplant-Chef Franz Immer ist mir klar: Ich möchte meine Organe weitergeben. Deshalb trage ich ihnen Sorge.