Yannick Landolt strahlt eine grosse Ruhe aus. Sein Lachen ist ehrlich. Seine Anteilnahme ebenfalls: «Der Umgang mit Leben und Sterben liess mich reifen. Heute lebe ich bewusster, der allgegenwärtige Tod veränderte mein Denken.»
Der 27-Jährige arbeitet bei der Stadt Zürich als Kundenberater im Bestattungsdienst. «Wer einen Todesfall melden muss, kommt persönlich zu uns ins Stadthaus. So will es das Gesetz. Kennen wir die Bestattungswünsche eines, einer Stillgewordenen, müssen wir diese umsetzen.» «Dann wird also viel geweint im Büro 120?», frage ich. Yannick Landolt verneint. «Angehörige erlebe ich oft in einer Art Funktioniermodus. Viele kommen in Begleitung.»
Wenn der junge Mann dann nach den Bestattungswünschen fragt, wissen nicht alle Angehörigen Bescheid. «Ich denke, die Hälfte der Angehörigen hat klare Vorstellungen, wie sich der, wie sich die Verstorbene die letzte Feier vorgestellt hat. Der Tod, das Sterben sind halt immer noch Tabuthemen. Und so ist es für viele Menschen befremdlich, darüber zu reden», sagt Yannick Landolt. «Herrscht also keine Klarheit über die letzten Wünsche, müssen die Angehörigen Entscheidungen treffen.»
Junger Bestattungsplaner: Erfahrung und Wissen macht Jugendlichkeit wett
Ein wenig vorbereiten kann sich der Kundenberater im Bestattungsdient auf so ein Gespräch. «Sind die Wünsche bei uns hinterlegt, sehe ich das im System. Zudem kann ich die Todesbescheinigung lesen und erfahre so, wann und wo jemand verstorben ist.» Dann bietet er Trauernden ein Getränk an. «Das entspannt», sagt Yannick Landolt. «Zudem bin ich gelassen und locker.» Und wie wirkt die Jugendlichkeit auf die Kunden, Kundinnen? Vor allem ältere Menschen seien erstaunt, sagt er. «Aber wenn sie merken, wie gross mein Wissen und meine Erfahrung ist, bricht das Eis schnell. Viele spüren, mit wie viel Herzblut ich meinen Job mache.»
Begonnen hat Yannick Landolt seine berufliche Laufbahn als Zierpflanzengärtner in einem Familienbetrieb am Zürichsee. Nach der Lehre bewarb er sich bei «Grün Stadt Zürich» um einen Job auf dem Friedhof Manegg. «Das war mehr als Gärtnern. Ich bereitete Bestattungen vor. Das heisst, Gruben ausheben für Erdbestattungen oder Urnenlöcher bohren. Ich war verantwortlich dafür, dass der Sarg sanft in die Tiefe gleiten konnte. Ich stellte Blumen auf und erledigte die eine oder andere Handreichung. Für diese Arbeit trug ich eine Uniform. Sie war massgeschneidert. Je nach Ablauf der Feier kümmerte ich mich um die Menschen, begleitete sie ans Grab, in die Kapelle etc. Ich kondolierte den Leuten. Beantwortete Fragen.»Den ersten Verstorbenen sah Yannick Landolt mit 18 Jahren. «Damals ‹tschudderte› es mich. Mittlerweile ist dieser Anblick zur Gewohnheit geworden, zur Routine. Ich erlebe ich die Nähe eines Verstorbenen als gutes Gefühl. Ruhe breitet sich aus, Stress fällt weg.»
Der Job auf dem Friedhof gefiel dem gelernten Gärtner. Nach zwei Jahren wechselte er ins Friedhofbüro. «Das reizte mich. Vor allem die Arbeit der Bestattungsbebegleiter strahlte eine grosse Faszination aus. Ich stellte ständig Fragen, lernte und sammelte Erfahrungen.» Yannick Landolt bildete sich weiter und begann dann, als Kundenberater in der Gräberadministration zu arbeiten. «Ich setzte um, was sich die Leute wünschen.»
Bestattungsplanung: Schlichtheit ist Trumpf
Und was wünschen sie sich, die Stadtzürcher? «Nun, Kremationen sind die Regel, Erdbestattungen die Ausnahme.» Nischengräber seien ebenfalls selten gefragt und Familiengräber gibt es Jahr für Jahr weniger. «Ich meine, Schlicht ist Trumpf. Viele Leute wollen in einem Gemeinschaftsgrab liegen. Für die Kremation wählen sie den einfachen Zürisarg aus und für die anschliessende Bestattung die offizielle Holz- oder Tonurne.»
Heisst Schlichtheit ebenfalls Beisetzung im engsten Familienkreis? Yannick Landolt schüttelt den Kopf, zuckt mit den Schultern. «Ich finde das schade und sage es auch. Meiner Meinung nach sollten alle, die das Bedürfnis haben, von einem Stillgewordenen Abschied nehmen können.»
