Ich erlaube mir, über Schmerz zu schreiben, weil ich weiss, wie es sich anfühlt, wenn der Körper schmerzt. Meine schwere Arthrose in beiden Knien diagnostizierte ein Orthopäde bereits vor Dutzenden von Jahren. Seither arrangiere ich mich mal besser, mal schlechter mit Schmerzen. Einen Zusammenhang zwischen meinen Beschwerden und einer Rheumaerkrankung machte ich nie, obwohl ich einst als Gesundheits-Journalist arbeitete.
Nun «klopfte» das Thema Rheuma an die Tür. In Form eines Blog-Beitrages über Valérie Krafft, Geschäftsleiterin der Rheumaliga Schweiz, einer Partnerin von DeinAdieu. Wegen der Corona-Pandemie zogen wir es vor, das Interview schriftlich zu führen.
Frau Krafft, wer sind Sie?
Valérie Krafft: Ich bin eine Schweizerin durch und durch. Meine Eltern stammen beide aus der Romandie, wo ich auch geboren wurde. Als ich vier Jahre alt war, hat mein Vater eine Stelle in Zürich angenommen, und wir sind mit der ganzen Familie über den Röstigraben gezogen.
Und Ihre Eltern glaubten, das sei vorübergehend?
Klar, wie so viele Romands damals dachten auch meine Eltern – meine Mutter wohl noch mehr, – dass wir nach ein paar wenigen Jahren in die «Heimat» zurückkehren würden. Aus diesem Grund wollten meine Eltern uns drei Kinder in die französische Schule schicken.
Das klappte?
Nein, nein. Als Eidgenossen war uns diese Möglichkeit zum Glück verwehrt. So habe ich Deutsch ab dem Kindergarten gelernt, während meine Mutter- und Herzenssprache Französisch geblieben ist. Nach Stationen in Zürich, Genf und Basel lebe ich heute mit meinem Mann in Luzern.
Warum sind Sie im Fundraising tätig?
Gemeinnützige Arbeit macht Freude – aber deren Finanzierung zuweilen auch Sorgen. Für eine mittelgrosse NPO wie die Rheumaliga Schweiz ist es wichtig, als Geschäftsleiterin nahe bei der Mittelbeschaffung zu sein, Vertrauen in die Organisation aufzubauen, Kontakte zu unseren Gönnerinnen und Gönnern sowie Geldgebenden zu pflegen und so sicherzustellen, dass das Vertrauen weiter wächst. Deshalb macht Fundraising einen grossen Teil meiner Geschäftsleitungstätigkeit aus.
Warum arbeiten Sie bei der Rheumaliga Schweiz?
Ich bin schon in meinem 18. Jahr bei der Rheumaliga Schweiz. Nach meiner Ausbildung als Pharmazeutin und einigen Jahren in Apotheke und Pharmaindustrie war es mein grosser Wunsch, «etwas Sinnvolles» zu tun.
Was heisst für Sie «etwas Sinnvolles»?
Sinnvoll war für mich der Wunsch nach Beständigkeit und nach der Möglichkeit, etwas aufzubauen. Mit den Jahren hat der Begriff «sinnvoll» an Dimensionen gewonnen. Einige Beispiele: Die Rheumaliga Schweiz entwickelt für Betroffene von rheumatischen Erkrankungen Dienstleistungen und baut sie auf. Zudem vertreten wir die Interessen von Rheumapatientinnen und -patienten in Gesellschaft und Politik und leisten so einen Beitrag zur Verbesserung ihrer Lebensqualität. Und nicht zuletzt will die Rheumaliga Schweiz eine moderne Arbeitgeberin in der Welt der Non-Profit-Organisationen sein und so zur Professionalisierung und kontinuierlichen Weiterentwicklung der Organisation beitragen.
Kennen Sie Rheumapatientinnen, -patienten?
Ja, sehr viele. Angefangen bei meiner Familie, wo Arthrose und Gicht schon seit mehreren Generationen Thema sind. Und dann aus meinem beruflichen Werdegang in der Apotheke und in der Pharmaindustrie, wo ich für ein Rheumamedikament zuständig war.
Dann wissen Sie, wo Patientinnen, Patienten der Schuh drückt.
Nur im Kontakt mit den Betroffenen wird einem bewusst, was die täglichen Herausforderungen wirklich sind – oft sind es kleine Sachen im Alltag, die das Leben schwer machen. Als Rheumaliga können wir genau dort ansetzen und tatkräftig Unterstützung leisten.
Rheuma umfasst über 200 Erkrankungen
Wo ist die Rheumaliga Schweiz vor allem gefragt? Was sind die Probleme der Patienten, Patientinnen?