Yannick Landolt ist jung, beschäftigt sich tagtäglich mit dem Leben, dem Sterben, dem Tod und mit Abschiednehmen. «Was macht das mit Ihnen?», frage ich. «Können Sie abschalten?» Der Bestattungsplaner nickt. «Ich mache mir logischerweise viele Gedanken über den Tod. Mich belastet das nicht. Es ist eine schöne Arbeit, für die Angehörigen etwas zu organisieren, den Leuten zu helfen, sie zu informieren, ihnen bei diesem schweren Gang beizustehen.» Er hält inne, legt die Finger aufeinander, sinniert. «Es ist die Dankbarkeit, die mich motiviert.» Gibts ebenso belastende Momente? «Ja, das sind dann sehr emotionale Ausnahmen. Etwa, wenn jemand Suizid begeht oder ein Kind stirbt. Das wirkt nach und belastet einen psychisch.» Und wer hilft dann? Yannick Landolt: «Wir können zu unseren Vorgesetzten gehen, können reden.»
Für viele ein Experte in Sachen Leben und Sterben
«Was sagen Ihre Kollegen, Freundinnen, Angehörigen zu Ihrem Beruf?», frage ich. «Das ist unterschiedlich», antwortet der junge Mann. «Die einen finden das cool, für andere ist es befremdlich. Da spielt wohl die Angst mit vor dem Lebensende.» So wurde Yannick Landolt für viele zu einer Art Experte für Leben und Sterben. «Ich habe schon Freunde beraten», sagt er. «Meine wichtigste Botschaft: Redet miteinander, sprecht über Leben und Sterben. Werdet euch bewusst, es ist solange zu früh, bis es zu spät ist. Ich rate, sprecht das an, redet darüber mit Eltern, mit Grosseltern. Viele empfinden so ein Gespräch als etwas Unangenehmes. Ich sehe das anders. Die Auseinandersetzung mit dem Leben und dem Sterben verändert mein Denken. Mich brachte es geistig weiter, ich wurde reifer, hinterfrage nun einiges und lebe bewusster.»
Den Tod, den Schmerz und die Endlichkeit eines Lebens erlebte Yannick Landolt schon mehrfach. Beide Grossväter sowie eine seiner Grossmütter sind verstorben. Ebenso, vor nicht allzulanger Zeit, zwei Kolleginnen. «Bei der einen weiss ich nicht ob sie ihrem Leben bewusst ein Ende setzte. Bei der anderen war es ein Suizid. Das warf mich aus der Bahn. Denn abgehärtet bin ich überhaupt nicht. Ihr Sterben löste etwas aus.»
Beim Tod ist es das Unbekannte, das Angst macht
Wir nähern uns dem Ende des Gesprächs. Nun will ich ganz konkret wissen, was der Bestattungsplaner sagte, wenn er wüsste, er würden heute Nacht friedlich einschlafen und nicht mehr erwachen?
Yannick Landolt wusste, dass diese Frage kommt. Trotzdem denkt er nach, sagt dann: «Ich fände es sehr schade. Denn ich lebe gern. Es wäre das Unbekannte, das bei mir eine Angst auslöste. Zudem gibt es da eine so genannte «Löffeliliste». Da stehen Dinge drauf, die ich noch erleben wollte. Etwa die Welt bereisen. Ich möchte tauchen, töfffahren, mich weiterbilden, eine Familie gründen. Und, müsste ich gehen, möchte ich Abschied nehmen können, das wäre mir extrem wichtig.»
«Fürchten Sie sich denn vor dem Tod? Wenn ja, was macht Ihnen Angst?», frage ich.
«Ich fürchte mich nicht. Es ist eine Art Angst da, weil ich nicht weiss, was passiert. Vor dem Tod habe ich keine megafeste Angst. Entweder ist es vorbei oder es ist nicht vorbei.»
«Und, was denken Sie, kommt nachher?» Er sagt: «Ich versuche daran zu glauben, dass wir wiedergeboren werden. Ich glaube an das Karma. Bin überzeugt, wer Gutes tut, dem geschieht Gutes. Und sicher bin ich ebenfalls, dass wir wiederkommen – in irgendeiner Lebensform.»
Als Bestattungsplaner machte sich Yannick Landolt logischerweise Gedanken, wie die Feier vor der letzten Reise dereinst bei ihm ablaufen soll. «Ich würde mich kremieren lassen und die Angehörigen anweisen, meine Asche dort zu verstreuen, wo ich mich wohl fühlte. Vorher möchte ich aufgebahrt werden, damit die Menschen Abschied nehmen können.»
Text: Martin Schuppli, Fotos: Paolo Foschini
Stadt Zürich
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www.stadt-zuerich.ch/bevoelkerungsamt | bestattungsamt@zuerich.ch
Eine Antwort auf „Yannick Landolt: «Der Umgang mit Leben und Sterben liess mich reifen»“
HerzensDank lieber Martin für die wöchentlichen, einfühlsamen Berichte zu wichtigen Themen, über die wir lernen dürfen, offen miteinander zu kommunizieren. Wie Yannick Landolt gesagt hat, „es ist so lange zu früh, bis es zu spät ist“.