Alles fängt mit Aufklärung und Sensibilisierung an. Wie oft habe ich staunende Gesichter gesehen, als ich erzählte, dass die jüngste betroffene Person, der ich begegnet bin, gerade mal sieben Monate alt war.
Ich meinte, Rheuma – das haben doch nur alte Menschen.
Das ist falsch. Rheuma umfasst mehr als 200 verschiedene Erkrankungen, und die über zwei Millionen Betroffenen finden sich in allen Altersgruppen wieder. Daher ist der Impact in den unterschiedlichsten Lebensbereichen – Ausbildung, Berufswahl, Familienplanung, Lebensstil, Selbstständigkeit etc.
Eine grosse Herausforderung.
So ist es. Aber ich sehe es eher als eine einmalige Chance: Es gibt in sehr vielen Bereichen Möglichkeiten, anzusetzen und Dienstleistungen zu entwickeln. Deshalb reicht die Palette der Dienstleistungen der Rheumaliga Schweiz vom Angebot für Kinder und deren Familien über die Jungen mit Chatgruppen, Treffen und einer Internetseite zu den «Mittelalterlichen» mit verschiedensten Informationsangeboten. Zu Webbeiträgen und Umfragen, zu Bewegungsangeboten bis hin zum Angebot für die Ältesten mit einem Programm zur Prävention von Stürzen im eigenen Zuhause.
Diese Angebote richten sich sowohl an Betroffene wie auch an ihr Umfeld, ihre Angehörigen.
Das ist so. Die Inhalte sollen gut verständlich, das Angebot niederschwellig zugänglich sein und die direkte Hilfe im Vordergrund stehen.
Unmittelbare Hilfe leistet die Rheumaliga Schweiz mit dem SOS-Fonds.
Richtig. Dieser SOS-Fonds unterstützt Rheumabetroffene in finanziellen Nöten mit einem einmaligen Beitrag von maximal tausend Franken. Denn die Kosten für Therapie und Medikamente werden zwar grösstenteils von der Krankenkasse übernommen, aber bei Rheuma fallen häufig Zusatzkosten für nicht kassenpflichtige Therapien, für dringend nötige Umbauten oder Hilfsmittel an. Krankenkassen und Sozialversicherungen decken nie alle Kosten, die chronische Krankheiten verursachen.
Etwa bei einem baulichen Umbau?
Beispielsweise: So übersteigt es die finanziellen Möglichkeiten der meisten Betroffenen, einen Treppenlift einzubauen oder die Dusche barrierefrei einzurichten. In diesen Fällen greift unser SOS-Fonds.
Wie kann die Rheumaliga Schweiz das bezahlen?
Der SOS-Fonds wurde durch ein grosszügiges Legat eines Gönners ins Leben gerufen. Die Person hat sich konkret gewünscht, Rheumabetroffene in Notsituationen zu unterstützen und hat dies in ihrem Testament festgelegt.
Wie finanziert die Rheumaliga Schweiz ihr grosses Engagement?
85 Prozent unserer Finanzmittel erwirtschaften wir selbst, und zwar aus Projektbeiträgen, Sponsoring, Spenden, Legaten und Dienstleistungserträgen. Zu 15 Prozent finanziert sich die Rheumaliga Schweiz über das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) und das BAG.
Wie wichtig ist die digitale Einbindung der Spendenprozesse?
Das ist zweifellos wichtig und zukunftsweisend. Allerdings bin ich überzeugt, dass wir die Offline-Kommunikation nicht vergessen dürfen. Gerade für die Rheumaliga Schweiz mit dieser so breiten Palette an Betätigungsfeldern ist das eine weitere Herausforderung, weil wir mehrere Kanäle gleichzeitig pflegen wollen.
Welche Kanäle sind das?
Wir sind im Internet, auf Social Media und digital ebenfalls mit dem Thema «Spenden und Unterstützen» stark unterwegs. Gleichzeitig bedienen wir aber auch die klassischen Kommunikationskanäle und versenden Spendenmailings, pflegen den direkten und persönlichen Kontakt. Aber nochmals, das Leben darf nicht einseitig sein, und wir wollen zu allen Themen einen möglichst grossen Teil der Bevölkerung erreichen – gerade, weil Rheuma alle in jedem Alter treffen kann.
Berät die Rheumaliga ihre Gönnerinnen und Gönner ebenfalls in Sachen «letztes Büro»?
Ja, auf Wunsch beraten wir sehr gerne zum Thema «letztes Büro».
Wie umfassend ist das Angebot der Rheumaliga?
Neben einem persönlichen Gespräch können Interessierte unsere fundierte Broschüre zum Thema Nachlassplanung kostenlos bestellen. Diese Broschüre haben wir schon vor einigen Jahren mit einer Gruppe von ca. acht Personen ausgearbeitet. So wollten wir sicherstellen, dass wir die Bedürfnisse möglichst gut erfassen und abbilden können. Ein guter Hinweis, den wir nach dieser Fokusgruppe umgesetzt haben, war die Ausarbeitung eines detaillierten Fragebogens zur Bestandsaufnahme, welcher der Broschüre beiliegt.
Wie erklären Sie ihren Gönnerinnen und Gönnern den Unterschied zwischen Spende und Legat?
Meine Erfahrung ist, dass Personen, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen, sehr genau wissen, was sie wollen. So ist es oft nicht nötig, diesen Unterschied zu erklären. Abgesehen davon, dass ich es gar nicht so einfach finde.
Versuchen Sie es trotzdem, bitte?
Vielleicht könnte man sagen, dass eine Spende eine zu Lebzeiten gegebene und wiederkehrende Unterstützung an die Arbeit einer Organisation ist. Im Gegensatz dazu kann ein Legat als eine einmalige Spende betrachtet werden, allerdings ist diese Einmaligkeit zugleich das grösste und wertschätzendste Geschenk, das ein Spender einer Organisation hinterlassen kann.
Was sind die Vorteile eines Legats für die Rheumaliga Schweiz?
Wir dürfen uns sehr glücklich schätzen, dass die Rheumaliga Schweiz regelmässig in Testamenten berücksichtigt wird. Das ermöglicht es der Rheumaliga Schweiz, langfristig zu planen und weiterhin sehr unabhängig unterwegs sein zu können.
Erläutern Sie mir das bitte?
So stellen wir weiterhin sicher, dass wir unsere Dienstleistungen niederschwellig anbieten und sie entsprechend den Bedürfnissen Betroffener weiterentwickeln. Die Rheumaliga Schweiz tut dies seit über 60 Jahren, und die Nachfrage nach unseren Dienstleistungen ist in den letzten Jahren stetig weiter gestiegen. Umso wichtiger ist diese Planbarkeit für uns.
Persönliche Frage liebe Valérie Krafft: Haben Sie Ihr «letztes Büro» gemacht?
Ja, ich habe es gemacht, denn es ist mir wichtig, selbst zu entscheiden, wer begünstigt werden soll.
Valérie Krafft, danke für dieses Interview.
Zu Beginn meiner Krankheit, war mir die Rheumaliga Schweiz eine grosse Hilfe
Wie es ist, mit Rheuma zu leben, schildert Andrea Möhr, Mitglied im Betroffenenrat der Rheumaliga Schweiz.
Im Sommer 2012 wurde bei Andrea Möhr eine entzündlich-rheumatische Gelenk- und Rückenerkrankung diagnostiziert. Tausend Fragen tauchten auf: Wie sieht die Zukunft aus? Was löst diese Krankheit im Körper aus? Wie kann man trotzdem ein schönes Leben führen und Sport treiben? Viele dieser Fragen beantwortete Andrea Möhr-Michel in ihrem Buch «Krückenhüpferin». Ihr gelingt es, ermutigende Einblicke in das Leben mit entzündlichem Rheuma zu geben, aber auch fachliche Informationen patientengerecht zu vermitteln. Ein Buch, das Rheumatikern, chronisch Kranken und ebenfalls Angehörigen Mut macht für ein lebenswertes Leben mit Hindernissen.
Andrea Möhr ist 49 Jahre alt und wuchs in Luzern auf. Seit Ende 1999 wohnt sie in Kerzers, im Freiburger Seeland, wo es ihr und ihrem Mann sehr gut gefällt. In einem schriftlich geführten Interview beantwortet Andrea Möhr die Fragen von DeinAdieu.
Frau Möhr: Wann wendeten Sie sich an die Rheumaliga Schweiz?
Andrea Möhr: Bis mein Orthopäde nach Komplikationen im Anschluss an eine Knie-Arthroskopie das Wort «Rheuma» aussprach, wusste ich kaum, was das war. Ich durchforstete das Internet, suchte nach Informationen und den verschiedenen Krankheiten. Damals landete ich rasch bei der Rheumaliga Schweiz. Da stiess ich auf viele informative und leicht verständliche Broschüren, die ich mir schicken liess. Später bestellte ich ebenfalls Hilfsmittel.
Wie beeinträchtigt Rheuma Ihr Leben, Ihre Freizeit?
Bis zur Rheumadiagnose pflegte ich verschiedene Hobbys. Einerseits wanderte ich gerne in den Bergen, unternahm Trekking-Touren, machte Langlauf. Andererseits war mir das Violinespielen im Orchester sehr wichtig. Heute unternehme ich kleine Ausfahrten mit meinem Spezial-E-Liegevelo, spiele neben Violine neu noch Viola, und ich zeichne gerne.
Sie engagieren sich im Betroffenenrat der Rheumaliga Schweiz. Wo ist in Ihren Augen die Rheumaliga Schweiz vor allem gefragt?
Zu Beginn der Erkrankung kann die Rheumaliga Schweiz gute Dienste leisten, indem sie patientengerechte Informationen zur Verfügung stellt über verschiedene Krankheiten und wie man den Verlauf selbst positiv beeinflussen kann.
Nutzten Sie ebenfalls die Bewegungs- und Patientenaufklärungskurse, welche eine wichtige Basis in der Arbeit der Rheumaliga Schweiz darstellen?
Das machte ich. Darüber hinaus ist für mich die Rheumaliga Schweiz ebenfalls Anlaufstelle für aktuelle Fragestellungen, wie zum Beispiel jetzt rund ums Thema Covid-19. Da tauchen Fragen auf. Etwa über die Immunsystem dämpfende Wirkung von Medikamenten, über das Impfen sowie über das Verhalten in diesen Zeiten. Generell muss die Bevölkerung aufgeklärt werden, um Mythen und Vorurteile aus der Welt zu schaffen.
Wo sehen Sie die Probleme der Patientinnen, der Patienten?
Die sehe ich zu Beginn der Erkrankung, wenn vielleicht Zukunftsängste oder Fragen zum Umgang mit der Krankheit auftauchen – was soll man tun, was meiden. Weiter können das Fragen sein rund um den Beruf, ebenso die Freizeit. Ein weiterer wichtiger Punkt ist nicht zuletzt die Akzeptanz und das Wissen über rheumatische Krankheiten in der Gesellschaft generell. Ein Rheumaerkrankung ist mehr als «nur echli Gsüchti …»
Dazu kommen finanzielle Sorgen.
Stimmt. Bei einigen gesellen sich leider im Verlauf der Jahre ebenfalls finanzielle und soziale Probleme dazu, wenn man beispielsweise sein Arbeitspensum reduzieren muss oder den Beruf nicht mehr ausüben kann. Hier können individuelle Beratungen der Rheumaliga Schweiz oftmals Hilfe bieten.
Was bewirkte Ihr Buch «in der Szene»?
Ich habe von Betroffenen vernommen, wie froh sie sind, zu wissen, dass sie nicht alleine mit einer rheumatischen Erkrankung sind, mit schwierigen Medikamenten-Einstellungen, nicht enden wollenden Nebenwirkungen. Oder sich dadurch ihre Ängste nicht mehr so fremd anfühlten. Angehörige von Betroffenen dagegen schätzen, dass sie wie eine zweite Sicht von einer Betroffenen erhielten, um die Schmerzen und Probleme der/des Angehörigen besser einzuordnen und damit umgehen zu können.
Sie schreiben regelmässig Beiträge zum Thema.
Ja, in meinem Blog «Krückenhüpferin» www.rheumaleben.blogspot.ch schreibe ich seit der Herausgabe des Buches weiter über das Leben mit Rheuma und CRPS. Das steht für Complex Regional Pain Syndrome, also komplexes regionales Schmerzsyndrom. Das CRPS ist eine chronische neurologische Erkrankung, die nach einer Weichteil- oder Nervenverletzung, häufig in Zusammenhang mit der Fraktur einer Extremität auftritt.
Wie haben Sie gelernt, mit der Krankheit umzugehen und sie zu managen?
Zu Beginn gibt es eine Trauerphase, wo zuerst akzeptiert werden muss, dass man eine chronische Krankheit hat. Erst danach lernt man, mit der Krankheit und dem Schmerz umzugehen. Ist die zweite Phase erreicht, sind Inseln, die einem Energie geben, sehr wichtig in der Tagesplanung. Dies sind kleine Sachen wie auf dem Sofa ausruhen, Musik hören, ein Buch lesen oder etwas zeichnen. Wichtig ist: Chronische Schmerzen müssen an die Leine genommen werden. Ich will Chefin in meinem Leben sein und nicht der Schmerz.
Frau Möhr, danke für dieses Interview.
Text: Martin Schuppli
Die Rheumaliga Schweiz ist Partner von DeinAdieu. Zum Profil